Alpha1-Antitrypsinmangel E88.0

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

AAT-Defizit; alpha1-Proteaseinhibitormangel; Alpha1-Proteaseinhibitormangel; Alpha1-Proteinase-Inhibitor(Pi)-Mangel; Laurell-Eriksson-Syndrom, Alpha-1-Antitrypsinmangel

Definition

Autosomal rezessiv vererbbare Stoffwechselerkrankung, die zu einer Störung der Synthese, Sekretion oder Funktion der wichtigsten Antiprotease des Körpers, dem Alpha1-Antitrypsin (Alpha-1-AT = AAT) führt. Eine allgemeine verminderte oder fehlende Funktion des Proteinaseninhibitors führt zu einer verstärkten Proteolyse mit konsekutiven Lungen- und Leberveränderungen.

Alpha1-Antitrypsin (syn: Alpha-1-Proteinaseinhibitor, Alpha1-PI) ist ein komplexes aus 394 Aminosäuren bestehendes Glykoprotein das fast ausschließlich in der Leber produziert wird. Das Glykoprotein gehört zu den  „Akute-Phasen-Proteinen“ und ist einer der wichtigsten Proteinaseninhibitoren im Serum. Alpha-1-Antitrypsin hemmt u. a. die Proteinasen Trypsin, die von den Neutrophilen Granulozyten gebildeten  „Neutrophilenelastase – NE  und  verschiedene Kollagenasen. 

Vorkommen/Epidemiologie

Die Erkrankung zählt zu den häufigen angeboren Stoffwechselerkrankungen. Die am häufigsten PiZ-Mutation wird bei 1:1600/1800 Neugeborenen nachgewiesen.

Ätiopathogenese

Das für das Alpha1-Antitrypsin kodierende Gen ist auf dem Chromosom 14 (in dichter Nachbarschaft zu den Genen für die Schwerketten der Immunglobuline). Derzeit sind 75 Allelvarianten (Z-,S-,O-,M-Sonderformen) bekannt die von unterschiedlichen Mutationen betroffen sein können. Diese Varianten von Alpha-1-Antitrypsin unterscheiden sich durch ihre Wanderung bei isoelektrischer Fokussierung. Sie werden mit Großbuchstaben (M,0,Z,S) bezeichnet.

  • Normale Allelvarianten: normale Konzentration und Funktion des Alpha-1-Antitrypsin nachweisbar (PiM -Pi-Proteinaseinhibitor)
  • Nullvarianten (Pi0): kein Alpha-1-Antitrypsin nachweisbar
  • Mangelvarianten: verminderte Konzentration und Funktion des Alpha-1-Antitrypsins. Am häufigsten ist in Europa die Variante PiZ; seltener ist die Variante PiS.
  • Dysfunktionelle Variante: Funktionsverlust des Alpha-1-Antitrypsins als Antiprotease, stattdessen Wirkung als Thrombininhibitor.

Die Mutationen führen zu einer Strukturänderung der kodierten Proteine. Die Folge ist eine gestörte Sekretion und fehlerhafte Funktion. Es kommt zu Aggregation und Akkumulation im endoplasmatischen Retikulum (ER) der Hepatozyten und weiterhin zu einem Mangel im Zytoplasma der Zellen (Werte meist < 40 % der Norm). Die Folge: verminderte Proteinaseinhibitor-Aktivität und verstärkte Proteolyse.

 

Klinisches Bild

Lunge: Eine nicht-gehemmte Leukozytenelastase führt zu einer proteolytischen Zerstörung des  Lungengerüstes mit Entwicklung eines progredienten Lungenemphysem ggfls. mit chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit (J44.99), chronisch-obstruktiver Bronchitis (J42), Bronchiektasen (J47), konsekutiver respiratorischer Insuffizienz, Rechtsherzinsuffizienz und Cor pulmonale. Die pulmonalen Veränderungen betreffen v.a. die Konstellationen PiZZ, PiZ0, PiSZ und Pi00; sie treten meist erst nach dem 30. Lebensjahr auf.

Leber: Hepatische Veränderungen (chronische Hepatitis) werden bei den meisten Patienten (V.a. Genotyp PiZZ) bereits im Kindesalter auffällig. Die Akkumulation von Alpha1-Antitrypsin (das Protein kann auf Grund seiner Strukturveränderung nicht sezerniert werden) in den Hepatozyten führt zu Zellschäden und in weiterer Folge zu Fibrose und Leberzirrhose. Im späteren Lebensalter entwickeln bis zu 40 % der Betroffenen eine Leberzirrhose und etwa 15 % ein hepatozelluläres Karzinom. Bei den Heterozygoten mit den Alleltypen PiMZ, PiSZ ist das Risiko für die Entwicklung einer Zirrhose oder eines Hepatoms wesentlich geringer. Bemerkung: die hepatischen Veränderungen beruhen nicht auf dem eigentlichen Alpha1-Antitrypsinmangel sondern auf einer zusätzlichen Störung von bestimmten Proteinen im endoplasmatischen Retikulum (Chaperone), die die Faltungsstruktur neu gebildeter Proteine überprüfen und korrigieren. Möglicherweise sind auch Abbauprozesse der im endoplasmatischen Retikulum retinierten Proteine gestört. Möglicherweise spielen zusätzlich noch Störugnen der angeborenen Immunität bei der Realisierung der Krankheitssymptome eine Rolle.    

Gefäße: Seltener sind: nekrotisierender Vaskulitis, Granulomatose mit Polyangiitis

Niere: Glomerulonephritis, 

Pankras: Pankreatitis und Pankreasfibrose.

 Haut (sehr selten : 60 Fälle bekannt): neutrophile Pannikulitis mit Ulkusbildung an den Unterschenkeln (s. Pannikulitis Alpha-1-Antitrypsin-Mangel-assoziierte)  

Diagnose

  • Alpha1-Antitrypsin im Serum:  < 0,9 g/l
  • Bestimmung des Phänotyps des Alpha1-Antitrypsins
  • Nachweis der Genmutation (PiZZ, PiMZ und PiSZ)
  • Histologie: PAS-positive, proteaseresistente hepatozelluläre Einschlusskörperchen (=Antitrypsinablagerungen)

Therapie

Neben der in manchen Fällen erforderlichen Substitution werden in erster Linie die Folgeerkrankungen behandelt, vor allem die chronisch obstruktive Bronchitis.

Ein absoluter Rauchverzicht ist unbedingt nötig (die im Rauch enthaltenen Oxidantien können Alpha-1-Antitrypsin inaktivieren).

Prophylaktisch: Impfungen empfehlenswert (Grippe, Pneumokokken).

Bei schwerem Lungenemphysem empfiehlt sich eine Substitutionstherapie von Alpha1--Antitrypsin (Prolastin®, Respreeza®).

Organtransplantation: Im fortgeschrittenen Stadium kann eine Lungen- oder Lebertransplantation nötig sein. Die Lebertransplantation ist kurativ, weil Alpha1-Antitrypsin nur in geringem Umfang in extrahepatischem Gewebe gebildet wird.

Hinweis(e)

Serumkonzentration: 0,97-1,68 g/l. Bei < 0,6g/l V.a. Alpha1-Antitrypsinmangels gegeben. Bestimmung des Phänotyps des Alpha-1-Antitrypsin gegeben (Methode der Wahl ist die isoelektriche Fokussierung der Plasmaproteinfraktion). 

Literatur
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