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Tuberöse SkleroseQ85.1
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Definition
Seltenes, multifokales neurokutanes Fehlbildungssyndrom, das durch variabel exprimierte Hamartome der Haut, des ZNS, der Augen, des Herzens und der Nieren gekennzeichnet ist. Klinisch hinweisend ist die AME-Trias aus:
- Akne-artigen zentrofazialen und periungualen Angiofibromen
- Mentaler Retardierung und
- Epilepsie.
Die Tuberöse Sklerose wird klassischerweise zu den sogenannten Phakomatosen gezählt. Hierbei handelt es sich um Krankheitsbilder, deren gemeinsames Merkmal das Auftreten von Hamartomen in mehreren Organsystemen darstellt.
Weitere den Phakomatosen zugeordnete Krankheiten sind u.a.
- die Neurofibromatose Typ I
- die Retino-cerebelläre Angiomatose (Hippel-Lindau)
- die Enzephalo-Faziale Angiomatose (Sturge-Weber)
- die Ataxia teleangiectatica (Louis-Bar)
- das Peutz-Jeghers-Syndrom.
Vorkommen/Epidemiologie
Weltweit verbreitet. Geschätzte Prävalenz liegt bei 6,8-12,4 /100.000 Einwohner. Sie ist unter ethnischen Gruppen wie auch beiden Geschlechtern gleichmäßig verteilt.
Ätiopathogenese
Autosomal-dominant vererbte (Neumutationen sind häufig; bei etwa 70%) Mutationen der Gene TSC1 (Tuberous Sclerosis Gen 1; Genlokus 9q34) und TSC2 (Tuberous Sclerosis Gen 2; Genlokus 16p13.3), die zu Störungen ihrer Genprodukte, der Proteine Hamartin (TSC1) bzw. Tuberin (TSC2) führen. Diskutiert wird die Störung der physiologischen Funktion beider Proteine als Wachstumsregulatoren von Nervenzellen während der Embryonalentwicklung. Beide Proteine führen zu einer Inhibition von mTOR (mechanistic target of rapamycin complex 1) und somit zur Tumorsuppression. Durch die Mutation eines dieser Proteine kommt es zur Dysfunktion des Signalweges mit konsekutiv erhöhter Zellproliferation und Ausbildung von Geschwülsten. Auch die melanozytären Defekte lassen sich auf eine Störung von mTOR zurückführen (s. unter Eschenlaubfleck)
Die zahlreichen identifizierten Mutationen sind in der Tuberous Sclerosis Complex Variation Database für TSC1 und für TSC2 zusammengefasst. Bei 10-15% der Patienten können jedoch keine Mutationen (no mutation identified) nachgewiesen werden (NMI-Patienten).
Manifestation
Diskrete Hypopigmentierungen sind bereits bei Geburt vorhanden (Eschenlaubflecken). Ein sog. Adenoma sebaceum entwickelt sich meist erst in der Pubertät. Neurologische Symptome treten im Laufe der ersten Lebensjahre hinzu.
Klinisches Bild
Integument:
- Eschenlaubflecken: Bereits bei Geburt imponieren die höchst charakteristischen, scheibenförmigen, hellen Flecken der Haut (98%) in regelloser Verteilung (s.u. Eschenlaub-Fleck). Das Vorhandensein von > 5 Eschenlaubflecken ist für die tuberöse Sklerose höchst verdächtig. Poliose (weiße Stirnlocke) wird als alternative Ausprägung der hypopigmentierten Flecken der Haut angesehen (Hinweis: das Einsetzen einer Wood-Lampe ist beim Entdecken der Eschenlaub-Flecken hilfreich!). Die Hypopigmentierungen, die bei Patienten mit TSC beobachtet werden, sind durch funktionelle Störung der epidermalen und follikulären Melanozyten gekennzeichnet. Die Dichte der aktiven Melanozyten ist normal. Die Dendriten der Melanozyten sind mangelhaft ausgebildet, die Melanosomen sind kleiner und weniger melanisiert als in Melanozyten unbeteiligter Haut und Haare. Die Anzahl der Melanosomen innerhalb der Melanozyten ist verringert, ohne dass jedoch eine abnorme autophagische Aggregation vorliegt. Diese unterfunktionalen Melanozyten geben weniger Melanosomen an die umgebenden Keratinozyten ab, so dass der Melaningehalt in der betroffenen Haut und im Haar insgesamt verringert ist (Jimbow K 1997). Zu weiteren pathophysiologischen Informationen s.u. Eschenlaubfleck.
- Chagrin-Flecken: Darüber hinaus imponieren hautfarbene, bis gelb-bräunliche, scheibenförmige, randständig punktierte, grob texturierte Plaques (Chagrin-Flecken, auch Shagreen-Flecken genannt), die am Stamm und hier häufig im Bereich der Lendenregion zu finden sind. Ursächlich ist eine lokale Kollagenverdichtung. Sie erscheinen meist nach dem 5. Lebensjahr.
- Faziale Angiofibrome: Erst in der Kindheit und zur Pubertät entstehen bei ca. 60% der Patienten "Akne-typisch" verteilte faziale Angiofibrome (traditionelle dermatologische Bezeicchnung: Adenoma sebaceum).
