KälteurtikariaL50.21

Autoren:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Alle Autoren dieses Artikels

Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Aquired cold urticaria; Cold urticaria; Kälteallergie; Kältekontakturtikaria; Kälte-Kontakturtikaria; Kältereflexurtikaria; Kälte-Reflexurtikaria; Urticaria e frigore; Urtikaria Kälteurtikaria

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Erstbeschreiber

Frank, 1792

Definition

Urtikarielle Reaktionen oder Angioödeme aufgrund von Kälteexposition. Auslösung innerhalb weniger Minuten entweder durch Kontakt mit festen, kalten Gegenständen, kalter Flüssigkeit oder kalter Luft mit Abkühlung der Haut oder der zentralen Körpertemperatur.

Einteilung

Erworbene Kälteurtikaria:

  • Kontakttyp: An exponierten Körperstellen, vor allem an Gesicht, Hals und Händen, innerhalb weniger Minuten nach Exposition Ausbildung von juckenden Erythemen und Quaddeln. Symptome gelegentlich erst nach Wiedererwärmen der Hautpartien. Rückbildung innerhalb von wenigen Stunden nach Kälteexposition. Selten Purpura an der Expositionsstelle. Bei großflächiger Kälteexposition (s.a. Kaltlufturtikaria und Kaltwasserurtikaria) kann es zu systemischen Reaktionen wie Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Blutdruckabfall kommen. Zu beachten ist der Verzehr kalter Speisen (Speiseeis) und Getränke bei Patienten mit angioödematösen Reaktionen der Schleimhäute.
  • Kälteinduzierte cholinergische Urtikaria: Generalisierte Quaddelbildung nach Anstrengung in kalter Umgebung
  • Kälteabhängiger Dermographismus: Urtikarieller Dermographismus beschränkt sich auf die Areale die zuvor abgekühlt wurden
  • Kälteurtikaria vom verzögerten Typ: Lokalisierte Quaddelbldung 12-48h nach Kälteexposition
  • Systemische Kältereflexurtikaria: Fernauslösung einer Urtikaria nach örtlich begrenzter Kälteeinwirkung
  • Lokalisierte Kältereflexurtikaria: Urtikarielle Reaktion in der Nähe jedoch nicht direkt am Expositionsort.

Familiäre Erkrankungen (Kälteurtikaria, familiäre (Familiäres kälteinduziertes autoinflammatorisches Syndrom 1-4 - FCAS1-4)

  • Das „Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom, familiäres " (FCAS1) ist ein hereditäres autoinflammatorisches Syndrom, das durch eine heterozygote Mutation im NLRP3-Gen (1q44) verursacht wird. FCAS1 ist klinisch durch wiederkehrende Schübe (bei wiederholter Exposition) urtikarieller Exantheme gekennzeichnet, die mit Arthralgien, Myalgien, Fieber und Schüttelfrost sowie Schwellungen der Extremitäten nach Kälteeinwirkung einhergehen. Nach jahrzehntelangem Verlauf können in seltenen Fällen Patienten auch eine spät auftretende Nierenamyloidose entwickeln (Hoffman et al. 2000).
  • Das "Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 2, familiäres" (FCAS2; OMIM: 609648). Das autosomal dominant vererbte Syndrom 2  wird durch heterozygote Mutationen im NLRP12-Gen auf Chromosom 19q13.42 hervorgerufen.
  • Das autosomal-dominant vererbte "Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 3, familiäres" (FCAS3), das auch als PLCG2-assoziierter Antikörpermangel und Immundysregulation (PLAID) bezeichnet wird durch heterozygote Deletionen im PLCG2-Gen auf Chromosom 16q23 verursacht.
  • Das „ Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 4, familiäres “ (FCAS4), ist mit einer heterozygoten Mutation im NLRC4-Gen (606831) auf Chromosom 2p22 assoziiert.

Vorkommen/Epidemiologie

Zweithäufigste Form der physikalischen Urtikaria. Gehäuft in Ländern mit kalten Klimaverhältnissen (z.B. Skandinavien). Etwa 1,0-3,0% der Patienten mit chronischer Urtikaria leiden an Kälteurtikaria (Inzidenz wird auf 0,05% geschätzt).

Ätiopathogenese

Häufig ungeklärt. Infekte kommen überproportial in dieser Patientengruppe vor (Helicobacter pylori, chronische Tonsillitis, Borrelieninfektionen, abgelaufene Virusinfektionen: CMV, EBV,RSV, Adenoviren); ihre Bedeutung bleibt derzeit unklar.

