Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es: Gedanken zur Berufsdermatologie.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, kürzlich telefonierte ich mit einem dermatologischen Kollegen, Herrn Dr. med. Ingo Schindera, den ich noch aus meiner Zeit als Assistenzarzt an der Universität des Saarlandes kenne...
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
kürzlich telefonierte ich mit einem dermatologischen Kollegen, Herrn Dr. med. Ingo Schindera, den ich noch aus meiner Zeit als Assistenzarzt an der Universität des Saarlandes kenne. Nach seiner dermatologischen Ausbildung an der Universität des Saarlandes verschlug es ihn zunächst nach Saarbrücken, später nach Völklingen ins tiefste Saarland, nicht weit entfernt von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht.
In der Berufsdermatologie hat der Name Schindera immer noch einen guten Klang. Und so drehte sich unser Gespräch schnell um diesen wichtigen Zweig der Dermatologie. Da ich derzeit das Kapitel „Berufskrankheiten“ für Altmeyers Enzyklopädie bearbeite und einige Fragen an den Experten hatte, war ich mehr als interessiert. Es ging grundsätzlich um den Stellenwert der BK 5101 und um die Frage, inwieweit auch die BK 3102 für den Dermatologen von Bedeutung ist.
Zur Erklärung: Bei der BK 5101 geht es vor allem um beruflich bedingte Handekzeme. Bei den Berufskrankheiten nach BK 3102 handelt es sich um Zoonosen, also um Infektionen bei Menschen, bei denen ein berufsbedingtes Infektionsrisiko besteht. Dieses besteht in der Regel bei Personen, die beruflich mit der Haltung und Pflege von Tieren befasst sind. Betroffen ist beispielsweise landwirtschaftliches und veterinärmedizinisches Personal. Borreliose kann in diesem Zusammenhang ein Thema sein. Dazu werde ich mich im nächsten „Brief an meine Kollegen“ äußern.
Wenn Experten der Berufsdermatologie wie im folgenden Editorial vor dem Niedergang der Berufsdermatologie mit drastischen Worten warnen, dann ist es höchste Zeit nachzufragen.
Hier nun mein Gespräch mit Herrn Dr. Ingo Schindera:
Peter Altmeyer: In der italienischen Diaspora bin ich zwar weit weg vom Tagesgeschehen. Dennoch habe ich seit einiger Zeit den Eindruck, dass die Berufsdermatologie im Alltag des praktizierenden Arztes hinsichtlich ihrer Bedeutung auf dem Rückzug ist. Dies kommt ja auch in der Überschrift des oben genannten Editorials zum Ausdruck.
Ingo Schindera: Dieser Eindruck, der sich offensichtlich bis ins ferne Oberitalien verbreitet hat, täuscht nicht. Ein Bedeutungsverlust ist offensichtlich, obwohl ich der Meinung bin, dass der dermatologische Befund wie auch die Tests und andere Leistungen durchaus gut bezahlt werden. Tatsache ist, dass der Bericht zu kompliziert, zu zeitaufwendig ist. Viele Kolleginnen und Kollegen verzichten einfach darauf, legen das Ungeliebte beiseite. Da schmort es dann auf dem Stapel: Unerledigtes.
Unterbrechen wir das Gespräch für einen kurzen Einschub: Was ist überhaupt eine Berufskrankheit. Hier die Definition:
Eine Berufskrankheit ist nach der Definition in § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII „eine Krankheit, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheit bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden“.
Altmeyer: Allerdings ist nicht jede Erkrankung, die im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit auftritt, eine Berufskrankheit.
Schindera: Als Berufskrankheiten können nach dieser Definition nur solche Erkrankungen anerkannt werden, die die Voraussetzungen einer der in der Anlage I zur Berufskrankheitenverordnung, der Berufskrankheitenliste, aufgeführten Berufskrankheitentatbestände erfüllen. Das heißt: Als entschädigungspflichtige Berufskrankheiten können nur solche Erkrankungen anerkannt werden, die in der Berufskrankheitenliste ausdrücklich aufgeführt sind.