- Fibröse Stirnplaques: diese histologisch als Angiofibrom diagnostizierten Plaques treten bei 25% der Patienten auf (Northrup H et al. 2013)
- Peri- und subunguale (Angio-)fibrome an Fingern und Zehen (sog. Koenen-Tumore) treten als letzte dermatologische Manifestation (werden bei etwa 20% der Patienten beobachtet) auf und treten erst im Jugendalter oder sogar erst im Erwachsenenalter auf.
- Nicht selten findet man auch Café-au-lait-Flecken.
- Sehr selten ist die Entwicklung einer Cutis verticis gyrata.
Extrakutane Manifestationen:
- Papulöse Gingivhyperplasien
- Epileptiforme Krampfanfälle sind für die tuberöse Sklerose typisch (96%). In den ersten 2-3 Lebensjahren treten Krampfanfälle fokal auf, später generalisiert. Meist sind intellektuelle Retardierung, multiple periventrikuläre Kalzifikationen im ZNS (98%).
- Zystische Nierenveränderungen bis hin zum Vollbild poylzystischer Nieren treten bei sog. großen Deletionen auf die neben dem TCS2 (Tuberin-) Gen auch das PkD1-Gen umfassen.
- Multilokuläre Angiomyolipome der Niere: 38%
- Nierenzellkarzinome: 3%
- Adenome und Lipomyome der Leber
- Angeborene Angiome der Retina; achromatischer Retinafleck
- Adenome des Pankreas
- Milztumore
- Subependymales Riesenzellastrozytome des ZNS: 5-15%
- Kardiales Rhabdomyom
- Lymphangioleiomyomatose der Lunge (LAM)
Komplexe Fehlbildungen z.B. Situs viscerum inversus completus, Skelettveränderungen (Knochenzysten, Periostverdickungen der Diaphyse der langen Röhrenknochen), Wabenlunge, Lungenzysten, Nierenzysten oder Doppelniere sind beschrieben.
Therapie
Kausale Therapien sind nicht bekannt.
Symptomatische Lokaltherapie falls erforderlich steht im Vordergrund.
Everolimus: Mittels Everolimus, einem mTOR-Inhibitor, ließen sich positive Effekte auf das subependymale Riesenzellastrozytom und auf das renale Angiomyolipoma bei Patienten mit TSC nachweisen. Ergebnisse der "EXIST-Studie" führten zur Zulassung von Everolimus für beide Manifestationen. Auch für Sirolimus sind derartige Effekte zu erwarten.
Seit dem 01.10.2023 ist Hyftor (Sirolimus) für die Therapie der fazialen Adenofibrome zugelassen.
In der EXIST-Studie kam es unter dieser Therapie auch zum Rückgang der neurologischen Symptomatik und der fazialen Angiofibrome. Auf Grund dieser Studienergebnisse ist Everolimus seit Januar 2017 auch als Begleittherapie bei refraktären, partiellen, epileptischen Anfällen, mit oder ohne sekundärer Generalisierung zugelassen (French JA et al. Lancet 2016).
Zwingend notwendig ist eine genetische Beratung.
Operative Therapie
Koenen-Tumore sowie Zahnfleischwucherungen werden ggf. exzidiert. Bei subungualen Koenenschen Tumoren muss zuvor der entsprechende Nagelplattenanteil entfernt werden.
Für Fibroadenome und Trichoepitheliome im Gesicht kommt die Dermabrasio sowie CO2- Laser-Therapie infrage. Da die Ergebnisse häufig unbefriedigend sind und keine Standardtherapie zu empfehlen ist, bleibt es dem behandelnden Arzt überlassen, ggf. weitere Therapiemethoden wie Elektrokauterisierung mit der spitzen Nadel, Laser, Kryochirurgie heranzuziehen.
Zur Behandlung des sog. Adenoma sebaceum s.dort.
Verlauf/Prognose
Hinweis(e)
Diagnostische Kriterien für die Tuberöse Sklerose (nach Roach ES et al. 1998)
Major Kriterien
- Faciale Angiofibrome oder fibröse Stirn-Plaques (Adenoma sebaceum)
- Sub-oder periunguale Fibrome
- > 3 hypomelanostische Flecken (Vitiligo-artige Depigmentierungen)
- Lumbo-sakraler Bindegewebsnaevus (shagreen patch)
- Multiple noduläre Hamartome der Netzhaut
- Sklerosierender Plaqueoder Tumor der Großhirnrinde
- Subependymaler Knoten oder Riesenzellastrozytom
- Kardiales Rhabdomyom
- Renales Angiomyolipom
- Lymphangiomatose
Minor Kriterien
- Multiple, grübchenartige Zahnschmelzdefekte
- Hamartomatöser Rektalpolyp
- Knochenzysten
- Gingivafibrome
- Nicht-renales Hamartom
- Achromische Netzhautflecken
- Konfettiartige, hypomelanotische Flecken
- Multiple Nierenzysten
Für die definitive Diagnose einer tuberösen Sklerose werden entweder 2 Major-Kriterien, oder 1 Major-Kriterium und 2 Minor-Kriterien gefordert. Für die wahrscheinliche Diagnose einer tuberösen Sklerose genügen 1 Major- und 1 Minor-Kriterium.
Literatur
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Jimbow K (1997) Tuberous sclerosis and guttate leukodermas. Semin Cutan Med Surg 16:30-35.
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2012 Iinternational Tuberous Sclerosis Complex Consensus Conference. Pediatr Neurol 49:243-524. - Pringle JJ (1890) A case of congenital adenoma sebaceum. Brit J Derm 2: 1–14
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