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Zielgerichtete Tumortherapeutika
Synonym(e)
Definition
Der Begriff „zielgerichtete Tumortherapeutika“ oder gezielte Krebstherapie (Targeted therapy) bezeichnet, in Abgrenzung zur klassischen Therapie mit Zytostatika (unselektiv zytotoxische Chemotherapeutika), die Behandlung von malignen Tumorerkrankungen mit speziell „zugeschnittenen“ Arzneistoffen (Biologika), die bekannte und wohldefinierte biologische und zytologische Eigenarten des Tumorgewebes nutzen um dessen ungeordnete Expansion zu unterbinden. Dies gelingt. da sich bestimmte Merkmale der Tumorzellen von Nicht-Tumorzellen unterscheiden. Hierfür beispielhaft aufgeführt: Überexpressionen eines membranständigen Rezeptors für Wachstumsfaktoren (EGF-Rezeptor), Mutationen eines Membranrezeptors z.B. der Rezeptor-Kinase c-Kit, chromosomale Translokationen mit intrazellulären Fusionsproteinen mit veränderter Tyrosinase-Aktivität).
Einteilung
Monoklonale Antikörper
- Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor
- Antikörper gegen humane epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptoren (HER1-4)
- Cetuximab
- Trastuzumab
- Pertuzumab
- Antikörper gegen CD-Oberflächenantigene (CD3, CD52, CD20, CD30, )
- Alentuzumab (CD52-Antikörper)
- Rituximab (CD20-Antikörper)
- Catumaxomab (trifunktionaler Antikörper gegen EpCAM, CD3, Fc-Rezeptoren)
- Bretuximab (CD30-Antikörper – ohne antitumorale Wirksamkeit der mit dem Spindelgift MMAE gekoppelt ist)
- Nivolumab (Checkpoint-Inhibitor der an den Immun-Checkpoint-Rezeptor PD1 bindet)
- 20Y-Ibritumomab (CD20-Antikörper der mit dem Betastrahler 20Y gekoppelt ist)
Tyrosinkinase-Hemmer
- Imatinib (hemmt die intrazellulär lokalisierte NCR-ABL-Tyrosinkinase)
- Erlotinib (Inhibitor des EGFR vom Subtyp 1 (HER1)
- Afatinib (Inhibitor aller wachtumsrelevanten Mitglieder der EGFR-Familie ERbB-Genfamilie, HER1-4)
- Lapatinib (Inhibitor der Subtypen HER1 und HER2)
- Sunitinib (blockiert die Tyrosinkinase der Rezeptoren PDGFR, VEGFR sowie c-Kit)
- Sorafenib (blockiert die Tyrosinkinase der Rezeptoren PDGFR, VEGFR sowie c-Kit)
- Vemurafenib (blockiert die Tyrosinkinase der Rezeptoren PDGFR, VEGFR sowie c-Kit und die Serin-Threonin-Kinase)
Hormone und Hormon-Antagonisten
- Östrogen-Rezeptor-Antagonisten (blockieren die Östrogenrezeptoren)
- Tamoxifen (wird auch als selektiver Östrogen-Rezeptor-Modulator – SERM- bezeichnet)
- Toremifen
- Fulvestrant
Aromatase-Hemmer (blockieren die Aromatase und damit die Synthese von Östrogen)
- Anastrozol
- Letrozol
- Exemestan
Substanzen mit antiandrogener Wirkung (Prostatakarzinom)
- Androgenrezeptor-Antagonisten (blockieren die Androgenrezeptoren)
- Flutamid
- Bicalutamid
- Enzalutamid
- Androgenbiosynthese-Hemmer (inhibieren selektiv CYP17 – 17alpha-Hydroxylase/C17, 20-Lyase)
- Abiateron
- Gonadorelinrezeptor-Agonisten (unterdrücken über einen Eingriff in den hormonellen Regelkreis die Testosteronsynthese)
- Buserelin
- Leuprorelin
- Goserelin
- Triptorelin
- Gonadorelinrezeptor-Antagonisten (blockieren den GnRH-Rezeptor; senken innerhalb 1 Woche den Serum-Testosteron-Spiegel auf Kastrationsniveau <50ng/dl)
- Abarelix
- Degarelix
Sonstige
- Bortezomib (Hemmung der Proteasomen)
- Temsirolimus (hemmt mit seinem aktiven Metabolit Sirolimus die intrazelluläre Serin-Threonin-Kinase mTOR)
- Interferone (Interferon-alpha, Interferon-beta)
- Tumornekrosefaktor (TNF-alpha 1a)
Pharmakodynamik (Wirkung)
Da maligne Zellen unkontrolliert wachsen, richten sich die meisten „targeted Tumortherapeutika“ gezielt gegen die Proteine, die an der Signalkaskade der Zellproliferation und/oder der Angiogenese beteiligt sind. Targeted Tumortherapeutika interagieren an verschiedenen Stellen der Signalkaskade um letztlich das unkontrollierte Zellwachstum zu verhindern. Hierzu gehören: Hemmung von Impulsgeber des Wachstums (z.B. Wachstumsfaktoren), Blockade des membranständigen Rezeptors (z.B. EGF-Rezeptor), Unterbrechung des intrazellulären Signaltransduktionsweges (z.B. Phosphorylierung von intrazellulären Zielproteinen).
Durch Blockade der extrazellulären Domäne der membranständigen Wachstumsrezeptoren können die selbst nicht mehr binden. Die Zellen erhalten kein Signal mehr zur Teilung. Beispiele sind Trastuzumab oder Cetuximab. Trastuzumab richtet sich gegen den Wachstumsrezeptor HER2, der bei Brust- und Magenkrebs verstärkt ausgebildet sein kann. Cetuximab heftet sich an den Rezeptor für den Epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) der in zahlreichen Tumoren vermehrt nachweisbar ist.