Altmeyer: Selbstverständlich kann die Liste der Berufskrankheiten in Altmeyers Enzyklopädie unter diesem Stichwort nachgelesen werden. Aber wer kümmert sich eigentlich im Alltag um die Berufskrankheiten?
Schindera: Bei Verdacht auf eine berufsbedingte Hauterkrankung ist schon der Hausarzt, aber auch jeder andere Arzt, verpflichtet, den Patienten zum Hautarzt zu schicken. Diese Überweisung wird vom Unfallversicherungsträger bezahlt. Der Dermatologe veranlasst, was notwendig wird.
Altmeyer: Wer meldet an die Versicherungsträger?
Schindera: Nur Dermatologen, Arbeitsmediziner und Betriebsärzte erstellen einen Hautarztbericht im Verdachtsfall. In der aktuellen Version (das Formular kann im Internet heruntergeladen werden) dokumentieren die oben genannten Ärzte nicht nur die berufsbedingten Hautschäden, sondern machen gleichzeitig konkrete Vorschläge zur Intervention. Der höhere Zeitaufwand für das Ausfüllen und die ausführlicheren Beratungen werden honoriert. All dies ist seit Jahrzehnten bewährte Praxis. Aber darum geht es hier nicht.
Altmeyer: Wo liegt denn das eigentliche Problem? Dermatosen gelten doch immer noch als sehr häufige Berufskrankheiten.
Schindera: Richtig. Sieht man einmal von dem Sonderfall der COVID-bedingten Berufskrankheiten ab, haben die Berufsdermatosen einen herausragenden Stellenwert. Und noch eine Anmerkung: Sie verursachen enorme Kosten. Die volkswirtschaftliche Belastung durch direkte (Therapie/Berufshilfe) und indirekte Kosten (Arbeitsunfähigkeit/Produktivitätsausfall) beläuft sich auf mehrere Milliarden Euro pro Jahr.
Leider hat das Interesse an der „Berufsdermatologie“ in der Vergangenheit immer mehr abgenommen. Dieses so wichtige Gebiet ist zu einer „Spielwiese“ einiger weniger Enthusiasten geworden. Seit Jahren empfehle ich dringend, den Hautarztbericht zu vereinfachen. Die digitale Übermittlung dürfte ein Weckruf sein. Das mangelnde Interesse an der Berufsdermatologie hat auch einen großen Nachteil für den dermatologischen Patienten.
Denn nach der BG-Meldung eines Patienten und dem nach § 3 BKV erteilten Behandlungsauftrag kann der Dermatologe mit allen geeigneten Mitteln, also vom Handschuh über Hautreinigung, Hautpflege bis zum teuersten Calcineurininhibitor alles verordnen. Einen Regress muss er nicht fürchten. Eigentlich paradiesische Zustände für eine kostengeplagte dermatologische Praxis.
Nach BG-Meldung und erteilten Behandlungsauftrag kann der Dermatologe mit allen geeigneten Mitteln verordnen und behandeln. Einen Regress muss er nicht fürchten.
Altmeyer: Trotzdem habe ich Hinweise gefunden, dass die Verdachtsanzeigen auf Berufsdermatosen nach Ziffer 5101 bei den zuständigen Unfallversicherungsträgern kontinuierlich zurückgehen. Ist das nicht ein deutliches Stimmungsbarometer der Ärzte?
