Eosinophile Zellulitis L98.3

Autoren:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Alle Autoren dieses Artikels

Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Dermatitis granulomatöse mit Eosinophilie; Dermatitis granulomatöse rezidivierende mit Eosinophilie; Eosinophiles Infiltrat der Haut; Eosinophile Zellulitis; Eosinophilic cellulitis; Rezidivierende granulomatöse Dermatitis mit Eosinophilie; Wells-Syndrom; Wells`syndrome; Zellulitis eosinophile

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Erstbeschreiber

Miescher, 1945; Wells, 1971

Definition

Seltene, entzündliche Systemerkrankung (?) unklarer Genese, deren (klinisch uncharakteristischer) Hautbefall mit rezidivierenden, juckenden oder brennenden, sattroten festen (eosinophilen) Plaques, klinisches Leitsymptom ist. Initial kann das Krankheitsbild an ein Erysipel erinnern (Fieber bei 1/4 der Fälle).

Rezidivierender Verlauf ist möglich. Spätere Phasen erinnern eher an eine Morphea oder eine Mycosis fungoides.

Gestellt wird die Diagnose meist auf Grund ihrer histologischen Besonderheit (Histoeosinophilie mit flame figures). Eosinophile Infiltrate innerer Organe (eosinophile Pneumonie, Pleuritis, Perikarditis) sind möglich aber eher selten.

 

Vorkommen/Epidemiologie

Das Wells-Syndrom ist eine seltene Dermatose mit weniger als 200 in der Literatur veröffentlichten Fällen.

 

Ätiopathogenese

Ungeklärt; es finden sich zunehmend Hinweise darauf, dass es sich nicht um eine Entität handelt sondern um ein histopathologisches Reaktionsmuster auf versch. Reize. Pathogenetisch liegt eine Gewebsreaktion auf die Freisetzung von "eosinophil major basic protein" (MBP) unter Mitwirkung von Leukotrienen zugrunde.

Über zahlreiche auslösende Faktoren wurde berichtet, darunter Insektenstiche, Virusinfektionen (Parvovirus B19, Herpes-simplex-Virus, Varizella-Zoster-Virus, Mumps-Virus), parasitäre Infektionen (Ascaris, Toxocara canis, Giardia), bakterielle oder Pilzinfektionen, Medikamente (Antibiotika, nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente, Thiaziddiuretika, Biologika) (s.a. Kasuistik). Eine Assoziation des Wells-Syndroms mit anderen Krankheiten ist ebenfalls beschrieben worden, z. B. mit hämatologischen Malignomen (chronische myeloische Leukämie, chronische lymphatische Leukämie, Polycythemia vera, Non-Hodgkin-Lymphom), malignen Tumoren, Colitis ulcerosa, eosinophiler Granulomatose mit Polyangiitis (Churg-Strauss-Syndrom), hypereosinophilem Syndrom). Das Wells-Syndrom kann diesen Krankheiten vorausgehen, sie offenbaren oder sie begleiten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige dieser Situationen zufällig auftreten.

Die aus pathogenetischer Sicht interessantesten Assoziationen sind sicherlich diejenigen, die zum Spektrum der eosinophilen Erkrankungen gehören, wie das Shulman-Syndrom, das Churg-Strauss-Syndrom und das hypereosinophile Syndrom. Das Wells-Syndrom könnte die erste klinische Manifestation dieser Krankheiten sein (Toumi A et al. 2024)

Die physiopathogenen Zusammenhänge zwischen den auslösenden Faktoren und den oben genannten Assoziationen sind nicht eindeutig geklärt. Eine pathologische Aktivierung eines Th2-ähnlichen T-Lymphozytenklons, der IL-5 und andere eosinophil-stimulierende Zytokine als Reaktion auf verschiedene, oft nicht identifizierte antigene Stimuli synthetisiert, ist die allgemein akzeptierte Annahme.

Bei Kindern wurden Assoziationen zu Atopien (atopische Dermatitis) sowie zu Vakzinierungen beschrieben so nach COVID-19-Vakzinierung (Montjoye L et al. 2022).

Im Erwachsenenalter können auch (Eosinophilie-induzierende) Medikamente auslösend sein (s.a. Kasuistik). Als auslösend beschrieben wurden: NSAR; Antibiotika, TNF-alpha-Blocker, Schilddrüsentherapeutika.     

 

Manifestation

Kinder (häufig mit Zeichen der Atopie) 4-10 Jahre

Erwachsene: 40-60 Jahre 

Klinisches Bild

Biphasischer Krankheitsverlauf. Akuter Beginn.

