Synonym(e)
Erstbeschreiber
Den Begriff „Endokarditis“ prägte 1841 Bouillaud für die an den Herzklappen gefundenen Vegetationen (Schaub 1960).
Der Internist Sir William Osler beschrieb im Jahre 1885 erstmals Klinik und Pathologie der infektiösen Endokarditis lenta (Al- Nawass 2021). Seinen Namen tragen auch die Schleimhautknötchen an Finger- und Zehenspitzen, die sog. „Osler- Knötchen“, die im Rahmen einer Endokarditis lenta auftreten können (Schuchart 2021).
Roth- Spots, auch als Roth-Flecken bezeichnet, wurden 1872 vom Schweizer Arzt Moritz Roth erstmals beschrieben. Den Namen „Roth- Spots“ erhielten sie aber erst 6 Jahre später von Moritz Litten (Ruddy 2022). Es handelt sich um retinale Einblutungen (Hämorrhagien) , die eine charakteristische Morphologie aufweisen.
Streptococcus viridans wurde 1903 von Schott- Müller als Erreger der E. lenta identifiziert (Schaub 1960).
Definition
Eine Endokarditis lenta beschreibt eine Form der infektiösen Endokarditis, die durch einen subakuten Verlauf gekennzeichnet ist (Knirsch 2014).
Auch interessant
Vorkommen/Epidemiologie
Nach dem 1. und 2. Weltkrieg wurde insbesondere bei den aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Soldaten mit großer Häufigkeit eine E. lenta diagnostiziert. Ab ca. 1950 ging die Zahl der Erkrankungen allmählich zurück (Fritze 2013).
Heutzutage hat bei ca. 50 % der Patienten mit E. lenta anamnestisch ein kürzlich stattgefundener instrumenteller Eingriff vorgelegen (Füssle 2001) wie z. B. Zahnextraktion, Endoskopien, Tonsillektomie, Blasenkatheterisierung (Suerbaum 2012)
Die Häufigkeit der E. lenta hat in letzter Zeit abgenommen (Herold 2022).
Ätiopathogenese
Der typische Erreger einer E. lenta ist mit ca. 80 % (Lohr 2002) Streptococcus viridans (Herold 2022). Es handelt sich dabei um einen weniger virulenten Erreger (Knirsch 2014).
Weitere Erreger können sein:
- Streptokokken (44 %)
- koagulase- negative Staphylokokken (27 %)
- seltener durch Enterokokken, Erreger der HACEK- Gruppe wie z. B. Haemophilus / Aggregatibacter, Actinobacillus /Aggregatibacter, Cardiobacterium, Eikenella und Kingella oder durch Pilze (Knirsch 2014).
Die Haupteinfallstore sind Mundhöhle, Haut und die oberen Atemwege (Kasper 2015).
Prädisponierende Faktoren für eine E. lenta sind:
- vorgeschädigte Klappen (liegen bei > 90 % der Fälle vor [Lohr 2002])
- angeborene Herzfehler sowohl nicht- operierte, als auch (palliativ) operierte
- rheumatisches Fieber (spielt inzwischen in Industrieländern eine untergeordnete Rolle)
- Piercing
- Tätowierung
- dermatologische Erkrankungen, die eine Bakteriämie bewirken können wie z. B. Akne
- Eingriffe wie z. B.:
- zahnärztliche Eingriffe
- herzchirurgische
- katheterinterventionelle (Knirsch 2014)
Pathophysiologie
Zu einer E. lenta kommt es, wenn sich während einer transienten Bakteriämie die Erreger an vorgeschädigte Herzklappen anlagern. Es bilden sich an den Herzklappen sog. Vegetationen, die aus Bakterien, Thrombozyten und Fibrin bestehen. Sie bilden Ausgangspunkte für bakteriämische Schübe und auch für embolische Infarkte in Gehirn, Milz, Lunge, Nieren (Füssle 2002).
Näheres s. Endokarditis, infektiöse
Lokalisation
Prädilektionsstellen der E. lenta sind in absteigender Reihenfolge: Mitralklappe, Aortenklappe, Trikuspidalklappe, Pulmonalklappe (Lohr 2002).
Klinisches Bild
Der subakute Verlauf zeigt unspezifische Symptome wie z. B.:
- Fieber
Meistens handelt es sich dabei um subfebrile Temperaturen, die wochenlang anhalten können (Suerbaum 2012). Das Fieber ist typischerweise nicht so hoch wie beim akuten Verlauf einer infektiösen Endokarditis. Es überschreitet eine Temperatur von 39,4 Grad C i. d. R. nicht. Bei älteren, stark geschwächten Patienten und bei Patienten mit Nierenversagen finden sich überwiegend nur subfebrile Temperaturen (Kasper 2015).
