Anhidrotische ektodermale Dysplasie Q82.4

Autoren:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Anhidrosis congenita; Anhidrosis hypotrichotica; Anhidrotische ektodermale Dysplasie; Christ-Siemens-Syndrom; Christ-Siemens-Touraine-Syndrom; Dysplasie ektodermale geschlechtsgebundene Form; Dysplasie ektodermale kongenitale; Dysplasie hypohidrotische ektodermale; Ectodermal Dysplasia 1; ektodermale Dysplasie; ektodermale kongenitale Dysplasie; geschlechtsgebundene Form; Guilford-Syndrom; HED; hypohidrotische ektodermale Dysplasie; Jacquetsches Syndrom; Polydysplasie ectodermique

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Erstbeschreiber

Darwin, 1875; Christ, 1913; Touraine, 1936; Siemens, 1937

Definition

Gruppe genetisch unterschiedlicher phänotypisch weitgehend identischer hereditärer Krankheitsbilder mit kongenitalen Fehlbildungen von Hautanhangsgebilden (Haare, Schweißdrüsen, Talgdrüsen), Speicheldrüsen, Zähnen und Nasenknorpel, verminderter zellulärer Immunität bei normaler Intelligenz.

Der Christ-Siemens-Typ ist die häufigste Form der ektodermalen Dysplasien.

Ätiopathogenese

Die an(hypo)hidrotische ektodermale Dysplasie ist eine genetische Erkrankung, die durch Mutationen in einem von mehreren Genen verursacht werden kann.

Dazu gehören:

Mutationen im EDA-Gen sind die häufigste Ursache für diese Erkrankung, die mehr als die Hälfte aller Fälle ausmacht.  Das EDA-Gen kodiert Ectodysplasin-A, ein Protein aus der Familie der Tumornekrosefaktor-α Liganden. EDAR-, EDARADD- und WNT10A-Genmutationen sind jeweils für einen kleineren Prozentsatz der Fälle verantwortlich. Bei etwa 10% der Menschen mit hypohidrotischer ektodermaler Dysplasie ist die genetische Ursache unbekannt.

Die EDA-, EDAR- und EDARADD-Gene kodieren Proteine, die während der Embryonalentwicklung zusammenarbeiten. Diese Proteine sind Teil eines Signalweges, der für die Interaktion zwischen zwei Zellschichten, dem Ektoderm und dem Mesoderm, entscheidend ist. Im frühen Embryo bilden diese Zellschichten die Grundlage für viele der Organe und Gewebe des Körpers. Die Wechselwirkungen zwischen Ektoderm und Mesoderm sind wesentlich für die Bildung verschiedener Strukturen, die aus dem Ektoderm hervorgehen, darunter Haut, Haare, Nägel, Zähne und Schweißdrüsen.

Mutationen im EDA-, EDAR- oder EDARADD-Gen verhindern normale Interaktionen zwischen dem Ektoderm und dem Mesoderm, was die normale Entwicklung von Haut, Haaren, Nägeln, Zähnen und Schweißdrüsen beeinträchtigt. Mutationen in einem dieser drei Gene führen zu den wichtigsten Anzeichen und Symptomen der oben beschriebenen hypohidrotischen ektodermalen Dysplasie.

Das WNT10A-Gen kodiert ein Proteins, das Teil eines anderen Signalwegs ist (Wnt-Signalweg). Der Wnt-Signalweg steuert die Aktivität bestimmter Gene und reguliert die Interaktionen zwischen den Zellen während der Embryonalentwicklung. Der Signalweg, an dem das WNT10A-Protein beteiligt ist, ist entscheidend für die Entwicklung der ektodermalen Strukturen, insbesondere der Zähne. Die WNT10A-Genmutationen, die die hypohidrotische ektodermale Dysplasie verursachen, beeinträchtigen die Funktion des Proteins, wodurch die Entwicklung der Zähne und anderer Strukturen, die aus der ektodermalen Zellschicht entstehen, gestört wird.

Wenn die hypohidrotische ektodermale Dysplasie durch Mutationen im WNT10A-Gen verursacht wird, sind die Merkmale variabler als bei Mutationen im EDA-, EDAR- oder EDARADD-Gen. Die Anzeichen und Symptome reichen von leicht bis schwer, und Mutationen im WNT10A-Gen führen mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Fehlen aller bleibenden (erwachsenen) Zähne.

Clarke et al. (1987) führten eine Linkage-Studie an 24 Familien mit an(hypo)hidrotischer ektodermaler Dysplasie durch. Sie kamen zu dem Schluss, dass der HED-Locus in der zentromerischen Region zwischen DXYS1 auf dem langen Arm und DXS14 auf dem kurzen Arm liegt, wahrscheinlich auf dem proximalen Xq. Die Autoren stellten fest, dass EDA eng mit PGK1 (311800) verbunden ist. Zonana et al. (1988) erweiterten ihre frühere Studie zur Kopplung, indem sie 36 Familien mit Hilfe von 10 DNA-Sonden an 9 Marker-Loci analysierten. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Störung in der Region Xq11-q21.1, wahrscheinlich Xq12-q13, lokalisiert ist. Diese Zuordnung konnte später bestätigt werden.Inzwischen sind über > 60 Mutationen des EDA-Gens beschrieben worden.

