Synonym(e)
Definition
Chronische und progrediente Erkrankung, die nahezu ausschließlich bei Frauen auftritt und durch eine Fettverteilungsstörung mit deutlicher Disproportion zwischen Stamm und Extremitäten gekennzeichnet ist. Diese entsteht aufgrund einer umschriebenen, symmetrisch lokalisierten Unterhautfettgewebsvermehrung der unteren und/oder oberen Extremitäten. Zusätzlich bestehen Ödeme, die durch Orthostase verstärkt werden, sowie eine Hämatomneigung nach Bagatelltraumen. Charakteristisch ist außerdem eine gesteigerte Druckschmerzhaftigkeit; meist bestehen Spontanschmerzen.
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Einteilung
Die Einteilung des Lipödems erfolgt nach Lokalisation und Morphologie:
a) Einteilungen des Lipödems nach Lokalisation (mod. nach Herpertz 2014):
- Beine : Oberschenkeltyp , Unterschenkeltyp, Ganzbeintyp
- Arme: Oberarmtyp, Unterarmtyp, Ganzarmtyp
b) Einteilung des Lipödems nach Morphologie:
- Stadium 1: Glatte Hautoberfläche mit gleichmäßig verdickter, homogen imponierender Subkutis
- Stadium 2: Unebene, überwiegend wellenartige Hautoberfläche, knotenartige Strukturen im verdickten Subkutanbereich
- Stadium 3: Ausgeprägte Umfangsvermehrung mit überhängenden Gewebeanteilen (Wammenbildung)
Progression zum Lipödem mit sekundären Lymphödem – z.T. abhängig von Komorbiditäten (z.B. Adipositas, Inaktivität) – in jedem Stadium möglich . Eine begleitend bestehende Adipositas kann den Verlauf und das Beschwerdebild des Lipödems verschlechtern.
Vorkommen/Epidemiologie
Zur Epidemiologie existieren keine gesicherten Daten aus großen Studien. Existierende kleine Studien weisen eine hohe Varianz auf mit Prävalenzen zwischen 0,1% und 18% je nach untersuchtem Kollektiv (Allgemeinbevölkerung, selektierte Patienten). Insgesamt hohe Dunkelziffer und Fehldiagnosen angesichts der weit verbreiteten Unsicherheit bezüglich der Diagnosestellung wahrscheinlich.
Ätiopathogenese
Die Ätiologie ist weiterhin unbekannt. Die genauen Pathomechanismen sowie die spezielle Rolle der Hormone und ihrer Rezeptoren sind ebenfalls nicht geklärt. Ein spezieller Biomarker fehlt. In bis zu 60% der Fälle wurde eine genetische Komponente mit familiärer Häufung des Lipödems beschrieben. Beschrieben ist z.B. bei sechs Familien mit Lipödem über drei Generationen ein autosomal-dominantes Vererbungsmuster mit inkompletter Penetranz.
Die umschriebene Fettgewebsvermehrung ist Folge einer Hypertrophie und Hyperplasie der Fettzellen. Hinzu kommen Veränderungen des Bindegewebes, Kapillarpermeabilitätsstörungen mit konsekutiver Hämatomneigung.
Im fortgeschrittenen Stadium zeigen sich dann Sekundärveränderungen wie Sklerose und Papillomatose durch Fibroblastenproliferationen in der Dermis. Eine zunehmende Fibrosierung des Unterhautfettgewebes führt zur mechanischen Insuffizienz.
Manifestation
Nahezu ausschließlich bei Frauen. Beginn typischerweise in einer Phase hormoneller Veränderungen wie Pubertät, Schwangerschaft oder Klimakterium. Bei Männern beschrieben sind lipödemähnliche Veränderungen bei hormonell wirksamen Therapien, ausgeprägten Hormonstörungen (z.B. Hypogonadismus) oder bei Leberzirrhose.
Klinisches Bild
Immer symmetrische, disproportionale Fettvermehrung an Armen und Beinen.
Typisch ist ein "Kalibersprung" zur angrenzenden gesunden Region („Muff“, „Türkenhosenphänomen", „Kragenbildung“).
Hämatome unterschiedlichen Alters und Färbung
Hände und Füße bleiben stets frei.
Stemmer-Zeichen negativ.
Begleitend: Schmerzen, Ödeme, Schwere- und Spannungsgefühl der betroffenen Extremitäten.
Oft deutliche Einschränkung der Lebensqualität.
Die Stadieneinteilungen sind nicht zwangsläufig mit dem Ausmaß der klinischen Symptomatik (Schmerzen) gleichzusetzen.
