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Fasziitis nekrotisierendeM72.6
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Definition
Seltene, häufig nach banalen Verletzungen auftretende, lebensbedrohliche, fulminant verlaufende, tiefe, phlegmonöse Infektion von Haut, Subkutis und der Faszien, ggf. auch der Muskulatur, keine Knochenbeteiligung (Goh T et al.2014).
Erreger
Auf der Basis des nachgewiesenen Erregerspektrums können 4 Typen unterschieden werden:
- Typ1: Polymikrobielle Mischinfektion. Mischinfektion meist Kombinationen von verschiedenen anaeroben Bakterien (z.B. Bacteroides, Peptostreptokokkus spp.) und fakultativ anaeroben Bakterien (z.B. Non-A-Streptokokken) und Enterokokken (z.B. E. coli, Enterobacter, Klebsiella, Proteus).
- Typ2: Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes) mit oder ohne Begleitinfektion durch Staphylococcus aureus oder epidermidis.
- Vereinzelt existieren auch Berichte über Infektionen mit multiresistenten Keimen wie Acinobacter baumannii, ein opportunistisches gramnegatives, kokkoides Stäbchenbakterium.
- Typ3 (selten): Vibrio spp.
- Typ4 (selten): Candida spp.
Kasustisch beschrieben ist die "NFKB1-assoziierte sterile familiäre autoinflammatorische nekrotisierende Fasziitis" (FANF), eine sehr seltene (weltweit auf wenige Kasuistiken beschränkte), autoinflammatorische Systemerkrankung, die mit einer LOF-Mutation R157X im NFKB1-Gen assoziiert ist (Bergbreiter A et al.2021). Meist entwickelt sich die Fasziitis nach banalen (kleineren ) operativen Eingriffen.
Vorkommen/Epidemiologie
Geringe Inzidenz; für Europa werden Zahlen von 0,4/100.000 Einwohner angegeben. m:w=2-3:1;
Ätiopathogenese
Meist nach banalen Verletzungen, aber auch nach operativen Wunden oder Verletzungen mit infizierten Injektionsnadeln Drogenabhängiger. Für den nekrotisierenden Verlauf der Erkrankung werden bakterielle Toxine bzw. die Ablagerung von bakteriellen und zellulären Zerfallsprodukten bei mangelhafter Beseitigung verantwortlich gemacht.
Eine monogene familiäre autoinflammatorische Fasziitis (s.u. NFKB1-assoziierte autoinflammatorische Erkrankungen, FANF) wird durch eine „truncating“ Mutation R157X im NFKB1-Gen verursacht. Diese Erkrankung wurde bei zwei Brüdern beschrieben, die unter lokalisierten, rezidivierenden, sterilen, nekrotisierenden Inflammationen nach einem banalen Gewebetrauma (z.B. nach einem kleinen chirurgischen Eingriff) litten, die sich in die Muskelfaszien ausbreitete (klinisches Bil der nekrotisierenden Fasziitis). Die Patienten hatten weder eine andere Organ- oder systemische Beteiligung noch irgendwelche offensichtlichen Manifestationen einer Immunschwäche (Kaustio M et al. 2017).
Lokalisation
Extremitäten, v.a. Unterschenkel, auch Unterarme vom Handrücken ausgehend. Weiterhin unteres Abdomen, Genitalbereich (Gangraena acuta genitalium).
Klinisches Bild
Beginn mit hohen septischen Temperaturen (80%), schwerster Störung des Allgemeinbefundes und starken lokalen Schmerzen (79%). Schmerzen erscheinen im Anfangsstadium oft unverhältnismäßig stark in Anbetracht von geringen oder fehlenden sichtbaren Hautveränderungen.
An der Haut findet sich anfänglich eine umschriebene, überwärmte Rötung (80%) mit Schwellung sowie nachfolgend eine subkutane knotige, nahezu brettharte, schmerzhafte Induration.
Schneller Übergang in hämorrhagische Infarzierung der Subkutis, sekundär auch der Faszie und der Muskulatur (Kompartment-Syndrom); bei chirurgischer Intervention findet sich eine unter den Händen zerfließende Muskulatur. In diesem Stadium erscheint die Haut bläulich-livide, großblasig abgehoben.
