Östrogene

Autor:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 23.08.2024

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Synonym(e)

Estrogene

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Definition

Östrogene oder Estrogene (von griech. oestrus =Stachel, Leidenschaft, und lat. gignere=erzeugen), auch Follikelhormone genannt, sind neben den Gestagenen die wichtigsten weiblichen Sexualhormone aus der Klasse der Steroidhormone. Sie besitzen als Grundgerüst ein Estran-Molekül (13β-Methyl-gonan). Als natürliche Östrogene sind Estradiol und die im Steroidstoffwechsel als Vorstufen und/oder Metaboliten vorkommenden Östrogene –Estron und Estriol wirksam. Für die Wirkung der Östrogene entscheidend sind der aromatisierte Ring A und die beta-OH-Gruppe an C3 und C17. Die natürlichen Östrogene werden bei der Leberpassage in die schwach wirksamen Östrogene Estron und Estriol umgewandelt (First-Pass-Effekt), was seine niedrige Bioverfügbarkeit erklärt. Durch Einführung eines Ethinylrestes an C17 kommt es zu einer metabolisch stabilen Verbindung, dem Ethyinylestradiol, die oral wesentlich besser verfügbar ist und wesentlich langsamer metabolisch (über CYP3A4) eliminiert wird als Estradiol.

Östrogene werden hauptsächlich in den Ovarien in Follikeln und im Gelbkörper, zu einem geringeren Teil auch in der Nebennierenrinde, produziert. Sie entstehen v.a. durch Umwandlung von Testosteron in Estradiol, ein Vorgang der durch das Enzym Aromatase katalysiert wird. Dabei wird der Ring A mit den C-Atomen 1 bis 5 und 10 des Sterangerüstes in eine aromatische Struktur umgewandelt. Estrogene werden auch in kleinem Umfang in dem Test des Mannes generiert. Weiterhin wird ein Teil des Testosterons im Fettgewebe durch eine Aromatase, in Estrogene umgewandelt.

Pharmakodynamik (Wirkung)

Gestagene Hormone: Expression von Progesteronrezeptoren ↑ , deshalb progestagene Wirkung

Menstruationszyklus: Follikelreifungsphase: FSH-Ausschüttung ↓ ; Zyklusmitte (Estradiospiegel> 200pg/ml):Gonadotropinfreisetzung↑  (LH-Gipfel mit Ovulation); Corpus- luteum-Phase: (Estradiospiegel 100pg/ml), zusammen mit Progesteron Hemmung der Gonadotropinwirkung

Weibliche Fortpflanzungsorgane: Wachstum der Fortpflanzungsorgane und Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale in der Pubertät.

Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft (zusammen mit Progesteron)

Proliferation und Differenzierung des Endometriums↑

Proliferation und Differenzierung und Motilität der Tuben↑

Kontraktilität des Myometriums↑

Bildung eines dünnflüssigen Zervikalsekretes↑

Weibliche Brustdrüse: Proliferation der Brustdrüse unnd Wachstum der Brust (zusammen mit Progesteron)

Knochen: Femininer Körperbau, Knochenwachstum in der Pubertät↑ , Schluss der Epiphysenfugen (Beendigung des Wachstums);

Hypophyse: Östrogene signalisieren der Hypophyse die Eizellreife und lösen damit indirekt den Eisprung aus.

Immunsystem: Östrogene haben auch eine stimulierende Wirkung auf das Immunsystem, weswegen Estrogentherapien gelegentlich als Nebenwirkung die Aktivierung latenter Autoimmunerkrankungen haben.

Leber: Synthese aller hormonbildenden Plasmaglobuline ↑so z.B. Sexualhormon-, Kortikosteroid- und Thyroxin-bindendes Globulin)

CRP-Bildung↑, Angiotensinogen-Bildung↑

Veränderungen der Gallenzusammensetzung: Gallensäuren↓, Cholesterol↑(Gallensteinbildung↑)

Blutgerinnung: Bildung der Gerinnungsfaktoren I, II, VII, IX, XII↑

Bildung der gerinnungshemmenden Faktoren Protein C, S, Antithrombin III↓

Fibrinolytische Aktivität des Blutes↑ (verminderte Bildung des Plasminogenaktivator-Inhibitors 1 (PAI-1) in vaskulären Endothelzellen.

