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Porphyria cutanea tardaE80.1
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Günther, 1922; Waldenström, 1937
Definition
Photodermatose mit massiver aktinischer Elastose (Faltenbildung), erhöhter Vulnerabilität, Hyperpigmentierungen, Blasenbildungen und Vernarbungen im Bereich der chronisch belichteten Hautareale. Häufigste Porphyrieerkrankung (hepatische Porphyrie) mit verminderter Aktivität der Uroporphyrinogen-1-Decarboxylase.
Einteilung
- Typ I Sporadische oder erworbene Porphyria cutanea tarda (erworbener Uroporphyrinogen-1-Decarboxylase-Mangel, z.B. Porphyria turcica: in der Türkey 1954 nach Genuss von Hexachlorobenzol- versetztem Saatweizen beschriebene Form, auch als Hexachlorbenzolporphyrie bezeichnet - klinisch: auffällige Hypertrichose = Affenkinder), Digoxin- oder östrogeninduzierte Formen (s.a. Pseudoporphyrie).
- Typ II Familiäre Form
- Familiäre, autosomal-dominante Porphyria cutanea tarda (heterozygot; Mutation im URO-D-Gen).
- Sonderformen:
- Sporadische oder erworbene Porphyria cutanea tarda mit familiärer Häufung.
- Porphyria hepatoerythropoetica (schwere mutilierende Porphyrie mit Erstmanifestation in der Kindheit; autosomal-rezessiv, homozygot).
Vorkommen/Epidemiologie
Inzidenz: 1/30.000 - 1/70.000 Einwohner/Jahr. Prävalenz: 15/100.000 Einwohner. Anteil an allen Porphyrien: 30-40%.
Ätiopathogenese
- Bei hereditären Formen: Autosomal-dominante oder autosomal-rezessive Vererbung von Mutationen der Uroporphyrinogen-Decarboxylase (URO-D), die auf dem Genlokus 1p34 kartiert ist (bekannt sind derzeit >100 Mutationen).
- Bei der autosomal-dominanten PCT findet sich die UROD-Hemmung in allen Geweben und nicht nur in der Leber. Die Enzymaktivität in den Erythrozyten ist bei der (seltenen) homozygoten Form der PCT auf 5% des normalen Wertes herabgesetzt, bei der heterozygoten auf 50%.
- Bei den hereditären Formen können neben den Mutationen im UROD-Gen auch Mutationen im HFE-Gen (führt zur Hämochromatose) auftreten. Der durch die Hämochromatose bewirkte Anstieg des Eisenspiegels führt zu einer zusätzlichen Funktionsminderung der UROD-Aktivität, wodurch die Krankheitssymptomatik wiederum verstärkt wird.
- Bei erworbenen Formen: Ein Gendefekt der URO-D allein führt nicht zur Manifestation des Krankheitsbildes. Die katalytische Hemmung der URO-D in der Leber wird über Triggerfaktoren bewirkt. Triggerfaktoren: Alkoholismus, Lebererkrankungen (Hepatitis C und B), HIV-Infektion, Arzneimittel (Barbiturate, Arsen, Androgene, Griseofulvin, Hydantoin, Nalidixinsäure, Phenytoin, Rifampicin, Sulfonamide, Tetrazykline, Steroide, orale Kontrazeptiva, Östrogene), Hexachlorbenzol, Dioxin, Vinylchlorid, Eisen, Hämodialyse. Ein eindrucksvolles Beispiel einer exogen ausgelösten PCT war Ende der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts eine Hexachlorophen-Vergiftung größerer Bevölkerungsgruppen in Anatolien. Ausgelöst wurden diese durch eine Verwechslung von Saat- (enthielt das Pestizid Hexachlorphen) und Backweizen. Hexachlorphen führt zu einer Hemmung der UROD und zu massiven Krankheitsbildern.
- Bei der Hämodialyse-induzierten PCT liegt eine der seltenen Indikationen für eine Porphyrinbestimmung im Serum bzw. Plasma vor.