- Im späteren Verlauf finden sich zusätzlich oft umschriebene Wulstbildungen (Wammen), die vorwiegend an den Oberschenkel- und Knieinnenseiten, seltener auch im Sprunggelenksbereich lokalisiert sind.
- Sekundäreffekte durch Scheuern (chronisch irritative Dermatitis), Okklusion (Mazerationen und konsekutiv Infektionen) und Störungen des Gangbildes (Achsenfehlstellung der Beine, v.a. Valgusgonarthrose).
- In seltenen Fällen (bekannt sind etwa 50-60 Fälle) werden Lipödeme in Kombination mit Analbuminämie gefunden.
Histologie
Die histologischen Veränderungen beim Lipödem sind nicht pathognomonisch. Neben vermehrten und teils hypertrophen Fettzellen zeigt sich im Interstitium ein hoher Gehalt kapillärer Blutgefäße; perivaskulär finden sich Makrophagen, Fibroblasten, Mastzellen sowie vereinzelt Fettgewebsnekrosen. Im Spätstadium der Erkrankung nimmt der fibrotische Anteil zu.
Immunhistologische Untersuchungen zeigten degenerative und regenerative Veränderungen des Fettgewebes, charakterisiert durch kronenartige Strukturen aus nekrotischen Adipozyten umgeben von infiltrierenden CD68+ Makrophagen und Proliferationen von Fett-assoziierten Stamm-/Progenitor- und Bindegewebszellen (Ki67- und CD34-positiv). Diese Befunde unterstützen die These einer erhöhten Adipogenese im Gewebe des Lipödems.
Diagnose
- Diagnose wird typischerweise allein unter Berücksichtigung von Anamnese und Klinik gestellt.
- Hochauflösende Sonographie: Differenzierung zwischen Lymphödem, Lipödem und Phlebödem. Charakteristisch sind homogene Verbreiterung der Subkutis, gleichmäßige Echogenität ("Schneegestöber"), Darstellung echoreicher Septen. Sinnvolle Ergänzung zur Differentialdiagnostik, aber keine spezifischen Kennzeichen.
- Indirekte Lymphographie: Differenzierung von Lipödem, Lipolymphödem und Lymphödem anhand verschiedener Figuren der Injektionsdepots und des Lymphabflusses über die Lymphkollektoren.
- Funktionelle Lymphszintigraphie (Lymphabflussszintigraphie): Initial gesteigerte Lymphabtransport; in fortgeschrittenen Stadien Nachweis eines verlangsamten Lymphtransportes.
- Weitere Diagnostik nur sinnvoll zum Ausschluss anderer Ödemursachen.
- Verwendung von BMI, Hüft-Taillen-Index oder Größen-Taillen-Index zur Abgrenzung einer Adipositas insbesondere zur Verlaufskontrolle empfohlen. Sinnvoll im Verlauf auch Umfangs- und Volumenemessungen der Extremitäten zur Objektivierung des Befundes.
Differentialdiagnose
Adipositas: symmetrische und gleichmäßige, weiche Verfettung der ganzen Körperoberfläche; Anteile der Fettmasse übersteigt bei Frauen 30% bei Männern 20%.
Adipositas mit Fibromyalgie: symmetrische und gleichmäßige, weiche Verfettung der ganzen Körperoberfläche mit Schmerzen.
Lip-Lymphödem (Lipolymphödem) - Bemerkung: Inwieweit sich beide Krankheitsbilder unterscheiden, bleibt weiteren Untersuchungsergebnissen vorbehalten.
Lipomatosis dolorosa: schmerzhafte Lipome
Lipomatose, benigne symmetrische: familiär gehäuft; symmetrische weiche Verfettung der Extremitäten
Phlebödem: Ödem bei chronischer venöser Insuffizienz - CVI; stets Hautzeichen der CVI
Prätibiales Myxödem: festes teiges Ödem der Unterschenkel
Kardiales Ödem: Unterschenkel- und Fußbetont, wechselhaft, tagsüber verstärkt
Differentialdiagnose
Diagnose | Lipödem | Lipohypertrophie | Adipositas | Lymphödem |
---|---|---|---|---|
Geschlecht | w | w/m | w/m |
w/m |
Fanamnese | ++ | (+) | +++ |
primär: ++ sekundär: (-) |
Symmetrie | +++ | (+) | +++ | (+) |
Fußschwellung | Ø | (+) | (+) | +++ |
Fettvermehrung | +++ | +++ | +++ | (+) |
Disproportion | +++ | +++ | (+) | +++ |
Ödem | Ø/+++ | Ø | Ø | Ø |
Druckschmerz | +++ | Ø | Ø | Ø |
Hämatomneigung | +++ | Ø | Ø | Ø |
Einfluss Diät | (+) | Ø | +++ | Ø |
Komplikation(en)
Bei Orthostase entwickeln sich leicht eindellbare Ödeme der Schienbein- und Knöchelregion. Dies sind Zeichen für ein sich zusätzlich einstellendes Lymphödem (Lipo-Lymphödem). Bei zunehmender Verfettung der Beine stellt sich eine zunehmende Drucksensibilität der Beine ein (v.a. in der medialen Knieregion, s.u. schmerzhaftes Lipödemsyndrom).