Kardiovaskuläres System: Vasodilatation infolge endothelialer NO- und Prostazyklin-Bildung↑in arteriellen Gefäßen (Organdurchblutung↑)

Expression vaskulärer AT1-Rezeptoren↓

Stoffwechsel: Serum-Triglyzeride↑, HDL-Cholesterol↑, Gesamtcholesterol und LDL-Cholesterol↓, Wassergehalt der Haut und vieler Schleimhäute↑

Hörvermögen: Östrogene erhöhen im Gehirn die Sensibilität für das Hören; ein verminderter Estrogenspiegel, etwa nach der Menopause, verschlechtert dagegen das Hörvermögen.

Intellektuelle Leistungen: Das Hormon ist essentiell für das Speichern von Gedächtnisinhalten von Geräuschen und Sprache.

Pharmakodynamik (Wirkung)

Die Wirkungen der Östrogene werden über den Östrogenrezeptor (ER) vermittelt der in2 Isoformen ERalpha und ERbeta vorkommt. Beide Rezeptortypen sind nukleäre Transkriptionsfaktoren, die nach Bindung von Estradiol dimerisieren und an spezifische DNA-Strukturen sowie an bestimmte Kernproteine binden und so die Expression bestimmter Zielgene fördern oder hemmen. Die Hormon-ER-Komplexe können auch mit bestimmten Transkriptionsfaktoren im Zytoplasma interagieren und so auch weitere Gene beeinflussen.

ERalpha-Rezeptoren werden bevorzugt exprimiert in:

  • Endothelzellen, Uterus, Vagina, Brustdrüse und Hypothalamus exprimiert.
  • ERbeta-Rezeptoren werden bevorzugt exprimiert in:
  • Prostata, Lungen und Gehirn.

Estron unnd Estriol haben eine deutlich geringere Affinität zum ER als Estradiol. Neben diesen Effekten spielen auch nicht-genomische Wirkungen eine wichtige Rolle, so die No-Produktion durch Aktivierung der NO-Synthase in den Endothelzellen arterieller Gefäße. 

Indikation

Synthetische Östrogene werden vor allem zur Ovulationshemmung im Rahmen der hormonellen Kontrazeption verwendet. Aufgrund der unsicheren oralen Verfügbarkeit wurden in der Vergangenheit zahlreiche gut wirksame transdermale Estradiolpräparate entwickelt.

Folgende Östrogene werden in der Therapie eingesetzt: Estradiolester, wie Estradiolbenzoat, Estradiolvalerat, Mestranol, Ethinylestradiol sowie das Prodrug Tibolon das zur Osteoporosetherapie eingesetzt wird.

Unerwünschte Wirkungen

Krankheitsassoziationen: Als Nebenwirkung von Estrogenpräparaten kann, Erythema nodosum, Pruritus und Erythema multiforme auftreten.

Die Nebenwirkungen von Östrogen-haltigen Medikamenten beruhen vor allem auf der hormonellen Wirkung – und sind damit entsprechend vielgestaltig und individuell sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Tendenziell sind die Nebenwirkungen bei der Anwendung von transdermalen Pflastern geringer ausgeprägt als bei Einnahme. Die häufigsten Nebenwirkungen von Östrogenen sind Regelbeschwerden mit Blutungen, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Ödeme und psychische Veränderungen wie Stimmungsschwankungen, Steigerung oder Abnahme des sexuellen Verlangens, Unruhe, Nervosität oder Depressionen.

Weiterhin:

Wechselwirkungen

Der Metabolismus der Östrogene kann durch CYP-Induktoren erhöht werden. Dazu gehören Antikonvulsiva (z.B. Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin), Antiinfektiva (z.B. Rifampicin, Rifabutin, Nevirapin, Efavirenz) und Johanniskraut (Hypericum perforatum). Ritonavir und Nelfinavir haben, wenn sie gleichzeitig mit Steroidhormonen angewandt werden, induzierende Eigenschaften, obwohl sie eigentlich als starke Inhibitoren bekannt sind.