- Müdigkeit
- Myalgien
- Arthralgien (Füssle 2002)
- klinische Zeichen einer Herzinsuffizienz wie z. B.:
- Dyspnoe
- Ödeme (Erdmann 2009)
- Gewichtsabnahme
- Anämie (Füssle 2001)
- Nachtschweiß (Angstwurm 2014)
Lediglich bei ca. 20 % der Patienten finden sich spezifische Symptome in Form eines neu aufgetretenen Herzgeräusches, Hauterscheinungen in Form von Roths Spots (werden in bis zu 80 % der Patienten mit E. lenta nachgewiesen (Ruddy 2022), Splinter Hämorrhagien, Osler Knötchen (Knirsch 2014) und Embolien in Gehirn, Milz, Lunge, Nieren (Füssle 2002).
Diagnostik
Die Diagnose einer Endokarditis lenta erfolgt wegen des wochen- bzw. monatelangen Verlaufs mitunter erst relativ spät, es sei denn, es kommt zum Auftreten von größeren embolischen Ereignissen (Vilcant 2022).
Laut ESC- Leitlinie erfolgt die Diagnose nach den vereinfachten und modifizierten Duke- Kriterien.
Hauptkriterien sind:
1. Blutkultur positiv für IE:
- 1. a. Typische Erreger in mindestens 2 separaten Blutkulturen wie z. B.
- Streptococcus bovis, Staphylococcus viridans oder HACEK- Gruppe
oder
- Staphylococcus aureus „community- acquired“
oder
- Enterokokken ohne primären Fokus (Knirsch 2022)
oder
- 1. b. mit IE vereinbare Erreger in mehreren positiven Blutkulturen:
- im Abstand von > 12 Stunden in mindestens 2 Blutkulturen
- oder
- unabhängig vom Abstand in 3 oder der Mehrheit von ≥ 4 Blutkulturen
- oder
- 1. c. eine einzelne Kultur mit Coxiella burnetii positiv oder eine Erhöhung des Phase I IgG Antikörpertiters auf > 1 : 800 (Knirsch 2022)
2. Positive Bildgebung für IE:
- 2. a. Echokardiographische Nachweise von:
- Klappenperforation oder Aneurysma
- Vegetation
- neue aufgetretene Dehiszenz an einer Prothesenklappe
- Pseudoaneurysma, intrakardiale Fistel, Abszess (Knirsch 2022)
oder
- 2. b. F- FDG PET / CT oder SPECT / CT:
- in Position einer Prothesenklappe bei Z. n. Implantation > 3 Monate findet sich eine abnormale Aktivität (Knirsch 2022)
oder
- 2. c. Kardiale Computertomographie:
- Nachweis einer paravalvulären Läsion (Knirsch 2022)
Nebenkriterien sind:
- 3. a. Prädispositionen wie z. B. Z. n. IE, anamnestisch bekannter Herzfehler, i. v. Drogenabusus etc. (Knirsch 2022)
- 3. b. > 38 Grad C Fieber (Knirsch 2022)
- 3. c. Vaskuläre Phänomene (inklusive in der Bildgebung erfassten) wie z. B.:
- septische pulmonale Infarkte
- arterielle Embolie
- intrakranielle Blutung
- mykotische Aneurysmen
- Janeway- Läsionen
- konjunktivale Blutung (Knirsch 2022)
- 3. d. Auftreten immunologischer Veränderungen wie z. B.:
- Osler Knötchen
- Glomerulonephritis
- Rheumafaktoren
- Roth Spots (Knirsch 2022)
- 3. e. Mikrobiologischer Nachweis durch:
- positive Blutkulturen, die jedoch nicht die Hauptkriterien erfüllen
oder
- serologischer Nachweis einer aktiven Infektion durch Erreger, die mit einer IE vereinbar sind (Knirsch 2022)
Die Diagnose gilt als gesichert bei Vorliegen von:
- 2 Hauptkriterien
- oder
- 1 Hauptkriterium und 3 Nebenkriterien
- oder
- 5 Nebenkriterien (Knirsch 2022)
oder
- Pathologische Kriterien für das sichere Vorliegen einer EI sind erfüllt wie:
- histologischer Nachweis einer IE
oder
- mikrobiologischer Nachweis einer IE
oder
- histologisches Präparat mit Hinweisen auf eine aktive Endokarditis (Knirsch 2022)
Es besteht eine Verdachtsdiagnose bei:
- 1 Hauptkriterium und 1 Nebenkriterium
- oder
- 3 Nebenkriterien (Knirsch 2022)
Näheres zur Diagnostik s. Duke- Kriterien und Endokarditis, infektiöse
Bildgebung
Die Bildgebung umfasst folgende Untersuchungen:
- Transthorakale Echokardiographie (TTE)
- Transösophageale Echokardiographie (TEE)
- Kardiale Computertomographie
- 4- dimensionale Computertomographie (4D- CT)
- Fluordesoxyglukose- Positronen- Emissions- Tomographie (FDG- PET)
- Leukozytenszintigraphie
Näheres, insbesondere Einzelheiten zu den Untersuchungen s. Endokarditis, infektiöse
Labor
- erhöhte Entzündungsparameter wie z. B. CRP, BSG (eine normale BSG spricht gegen eine infektiöse Entzündung [Herold 2022]), Leukozyten, ebenso eine Infektanämie (Renz- Polster 2008)
- Immunologische Begleitbefunde (Herold 2022)
Der Schwerpunkt der Diagnostik einer E. lenta liegt in der Anzüchtung der Erreger aus Blutkulturen einschließlich der biochemischen Differenzierung (Suerbaum 2012)
Näheres s. a. Endokarditis, infektiöse
Differentialdiagnose
Differentialdiagnostisch kommen alle Erkrankungen in Frage, die eine chronische Entzündung bewirken und / oder Erkrankungen, die eine B- Symptomatik hervorrufen (Angstwurm 2014).
