Erstbeschreiber
Der Begriff Herdenimmunität wurde erstmals vor mehr als einem Jahrhundert eingeführt. Der Begriff wurde später zunehmend im Zusammenhang von Immunisierungsprogrammen gebraucht, um auf die Notwendigkeit einer ausreichenden Durchimpfungsrate hinzuweisen. Diese ist die Voraussetzung dafür, eine Population vor einer Infektionskrankheit zu schützen. Wie kaum eine andere medizinische Maßnahme hat die Immunprophylaxe von Infektionskrankheiten die größten Erfolge in der Geschichte der Medizin erzielt. Besonders bei viralen Infektionen für die es noch keine wirksamen Gegenmittel gibt kommt der Immunprophylaxe ein fundamentaler Stellenwert zu. Die Ausrottung der Pocken (als am 22.101977 der somalische Koch Ali Maow Maalin geheilt aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war damit die Welt für immer von der schlimmsten Geißel der Menschheit, den Pocken befreit. Heute existieren in der Welt keine infektiösen Pockenviren mehr. Nur noch in 2 Laboratorien in der Welt werden noch lyophilisierte Pockenviren aufbewahrt) und die anhaltende Verringerung der Krankheitsinzidenz bei Erwachsenen, die nach der routinemäßigen Immunisierung von Kindern gegen Haemophilus influenzae Typ B und Pneumokokken nicht mehr geimpft werden müssen, sind eindrucksvolle Beispiele für die Wirkung der durch Impfstoffe induzierten Herdenimmunität.
Definition
Unter Herdenimmunität wird die natürlich oder artifiziell erworbene Immunität gegen einen Krankheitserreger in einer definierten Population (Kollektivschutz) verstanden. Herdenimmunität schützt einzelne Menschen vor einer Infektion (Individualschutz). Sie schützt insbesondere auch Menschen die aus unterschiedlichen Gründen nicht geimpft werden können. Voraussetzung für eine Herdenimmunität ist, dass in einer Population ein ausreichend großer Anteil immuner Individuen vorhanden ist. Eine weitere Voraussetzung für eine Herdenimmunität ist eine homogen-homonome Infektionskette (Bei der Ausbreitung einer Infektionskrankheit erfolgt die Übertragung von Mensch zu Mensch. Nur der Mensch ist betroffen). Die Erreger dürfen keine anderen Wirte besitzen.
Allgemeine Information
Die Schwelle einer Herdenimmunität ist definiert als der Anteil der Individuen in einer Population, die nicht mehr an der Übertragungskette teilnehmen können, da sie durch Impfung oder nach überstandener Krankheit immun sind. Liegt der Anteil der immunen Individuen in einer Population über dieser Schwelle, versiegen die aktuellen Ausbrüche. Die endemische Übertragung des Erregers wird unterbrochen. Im einfachsten Modell hängt die Schwelle der Herdenimmunität von der Basisreproduktionszahl (R0; die durchschnittliche Anzahl von Personen, die von einer infizierten Person in einer vollständig empfänglichen Population infiziert wurden) ab und wird als 1 - 1/R0 berechnet. Hochgradig infektiöse Erreger wie das Masernvirus oder das SARS-CoV-2 –Virus haben einen hohen R0-Wert. Um eine Herdenimmunität zu erreichen, muss ein hoher Anteil der Bevölkerung (im Fall der Masern circa 95%) immun sein. Für SARS-CoV-2 dürfte der Schwellenwert der Herdenimmunität voraussichtlich zwischen 50 und 67 % liegen.
Natürliche Herdenimmunität: Um die Ausbreitung einer viralen Infektion zu verlangsamen, wurde immer wieder eine Herdenimmunität propagiert, die auf einem natürlichen Infektionsgeschehen beruht. Eine solche Strategie ist jedoch selbst bei mäßigen Quoten tödlich verlaufender Infektionen mit einer erheblichen Mortalität belastet (Beispiel der brasilianischen Metropole Manaus). Für die USA errechnet sich, dass etwa 198 Millionen Menschen immun sein müssen, um die erforderliche Herdenimmunitätsschwelle von etwa 60 Prozent zu erreichen. Bei einer SARS-CoV-2-Mortalitätsrate von mindestens 0,5 Prozent (Schätzwert der Weltgesundheitsorganisation) bedeutet dies, dass mehrere hunderttausend Menschen sterben würden, wenn man eine Strategie der infektionsinduzierten Immunität wählen würde.
Sexuell übertragbare Krankheiten: Hochrisikoverhalten beim Geschlechtsverkehr führt zu einer hohen Transmissionsrate der betreffenden Erreger, was die Eradikation von Geschlechtskrankheiten erschwert. Bei Geschlechtskrankheiten kann sich der Herdeneffekt von einem Geschlecht auf das andere Geschlecht erstrecken.