Synonym(e)
Definition
Der Begriff „Immunoseneszenz“ (lat. von immunis "frei, ‚rein" und senescere = „alt werden“) beschreibt das langsame Altern des Immunsystems im Laufe des Lebens. Die Immunoseneszenz ist somit einerseits eine „physiologische“ Begleiterscheinung des chronologischen Alterns. Sie betrifft das angeborene wie auch das erworbene Immunsystem (Gruver Al et al. 2007). Sie führt andererseits zu einer Einschränkung der Funktionalität der humoralen Immunantwort (Pera A et al. 2015) und ist eine der Ursachen für eine erhöhte Infektanfälligkeit älterer Menschen sowie für die Zunahme von Tumoren (Pawelec G 2017) - und Autoimmunerkrankungen.
Allgemeine Information
Die Vielzahl infektiöser bzw. inflammatorischer Ereignisse („multiple hits“) im Laufe des Lebens verursachen entzündlichen Stress („inflammatory/pathogen burden“). Dieser trägt wesentlich zum Anstieg der inflammatorischen Parameter bei und weiterhin zum Anstieg von Erkrankungen mit proinflammatorischer Pathogenese wie z.B. der Atherosklerose, der Arthritis, des Morbus Alzheimer u.a. (Chalan P et al. 2015). Die Immunoseneszenz ist damit mitverantwortlich für die Erhöhung von Morbidität und Mortalität im Alter (Entzündungsaltern; Inflammaging).
Klinisches Bild
Folgende Änderungen kennzeichnen die (physiologischen) Veränderungen des Immunsystem im fortgeschrittenen Lebensalter:
Involution des Thymus: Diese beginnt mit der Geschlechtsreife und ist zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr abgeschlossen. Danach ist keine Reifung von T-Lymphozyten mehr möglich; hierdurch ist das Immunsystem auf den Pool der bis zu diesem Zeitpunkt gebildeten T-Lymphozyten angewiesen. Der Thymus zeigt jedoch zeitlebens eine Restaktivität, erkennbar an CD31 markierten Lymphozyten. Nur CD4-naive Lymphozyten die frisch den Thymus verlassen haben, tragen den CD31-Marker auf ihrer Oberfläche (Thymusreserve).
Altersbedingte Leukopenie: In der Jugendzeit besitzt der Organismus einen hohen Anteil an naiven –T-Lymphozyten, einen geringen Anteil an Gedächtniszellen und kaum Effektorzellen. Im Alter dominieren die Effektorzellen.
Involution der Lymphknoten (altersabhängige Abnahme der Keimzentren, lipomatöse Atrophie) (Luscieti P et al. 1980); Abnahme der Zahl der B-Zellen. Die Antikörperproduktion nimmt ab (Listì F et al. 2006). Einzelne B-Zell-Klone vermehren sich und produzieren eine AK-Spezifität (Inzidenz monoklonaler Gammopathien unklarer Signifikanz = MGUS nimmt zu; sie liegt bei 70-Jährigen bei 20-25%); Autoantikörper (und Autoimmunerkrankungen) nehmen zu.
Reduktion der Lebensdauer aktivierter neutrophiler Granulozyten (verminderter Apoptoseschutz)
Zunahme der Zahl zytotoxischer NK-Zellen, ihre Zellfunktion nimmt ab. Anstieg regulatorischer T-Zellen (Treg). Hemmung der Th1-Immunantwort (Immunbremse)
Makrophagen: Reduzierte Chemotaxis und Phagozytose − inhibitierte Antwort auf Wachstumsfaktoren − Reduzierte Nitritoxid/H2O2-Produktion
Zunahme inflammatorischer Zytokine (Inflammaging); Verringerung der Ausschüttung von Interleukin-2 und Interleukin-4
Fieber und Leukozytose sind seltener und geringer ausgeprägt (“the older, the colder”). Ursache: Veränderte Produktion des Zytokinspektrums –verminderte Temperaturkontrolle hypothalamischer Rezeptoren.
Zunahme von Tumor- und Autoimmunerkrankungen; allgemeine Erhöhung von Morbidität und Mortalität im Alter (s.a. Entzündungsaltern)
Erhöhte Infektanfälligkeit, häufig mit oligosymptomatischen und schweren, auch septischen Verläufen (Martín S et al 2017):
- Lunge: Pneumonie (Aspirationspneumonie: Anaerobier! frühzeitig Tachypnoe als einziges Symptom); Harnwegsinfektionen (häufig unspezifische Symptome); Tuberkulose (Reaktivierung)
- Darm: Anazidität des Magens, erhöhte Enteritisquote (C. difficile-Colitis); Divertikulitis; Appendizitis
- Herz: Endokarditis (unspezifische Symptome wie Schwäche, Gewichtsverlust, Thrombose, Gelenksbeschwerden, vorbestehende Herzgeräusche)
- ZNS: Herpes zoster; Meningitis/Meningoencephalitis –Listerien-: Verwirrtheit, Bewusstseinseintrübung, fehlendes Fieber/Meningismus)
- Ableitende Harnwege: verminderte Diurese, erhöhtes Risiko an Harnwegsinfektionen zu erkranken
Die Immunoseneszenz führt weiterhin zu einer Abschwächung der Impfreaktion (Gruver Al et al. 2007). Dadurch ist die Antikörperbildung nach Impfungen abgeschwächt. Dies hat zur Entwicklung neuer, stärker immunogener Impfstoffe geführt. Dies wird z.B. bei der Influenzaimpfung durch Hinzufügen eines Adjuvans (z.B. MF59) oder aber durch einen vierfach erhöhten Antigengehalt erreicht. Um die klinisch relevanten negativen Auswirkungen der Immunseneszenz bei Impfungen möglichst gering zu halten, erscheint das Konzept des lebenslangen Impfens empfehlenswert.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Chalan P et al.(2015) Rheumatoid Arthritis, Immunosenescence and the Hallmarks of Aging. Curr Aging Sci 8:131-146.
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