Angioödem hereditäres, Mutation in HS3ST6D81.4
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Bemerkung: Das Wissen über seltene genetische Krankheiten wie das hereditäre Angioödem (HAE) hat sich parallel zur Entwicklung neuer molekularer Werkzeuge weiterentwickelt. Der Mangel an C1-Inhibitor (C1-INH) ist seit den 1960er Jahren als Hauptursache des HAE (HAE-C1-INH) anerkannt. Die Entdeckung des breiten Spektrums an Mutationen, die das C1-INH-Gen (SERPING1) betreffen, war erst ab Ende der 1980er Jahre möglich, als die Sanger-Sequenzierung verfügbar und weltweit leichter zugänglich wurde.
Die Beteiligung anderer Gene am HAE wurde jedoch erst 2006 mit der Beschreibung von Mutationen im F12-Gen bei Patienten mit HAE und normalem C1-INH entdeckt. Die durch die neue Ära der Genomik gewonnenen Erkenntnisse waren entscheidend für die Entdeckung von Mutationen in weiteren Genen, die das Verständnis für die komplexe Pathogenese dieses phänotypisch weitgehend identischen Krankheitsbildes verbessert bzw. erklärbar macht. In den letzten drei Jahren ermöglichten fortschrittliche Sequenzierungstechniken der nächsten Generation die Identifizierung von Mutationen in fünf weiteren neuen Genen, die mit hereditären Angioödemvarianten mit normalem C1-INH (nC1-INH-HAE) in Verbindung gebracht werden konnten: ANGPT1 (Angiopoietin-1), PLG (Plasminogen), KNG1 (Kininogen), MYOF (Myoferlin) und HS3ST6 (Heparansulfat-Glucosamin-3-O-Sulfotransferase 6).
Definition
Das hereditäre Angioödem-8 (HAE8) ist eine autosomal-dominante Erkrankung, die klinisch durch wiederkehrende und selbstbegrenzte Episoden lokalisierter Ödeme in verschiedenen Organen, einschließlich Gesicht, Zunge, Kehlkopf und Extremitäten, gekennzeichnet ist. In seltenen Fällen kann die Schwellung der Zunge oder des Kehlkopfes zu einer Obstruktion der Atemwege führen. Es kann auch zu Unterleibsattacken kommen, die sich in Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall äußern. Die Erkrankung resultiert aus einer erhöhten Gefäßdurchlässigkeit (Bork et al. 2021).
Ätiopathogenese
Ursächlich ist eine "Missense-Mutation" im HS3ST6-Gen (T144S; 619210.0001)
Manifestation
2 und 3. Lebensdekade (12-20 Jahre)
Fallbericht(e)
Bork et al. (2021) berichteten über 4 Frauen in einer Mehrgenerationenfamilie, die zwischen 12 und 20 Jahren ein HAE entwickelten. Sie litten unter episodischen Schwellungen, in der Regel im Gesicht und an den Lippen, manchmal auch an Kehlkopf- und Zungenschwellungen. Die Patienten hatten auch abdominelle Attacken mit schmerzhaften Krämpfen, Erbrechen und Durchfall. Nachweislich bei zwei Patienten war eine Provokation des Angioödems durch Östrogen. Weitere Auslösefaktoren waren Zahnbehandlungen, Zungenbisse und Gartenarbeit. Eine Patientin berichtete über 5 Spontanaborte.
Bei drei betroffenen Frauen aus einer Mehrgenerationenfamilie mit HAE8 identifizierten Bork et al. (2021) eine heterozygote Missense-Mutation im HS3ST6-Gen (T144S; 619210.0001). Die Mutation wurde durch Ganz-Exom-Sequenzierung gefunden und durch Sanger-Sequenzierung bestätigt. Unter Hinweis auf die Rolle dieses Gens bei der substratspezifische O-Sulfatierung von nicht gerinnungshemmendes Heparansulfat in gerinnungshemmendes Heparansulfat vermuteten die Autoren, dass die Mutation die Bindung des Kallikrein-Vorläufers an der Zelloberfläche oder seine Internalisierung durch Endozytose beeinträchtigen könnte, was zu einer verstärkten Spaltung, einer Überproduktion von Bradykinin und einer erhöhten Gefäßpermeabilität führt. Damit wäre das Terrain für die Ausbildung eines Angioödems geschaffen.
Literatur
- Bork K et al. (2021) Novel hereditary angioedema linked with a heparan sulfate 3-O-sulfotransferase 6 gene mutation. J Allergy Clin Immun 148: 1041-1048.
- Farkas H et al. (2021) Screening for Plasminogen Mutations in Hereditary Angioedema Patients. Genes (Basel) 12: 402.