- Cytochrom-P450-Polymorphismus (Cytochrom p450 spielt eine wichtige Rolle beim Metabolismus des Prophyrins)
- Bei ca. der Hälfte der so genannten sporadischen oder erworbenen PCT-Fälle (Familienanamnese negativ) kann aufgrund einer verminderten Enzymaktivität in den Erythrozyten eine genetische Anlage vermutet und durch Familienuntersuchungen verifiziert werden.
Manifestation
Auftreten v.a. 40. bis 70. Lebensjahr, häufiger bei Männern als bei Frauen (m:w=2/3:1).
Lokalisation
Hautveränderungen in den lichtexponierten Arealen, vor allem im Gesicht, an den Unterarmstreckseiten und an Handrücken.
Klinisches Bild
Saisongebunden (Frühjahr, Sommer) vermehrt auftretende und auch durch geringe mechanische Belastung ausgelöste Hautveränderungen.
- Blasenbildung: Vor allem an Hand- und Fingerrücken unterschiedlich große, pralle Blasen mit derber Decke und serösem oder hämorrhagischem Inhalt. Nikolski-Phänomen II ist positiv. Hämorraghische Krusten, Erosionen, atrophische Narben, Hyperpigmentierung und Hypopigmentierungen, postbullöse Milien.
- Hyperpigmentierung: Diffuse Melanose im Gesicht und Nacken (Melanodermie-Porphyrie Brugsch).
- Hypertrichose der Jochbeingegend und der Wangen, dichte Augenbrauen.
- Elastose: Ausgeprägte Faltenbildung, Teleangiektasien, Komedonen (ähnlich der Elastoidosis cutanea nodularis et cystica), Cutis rhomboidalis nuchae, Keratosis actinica bei chronischen Verläufen.
- Urinverfärbung (weinrot dunkel)
- Pseudosklerodermien, Skleroporphyrie.
- Sklerovitiligo.
- Zyanose, Lidödem, Konjunktivitis. Außerdem: Leberstoffwechselstörungen, Porphyrinurie (bierbrauner Urin).
Labor
- Pathologische Leberenzyme (Transaminasen, gamma-GT); oft auch durch Alkoholabusus
- Urin: Uroporphyrin(III)-Ausscheidung ist 10-20fach erhöht, Rotfluoreszenz im Wood-Licht. Koproporphyrin III ist erhöht. Evtl. dunkler Urin!
- Stuhl: Koproporphyrin III.
- Serum: Uroporphyrin I ist erhöht, Hypersiderinämie; im akuten Schub erhöhte Transaminasen; meist erhöhte Eisenspiegel.
Histologie
Direkte Immunfluoreszenz
Differentialdiagnose
Morbus Addison; Hämochromatose; Epidermolysis bullosa-Gruppe oder Epidermolysis bullosa acquisita; Erythema elevatum diutinum; Lepra lepromatosa.
Pseudoporphyrie: Porphyria cutanea tarda bei Hämodialyse-Patienten.
Therapie allgemein
Externe Therapie
Interne Therapie
- Chloroquin (z.B. Resochin) verursacht Mobilisierung der Prophyrine im Gewebe mit nachfolgender Ausscheidung durch Urin. Chloroquin initial 2mal/Woche 250 mg über 1 Monat, anschließend Reduktion auf 2mal/Woche 125 mg. Dauer der Therapie: Mehrere Monate.
- Aderlass erfolgt unter der Vorstellung, dass Siderose und Siderämie pathogenetisch relevante Faktoren darstellen. Aderlass initial: 1mal/Woche 500 ml. Erhaltungsdosis nach 4 Wochen: 500 ml 1mal/Monat (Hb 10-12 g/dl). Bei schweren kutanen Symptomen und Gesamtporphyrinausscheidung > 8 μmol/Tag: Beginn mit Aderlass-Therapie 1mal/Woche 500 ml. Nach 4 Wochen 1mal monatlich 500 ml (Hb auf 10-12 g/dl einstellen). In Kombination niedrig dosierte Chloroquin-Therapie (125-250 mg 1mal/Woche) über 8-12 Monate. Unter dieser Therapie gehen Hautsymptome nach 3 und die Porphyrinurie nach 6 Monaten zurück.
- Deferoxamin (z.B. Desferal) 1-4 g/Tag i.v. zur Reduktion der Eisenmenge.
Literatur
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