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KälteurtikariaL50.21
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Definition
Einteilung
Erworbene Kälteurtikaria:
- Kontakttyp: An exponierten Körperstellen, vor allem an Gesicht, Hals und Händen, innerhalb weniger Minuten nach Exposition Ausbildung von juckenden Erythemen und Quaddeln. Symptome gelegentlich erst nach Wiedererwärmen der Hautpartien. Rückbildung innerhalb von wenigen Stunden nach Kälteexposition. Selten Purpura an der Expositionsstelle. Bei großflächiger Kälteexposition (s.a. Kaltlufturtikaria und Kaltwasserurtikaria) kann es zu systemischen Reaktionen wie Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Blutdruckabfall kommen. Zu beachten ist der Verzehr kalter Speisen (Speiseeis) und Getränke bei Patienten mit angioödematösen Reaktionen der Schleimhäute.
- Kälteinduzierte cholinergische Urtikaria: Generalisierte Quaddelbildung nach Anstrengung in kalter Umgebung
- Kälteabhängiger Dermographismus: Urtikarieller Dermographismus beschränkt sich auf die Areale die zuvor abgekühlt wurden
- Kälteurtikaria vom verzögerten Typ: Lokalisierte Quaddelbldung 12-48h nach Kälteexposition
- Systemische Kältereflexurtikaria: Fernauslösung einer Urtikaria nach örtlich begrenzter Kälteeinwirkung
- Lokalisierte Kältereflexurtikaria: Urtikarielle Reaktion in der Nähe jedoch nicht direkt am Expositionsort.
Familiäre Erkrankungen (Kälteurtikaria, familiäre (Familiäres kälteinduziertes autoinflammatorisches Syndrom 1-4 - FCAS1-4)
- Das „Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom, familiäres " (FCAS1) ist ein hereditäres autoinflammatorisches Syndrom, das durch eine heterozygote Mutation im NLRP3-Gen (1q44) verursacht wird. FCAS1 ist klinisch durch wiederkehrende Schübe (bei wiederholter Exposition) urtikarieller Exantheme gekennzeichnet, die mit Arthralgien, Myalgien, Fieber und Schüttelfrost sowie Schwellungen der Extremitäten nach Kälteeinwirkung einhergehen. Nach jahrzehntelangem Verlauf können in seltenen Fällen Patienten auch eine spät auftretende Nierenamyloidose entwickeln (Hoffman et al. 2000).
- Das "Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 2, familiäres" (FCAS2; OMIM: 609648). Das autosomal dominant vererbte Syndrom 2 wird durch heterozygote Mutationen im NLRP12-Gen auf Chromosom 19q13.42 hervorgerufen.
- Das autosomal-dominant vererbte "Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 3, familiäres" (FCAS3), das auch als PLCG2-assoziierter Antikörpermangel und Immundysregulation (PLAID) bezeichnet wird durch heterozygote Deletionen im PLCG2-Gen auf Chromosom 16q23 verursacht.
- Das „ Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 4, familiäres “ (FCAS4), ist mit einer heterozygoten Mutation im NLRC4-Gen (606831) auf Chromosom 2p22 assoziiert.
Vorkommen/Epidemiologie
Ätiopathogenese
Häufig ungeklärt. Infekte kommen überproportial in dieser Patientengruppe vor (Helicobacter pylori, chronische Tonsillitis, Borrelieninfektionen, abgelaufene Virusinfektionen: CMV, EBV,RSV, Adenoviren); ihre Bedeutung bleibt derzeit unklar.
Assoziationen zu malignen Systemerkrankungen (maligne Lymphome, Leukämien) sind beschrieben.
Die klinischen Symptome werden durch eine Aktivierung und Degranulation kutaner Mastzellen mit konsekutiver Freisetzung von Histamin, Leukotrienen und weiteren proinflammatorischen Mediatoren ausgelöst.
Manifestation
Frauen sind etwa doppelt so häufig wie Männer betroffen. Das mediane Manifestationsalter beträgt etwa 20 Jahre. Durchschittlich ist mit einer Erkrankungsdauer von 1-15 Jahren zu rechnen. Die mittlere Erkrankungsdauer liegt bei 5 Jahren.