Hinweis: Diabetes mellitus (Nachweis bei rund 45% der Fälle), Glukokortikoidtherapie, Alkholismus, intravenöser Drogenabusus, Leberzirrhose und Tumorerkrankungen gelten als Risikofaktoren (Goh T et al. 2014).
Hinweis: Eine Sonderform der nekrotisiernden Fasziitis die Skrotum oder Vulva befällt ist die Fournier-Gangrän.
Labor
Entzündungsparameter (CRP,BSG) massiv erhöht, Leukozytose, Neutrophilie; CK, Amylase erhöht.
Blutkulturen anlegen!
Diagnose
Klinik, Labor, Sonographie der betroffenen Muskellogen, MRT.
Komplikation(en)
Beteiligung von Gelenken sowie Gefäßnervensträngen, Verbrauchskoagulopathie.
Therapie
Kombination aus radikal chirurgischem Débridement mit Entfernung von Faszie und infizierten Weichteilen. Sofortige breite chirurgische Eröffnung, ausgedehntes Debridement des nekrotischen Bezirks und zwar bis dorthin, wo Haut und Subkutangewebe von der Faszie nicht mehr getrennt werden können. Abtragung nekrotisierender Anteile, Reinigung des Wundbetts, offene Wundbehandlung. 24-36 Stunden sollte erneut eine Revision ("Second-Look") erfolgen zur eventuellen Nachresektion und Wundspülung.
Zusätzlich muss eine hoch dosierte Antibiotikatherapie mit Breitbandspektrum Antibiotika wie Piperacillin und Tazobactam oder mittels Reserveantibiotika wie Carbapenem erfolgen.
Alleinige Antibiotikatherapie ist i.d.R. nicht ausreichend!
Interne Therapie
Hoch dosierte parenterale Antibiotikatherapie, sobald als möglich nach Antibiogramm. Mehrfach Wundabstriche abnehmen und Blutkulturen anlegen! Information an das Labor, 3mal 2 venöse Blutkulturen pro 24 Std. genügen zum Erregernachweis.
Die Standardtherapie besteht in der Kombination von Penicillin G und einem Aminoglykosid (Gentamicin), da eine synergistische Wirkung beider Substanzen selbst dann erzielt wird, wenn Erreger gegen Aminoglykoside allein wenig empfindlich reagieren. Penicillin G 5 Mio. IE bei TD von 20-30 Mio. IE., Gentamicin (z.B. Refobacin) 3-5 mg/kg KG/Tag in 1 ED langsam i.v. (Kurzinfusion). Bei Nachweis von Anaerobiern zusätzlich Clindamycin (z.B. Sobelin) 4mal/Tag 300-600 mg (bis 3mal/Tag 600 mg) i.v. Bei Penicillinunverträglichkeit Vancomycin 2mal/Tag 1 g oder 4mal/Tag 500 mg i.v. (1 Std. Infusion) oder Teicoplanin (z.B. Targocid) 400 mg am 1. Tag, gefolgt von 1mal/Tag 200 mg i.v. ab Tag 2. Die Therapiedauer ist den klinischen Gegebenheiten anzupassen. Alternativ Linezolid (Zyvoxid) 2mal/Tag 600 mg i.v.
Die Gabe von Glukokortikoiden wird unterschiedlich beurteilt. Während Glukokortikoide z.T. angeschuldigt werden, in der Pathogenese des Krankheitsbildes eine Rolle zu spielen, halten andere Autoren ihre Hemmwirkung auf den Tumor-Necrosis-Faktor und die daraus resultierende Stabilisierung der Zellmembran für einen möglicherweise lebensrettenden Faktor.
Verlauf/Prognose
In einem Kollektiv von 15 Patienten mit nekrotisierender Fasziitis (Leiblein M et al. 2018) verstarb kein Patienten während des Beobachtungszeitraums.
Bei zwei Patienten mussten die Gliedmaßen amputiert werden. Ein Diabetes mellitus ging mit einem deutlich höheren Amputationsrisiko einher. Der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt betrug 32 Tage, davon 8 Tage auf der Intensivstation (Leiblein M et al. 2018).
Letaler Ausgang in bis zu 15-20% der Fälle (Sepsis; diese Zahl wird in anderen Studien so nicht bestätigt).
Hinweis(e)
Die Fournier-Gangrän mit Befall der äußeren Genitalien (Vulva/Skrotum) ist eine Sonderform der nekrotisierenden Fasziitis.
Literatur
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