Synonym(e)
Definition
Als Immunevasion (von lat. evadere = entkommen, entrinnen) bezeichnet man ganz allgemein einen Vorgang in der Immunologie/Pathologie, bei dem es unterschiedlichen Pathogenen (Bakterien, Viren, Tumorzellen) mit Hilfe spezifischer Strategien gelingt, den biologischen Mechanismen ihrer Erkennung oder ihrer Abwehr durch das adaptive Immunsystem zu entgehen.
Es existieren eine Vielzahl und ganz unterschiedliche Strategien, die Pathogene befähigen die angeborene oder die erworbene Immunantwort zu umgehen oder zu unterwandern. Hierzu gehören Antigenvariation, Latenz, Resistenz gegen Immuneffektormechanismen, Unterdrückung der Immunantworten. Im Einzelnen unterscheiden sich die Strategien der Krankheitserreger von denen der Tumorzellen, obwohl auch hierbei gemeisame Mechanismen zu beobachten sind.
Einteilung
Immunevbasionsstrategien bei Krankheitserregern
- Antigenvarianz: Eine Möglichkeit, wie sich ein Infektionserreger der Immunüberwachung entziehen kann, ist die Veränderung seiner Antigene. Dies ist besonders wichtig für extrazelluläre Erreger, gegen die die Hauptabwehr in der Produktion von Antikörpern gegen ihre Oberflächenstrukturen besteht. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie derartige antigene Variationen auftreten können, die zu einer Immunevasion führen:
- Antigendrift (von engl. drift = treiben bezeichnet langsame, kontinuierliche und zufällige Veränderung von immunitätsbildenden Oberflächenstrukturen (Antigenen) pathogener Mikroorganismen. Beispielweise kann bei Influenzaviren ein Antigendrift durch Punktmutationen in den Genen verursacht werden, die für Hämagglutinin und die Neuraminidase kodieren. Derartige Mutationen , die alle 2-3 Jahre eintreten, verändern v.a. die Proteinabschnitte, die für die Bindung neutralisierender Antikörper wichtig sind. Damit entgehen sie der Immunabwehr.
- Antigenshift: Größere Influenza-Pandemien sind das Ergebnis eines Antigenshifts. Dies tritt ein wenn es zu einem Reassortment des segmentierten RNA-Genoms des Influenzavirus in einem tierischen Wirt kommt. Dies kann zu Veränderungen des Hämagglutinin-Proteins auf der Virusoberfläche führen, das für den Organismus ein Markerantigen darstellt und gegen das er seine Abwehrstrategien gerichtet hatte. Das neue Virus wird von Antikörpern und von T-Zellen, die gegen die vorherige Variante gerichtet sind, schlecht oder gar nicht erkannt, so dass die meisten Menschen für das neue Virus empfänglich sind und es zu erneuter Infektionen kommt.
- Programmierte Umlagerungen in der DNA des Erregers (Genumlagerungen): Das auffälligste Beispiel für eine programmierte Umlagerung geben die Trypanosomen. Bei diesen kommt es innerhalb eines einzigen infizierten Wirts wiederholt zu Veränderungen des Hauptoberflächenantigens. Das Trypanosom ist mit einem einzigen Typ von Glykoprotein, dem variantenspezifischen Glykoprotein (VSG), beschichtet, das eine starke Antikörperreaktion des Wirtsorganimsus hervorruft. Das Trypanosomen-Genom enthält jedoch etwa 1000 VSG-Gene, die jeweils für ein Protein mit unterschiedlichen antigenen Eigenschaften kodieren. Nur eines davon wird zu jedem Zeitpunkt exprimiert, indem es an einer aktiven "Expressionsstelle" im Genom platziert wird. Das exprimierte VSG-Gen kann durch Gen-Rearrangement verändert werden, das produzierte VSG-Protein ist verändert und antigenisch nicht mehr erfassbar. Trypanosomen verfügen somit über ein Immunsystem, das in der Lage ist, viele verschiedene Antikörper durch Genumlagerung zu erzeugen. Sie sind damit dem Wirtsorganismus und seinen Abwehrstrategien um einen Schritt voraus.
Weitere Beispiele der Immunevasion sind:
- Veränderung der Oberflächenantigene des Erregers unter Nachahmung körpereigener Epitope (Molekulare Mimikry).
- Veränderung der Oberflächenantigene des Erregers (z.B. Herpesviren) durch selektive Autophagie. Hierdurch wird gezielt die Aggregation von wichtigen Signalmolekülen sowie deren Abbau induziert. Sie entgehen damit den Reaktionen der angeborenen Immunantwort (Muscolino E et al.2019). Ein weiteres Beispiel für Veränderung der Oberflächenantigene des Erregers kann bei SARS-CoV-2-Mutationen beobachtet werden. Das Eindringen von SARS-CoV-2 wird durch das Spike (S)-Glykoprotein vermittelt, das die rezeptorbindende Domäne (RBD) und die N-terminale Domäne als die beiden Hauptziele der neutralisierenden Antikörper enthält. Die RBD L452R-Mutation von SARS-CoV-2 reduziert oder hebt die neutralisierende Aktivität von 14 von 35 RBD-spezifischen monoklonalen Antikörpern auf.