Lokalisation
Klinisches Bild
Die Klinik der Kälteurtikaria ist weitgehend uniform und auf Grund der Anamnese (die bei den verschiedenen Urtikariatypen sehr differenziert erfolgen muss) auch diagnostisch. An exponierten Körperstellen (selten auch herdfern), vor allem an Gesicht, Hals und Händen, innerhalb weniger Minuten (seltener verzögert) nach Exposition Ausbildung von juckenden Erythemen und Quaddeln.
Symptome treten gelegentlich erst nach Wiedererwärmen der Hautpartien auf. Rückbildung erfolgt innerhalb von wenigen Stunden nach Kälteexposition.
Selten tritt Purpura an der Expositionsstelle auf.
Bei großflächiger Kälteexposition (s.a. Kaltlufturtikaria und Kaltwasserurtikaria) kann es zu systemischen Reaktionen wie Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Blutdruckabfall kommen.
Grundsätzlich gilt, dass bei Symptomen durch kalte Speisen (Speiseeis) oder Getränke mit dem Auftreten von systemischen Reaktionen gerechnet werden muss.
Einige Personen berichten über urtikarielle Reaktionen die bevorzugt nach kaltem Windeinfluss oder druch Verdunstungskälte nach Schwitzen auftrten. Hierbei ist der Temperaturunterschied offenbar wichtiger als die absolute Temperatur.
Histologie
Diagnose
- Kontakttyp: Auflegen eines mit Eiswasser gefüllten Metallzylinders oder Reagenzglases für 3-5 Minuten.
- Reflextyp: Doppelseitiges kaltes Armbad (8-10 °C) 10 bis 20 Minuten oder kaltes Wannenteilbad (10-16 °C).
- Liegt eine generalisierte Kälteurtikaria vor, muss der Pat. für 10-20 Minuten mit kalter Raumluft (etwa 4 °C) exponiert werden.
Differentialdiagnose
- FACS ( Kälteurtikaria, familiäre)
- Andere Formen der familiären Kälteurtikaria (Familiäre atypische Kälteurtikaria; Familiäre Kälteurtikaria vom verzögerten Typ).
- Kältepannikulitis
- Druckurtikaria.
Therapie allgemein
Therapie zugrunde liegender Erkrankungen.
Aufklärung: Der Patient muss über allgemeine Verhaltensregeln aufgeklärt werden, da bei einer Urtikaria Systemreaktionen wie Tachykardien und Dyspnoe bis hin zum anaphylaktischen Schock auftreten können.
Daher gilt:
- Kein Genuss von kaltem Speiseeis, kalten Getränken.
- Kein Sprung ins kalte Wasser.
- Vermeiden von Kälteexposition in den Übergangsjahreszeiten und im Winter.
- Tragen wärmender Schutzkleidung/Handschuhe.
- Gesicht vor Kälte schützen, etc.
- "Hardening": Versuch einer langsamen Adaptation an die Kälte über tägliche Kaltwasserduschen. Gute Compliance ist Voraussetzung, da fortlaufende und strikt regelmäßige, tägliche Erhaltungstherapie notwendig ist, um Schocksituationen zu vermeiden. Häufig wird das Verfahren von den Pat. nicht durchgehalten.
Merke! Ein "Hardening" sollte wegen möglicher Schockreaktion nur unter stationären Bedingungen eingeleitet werden! Hierbei kann die Schwellentemperatur deutlich gesenkt werden. Die Akzeptanz dieser Methode ist jedoch gering.
Interne Therapie
Bei Systemreaktionen stadiengerechte Therapie, s.u. Schock, anaphylaktischer. Falls eine Vermeidungsstrategie nicht ausreicht sind Antihistaminika Therapie der Wahl.
H1-Blocker: Symptomatische Therapien mit H1-Blockern wie Hydroxyzin (z.B. Atarax) 40 mg/Tag oder Cetirizin können mäßige Erfolge bewirken.
