Hämorrhagischer Insult I61.0-9

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.08.2024

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Synonym(e)

Hirnblutung; intrazerebrale Blutung; primär hämorrhagischer Hirninfarkt; Primär hämorrhagischer Schlaganfall

Definition

Unter einem hämorrhagischen Insult versteht man ein akut einsetzendes neurologisches Defizit, das durch eine akut einsetzende intrakranielle Blutung verursacht wird (Linn 2011).

Einteilung

Zu den Insulten zählen:

- Primär hämorrhagischer Insult

- Ischämischer Insult (Herold 2022)

- Hämorrhagischer Hirninfarkt: Hierbei handelt es sich um einen primär ischämischen Hirninfarkt, bei dem es durch eine erhöhte, ischämisch bedingte Kapillarpermeabilität zu einer Diapedeseblutung kommt (Linn 2011).

Vorkommen/Epidemiologie

Die Inzidenz eines Apoplex liegt in Deutschland im Alter zwischen 55 – 64 Jahren bei ca. 300 / 100.000 Einwohner / Jahr und im Alter zwischen 65 – 74 Jahren bei 800 / 100.000 Einwohner / Jahr. Männer sind häufiger betroffen als Frauen (Herold 2022). Der hämorrhagische Insult - verursacht durch vermehrten Alkoholkonsum - zeigt jedoch keine Geschlechtsunterschiede (Patra 2010).

Der hämorrhagische Insult verursacht ca. 20 % aller Insulte (Herold 2022).

Ätiopathogenese

Primäre (spontane) intrazerebrale Blutung:

Der wesentliche Risikofaktor für einen hämorrhagischen Insult stellt die arterielle Hypertonie dar. Hierbei kommt es durch die Hypertonie zu einer Ruptur der Gefäße an typischer Stelle, dem sog. loco topico wie z. B. im Bereich der Pons oder im subkortikalen Marklager (Herold 2022).

 

Sekundäre intrazerebrale Blutung:

Diese ist gekennzeichnet durch z. B. Amyloidangiopathien, Einnahme von Antikoagulantien, Gerinnungsstörungen, superfizielle Siderose, Vaskulitis, vaskuläre Malformationen (Herold 2022), hämorrhagische Diathese, Tumoreinblutung, Stauungsblutung als Folge einer venösen Thrombose, traumatisch (Diener 2004)

 

Alkoholabusus

Eine Metaanalyse von Patra et al. aus dem Jahre 2010 zeigt ein linear ansteigendes Risiko für einen hämorrhagischen Insult bei zunehmendem Alkoholkonsum. Der Konsum von Alkohol spielt ebenso einen Hauptrisikofaktor für den Bluthochdruck (Patra 2010).

Pathophysiologie

Eine akute Blutung im Gehirn verursacht auf Grund des knöchernen Schädels einen intrakraniellen Druckanstieg (ICP = intracerebral pressure). Das kompensatorische Reservevolumen liegt bei einer akuten intrakraniellen Raumforderung zwischen 30 – 50 ml. Darüber hinaus führt ein intrakranieller Druckanstieg zur Aufhebung der zerebralen Autoregulation (Linn 2011).

Klinisches Bild

Klinisch lässt sich NICHT zwischen einem hämorrhagischen oder ischämischen Insult differenzieren (Diener 2004). Die Symptome selbst sind abhängig von der Lokalisation des Insultes und können sein:

- Plötzliche Schwäche eines Armes, Beines oder des Gesichtes

- Motorische Aphasie

- Sensorische Aphasie

- Dysarthrie

- Sehstörungen wie z.B. einseitiges Erblinden, Gesichtsfeldausfall, Doppelbilder (Linn 2011), Nystagmus (Lehmeyer 2022)

- Gleichgewichtsstörungen

- Schwindel

- Kopfschmerzen (Linn 2011)

- Übelkeit, Erbrechen (Lehmeyer 2022)

- Bewusstseinsstörung (Linn 2011)

- Koma (Lehmeyer 2022)

Diagnostik

Es sollte eine fokussierte neurologische Untersuchung erfolgen. Dazu zählen Symptome, die auf einen Apoplex hindeuten. Sie werden unter der Merkformel FAST zusammengefasst:

- Face: einseitige Lähmung des Gesichtes

- Arm: Einschränkung der Armbewegung

- Speech: Auffälligkeiten der Sprache und / oder des Sprachverständnisses

- Time: keine Zeit verlieren, Time is brain (Peter 2021).