Neben der extrazellulären Domäne kann auch die intrazelluläre Domäne der Membranrezeptoren blockiert werden. Tyrosinkinasehemmer, niedermolekulare Substanzen (Small Molekules) vermögen die Zellwand zu durchdringen und binden an den inneren Teil des Rezeptors (Kinase). Die Wachstumsfaktoren können zwar weiterhin an den Rezeptor andocken, die Phosphorylierung und Aktivierung ist jedoch nicht mehr möglich. Damit können keine Wachstumssignale weitergeleitet werden Beispiele für Tyrosinkinasehemmer sind Erlotinib und Imatinib.
Ein weiteres Beispiel ist die mTOR-Kinase, die von mTOR-Hemmern (z.B. Temsirolimus) gehemmt wird. Ebenfalls in die Gruppe gehören sogenannte CDK4/6-Hemmer wie Palbociclib: Sie hemmen Enzyme mit dem Namen „zyklinabhängige Kinasen 4 und 6“. Multikinasehemmer hemmen mehrere Kinasen. ZU dieser Gruppe gehören z.B. Sunitinib und Sorafenib.
Angiogenesehemmer: Tumorzellen induzieren Angiogenese. Hierbei spielt der vaskuläre Endothelwachstumsfaktor (VEGF, vascular endothelial growth factor) eine wesentliche Rolle. Angiogenesehemmer hemmen die Neubildung von Blutgefäßen. VEGF kann z.B. mit dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab direkt abgefangen und neutralisiert werden. Weiterhin können Kinasehemmer die Signalweiterleitung vom VEGF-Rezeptor auf der Oberfläche von Blutgefäßzellen unterbinden (Wirkprinzip von Sorafenib und Sunitinib).
Proteasom-Hemmer: Zelle die sich regelmäßig teilen sind gezwungen überflüssige Eiweißmoleküle zu „entsorgen“. Diese Aufgabe wird von einem großen Enzymkomplex, dem sogenannten Proteasom bewerkstelligt. Störungen der Proteasomfunktion durch Proteasom-Hemmer (z.B. Bortezomib) führen zur Apoptose (die Zelle erstickt an ihrem eigenen Abfall).
Hemmung der Reparaturmechanismen der Tumorzellen: Tumorzellen vermögen ebenso wie gesunde Zellen, geschädigte DNA reparieren. Dies erfolgt mittels PARP-Enzymen. PARP-Hemmer (z.B. Olaparib) unterbinden diesen Prozess. Gesunde Körperzellen können die PARP-Hemmung durch andere DNA-Reparaturmechanismen ausgleichen. Diese alternativen Reparaturmechanismen sind bei Tumorzellen häufig gestört. Ein Beispiel sind BRCA1- oder BRCA2-Genveränderungen bei hereditärem Brust- oder Ovarialkarzinom. In solchen Karzinomen kann geschädigtes Erbmaterial nur noch fehlerhaft repariert werden. Hemmt man in diesen Zellen zusätzlich den PARP-abhängigen DNA-Reparaturweg, häufen sich im Erbmaterial der Krebszellen immer mehr Schäden an: Die Krebszellen sterben ab.
CD-Oberflächenantigene: Wenn monoklonale Antikörper an Strukturen auf der Oberfläche von Tumorzellen (Antigene) binden, löst dies eine (mehr oder weniger starke) Immunreaktion gegen die mit den Antikörpern „markierten“ Tumorzellen aus.
Immun-Checkpoint-Inhibitoren: Eine Besonderheit stellen sog. Immun-Checkpoint-Inhibitoren (z.B. Ipilimumab, Nivolumab) dar. Deren „zielgerichtete“ Wirkung besteht darin, „Bremsen“ im Immunsystem auszuschalten. Immun-Checkpoint-Inhibitoren sind also gegen natürliche Regulationsmechanismen der Immunzellen gerichtet. Deshalb werden diese Antikörper dernImmuntherapeutika zugeordnet.
Unerwünschte Wirkungen
Targeted Medikamente wirken spezifischer als Zytostatika. Insofern sind die Nebenwirkungen geringer als bei dieser Arzneigruppe. Nebenwirkungen an Haut und den Hautanhangsgebilden sind häufig. oder den Nägeln. Das können zum Beispiel Rötungen, Pusteln, Juckreiz, Entzündungen oder Verhornungen sein. Haare können brüchig werden oder ausfallen. Diese Symptome treten bei manchen Patienten nach Tagen, bei anderen erst Wochen oder Monate nach Beginn der Therapie auf. Sie können sehr belastend sein. Bei den VEGF-Antikörpern wird bei bis zu 34% der Patienten eine arterielle Hypertonie beobachtet. Cetuximab, Trastuzumab und Pertuzumab verursachen allergische Reaktionen, Kardiomyopathie und Herzinsuffizienz sowie akneiforme Hautreaktionen (Cetuximab). Die Hauterscheinungen bilden sich in der Regel zurück, wenn die Behandlung vorbei ist. Gastrointestinale Störungen, Neutro- oder Thrombozytopenie, Anämie werden unter der Therapie mit Imatinib beobachtet.
Hinweis(e)
In der Regel werden die neuartigen Substanzen mit konventionellen Therapiemethoden der Chirurgie, der Onkologie (zytostatische Therapie) und der Radiologie (strahlentherapeutische Maßnahmen) kombiniert.
Namensgebung: Gentechnisch hergestellte monoklonale Antikörper enden mit '-mab', sogenannte small molecules enden mit '-mib' oder '-nib'.