Assoziationen zu malignen Systemerkrankungen (maligne Lymphome, Leukämien) sind beschrieben.
Die klinischen Symptome werden durch eine Aktivierung und Degranulation kutaner Mastzellen mit konsekutiver Freisetzung von Histamin, Leukotrienen und weiteren proinflammatorischen Mediatoren ausgelöst.

Manifestation

Frauen sind etwa doppelt so häufig wie Männer betroffen. Das mediane Manifestationsalter beträgt etwa 20 Jahre. Durchschittlich ist mit einer Erkrankungsdauer von 1-15 Jahren zu rechnen. Die mittlere Erkrankungsdauer liegt bei 5 Jahren.

Lokalisation

Unbedeckte Hautpartien (Gesicht, Hals, Hände).

Klinisches Bild

Die Klinik der Kälteurtikaria ist weitgehend uniform und auf Grund der Anamnese (die bei den verschiedenen Urtikariatypen sehr differenziert erfolgen muss) auch diagnostisch. An exponierten Körperstellen (selten auch herdfern), vor allem an Gesicht, Hals und Händen, innerhalb weniger Minuten (seltener verzögert) nach Exposition Ausbildung von juckenden Erythemen und Quaddeln.

Symptome treten gelegentlich erst nach Wiedererwärmen der Hautpartien auf. Rückbildung erfolgt innerhalb von wenigen Stunden nach Kälteexposition.

Selten tritt Purpura an der Expositionsstelle auf.

Bei großflächiger Kälteexposition (s.a. Kaltlufturtikaria und Kaltwasserurtikaria) kann es zu systemischen Reaktionen wie Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Blutdruckabfall kommen.

Grundsätzlich gilt, dass bei Symptomen durch kalte Speisen (Speiseeis) oder Getränke mit dem Auftreten von systemischen Reaktionen gerechnet werden muss. 

Einige Personen berichten über urtikarielle Reaktionen die bevorzugt nach kaltem Windeinfluss oder druch Verdunstungskälte nach Schwitzen auftrten. Hierbei ist der Temperaturunterschied offenbar wichtiger als die absolute Temperatur. 

Histologie

Uncharakteristisch.

Diagnose

Anamnese, Kältetest.
  • Kontakttyp: Auflegen eines mit Eiswasser gefüllten Metallzylinders oder Reagenzglases für 3-5 Minuten.
  • Reflextyp: Doppelseitiges kaltes Armbad (8-10 °C) 10 bis 20 Minuten oder kaltes Wannenteilbad (10-16 °C).
  • Liegt eine generalisierte Kälteurtikaria vor, muss der Pat. für 10-20 Minuten mit kalter Raumluft (etwa 4 °C) exponiert werden.
Die Suche nach Kryoproteinen (Kryoglobuline, Kryofibrinogen, Kryoagglutinine) sollte in jedem Fall erfolgen. Bei positivem Nachweis Ausschluss von Lymphomen oder Kollagenosen.

Differentialdiagnose

Therapie allgemein

Therapie zugrunde liegender Erkrankungen.

Aufklärung: Der Patient muss über allgemeine Verhaltensregeln aufgeklärt werden, da bei einer Urtikaria Systemreaktionen wie Tachykardien und Dyspnoe bis hin zum anaphylaktischen Schock auftreten können.

Daher gilt:

  • Kein Genuss von kaltem Speiseeis, kalten Getränken.
  • Kein Sprung ins kalte Wasser.
  • Vermeiden von Kälteexposition in den Übergangsjahreszeiten und im Winter.
  • Tragen wärmender Schutzkleidung/Handschuhe.
  • Gesicht vor Kälte schützen, etc.
  • "Hardening": Versuch einer langsamen Adaptation an die Kälte über tägliche Kaltwasserduschen. Gute Compliance ist Voraussetzung, da fortlaufende und strikt regelmäßige, tägliche Erhaltungstherapie notwendig ist, um Schocksituationen zu vermeiden. Häufig wird das Verfahren von den Pat. nicht durchgehalten.

Merke! Ein "Hardening" sollte wegen möglicher Schockreaktion nur unter stationären Bedingungen eingeleitet werden! Hierbei kann die Schwellentemperatur deutlich gesenkt werden. Die Akzeptanz dieser Methode ist jedoch gering.