Alternativ: Antihistaminika-Hochdosistherapie: In einer kleineren Plazebo-kontrollierten Studie (30 Pat.) wurden Erfolge mit einer Hochdosis-Antihistaminikatherapie beschrieben (Desloratadin 20 mg/Tag p.o.). Die Studie bestätigt Empfehlungen der Europäischen Fachgesellschaften, bei nicht genügendem Ansprechen einer Standardtherapie eines nicht sedierenden Antihistaminikums die Dosis zu erhöhen.
Alternativ: Bei Therapie-refraktären Fällen können Immunsuppressiva ( Ciclosporin A) eingesetzt werden.
Alternativ: Omalizumab (Xolair): In einer Doppelblindstudie konnten sowohl mit 150mg als auch 300mg Omalizuumab/alle 4 Wochen s.c. eine hohe Ansprechrate bzw. Komplettremissionen erzielt werden. Omalizumab dürfte eine effektive und verträgliche Therapiealternative darstellen (Metz M et al. 2017).
Sonstiges:
- Cromoglicinsäure: Oral verabreichte Cromoglicinsäure ist unwirksam.
- Penicillin: Penicillin G 10 Mio. IE/Tag i.v. über 2-3 Wochen (Ansprechrate laut Literatur 25-50% bei Patienten mit familiärer Kälteurtikaria; laut eigenen Erfahrungen weniger erfolgreich).
- In Einzelfällen erfolgreiche Therapien:
- DADPS (z.B. Dapson Fatol)
- Stanazol
- Hydroxychloroquin (z.B. Quensyl)
- β 2 -Sympathomimetika (z.B. Terbutalin oder Bambuterol) in Kombination mit Theophyllin (z.B. Afonilum oder Euphylong).
Tabellen
Klassifikation der Kälteurtikaria
Klassifikation |
Lokalisierte Reaktionen auf Kälte |
Kälteurtikaria vom Soforttyp |
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Kälteurtikaria vom verzögerten Typ |
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kälteabhängige Urticaria factitia |
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lokalisationsabhängige Kälteurtikaria |
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lokalisierte Kältereflexurtikaria |
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perifollikuläre Kälteurtikaria |
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familiäre Kälteurtikaria vom verzögerten Typ |
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Kälteurtikaria (Sonderformen) |
cholinerge Kälteurtikaria |
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familiäre Kälteurtikaria (Synonym: familiäre polymorphe Kältereaktion) |
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Assoziierte Erkrankungen |
Soforttypreaktionen |
Urtikaria |
Urticaria factitia |
cholinerge Urtikaria |
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Wärmeurtikaria |
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aquagene Urtikaria |
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Lichturtikaria |
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Nahrungsmittelallergien |
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belastungsabhängiges Asthma |
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Insektenstichreaktionen |
|||
Quallengiftreaktionen |
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|||
Infektionskrankheiten |
Erkrankungen durch Spirochäten (Syphilis, Borreliose) |
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Masern |
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Varizellen |
|||
Hepatitis |
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infektiöse Mononukleose |
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HIV-Infektion |
|||
|
|||
Krankheiten mit abnormen Serumproteinen |
Kryoglobulinämie (primäre) |
primäre Kryoglobulinämie |
|
Kryoglobulinämie (sekundäre) |
Chronisch-lymphatische Leukämie |
||
Plasmozytom |
|||
Lymphosarkom |
|||
leukozytoklastische Vaskulitis |
|||
angioimmunoblastische Lymphadenopathie |
|||
Makroglobulinämie |
|||
Kryofibrinogenämie |
Kollagenosen, hämatologische Erkrankungen, Neoplasien |
||
Kältehämolysine |
Spätsyphilis, Syphilis connata |
||
C2- und C4-Defekte |
Literatur
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- Siebenhaar F et al. (2009) High dose Desloratadin decreases volume and improves cold provocation tresholds compared with stadard-dose treatment in patients with acquired cold urticaria; a randomized, placebo-controlled, cross-over study: J Allergy Clin Immunol 123: 672-679
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