Schindera: Ich kann das nur bestätigen und habe auch einige Zahlen, die diesen Trend deutlich belegen: Für das Jahr 2019 weist die Statistik 19.883 BK-Anzeigen aus, für 2020 18.345, für 2021 17.271 und für 2022 14.873. Das ist ein Rückgang von 25,2 Prozent innerhalb drei Jahren. Man könnte vermuten, dass dieser Trend von COVID getrieben ist. Kolleginnen und Kollegen, die das arbeitsmedizinische Geschehen aufmerksam verfolgen, vermuten jedoch, dass der drastische Rückgang der BK-5101-Meldungen keine COVID-bedingte Eintagsfliege war, sondern einen langfristigen Trend darstellt, zumal die hautbelastenden Arbeitsplätze nicht weniger geworden sind (Elsner P et al. 2023). Ich vermute, dass auch die abnehmende Hautarztdichte, vor allem in ländlichen Gebieten, eine Rolle spielt. Möglicherweise spielt auch der Trend eine Rolle, dass jüngere Hautärzte häufig nicht mehr in Vollzeit arbeiten. Vor Jahren noch undenkbar: Hautarztsitze bleiben unbesetzt.
Altmeyer: Ein Desinteresse an der Berufsdermatologie habe ich auch in unseren Lehrbüchern festgestellt. Dieses Desinteresse zeigt sich zum Beispiel eklatant in einem deutschen dermatologischen Standardwerk von circa 2100 Seiten. Hier nimmt die Berufsdermatologie (ohne Literaturverzeichnis) magere neun Seiten ein, das sind nicht einmal 0,5 Prozent. Demgegenüber wird der Ästhetischen Medizin locker ein fast dreifaches Platzkontingent eingeräumt. Ich schätze auf eine Tendenz zur Ausweitung in der nächsten Auflage, wenn sie denn kommt. Tempora mutantur.
Schindera: Zur Berufsdermatologie fällt mir ein Satz von Erich Kästner ein: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Altmeyer: Hier muss ich eingreifen. Dieses klassische Zitat ist etwas falsch wiedergegeben. Im Original heißt es: Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.
Schindera: Ich musste etwas länger über diesen Einwand nachdenken. Tatsächlich verändert der Doppelpunkt zwischen den beiden Sätzen den Sinn dieses Aphorismus. Er verstärkt die erste Aussage: Es gibt nichts Gutes! Angesichts der heutigen Weltlage, die wie es scheint, von der toxischen Männlichkeit der Machthabenden getrieben wird, ist man geneigt, dem zuzustimmen. Die zweite Aussage ist ein Appell an jeden einzelnen.
Altmeyer: Ich bin mir bewusst, dass wir mit dem Grundton, den wir angeschlagen haben, kaum diejenigen erreichen werden, die sich der „Kosmetik“ verschrieben haben. Nein, an den von den Medien bevorzugten Schönen, den Botox-gestrafften Dauerlächlern wird diese Botschaft abperlen. In diesem medialen Getöse ist mit echter Dermatologie kein Blumentopf zu gewinnen. Wir hingegen wollen die vielen, „dermatologischen Kanalarbeiter“ erreichen, die unverdrossen und oft leider schlecht bezahlt die „Dermatologie pur“ leben, um nicht zu sagen abarbeiten.
Erneut ein kurzer Einschub. An diese ärztliche Kerntruppe appelliere ich:
Schieben Sie die Berufskrankheiten nicht auf die lange Bank. Dieser dermatologische Zweig ist und bleibt wichtig. Geben Sie ihm weiterhin Ihre engagierte Stimme.
Mit diesem Appell möchten wir das Interesse an berufsdermatologischen Themen wieder wecken. Vor allem sind auch die hausärztlichen und internistischen Kollegen aufgerufen, bei Verdacht auf eine Berufsdermatose den Hautarzt zu kontaktieren, damit die zentrale Plattform für die Interaktion zwischen Arzt und Unfallversicherungsträger, das Hautarztverfahren, genutzt werden kann. Mit diesem Instrumentarium können die notwendigen diagnostischen, akut-therapeutischen und präventiven Maßnahmen ganz im Sinne des Patienten eingeleitet werden.
Wir verbleiben mit aufmunternden und berufsdermatologischen Grüßen.
Ihre
Peter Altmeyer &
Ingo Schindera
Gerne beantworten wir Ihre Rückfragen. Schicken Sie mir Ihre Anfragen an [email protected]