 

Manifestation

Ab Geburt. Die volle Ausprägung der Erkrankung zeigt sich i.d.R. nur beim männlichen Geschlecht.

Klinisches Bild

Generalisierte Hypotrichose: Spärliches Kopfhaar, Fehlen der Augenbrauen und Wimpern sowie der Achsel- und Pubesbehaarung. Hypohidrose bis Anhidrose, demzufolge Hitzeintoleranz. Neigung zur Ekzematisation durch verminderte Talgsekretion, ichthyosiforme Hautbeschaffenheit (Ichthyosis). Gehäuft dünne, brüchige, gerillte Nägel. Anodontie bzw. Hypodontie (fehlende oder konisch-hypoplastische Zähne). Flacher Nasenrücken, wulstige Lippen, Olympierstirn. Möglich sind Augenstörungen, neurolabyrinthäre Störungen, Ozaena, Hypo- und Dysmastien. Geistige und sonstige körperliche Entwicklung normal.

Sondertyp: Verbunden mit Follikel- und Palmoplantarkeratosen und zentrofazialer Lentiginose. Tendenz zu Mittelohrentzündungen und chronischen Rhinitiden und Bronchitiden. Weibliche Konduktorinnen zeigen arealweise fehlende Schweißdrüsen und gelegentlich eine Hypoplasie der Mamillen und Reduktion von Zahnanlagen. Selten verminderte Intelligenz, evtl. bedingt durch Hyperthermie in der Kindheit.

Diagnose

Pränatale Diagnose hemizygoter männlicher Feten entweder auf die gleiche Weise (ab 10. Schwangerschaftswoche durch Chorionbiopsie) oder durch Nachweis des Fehlens der Schweißdrüsen in der fetalen Haut nach fetoskopischer Biopsie. Außerdem meist milde Zahnanomalien bei Konduktorinnen, die auch im Schweißtest erkannt werden können.

Differentialdiagnose

Therapie

Symptomatisch. Wichtig ist die Abklärung der Begleitsymptomatik (z.B. Augen). Meiden extremer Temperaturen und exsikkierender Maßnahmen wie langes und warmes Duschen, heiße Bäder u.ä.

Blande Pflege mit fettenden Externa.

Bei ausgepägter Anhidrose können zu fette Salben als unangenehm empfunden werden. Hier bewähren sich Cremes wie Ungt. emulsif. aq., 2-10% Harnstoff-haltige Cremes R102 bzw. -Salben (z.B. Basodexan S Salbe, Eucerin 5% Urea Creme). Zahnärztliche Überwachung.

Hinweis(e)

Bei einer Zweitschwangerschaft liegt das Risiko für einen männlichen Foetus an einer anhidrotischen ektodermalen Dysplasie zu erkranken bei 50%.

Hinweis(e)

Bei der an(hypo)hidrotischen ektodermalen Dysplasie gibt es mehrere unterschiedliche Vererbungsmuster.

Die meisten Fälle werden nach dem X-chromosomalen Muster vererbt und durch Mutationen im EDA-Gen verursacht. Bei Frauen, die über zwei Kopien des X-Chromosoms verfügen, führt eine veränderte Kopie des Gens in jeder Zelle oft zu weniger schweren Ausprägungen der Erkrankung. Zu den Anzeichen und Symptomen können einige fehlende oder abnorme Zähne, schütteres Haar und leichte Probleme mit der Schweißdrüsenfunktion gehören.

Seltener wird die hypohidrotische ektodermale Dysplasie autosomal dominant oder autosomal rezessiv vererbt. Mutationen im EDAR-, EDARADD- oder WNT10A-Gen können entweder eine autosomal dominante oder autosomal rezessive an(hypo)hidrotische ektodermale Dysplasie verursachen. Bei autosomal-dominantem Erbgang reicht eine Kopie des veränderten Gens in jeder Zelle aus, um die Störung zu verursachen. Einige Betroffene erben die Mutation von einem betroffenen Elternteil. Andere Fälle entstehen durch neue Mutationen im Gen und treten bei Menschen auf, in deren Familie die Krankheit nicht vorkommt.

Autosomal rezessiver Erbgang bedeutet, dass beide Kopien des Gens in jeder Zelle Mutationen aufweisen. Die Eltern einer Person mit einer autosomal rezessiven Erkrankung tragen jeweils eine Kopie des mutierten Gens. Einige Mutationsträger weisen milde Anzeichen und Symptome der hypohidrotischen ektodermalen Dysplasie auf, darunter eine etwas geringere Fähigkeit zu schwitzen und weniger schwere Zahnanomalien.

Literatur

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  16. Zonana J et al. (1987) Prenatal diagnosis of X-linked hypohidrotic ectodermal dysplasia by linkage analysis. Am J Med Genet 35: 132-135.

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