Synonym(e)
Definition
Pathologisches Skin-Picking wird definiert als ein unwiderstehlicher Drang zu wiederholtem Kratzen und Zupfen an der Haut, das zu einem Gewebeschaden, einer funktionellen Beeinträchtigung oder Stress führt. Trotz wiederholter Versuche schaffen es die Menschen nicht längerfristig ihr Verhalten zu ändern. Die Folgen sind erhebliche vernarbenden Hautverletzungen u.a. mit tiefen, bizarr konfigurierten Narbenkratern.
Vorkommen/Epidemiologie
In einem größeren amerikanischen Untersuchungskollektiv lag die Prävalenz bei 1,4% bei einer Lebenszeitprävalenz von 3-4%.
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Manifestation
In jedem Alter möglich; bevorzugt bei Jugendlichen; eine zweiter Manifestationsgiofel leigt zwischen 30 und 45 Jahren. w:m=4:1
Klinisches Bild
Abhängig von der Auslösung sind die Hautveränderungen äußerst vielgestaltig (Erytheme, Hautdefekte unterschiedlicher Tiefe, Pyodermien, Ödeme, Hämatome).
Diagnose
- Klinisch schwer einer genuinen Dermatose zuzuordnende "atypische" Läsionen unterschiedlichen Aussehens.
- Hautsymptome meist an gut erreichbaren Körperstellen
- Meist kein Pruritus vorhanden
- Selbstverletzung durch Zwang oder impulsives Kratzen
- Oft finden sich bizarre linienförmige Konfigurationen, scharfe, teilweise eckige Begrenzungslinien.
- Verhalten und psychische Probleme sind offen besprechbar und können zugegeben werden (Unterschied zum Artefakt bei dem die Heimlichkeit wichtigste Grundlage ist)
- Patient versucht sein Verhalten zu ändern
- Im Anschluss an das Kratzen Schuldgefühle mit Scham und Ekel
Differentialdiagnose
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die Dermatitis artefacta. Als Artefakt im Sinne der Psychodermatologie werden selbstschädigende Handlungen an der Haut definiert, die unmittelbar oder mittelbar zu einer objektivierbaren, klinisch relevanten Schädigung des Integumentes führen. Die schädigende Handlung erfolgt im Verborgenen. Der Zusammenhang zwischen klinischem Befund und der verursachenden Aktivität des Patienten ist für den Arzt häufig nicht unmittelbar erkennbar. In der Mehrzahl handelt es sich hierbei um sogenannte Borderline-Patienten, Patienten mit deutlichen Persönlichkeitsstörungen, einer Suchtproblematik oder nicht verarbeiteten Missbrauchserfahrungen. Definitionsgemäß gehört die Heimlichkeit, das bewusste Verschweigen über die Zusammenhänge der dermatologischen Symptome, zu dem zentralen Wesen des Artefaktes. Kennzeichnendes Merkmal ist, dass keine die Symptomatik erklärende und/oder eine sekundär induzierte Hauterkrankung vorliegt.
Bei dem Skin-Picking-Syndrom wird die Manipulation zugegeben; die Manipulation erfolgt bewußt und eher an sichtbaren Stellen.
Wichtig ist auch die Abgrenzung zu den sog. Impulskontrollstörungen. Im Gespräch wird meist ein Zusammenhang der Haut- oder Schleimhautveränderung mit der chronischen Irritation verneint. Der Patient erscheint verschlossen, wenig kooperativ. Die sehr unterschiedlichen Krankheitsbilder erscheinen selbst als geschlossene morphologische Einheiten.
Zu den Impulskontrollstörungen zählen (nach Häufigkeiten geordnet):
- Trichotillomanie (gewohnheitsmäßiges Haarausreißen)
- Onychodystrophie (durch Nagelbeißen)
- Acne excoriée (des jeunes filles) (übersteigerte Manipulation einer gering ausgeprägten Akne vulgaris)
- Morsicatio buccarum (nervöses Beißen oder Lutschen der Wangenschleimhaut)
- Cheilitis simplex (durch gewohnheitsmäßiges und ständiges Ablecken der Lippen sog. Lippenleckekzem)
- Kratzattacken ohne Juckreiz (critical life events)
- Trockenheitsekzeme (durch zwanghaftes Dauerwaschen oder Abbürsten der Haut)
- Unechte Fingerknöchelpolster (Pseudo-Knuckle-Pads) durch nervöses Handreiben.
Merke! Impulskontrollstörungen führen wie das Skin-Picking-Syndrom zu einem nicht beherrschbaren Drang, die Haut/Schleimhaut zu manipulieren.
Therapie
Psychotherapeutische Behandlung. Es wurden zwei gut wirksame Habit-Reversal-Techniken beschrieben. Zu den Techniken gehören: Hilfe bei der Affektregulierung, verhaltenstherapeutische Interventionen, kognitive Kontrolltechniken.
Hinweis(e)
Als psychische Komorbiditäten wurden beschrieben:
Alkoholabhängigkeit (F10.-) (14-36%)
Körperdysmorphe Störungen (F45.-) (27-45%)
Angststörungen (F41.-) (8-23%)
Weiterhin: Borderline-Störungen und posttraumatische Belastungsstörungen
Weitere Assoziationen bestehen mit sog. Grooming-Störungen (z.B. übersteigerte Körperpflegemaßnahmen durch häufiges Kämmen, Rasieren und Haarentfernungen) wie Trichotillomanie (F63.3) und Onychophagie (F98.8).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Frohoffs K (2015) Skin-Picking-Syndrom. Hautnah dermatologie 31: 35-37
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- Grant JE et al. (2014) Impulse control disorders and "behavioural addictions" in the ICD-11. World Psychiatry 13:125-127
- Hustyi KM et al. (2013) An analysis of the topography, severity, potential sources of reinforcement, and treatments utilized for skin picking in Prader-Willi syndrome. Res Dev Disabil 34:2890-1899
- Keuthen NJ et al. (2010) The prevalence of pathologic skin picking in US adults.Compr Psychiatry 51:183-186
- Mehrbach LM et al. (2017) Dermatotillomanie (Skin-Pickig-Störung): Diagnostik, Erklärung und Behandlunng. Akt Dermatol 43: 477-493
- Niemeier V et al. (2015) Skin-Picking-Syndrom. Hautarzt 66: 781-790
Weiterführende Artikel (10)
Acne excoriée; Artefakte; Cheilitis simplex; Dermatitis artefacta; Fingerknöchelpolster, unechte; Lippenleckekzem; Morsicatio buccarum; Onychodystrophie (Übersicht); Onychophagie; Trichotillomanie;Disclaimer
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