Eine Erweiterung dieser Formel stellt die BE-FAST- Formel dar, bei der zusätzlich noch überprüft werden:

- Balance: Gleichgewichtsstörungen

- Eye: Störungen der Augenbewegungen bzw. Sehstörungen (Amboss SOP 2023)

 

Bevor therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden können, sollte umgehend eine cCT zur Sicherung der Diagnose erfolgen.

Bildgebung

cCT

In der kranialen CT lassen sich Hirnblutungen i. d. R. gut darstellen. Bei einer cerebralen Ischämie- Symptomatik hingegen ist lediglich bei bis zu ca. 30 % die Infarktläsion darstellbar (Lehmeyer 2022).

Bei einem hämorrhagischen Insult lässt sich eine Einblutung in das Hirnparenchym nachweisen. Bei der Subarachnoidalblutung hingegen betrifft die Einblutung den mit Liquor gefüllten Subarachnoidalraum (Amboss SOP 2023).

 

cMRT

Ein cMRT ist zwar deutlich sensitiver, was die Darstellung eines Apoplex (insbesondere des ischämischen Insultes) angeht, aber nicht immer 24 h / h verfügbar, zeitaufwendiger und kostspieliger (Lehmeyer 2022).

Differentialdiagnose

- Ischämischer Insult (Herold 2022)

- TIA (transitorisch- ischämische Attacke), bei der dieselben Symptome vorliegen, es findet sich aber im cMRT keine Läsion. Die früher zur Diagnostik herangezogene Dauer der Symptome von < 1 h stellt heutzutage kein Kriterium mehr da (Lehmeyer 2022)

Komplikation(en)

- Arterielle Hypertonie

In der akuten Phase eines Apoplex – unabhängig davon, ob es sich um einen hämorrhagischen oder ischämischen Insult handelt - weisen über 70 % der Patienten hypertensive Blutdruckwerte auf, da in den Arealen des sich entwickelnden Infarktes die Autoregulation des zerebralen Blutflusses aufgehoben sein kann. Starke Blutdruckschwankungen sind besonders in dieser frühen Phase unbedingt zu vermeiden. Näheres zur Therapie s. „Interne Therapie“ (Schwab 2015).

Therapie allgemein

Bei jedem V. a. einen Apoplex sollte umgehend eine stationäre Einweisung (möglichst in eine Klinik mit Stroke Unit) erfolgen. Die Sofortmaßnahmen bestehen in:

- Hochlagerung des Oberkörpers

- Anlage eines peripher- venösen Zuganges (primär an der nicht betroffenen Seite)

- Gabe von 500 – 1.000 ml isotonischer Lösung

- Blutdruckmessung: Senkung des RR erst ab Werten von > 220 /120 mmHg (Näheres s. „Interne Therapie“)

- Versorgung mit. O2

- Sicherung der Atemwege (Lehmeyer 2022)

 

Bis zum Ausschluss von Blutungen durch ein cCT sind Heparin, ASS, Steroide und i. m. Injektionen kontraindiziert (Lehmeyer 2022).

Bei Nachweis einer intrazerebralen Blutung im cCT erfolgt je nach Art der Blutung eine spezifische Therapie (Amboss SOP 2023). S. a. „Interne Therapie“.