  • Frühphase: Erst unspezifischer meist jedoch ausgeprägter Pruritus evtl. kombiniert mit  Brennen; innerhalb weniger Tage Bildung umschriebener, meist großflächiger, scharf beränderter Erythemen, dolenten Schwellungen und teigige bis feste großflächige Plaques. Die Oberfläche der Plaques kann eine apfelsinenschalenartig strukturierte Oberfläche aufweisen (S. Abb.). Selten ist Bläschen- oder Blasenbildung.
  • Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Arthralgien können begleitend auftreten. Das Initialstdium kann einem akuten Erysipel ähneln.  
  • Spätphase: Granulomatöse Dermatitis mit Eosinophilie. Über Wochen anhaltende, zunehmend fester werdende Plaques, teigig feste Konsistenz; oberflächenglatt,  evtl.  Ausbildung von livid-grauen, morphea-artigen Indurationen, auch stark juckenden Prurigo-artigen Papeln oder Knoten. Schubweiser Verlauf, so dass mehrere Stadien nebeneinander bestehen können.
  • Assoziierte Symptome: Fazialislähmung möglich. Sonstige Systembeteiligungen sind selten.

Labor

Eosinophilie (Blut, Knochenmark), Leukozytose, Thrombozytose möglich.

Histologie

Fokal dichte, perivaskulär und interstitiell gelagerte Infiltrate, nahezu ausschließlich bestehend aus eosinophilen und (wenigen) neutrophilen Granulozyten, die auch um Adnexen gelagert sein können. Fokale, polygonal begrenzte, eosinophile Flammenfiguren (flame figures) in der Dermis.

Merke! "Flame figures" entstehen durch einen Überzug kollagener Fasern mit Eosinophilengranula. Zirkumskripte Kollagen-Nekrosen, Eosinophilozytoklasie, granulomatöse Reaktion.

Histopathologischer Algorithmus des Wells-Syndroms (kleinste gemeinsame Nenner: kursiv,  Leitsymptome: fett) variiert n. Ratzinger et al. 2105
Akzentuiert um postkapilläre Venolen
Kapillaren ausgespart
perivaskuläre Leukozytoklasie
Schädigung von Endothelzellen
Fibrin in/im Bereich von Gefäßwänden
Perivaskuläre Extravasation von Erythrozyten
Ödem in der papillären Dermis
Kollagendegeneration
Eosinophile Infiltrate mit Flammenfiguren, Palisadengranulome
Keine Plasmazellen oder Fibrosklerose

 

Differentialdiagnose

Klinisch:

Histologisch:

  • Churg-Strauss-Syndrom (Zeichen der Vaskulitis)
  • Arthropodenreaktion (keilförmiges eosinophiles Infiltrat)
  • Erythema anulare centrifugum (Eosinophilie ist nicht prägend)

 

Externe Therapie

Blande Therapie mit Lotio alba. Ggf. Glukokortikoid-haltige Lotionen (z.B. Hydrogalen, Betnesol V, R030 ).

Bestrahlungstherapie

Evtl. Therapieversuch mit PUVA-Therapie.

Interne Therapie

Kortikosteroide: Kortikosteroide sind die Standardtherapie für alle reaktiven Dermatosen, unabhängig davon, ob sie neutrophil oder eosinophil sind. Eine allgemeine Kortikosteroidtherapie verringert in 10 % der Fälle die Dauer und das Ausmaß der Schübe[2]. Die Anfangsdosis liegt zwischen 0,5 und 1 mg/kg/Tag, wobei die Dosis schnell reduziert wird. Während des Absetzens der Behandlung kommt es nicht selten zu einem Rückfall der Läsionen, was in bestimmten Fällen zu einer echten Kortikosteroidabhängigkeit führen kann. Lokale Kortikosteroide stellen eine interessante Alternative zu allgemeinen Kortikosteroiden dar, insbesondere bei oberflächlichen Formen, mit uneinheitlichen Ergebnissen in der Größenordnung von 50 %, sollten jedoch nicht bei tiefen subkutanen oder ausgedehnten Formen eingesetzt werden (Toumi A et al. 2024).

Dapson: Dapson ist eine therapeutische Alternative zu Kortikosteroiden, wobei die Dosierung von 50 bis 200 mg täglich reicht. Es würde die Dauer der Schübe verkürzen. Die optimale Behandlungsdauer ist nicht klar definiert, kann aber mehrere Monate betragen, wenn keine unerwünschten Wirkungen auftreten, die ein Absetzen der Behandlung erfordern. Es kann allein oder in Kombination mit anderen Behandlungen, einschließlich Kortikosteroiden, eingesetzt werden. Es kann auch als Ersatz für allgemeine Kortikosteroide dienen, insbesondere bei Kortikosteroidabhängigkeit.

Antihistaminika: Antihistaminika, insbesondere Hydroxyzin bei Pruritus, sind wichtig und können als erste Maßnahme versucht werden, da sie sehr gut verträglich sind, auch wenn ihre Wirksamkeit nur in 25 % der Fälle gegeben zu sein scheint. Sie ermöglichen es dem Arzt manchmal, eine allgemeine Steroidbehandlung zu vermeiden. Die Dosierung schwankt zwischen 50 und 100 mg/Tag. Hydroxyzin kann mit anderen Antihistaminika kombiniert werden.

Andere Behandlungen: Diese sind alle anekdotisch: Colchizin, PUVA-Therapie (Psoralen und Ultraviolett A), Interferon-alpha, Cycline [17], synthetische Antimalariamittel, Ciclosporin und Anti-TNF-Blocker (Stam-Westerveld EB et al. 1998; Sarin KY et al. 2012; Husak R et al. 1997).

