Strahlensyndrom kutanes

Zuletzt aktualisiert am: 23.08.2024

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Synonym(e)

CRI, Cutaneous radiation syndrome; CRS; Cutaneous radiation injury; Kutanes Strahlensyndrom; LRI; Radiological, nuclear, local radiation injury; Strahlensyndrom kutanes

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Erstbeschreiber

Strahlenschäden an der Haut traten bei Strahlenschutzmitarbeitern bereits in den ersten Tagen der Experimente mit Radioaktivität auf. Röntgen verkündete seine Entdeckung der Röntgenstrahlen im Januar 1896. Becquerel gab im selben Jahr die Entdeckung der Radioaktivität von Uran bekannt.  Grubbé erkannte die zerstörerische Kraft der Röntgenstrahlen und behandelte im Januar 1896, nur 23 Tage nach Röntgens Bericht, eine Frau mit Brustkrebs. Selbst die Nobelpreisträgerin Marie Curie erlitt strahlenbedingte Hautschäden an den Händen, weil sie während ihrer Experimente mit Radiumproben hantierte.  Einige Arten von Hautschäden, wie z. B. Karzinome der Haut, zeigten sich erst 10-30 Jahre später, nachdem die frühen Radiologen ihre Hände bei Durchleuchtungsuntersuchungen exponiert hatten.  

Definition

Mit dem Begriff "Kutanes Strahlungssyndrom (CRS)" werden die Strahlenschäden an Haut und den tieferen Weichteilen bezeichnet. Diese können durch die Absorption von Energie nach akuter oder chronischer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung entstehen und führen zu frühen oder verzögerten Gewebeschäden. Die Schäden sind in der Regel auf einen bestimmten Körperbereich begrenzt (International Atomic Energy Agency 2020). Ihre Intensität, Dauer und Schwere sind dosisabhäng (Gottlöber P et al. 2001). Die Schädigung hängt hauptsächlich vom Volumen des bestrahlten Gewebes, der absorbierten Dosis, der Strahlungsqualität und den inhärenten Faktoren der exponierten Personen (Komorbiditäten bzw. genetische Disposition) ab.

Einteilung

Seit 1993 wird für kutane Manifestationen nach Einwirkung ionisierender Strahlung einheilitch der Begriff „kutanes Strahlensyndrom“ verwendet mit den Stadien:

  • Prodromalerythem
  • Manifestationsstadium
  • Subakutes Stadium
  • Chronisches Stadium. In diesem Stadium ist die Fibrose des kutanen Strahlensyndroms im Gegensatz zu Verbrennungen chronisch progredient.

Radiation Recall: Einige Chemotherapuetika führen zu einer zusätzlichen Sensibilisierung der Haut oder anderer Gewbe gegnüber ionisierenden Strahlen. Radiation Recall bezeichnet eine seltene, aber charakteristische Nebenwirkung einer onkologischen Chemo- oder Immuntherapie.  

 

Ätiologie

Die Auswirkungen einer Radiotherpaie (RT) auf die Haut können auch aufgrund der unterschiedlichen Radioempfindlichkeit der diversen Zellen variieren. So reagieren z. B. Haarfollikel-Stammzellen, Melanozyten und Zellen in der basalen Keratinozytenschicht tendenziell stärker auf die Strahlenbelastung und tragen somit zu weitreichenderen kutanen Konsequenzen bei (Rachidi W et al. 2007).

Das Immunsystem reagiert auf strahlengeschädigte Zellen in einer besonderen Weise: Apoptotische, nicht lebensfähige Zellen setzen Entzündungsmediatoren frei (schädigungsassoziierte molekulare Muster = DAMPs) (Carvalho HA et al. 2018; Schaue D 2017). Es ist bekannt, dass Neutrophile die ersten Entzündungszellen sind, die läsional rekrutiert werden. Ihre Anwesenheit führt zur Freisetzung diverser  Zytokine: Tumor-Nekrose-Faktor alpha (TNF-α), Interleukin 1 (IL-1) und 6 (IL-6)  u.a.. Diese Zytokine sind in der Lage, die Entzündung zu verstärken. Sie werden für die Entstehung der Fibrose verantwortlich gemacht. Attrahierte Monozyten differenzieren sich in der Läsioen in M1- und M2-Makrophagen. M2-Makrophagen sezernieren den transformierenden Wachstumsfaktor beta (TGF-β) , einen der  zentralen Akteure bei der Strahlenfibrose. Die TGF-beta1-Produktion ist unmittelbar nach der Exposition gegenüber ionisierender Strahlung erhöht, die Menge des freigesetzten TGF-beta1 scheint mit der Strahlendosis zu korrelieren und kann über viele Monate hinweg hoch bleiben.