 

Steigender Hirndruck

Sollte es zu einem Anstieg des Hirndrucks kommen, empfehlen sich neben der Oberkörperhochlagerung auch Medikamente wie z. B. Mannitol oder chirurgische Maßnahmen wie z. B. Anlage einer externen Ventrikeldrainage oder im Einzelfall eine Hämatom- Evakuation (Lehmeyer 2022).

Interne Therapie

Hypertonus

Bei hypertonen Blutdruckwerten, die insbesondere in der Frühphase eines Insultes auftreten können (s. a. „Komplikationen“), sollten starke Blutdruckschwankungen unbedingt vermieden werden.

Für Patienten mit bereits bekannter arterieller Hypertonie sind folgende Richtwerte beschrieben: Systolisch 180 mmHg, diastolisch 100 – 105 mmHg.

Patienten ohne anamnestisch bekannte Hypertonie sind auf niedrigere Werte einzustellen: Systolisch 160 – 180 mmHg und diastolisch 90 – 100 mmHg.

 

Als Medikamente zur Senkung der hypertonen Werte empfehlen sich insbesondere Clonidin und Urapidil.  Alternativ kann auch ein gut steuerbarer Beta- Blocker wie z. B. Esmolol oder Metoprolol eingesetzt werden (Schwab 2015).

Lehmeyer (2022) rät von Nitraten bei der Blutdrucksenkung ab und empfiehlt insbesondere Urapidil. Außerdem hält er eine ausreichende Analgesie zur Blutdrucksenkung für erforderlich, ebenso eine Normalisierung etwaiger pathologischer Gerinnungswerte.

Dieser Zielblutdruck ist möglichst innerhalb der ersten 12 – 24 h zu erreichen, wobei durch Antihypertensiva die Reduktion der Werte 5 – 10 mmHg innerhalb von 4 h nicht überschreiten sollte. Eine raschere Senkung sollte lediglich bei Patienten mit zusätzlichem akutem Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, akutem Nierenversagen und Aortenaneurysma erfolgen (Schwab 2015).

Verlauf/Prognose

Der Schlaganfall insgesamt – unabhängig von der Ursache - zählt in den meisten Industrieländern zur dritthäufigsten Todesursache. In Deutschland liegt die jährliche Inzidenz bei 1,74 / 1.000 Einwohner. Die Mortalität innerhalb der ersten 28 Tage liegt bei 19,4 %, der ersten 3 Monate bei 28,5 % und nach 12 Monaten bei 37 %. Das Rezidivrisiko beträgt nach einem Jahr 12 – 13,5 %, nach 5 Jahren 30 – 40 % und nach 10 Jahren fast 55 % (Linn 2011).

Literatur
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  1. Amboss SOP (2023) Formen des Schlaganfalls DOI: https://next.amboss.com/de/article/UR0bmf#Z43048eddca843e44fa126b5aded9a00c
  2. Diener H C, Hacke W, Forsting M (2004) RRN Referenz- Reihe- Neurologie: Schlaganfall. Georg Thieme Verlag Stuttgart 4
  3. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 811 - 816
  4. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education
  5. Lehmeyer L, Hofer S (2022) Allgemeinmedizin – Basics. Elsevier GmbH Urban und Fischer Verlag Deutschland 82 – 83
  6. Linn J, Wiesmann M, Brückmann H (2011) Atlas Klinische Neuroradiologie des Gehirns.  Springer Medizin Verlag Berlin / Heidelberg 78
  7. Patra J, Taylor B, Irving H, Roerecke M, Baliunas D, Mohapatra S, Rehm J (2010) Alcohol consumption and the risk of morbidity and mortality for different stroke types - a systematic review and meta-analysis. BMC Public Health 10 (258) DOI https://doi.org/10.1186/1471-2458-10-258
  8. Peter S (2021) SOP Insult. Allgemeinmedizin up2date (02) Thieme Verlag 299 -301
  9. Schwab S, Schellinger P, Werner C, Unterberg A, Hacke W (2015) NeuroIntensiv. Springer Verlag Berlin / Heidelberg  147

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