- Bindung von Komplementaktivatoren: Der Erreger des Rückfallfiebers in Amerika, die Spirochaete Borrelia hermsii, besitzt die Fähigkeit, während der Infektion von Säugern hohe Erregerdichten im Blut zu erreichen. Unter anderem ist dafür ein Oberflächen- Lipoprotein von B. hermsii (BhCRASP-1 = B. hermsii complement regulator acquiring surface protein 1)verantwortlich, das in der Lage ist, Komplementregulatoren und Plasminogen aus humanem Serum zu binden und damit die körpereigene Immunität zu umgehen.
- Wechselwirkung mit Zytokinen oder deren Blockade durch eine geeignete Expression viraler oder bakterieller Produkte.
- Latenzmechanismen für einen dauerhaften Verbleib innerhalb von Zellen. Ein Beispiel hierfür sind die HI-Viren Typ1 (HIV-1). Nach der Infektion der als Wirt dienenden CD4(+)-T-Zellen des Immunsystems wird die Virus-RNA durch das virale Enzym Reverse Transkriptase in DNA umgeschrieben und durch die Poren der Kernmembran in das Innere des Zellkerns transportiert. Dort wird sie bevorzugt in bestimmte aktive Gene eingebaut, die an unterschiedlichen Zellfunktionen beteiligt sind. Wenn sich die HIV-infizierte CD4(+)-T-Zellen im Ruhezustand befinden, sind die Viren nach ihrem Einbau in das Zellgenom dem Angriff durch antivirale Medikamente oder das Immunsystem entzogen. Werden die T-Zellen zum Beispiel im Rahmen einer anderen Infektion aktiviert, beginnen sie, Kopien des Virus in großer Menge zu produzieren, die schließlich die Wirtszelle zerstören und neue Zellen infizieren können. Ein Teil der Viren verbleibt jedoch, im Zellkern einer Subpopulation der T-Zellen, den CD4(+)-T-Gedächtniszellen, auf lange Zeit im inaktiven Zustand erhalten (Bruna Marini et al.2015).
Immunevasion bei malignen Tumoren:
Viele Arten von menschlichen Tumoren können das Immunsystem unterdrücken, um ihr Überleben zu verbessern. Einige Tumorzellen entgehen der Erkennung durch das Immunsystem, indem sie die Expression bestimmter Antigen-präsentierender Proteine auf ihrer Oberfläche verringern und damit von zytotoxischen T-Lymphozyten nicht attackiert werden können (Meissner M et al. (2005).
Hemmung der Immunanttwort durch Tumorzellen: Häufiger jedoch sezernieren Tumore Proteine, die die Reaktion von Effektor-T-Zellen hemmen und die Produktion von regulatorischen T-Zellen fördern, die die Immunantwort unterdrücken (Shevach EM (2004). Für Melanome wurde mit dem immunsuppressiv wirksamen Transkriptions-Repressor ICER ein Weg der Immunevasion nachgewiesen. In Abwesenheit von ICER wachsen Tumorzellen langsamer. ICER bewirkt eine funktionelle Polarisierung der Makrophagen, die daraufhin einen nicht-inflammatorischen Phänotyp annehmen. Dadurch werden Makrophagen befähigt, in Monozyten die Expression von PD-L1 zu induzieren, wodurch wiederum zytotoxische T-Lymphozyten in ihrer anti-tumoralen Wirksamkeit gehemmt werden.
Produktion einer immuntoleranten Mikroumgebung: Bestimmte Melanome können ihre stromale Mikroumgebung in Strukturen reorganisieren, die dem lymphatischen Gewebe des Immunsystems nachahmen. Sie exprimieren CCL21, einen Chemoattraktor für verschiedene Leukozyten und lymphoide Gewebsinduktorzellen (LTi-Zellen), die die lymphoide Neogenese vorantreiben. Damit wird eine immuntolerante Mikroumgebung produziert, die die Induktion von lymphoid-ähnlichen retikulären stromalen Netzwerken, ein verändertes Zytokin-Milieu und die Rekrutierung von regulatorischen Leukozytenpopulationen beinhaltet. Dieser ausgeklügelte Umbau rekrutiert und erhält immunregulatorische Zellen, die Toleranz und Tumorprogression fördern. Im Gegensatz dazu induzierten CCL21-defiziente Tumoren eine antigenspezifische Immunität (Shields JD et al 2010).
Interferon (IFN)-gamma-induzierten Gene: Kolorektalen Karzinomzellen können ihre Pathogenität offenbar dadurch steigern, indem sie die Interferon (IFN)-gamma-induzierten Genen herunterregulieren. Sie werden damit resistent gegen die anti-proliferativen und pro-apoptotischen Auswirkungen von IFN-gamma .
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Bruna Marini et al.(2015) Nuclear architecture dictates HIV-1 integration site selection. Nature doi: 10.1038/nature14226
- Meissner M et al. (2005) Defects in the human leukocyte antigen class I antigen processing machinery in head and neck squamous cell carcinoma: association with clinical outcome. Clin Cancer Res 11:2552-2560.
- Muscolino E et al.(2019) Herpesviruses induce aggregation and selective autophagy of host signalling proteins NEMO and RIPK1 as an immune-evasion mechanism. Nature Microbiology DOI: 10.1038/s41564-019-0624-1
- Shevach EM (2004) Fatal attraction: tumors beckon regulatory T cells. Nat Med 10:900-901.
- Shields JD et al.(2010) Induction of lymphoidlike stroma and immune escape by tumors that express the chemokine CCL21. Science 328:749-752.