Klinisch kann ein erhöhter Metabolismus zu einer verminderten Wirkung von Östradiol und so zu Veränderungen des uterinen Blutungsmusters führen.

Bei vaginaler Anwendung von Östrogenen sind klinisch relevante Arzneimittelwechselwirkungen unwahrscheinlich, da nur eine minimale systemische Resorption zu erwarten ist.

Bei der transdermalen Anwendung wird der First-Pass-Effekt in der Leber umgangen, so dass transdermal angewandte Östrogene möglicherweise weniger stark durch Enzyminduktoren beeinträchtigt werden.

Arzneimittel, die die Wirkung von metabolisierenden Enzymen hemmen, wie z. B. Ketoconazol und Cyclosporin, können die Wirkung von Östrogenen verstärken.

Rauchen wirkt antiöstrogen weil es durch Induktion von CYP1A2 den Abbau von Estriol beschleunigt und damit seine Wirkung reduziert.

Kritisch betrachtet muss, aufgrund der proliferativen Effekte der Östrogene ihr erhöhtes Krebsrisiko. Dies gilt für folgende malignen Tumoren: Endometriumkarzinome↑; Mammakarzinome↑, Ovarialkarzinome↑ (Risiko erhöht, wenn Östrogene nach der Menopause >5 Jahre eingenommen werden); Leberzelladenome↑.   

Kontraindikation

Bestehender oder früherer Brustkrebs bzw. ein entsprechender Verdacht

Östrogenabhängiger maligner Tumor bzw. ein entsprechender Verdacht (z.B. Endometriumkarzinom)

Diagnostisch nicht abgeklärte Blutung im Genitalbereich

Unbehandelte Endometriumhyperplasie

Frühere oder bestehende venöse thromboembolische Erkrankungen (tiefe Venenthrombose, Lungenembolie)

Bekannte thrombophile Erkrankungen (z.B. Protein-C-, Protein-S- oder Antithrombin-Mangel)

Bestehende oder erst kurze Zeit zurückliegende arterielle thromboembolische Erkrankungen (z. B. Angina pectoris, Myokardinfarkt)

Akute Lebererkrankung oder zurückliegende Lebererkrankungen, solange sich die relevanten Leberenzym-Werte nicht normalisiert haben

Porphyrie-Erkrankungen

Schwangerschaft/Stillzeit

  • Östrogene sind in der Schwangerschaft kontraindiziert. Wenn es während der Behandlung mit Estradiol zur Schwangerschaft kommt, sollte die Behandlung sofort abgebrochen werden.
  • Bei einer unbeabsichtigten Östrogenexposition des Fetus sind keine teratogenen oder fetotoxischen Wirkungen zu erwarten.
  • Stillzeit: Östrogene sind in der Stillzeit kontraindiziert.

Hinweis(e)

Im Alter von etwa 45-50 Jahren erlischt die Produktion der Hormone in den Eierstöcken, zunächst kommt es zur Abnahme von Progesteron und Estradiol, später versiegt auch die Bildung der männlichen Geschlechtshormone (Testosteron, Androstendion). Durch den Östrogen-Mangel treten typische Wechseljahrbeschwerden wie Hitzewallungen, Schwindel, Schweißausbrüche, Depressionen und Angstzustände auf.

Literatur

  1. Chen GG et al. (2008) Estrogen and its receptors in cancer. Med Res Rev 28:954-974.
  2. Clemons M et al. (2001) Estrogen and the risk of breast cancer. N Engl J Med 344:276-285.
  3. Graefe KH et al. (2016) Hormonelle Systeme. in: Graef KH et al. (Hrsg) Duale Reihe, Pharmakologie und Toxikologie S. 358-399.
  4. Wilkinson HN et al. (2017) The role of estrogen in cutaneous ageing and repair. Maturitas 103:60-64.

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