Geringfügige Traumen führen zu Hämatomen. In ca. 30% der Fälle treten psychische Störungen auf.
Therapie
Kausaltherapie und Heilung sind bislang nicht möglich.
Die Therapie verfolgt zwei Ziele:
- Die Beseitigung oder Besserung der Befunde und der Beschwerden (besonders Schmerzen, Ödem und Disproportion).
- Die Verhinderung von Komplikationen. Bei fortschreitender Befundausprägung mit Zunahme v.a. der Beinvolumina steigt das Risiko von dermatologischen (z.B. Mazerationen, Infektionen), lymphatischen (z.B. Erysipelen, Lymphödem) und orthopädischen Komplikationen (Gangbildstörungen, Achsenfehlstellungen).
Die symptomatisch wirksamen Maßnahmen erfolgen stadiengerecht und individualisiert.
- Komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) mit: Manuelle Lymphdrainage, Kompressionstherapie (meist Flachstrick Klasse II oder III, für den Alltag günstiger geteilte Versorgungen; bei initialem Lipödem Rundstrick mit hoher Materialfestigkeit, Klasse II),
- Bewegung (bes. geeignet Wassersportarten)
- optimierter Haupflege
- ggf. auch apparative intermittierende Kompressionstherapie (z.B. Lympha-mat oder Hydroven).
KPE ist sinnvoll bei ausgeprägten Ödemen und Schmerzhaftigkeit.
Operative Therapie:
- Liposuktion in Tumeszenz-Anästhesie mit Vibrationskanülen (Ergebnisse bleiben abzuwarten; das Verfahren wird aber in spezialisierten Zentren angeboten; häufig sinkt der Leidensdruck der Patienten durch den schnellen Therapieerfolg erheblich). Der dauerhafte Erfolg dieser Therapiemaßnahmen sollte in größeren Studien belegt werden. In der Liposuktion erfahrene Operateure raten zu einer kritischen Indikationsstellung bei einem Körpergewicht > 120kg oder einem BMI > 32 kg/m2 . Eine begleitend zum Lipödem bestehende morbide Adipositas sollte vor einer Liposuktion therapeutisch angegangen werden. Letztlich liegt die Indikationsstellung bzw. Durchführung der Liposuktion im Ermessen des Operateurs.
- Bei ausgeprägten Wammenbildungen kann eine plastisch-chirurgische Reduktion sinnvoll sein.
Ernährung: zwar gibt es keine lipödemspezifische Diät, doch hat sich eine isoglykämische Ernährung mit Vermeidung von hohen Blutzucker- und Insulinsiegeln sowie ausreichenden Pausen zwischen den Mahlzeiten bewährt. Die Gewichtsreduktion sollte nicht zu Lasten der Muskelmasse, sondern der Fettmasse erfolgen. Lipödemspezifische Konfiguration verschwindet dadurch jedoch nicht. Indikationen zur Gewichtsreduktion sind nach der S3- Leitlinie der Deutschen Adipositas Gesellschaft ein BMI ab 30 kg/m2 oder eine Erkrankung, die durch Übergewicht verschlimmert werden kann, wie es beim Lipödem der Fall ist.
Psychotherapie: unter den Patientinnen häufig verschiedene Essstörungen. Bei diesen sollte eine Ernährungsumstellung mit psychologischer Betreuung erfolgen.
Medikamentöse Therapie: keine Diuretika bei Lip- und/ oder Lymphödem.
Verlauf/Prognose
Chronisch progredienter Verlauf, individuell aber sehr verschieden. Gleichzeitig bestehende Adipositas kann den Verlauf erheblich verschlechtern. Zur Verlaufskontrolle wird empfohlen weitere Parameter wie das Gewicht, den Body-Mass-Index (BMI), die Waist-Hip-Ratio sowie Umfangs- und Volumenmessungen der Extremitäten und den täglichen Aktivitätsidex zu dokumentieren (Reich-Schupke S et al. 2017).
Diät/Lebensgewohnheiten
Sinnvoll ist die Reduktion eines evtl. vorhandenen Übergewichtes. Abmagerungskuren, spezielle Diäten oder Diuretikatherapie sind nicht angezeigt.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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