Es gibt 3 verschiedene Isoformen von TGF-beta, TGF-β1, TGF-β2,TGF-β3, wobei TGF-beta1 am häufigsten bei fibroproliferativen Erkrankungen auftritt.  TGF-beta ist ein Protein, das die Fibrogenese regulieren kann, indem es die Proliferation postmitotischer Fibrozyten aus Progenitor-Fibroblasten induziert. Diese Fibrozyten haben die Fähigkeit, Kollagen zu produzieren. TGF-beta kann auch eine übermäßige Ablagerung von extrazellulärer Matrix induzieren, indem es

  • die Gewebsinhibitoren von Metalloproteinasen (TIMPs) hochreguliert
  • und
  • die Aktivität von Matrixmetalloproteinasen (MMP) (MMP-2 und MMP-9) dysreguliert.

Schließlich induziert TGF-beta die Bildung von Kollagen, Fibronektin und Proteoglykanen, indem es zur Differenzierung von Fibroblasten in Myofibroblasten führt. Es ist bekannt, dass diese Sekretion zu einer Erhöhung der Festigkeit und Dicke des Gewebes führt.

Viele Studien haben gezeigt, dass die Konzentrationen von TGF-beta, hauptsächlich TGF-β1, nach Bestrahlung in menschlichen und tierischen Modellen ansteigen, während sie in unbestrahltem Gewebe unverändert bleiben (Pohlers D et al. 2009). Die TGF-β-Spiegel steigen auch mit den zusätzlichen Dosen der RT an (de Andrade CBV et al. 2017). Außerdem haben Patienten mit höheren TGF-β1-Plasmaspiegeln ein höheres Risiko, eine strahleninduzierte Fibrose zu entwickeln. Die erhöhten TGF-β-Spiegel können auch noch Monate und Jahre nach Therapieende nachweisbar sein. Interessanterweise wurde auch bei der Verabreichung von TGF-β an gesunde, nicht bestrahlte Tiere eine Gewebefibrose beobachtet. Wurden die Patienten dagegen mit liposomaler Cu/Zn-Superoxiddismutase behandelt, einem Wirkstoff, der TGF-β herunterreguliert, wurde die strahleninduzierte Fibrose rückgängig gemacht (Lewanski CR et al. 2001).

Die Produktion von TGF-beta1 ist unmittelbar nach Exposition mit ionisierender Strahlung erhöht, die Menge an freigesetztem TGF-beta1 scheint mit der Strahlendosis zu korrelieren und kann über viele Monate erhöht bleiben. Die persistierende chronische Entzündung führt zu einer Überexpression von Interleukin-4, Interleukin-13 (T-Helfer-2-Zytokine) und des Wachstumsfaktors PDGF, was eine lang anhaltende Präsenz von Myofibroblasten im verletzten Gewebe ermöglicht. Die Folge ist eine schlechte Wundheilung bei verminderter lokaler Gefäßversorgung sowie eine überschießende (nicht produktive) Fibrose mit übermäßiger Ablagerung von Kollagen, Fibronektin und Hyaluronsäure im vorbestrahlten subdermalen Gewebe. Das daraus resultierende fibrotische und vaskularisierte Gewebe ist funktionell minderwertig und ganz allgemein anfällig für Wundheilungsstörungen.

Klinisches Bild

Im Gegensatz zu Verbrennungen entwickeln sich LRI (local radiation injury) und CRI (cutaneous radiation injury) über einen längeren Zeitraum und beinhalten Perioden der Latenz, die von aktiven Entzündungen unterbrochen werden. Kutane Strahlenverletzungen heilen langsam (nicht vergleichbar zu thermischen Verletzungen), die Festigkeit der geschlossenen Wunde ist geringer und die mit der Verletzung verbundenen Schmerzen sind meist deutlich stärker (Jose de Lima Valverde N et al. 2010). Bei äquivalenten Strahlungsdosen ist die Topographie ein entscheidender Faktor für die Schwere und Schnelligkeit des Auftretens manifester Strahlensymptome, wobei Gesicht, Brust und Hals (Bereiche mit relativ dünner Haut) früher und mit schwereren Verletzungen reagieren als Körperregionen mit dickerer Haut, wie Handflächen und Fußsohlen (Centers for Disease Control and Prevention 2021).

Bei der Bewertung des Schweregrads der CRI ist die Energie der Strahlung, der die Haut ausgesetzt war die wichtigste Größe. Die klinischen Anzeichen einer Strahlenschädigung variieren je nach Dosis und Dauer der Exposition, zeigen sich aber im Allgemeinen auf verschiedene, genau definierte Reaktionen, die über die Zeit verteilt sein können. Dazu gehören:

  • Erythem (Rötung, ähnlich wie bei einem Sonnenbrand)
  • Alopezie (Haarausfall aufgrund von Follikelschäden)
  • Trockene Abschuppung der Haut
  • Feuchte Abschuppung der Haut (gekennzeichnet durch Nässen/Flüssigkeitsverlust)
  • Lokale Ödeme (Anschwellen der Region, in der sich der CRI befindet)
  • Hyperpigmentierung
  • Atrophie der Haut
  • Gefäßschäden mit Rarefizierung von Gefäßen
  • Lokale Telangiektasien
  • Lokale Fibrose
  • Ulzeration
  • Nekrose