Komplikation(en)
- Zerstörung der betroffenen Herzklappe in Form von Obstruktion bzw. Destruktion (Füssle 2001)
- Arterienembolien in Gehirn, Milz, Lunge, Nieren (Füssle 2002)
- Roth- Flecken
Es handelt sich bei den Roth- Flecken um exsudative, ödematös hämorrhagische Läsionen der Netzhaut (Vilcant 2022).
Therapie allgemein
Die Behandlung der E. lenta besteht neben einer symptomatischen Behandlung in erster Linie aus einer Antibiose.
Symptomatische Therapie
Sie kann je nach Symptomen z. B. bestehen aus:
- antipyretischer Therapie (falls erforderlich)
- antiarrhythmische Therapie
- Schrittmacher- Therapie
- Behandlung der Herzinsuffizienz (Knirsch 2014)
- Behandlung eventuell bestehender Embolien
Eine systemische Antikoagulation wird i. d. R. bei Patienten mit E. lenta nicht empfohlen. Falls der Patient auf Grund bereits bestehender Erkrankungen antikoaguliert wird, sollte eine Umstellung auf Heparin erfolgen, damit ein eventuell erforderlich werdender operativer Eingriff jederzeit möglich ist. Im Falle schwerer Embolien ist eine individuelle Risiko- Nutzen- Abwägung hinsichtlich einer Antikoagulation erforderlich (Knirsch 2014).
S. a. Endokarditis, infektiöse
Interne Therapie
Falls es sich um den am häufigsten vorkommenden Erreger Streptococcus viridans handelt, sollte die Therapie wie folgt durchgeführt werden:
- Benzylpenicillin (Penicillin G) 20 Mio I. E. / d i. v., verteilt auf 3 – 4 Einzeldosen, Therapiedauer 2 – 4 Wochen
- plus
- Gentamicin 3 mg / kg KG / d i. v., verteilt auf 3 Einzeldosen, Therapiedauer 2 – 4 Wochen (Lemmer 2007), der Talspiegel liegt bei < 2,0 mg / l (Knirsch 2014)
Falls es sich um andere Erreger handelt, ist die Therapie unter Berücksichtigung des Resistogramms anzupassen (Braun 2017).
S. a. Endokarditis, infektiöse
Operative Therapie
Die Indikation zu operativen Maßnahmen ist bei einer E. lenta nicht so großzügig zu stellen wie bei einer infektiösen Endokarditis (Braun 2017).
Dringliche OP- Indikationen sind:
- Vegetationen > 10 mm (hierbei steigt das Embolierisiko auf bis zu 60 % an)
- Embolien
- persistierendes Klappenvitium
- hämodynamisch relevantes Klappenvitium
- paravalvulärer Abszess
- AV- Blockierungen (Herold 2022)
S. a. Endokarditis, infektiöse
Verlauf/Prognose
Unbehandelt verläuft eine E. lenta innerhalb von Monaten immer letal (Füssle 2002).
Unter einen entsprechenden frühzeitig einsetzenden Therapie bestimmt der Verlauf der Herzinsuffizienz die Prognose (Bob 2001)
Prophylaxe
Eine Endokarditisprophylaxe sollte bei Patienten mit Herzklappenprothesen bzw. rekonstruierten Klappen vor und nach operativen oder diagnostischen Eingriffen zur Prophylaxe erfolgen (Braun 2017).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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