Interne Therapie

Bei Systemreaktionen stadiengerechte Therapie, s.u. Schock, anaphylaktischer. Falls eine Vermeidungsstrategie nicht ausreicht sind Antihistaminika Therapie der Wahl.

H1-Blocker: Symptomatische Therapien mit H1-Blockern wie Hydroxyzin (z.B. Atarax) 40 mg/Tag oder Cetirizin können mäßige Erfolge bewirken.

Alternativ: Antihistaminika-Hochdosistherapie: In einer kleineren Plazebo-kontrollierten Studie (30 Pat.) wurden Erfolge mit einer Hochdosis-Antihistaminikatherapie beschrieben (Desloratadin 20 mg/Tag p.o.). Die Studie bestätigt Empfehlungen der Europäischen Fachgesellschaften, bei nicht genügendem Ansprechen einer Standardtherapie eines nicht sedierenden Antihistaminikums die Dosis zu erhöhen.

Alternativ: Bei Therapie-refraktären Fällen können Immunsuppressiva ( Ciclosporin A) eingesetzt werden.

Alternativ: Omalizumab (Xolair): In einer Doppelblindstudie konnten sowohl mit 150mg als auch 300mg Omalizuumab/alle 4 Wochen s.c. eine hohe Ansprechrate bzw. Komplettremissionen erzielt werden. Omalizumab dürfte eine effektive und  verträgliche Therapiealternative darstellen (Metz M et al. 2017).        

Sonstiges:

  • Cromoglicinsäure: Oral verabreichte Cromoglicinsäure ist unwirksam.
  • Penicillin: Penicillin G 10 Mio. IE/Tag i.v. über 2-3 Wochen (Ansprechrate laut Literatur 25-50% bei Patienten mit familiärer Kälteurtikaria; laut eigenen Erfahrungen weniger erfolgreich).
  • In Einzelfällen erfolgreiche Therapien:

Tabellen

Klassifikation der Kälteurtikaria

Klassifikation

Lokalisierte Reaktionen auf Kälte

Kälteurtikaria vom Soforttyp

Kälteurtikaria vom verzögerten Typ

kälteabhängige Urticaria factitia

lokalisationsabhängige Kälteurtikaria

lokalisierte Kältereflexurtikaria

perifollikuläre Kälteurtikaria

familiäre Kälteurtikaria vom verzögerten Typ

Kälteurtikaria (Sonderformen)

cholinerge Kälteurtikaria

familiäre Kälteurtikaria (Synonym: familiäre polymorphe Kältereaktion)

Assoziierte Erkrankungen

Soforttypreaktionen

Urtikaria

Urticaria factitia

cholinerge Urtikaria

Wärmeurtikaria

aquagene Urtikaria

Lichturtikaria

Nahrungsmittelallergien

belastungsabhängiges Asthma

Insektenstichreaktionen

Quallengiftreaktionen

Infektionskrankheiten

Erkrankungen durch Spirochäten (Syphilis, Borreliose)

Masern

Varizellen

Hepatitis

infektiöse Mononukleose

HIV-Infektion

Krankheiten mit abnormen Serumproteinen

Kryoglobulinämie (primäre)

primäre Kryoglobulinämie

Kryoglobulinämie (sekundäre)

Chronisch-lymphatische Leukämie

Plasmozytom

Lymphosarkom

leukozytoklastische Vaskulitis

angioimmunoblastische Lymphadenopathie

Makroglobulinämie

Kryofibrinogenämie

Kollagenosen, hämatologische Erkrankungen, Neoplasien

Kältehämolysine

Spätsyphilis, Syphilis connata

C2- und C4-Defekte

Literatur

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  9. Möller A et al. (1996) Epidemiologie und Klinik der Kälteurtikaria. Hautarzt 47: 510-514
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  12. Möller A et al. (1996) Epidemiologie und Klinik der Kälteurtikaria. Hautarzt 47: 510-514
  13. Raap U et al. (2004) Neue Therapieptionen der Urtikaria und ihrer Subtypen. Hautarzt 55: 361-366
  14. Siebenhaar F et al. (2009) High dose Desloratadin decreases volume and improves cold provocation tresholds compared with stadard-dose treatment in patients with acquired cold urticaria; a randomized, placebo-controlled, cross-over study: J Allergy Clin Immunol 123: 672-679
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