Bei hoher Strahlendosis können in einigen Fällen auch andere, nicht epitheliale Gewebe, wie das darunter liegende Fett- und Muskelgewebe, geschädigt werden. Diese Komplikation kann zu einer noch schlechteren Prognose für den Patienten führen, was die Heilung und die langfristigen Aussichten angeht.Lokalisationsspezifische Besonderheiten:

  • Gesicht: Hierbei ist besonders an die Mitbeteiligung der Augen (Gefahr des Strahlenkataraktes) und der Mund- und Nasenschleimhäute (radiogene Mukositis) zu denken
  • Männliche Genitalien: Gefahr der temporären oder permanenten Infertilität (Kontrolle des FSH-Spiegels; frühzeitige Kryokonservierung der Spermien).

Patienten können innerhalb weniger Stunden nach der Bestrahlung primäre oder vorübergehende Erytheme auf der Haut entwickeln, die mit Veränderungen der Gefäßpermeabilität zusammenhängen. Der Zeitpunkt des Auftretens eines vorübergehenden Erythems hat einen prognostischen Wert. Frühe Manifestationen nach der Exposition mit ionisierender Strahlung deuten auf höhere absorbierte Dosen im Gewebe hin. Dementsprechend dient der Schweregrad als Dosisindikator. Schwerere klinische Manifestationen werden in den folgenden Tagen oder Wochen beobachtet.

Bei den in Knochen und Skelettmuskeln beobachteten Strahlenwirkungen handelt es sich überwiegend um Spätfolgen, die Monate bis Jahre nach der Strahlenbelastung auftreten (International Commission on Radiological Protection 2012). Radioinduzierte Rhabdomyolyse und Osteonekrose sind zu erwarten, wenn die absorbierten Dosen für Muskeln und Knochen höher als ~40 Gy sind. CRI/LRI können mehrere Monate bis Jahre nach der Strahlenexposition in Form von Rezidiven fortbestehen (strahleninduzierte Osteonekrose ist mit schweren chronischen Rezidiven von CRI/LRI verbunden) (International Atomic Energy Agency 2018). Das Hauptmerkmal der CRI/LRI ist ihre dynamische Entwicklung, wobei die klinischen Manifestationen selbst mehrere Jahre nach der ersten Exposition unvorhersehbar fortschreiten.

Hinweis(e)

Tschernobyl: Charakteristische kutane Folgeerscheinungen sowie die damit verbundenen klinischen Symptome und Erkrankungen von 15 Überlebenden des Tschernobyl-Unfalls mit schwerer lokaler Exposition wurden zwischen 1991 und 2000 von versch. Gruppen systematisch nachverfolgt. Alle Patienten wiesen ein kutanes Strahlungssyndrom (Cutaneous radiation syndrome/CRS) unterschiedlichen Schweregrades auf, mit Xerose, kutanen Teleangiektasien und subungualen Splitterblutungen, Hämangiomen und Lymphangiomen, epidermaler Atrophie, disseminierten Keratosen, ausgedehnter dermaler und subkutaner Fibrose mit partiellen Ulzerationen sowie Pigmentveränderungen einschließlich Strahlenlentigo auf. Andere strahlenbedingte Erkrankungen wie das Syndrom des trockenen Auges (3/15), Strahlenkatarakt (5/15), Xerostomie (4/15) und erhöhte FSH-Werte (7/15), die auf eine Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit hinweisen, wurden ebenfalls dokumentiert (Iddins CJ et al. 2022).

Literatur

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  3. Centers for Disease Control and Prevention (2021). Cutaneous radiation injury (CRI): A fact sheet for clinicians. In: https://www.cdc.gov/nceh/radiation/emergencies/pdf/cri.pdf (ed), 2021.
  4. de Andrade CBV et al. (2017) Radiotherapy-induced skin reactions induce fibrosis mediated by TGF-β1 cytokine Dose Response 15:1559325817705019.
  5. Gordon S et al. (2010) Alternative activation of macrophages: mechanism and functions. Immunity 32:593-604.
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  7. Iddins CJ et al. (2022) Cutaneous and local radiation injuries. J Radiol Prot 42:10.1088/1361-6498/ac241a.
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  10. International Commission on Radiological Protection (2012). ICRP Statement on Tissue Reactions / Early and Late Effects of Radiation in Normal Tissues and Organs – Threshold Doses for Tissue Reactions in a Radiation Protection Context. In: ICRP (ed). ICRP Publication 118, 2012.
  11. Jose de Lima Valverde N et al. (2010) An update on three radiation accidents in South America Health Phys 98:868–871.
  12. Lewanski CR et al. (2001) Radiotherapy and cellular signalling. Lancet Oncol 2:366-370
  13. Messerschmidt O et al. (1970) Radiation sickness combined with burn. Report SM-119/34. Vienna: International Atomic Energy Agency, 1970.
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