Bei rezidivierendem Verlauf hat sich die Kombination von systemischen Glukokortikoden mit DADPS (z.B. Dapson Fatol) bewährt, Beginn mit 100 mg/Tag DADPS p.o. Rasche Dosisreduktion innerhalb der nächsten Wochen dem Hautbefund entsprechend auf eine Erhaltungsdosis von 50 mg/Tag p.o.

Verlauf/Prognose

Unbehandelt kommt es nach mehreren Wochen bis Monaten zur Spontanremission. Chronisch rezidivierender Verlauf über viele Monate ist möglich. Pat. mit Wells-Syndrom können Zeichen einer eosinophilen Systemvaskulitis (z.B. eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis) entwicklen.  

Fallbericht(e)

Eine 57-jährige Patientin berichtete über seit 1-2 Tagen bestehende, erstmals aufgetretene, intensiv juckenden, unscharf faserig beränderte hochrote, mäßig teigig-konsistenzvermehrte, 10x8cm große, oberflächenglatte Plaques am linken Oberschenkel. Einzelne satelittenartige Papeln und Plaques waren in unmittelbarer Umgebung des Primärherdes lokalisiert. Kein Fieber oder sonstige Störungen des AZ. Labormäßíg war eine Leukozytose (11.000 Leukozyten/ml), bei deutlicher Eosinophilie (18%) und gering erhöhten Enzündungsparametern auffällig. Wegen eines bekannten jedoch nicht progredienten Mammakarzinoms nahm die Patientin Tamoxifen.  

Die histologische Untersuchung ergab: Fokal dichte, perivaskulär und interstitiell gelagerte Infiltrate fast ausschließlich aus eosinophilen und (wenigen) neutrophilen Granulozyten. Nachweis von eosinophilen Flammenfiguren (flame figures) in der Dermis.

Therapie: Bei Einsatz von  topischen Glukokortikoiden der Klasse III zeigte sich eine rasche Remission. In den folgenden 2 Monaten kam es zu 2 Rezidiven in loco, dieauf topische Therapie wieder ansprachen. Die Bluteosinophilie bestand in unveränderter Höhe weiter.

Literatur

  1. Afsahi V et al. (2003) Wells syndrome. Cutis 72: 209-212
  2. Brehmer-Andersson E, Kaaman T, Skog E, Frithz A (1986) The histopathogenesis of the flame figure in Wells Syndrome based of five cases. Acta Derm Venerol (Stockh) 66: 213-219
  3. Brun J et al. (2015) Groupe de Recherche de la Société française de dermatologie pédiatrique. Wells Syndrome in children and atopy: Retrospective study of 11 cases and review of the literature. Ann Dermatol Venereol doi: 10.1016/j.annder.2015.02.017
  4. de Montjoye L et al. (2022) Eosinophilic cellulitis after BNT162b2 mRNA Covid-19 vaccine. J Eur Acad Dermatol Venereol 36: e26-e28. 
  5. Fujii K et al. (2003) Eosinophilic cellulitis as a cutaneous manifestation of idiopathic hypereosinophilic syndrome. J Am Acad Dermatol 49: 1174-1177
  6. Heelan K et al. (2013) Wells syndrome (eosinophilic cellulitis): Proposed diagnostic criteria and a literature review of the drug-induced variant. J Dermatol Case Rep 7:113-120
  7. Husak R et al. (1997) Interferon alfa treatment of a patient with eosinophilic cellulitis and HIV infection. N Engl J Med 337:641-642.
  8. Long H et al. (2015)  Eosinophilic Skin Diseases: A Comprehensive Review. Clin Rev Allergy Immunol PubMed PMID: 25876839.
  9. Rajpara A et al. (2014) Recurrent paraneoplastic wells syndrome in a patient with metastatic renal cell cancer. Dermatol Online J 20. pii: 13030/qt35w8r1g3
  10. Ratzinger G et al. (2015) Das Vaskulitis-Rad-ein algorithmischer Ansatz für kutane Vaskulitiden. JDDG 1092-1118
  11. Sinno H et al. (2012) Diagnosis and management of eosinophilic cellulitis (Wells' syndrome): A case series and literature review. Can J Plast Surg 20:91-97
  12. Sarin KY et al. (2012) Treatment of recalcitrant eosinophilic cellulitis with adalimumab. Arch Dermatol 148:990-992.
  13. Stam-Westerveld EB et al. (1998) Eosinophilic cellulitis (Wells' syndrome): treatment with minocycline. Acta Derm Venereol 78:157.
  14. Toumi A et al. (2024) Wells Syndrome In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2024 Jan–. PMID: 30335327.
  15. Wells GC (1971) Recurrent granulomatous dermatitis with eosinophilia. Trans St Johns Hosp Dermatol Soc 57: 46-56
  16. Wells GC, Smith NP (1979) Eosinophilic cellulitis. Br J Dermatol 100: 101-109

Autoren

Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024