Synonym(e)
Definition
Scopolamin ist ein Muskarin-Rezeptor-Antagonist (Parasympatholytika), Belladonnaalkaloid mit einer tertiären Stickstoffgruppe und einer molaren Masse von 303.35 g·mol-1 und einer mittleren Halbwertszeit von etwa 1.5 h., das zusammen mit Atropin natürlich in den Nachtschattengewächsen Tollkirsche, Bilsenkraut und Stechapfel vorkommt (Tropanalkaloide). Scopolamin ist gut löslich in Wasser, besonders in heißem Ethanol (Roth L 1984). Muskarin-Rezeptor-Antagonisten mit einer tertiären Stickstoffgruppe wirken sowohl in der Peripherie als auch im ZNS (Graefe KH 2016).
Wirkungsspektrum
Scopolamin ist als Muskarinrezeptor-Antagonist ein kompetitiver Antagonist des Acetylcholins (oder anderer direkter Parasympathomimetika) am Muskarinrezeptor. Seine Wirkung kann durch hohe Dosen eines Parasympathomimetikums aufgehoben werden kann. Scopolamin wirkt bereits in therapeutischer Dosierung motorisch dämpfend und sedativ, hemmt die Speichel- und Schweißsekretion und verursacht eine Pupillenerweiterung. Im ZNS führt Scopolamin wahrscheinlich zu einer Hemmung der cholinergen Reizübertragung vom Nucleus vestibularis zu den höheren Zentren des Zentralnervensystems und von der Formatio reticularis zum Brechzentrum.
Allgemeine Toxikologie: Zwischen 0,1 und 1 mg/kg werden bei Hunden (Menschen reagieren wie Hunde auf diese Substanz) zentrale Wirkungen wie Schlaf, Halluzinationen, Bewegungsstörungen, Erregung und Erbrechen beobachtet. Dosierung über 30 mg/kg ist toxisch, 50 mg/kg letal.
Pharmakokinetische Eigenschaften: Die Metabolisierung von Scopolamin erfolgt offenbar in der Leber (Glukoronid- bzw. Sulfatkonjugation). Scopolamin wird mit dem Urin ausgeschieden.
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Indikation
Scopolamin wird als transdermal wirkendes Pflaster zur Vorbeugung gegen die Symptome der Reise- bzw. Seekrankheit wie Schwindel, Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Scopolamin wird weiterhin in Form von Augentropfen eingesetzt. Es darf als transdermales Pflaster bei Kindern > 10 Jahre angewendet werden.
Schwangerschaft/Stillzeit
Schwangerschaft: Es liegen nur begrenzte Erfahrungen bei Schwangeren vor.
Stillzeit: Scopolamin wird in die Muttermilch ausgeschieden zeigte aber bisher keine Auswirkungen auf gestillte Kinder behandelter Frauen.
Fertilität: Es gibt keine humanen Daten in Bezug auf die Auswirkungen von Scopolamin auf die weibliche und männliche Fertilität.
Unerwünschte Wirkungen
Psychiatrische Störungen: Selten: Desorientierung, Verwirrtheit und Halluzinationen.
Erkrankungen des Nervensystems: Sehr häufig: Schläfrigkeit, Schwindel. Selten: Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Ruhelosigkeit.
Augenerkrankungen: Sehr häufig: Störungen der visuellen Akkommodation (Zykloplegie), einschließlich verschwommenes Sehen, Myopie und Mydriasis (gelegentlich einseitig), vor allem dann, wenn Wirkstoffreste von den Händen in die Augen gelangen. Mögliche Hemmung der Tränensekretion hemmen. Bei Dauerkontaktlinsenträgern ist deshalb für eine ausreichende Befeuchtung der Augen zu sorgen (künstliche Tränenflüssigkeit). Häufig: Reizungen der Augenlider. Sehr selten: Engwinkelglaukom.
Gastrointestinale Störungen: Sehr häufig: Mundtrockenheit (Xerostomie).
Erkrankungen der Haut: Sehr selten: Generalisierte Exantheme.
Nieren- und Harnwegserkrankungen: Selten: Miktionsstörungen (Harnverhalt).
Überdosierung: Bei höheren Dosen gleichen die zentralen Wirkungen von Scopolamin denen des Atropins. Sie beginnen mit Unruhe, Erregungszuständen und Verwirrtheit, mit steigender Dosis treten Delirium, Halluzinationen und Krämpfe auf. Bei sehr hohen Dosen kommt es zu Koma und Atemlähmung.
Therapie von Vergiftungen: Das wirksamste Antidot ist Physostigmin, das in Abhängigkeit vom Schweregrad der Vergiftung in Dosen von 1 – 4 mg (0,5 mg bei Kindern) langsam intravenös injiziert werden soll. Da Physostigmin schnell metabolisiert wird, kann der Patient innerhalb von 1 – 2 Stunden wieder ins Koma zurückfallen, was erneute Injektionen erforderlich macht. Kleinere Dosen von Diazepam können bei Erregungszuständen und Konvulsionen nützlich sein. In schweren Fällen kann eine künstliche Beatmung erforderlich sein. Bei Hyperthermie ist als dringlichste Maßnahme für Wärmeableitung (kalte Bäder) zu sorgen.
Wechselwirkungen
Bei gleichzeitiger Anwendung von Scopolamin und H2-Rezeptorenblockern ist ein additiver Effekt in Bezug auf die Hemmung der Magensäuresekretion möglich. Vorsicht ist geboten bei der gleichzeitigen Anwendung von Scopolamin und Medikamenten mit zentralnervöser Wirkung; dies gilt auch für Alkohol konsumieren.
Kontraindikation
Glaukom; bei Patienten mit Pylorusstenose und bei Störungen der Miktion (z.B. Abflussbehinderung bei Prostataadenomen) sowie bei Patienten mit Behinderung der Darmpassage ist Scopolamin mit besonderer Vorsicht anzuwenden. Dies gilt auch für Patienten mit Herzrhythmusstörungen sowie mit ausgeprägter Bradykardie und schwerer Zerebralsklerose.
Hinweis(e)
Nebenwirkungen sind nachstehend nach Systemorganklasse und Häufigkeit aufgeführt. Bei der Bewertung von Nebenwirkungen werden folgende Häufigkeiten zugrunde gelegt:
- sehr häufig (≥ 1/10)
- häufig (≥ 1/100 bis < 1/10)
- gelegentlich (≥ 1/1.000 bis < 1/100)
- selten (≥ 1/10.000 bis < 1/1.000)
- sehr selten (< 1/10.000)
- nicht bekannt (auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht abschätzbar).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Graefe KH et al. Muskarin-Rezeptor-Antagonisten. In: Graefe KH et al. (Eds) Pharmakologie und Toxikologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart S.114-115
- Roth L et al. (1984) Scopolamin. In: Roth L et al. (Eds) Giftpflanzen, Pflanzengifte. Nikol Verlagsgesellschaft Hamburg S.921