31.01.2019

Wer hat Angst vor der Behandlung des Lichen sclerosus vulvae?

In diesem Monat berichte ich über die Autoimmunerkrankung der Vulva namens Lichen sclerosus (LS). Sie ist weiter verbreitet, als Mancher von uns denkt, und wird nicht immer offen von den betroffenen Patientinnen angesprochen. Durch meine Erfahrungen als Arzt hat sich auch der Eindruck verdichtet, dass sich leider, weder die Gynäkologie noch die Dermatologie engagiert genug dieser folgenschweren Erkrankung des Intimbereiches der Frau widmen. Dabei bedürfen gerade diese Patientinnen, die durch ihre Erkrankung häufig in ihrer Weiblichkeit eingeschränkt sind und einen hohen Leidensdruck entwickeln, einer sensiblen, vertrauensvollen und kompetenten ärztlichen Fürsorge.

Wer hat Angst vor der Behandlung des Lichen sclerosus vulvae?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich hoffe, für Sie alle hat das Jahr gut begonnen und meine nächste Abhandlung weckt ein wenig ihr Interesse. In diesem Monat berichte ich über die Autoimmunerkrankung der Vulva namens Lichen sclerosus (LS). Sie ist weiter verbreitet, als Mancher von uns denkt, und wird nicht immer offen von den betroffenen Patientinnen angesprochen.

Durch meine Erfahrungen als Arzt hat sich auch der Eindruck verdichtet, dass sich leider, weder die Gynäkologie noch die Dermatologie engagiert genug dieser folgenschweren Erkrankung des Intimbereiches der Frau widmen. Dabei bedürfen gerade diese Patientinnen, die durch ihre Erkrankung häufig in ihrer Weiblichkeit eingeschränkt sind und einen hohen Leidensdruck entwickeln, einer sensiblen, vertrauensvollen und kompetenten ärztlichen Fürsorge.

Hinzukommt, dass es hier nicht nur um eine wirksame Therapie geht, sondern vor allem auch um ein vom behandelnden Arzt entschlossen vorgetragenes Therapieregime.  Erklären Sie bitte niemals, dass die Erkrankung „nicht heilbar“ sei.

Leider höre ich diesen Satz oft,  viel zu oft. Er löst genau dort weitere seelische Verunsicherungen aus, wo das Gegenteil – und zwar eine seelische Stabilisierung der Patientin- von Nöten wäre. Bei dieser Erkrankung werden häufig sensible und unangenehme Empfindungen von Patientinnenverschwiegen und dann, wenn sie zur Sprache kommen, mitunter vom Behandler in den psychosomatischen Bereich verschoben. Die Folge sind depressive Verstimmungen, die weder der Behandler noch die Patientin in einem erfolgreichen Therapiekonzept bei chronischen Autoimmunerkrankungen gebrauchen können.

Bevor ich jedoch von meinem Therapiekonzept berichte, möchte ich noch einmal auf die Fakten zurückkommen.

Die Ätiologie und die Pathogenese dieser Autoimmunerkrankung ergeben ein erstaunliches „Potpourri“ an Hypothesen. Auf diese, im Einzelnen einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen, außerdem dürfte den meisten von Ihnen die Literatur bekannt oder zumindest zugänglich sein. Unstrittig ergibt sich bei gründlicher Durchsicht, dass hormonellen Einflüssen eine pathogenetische Relevanz zufällt, welche sich erkennbar an den prä-pubertären und post-menopausalen Manifestationsgipfeln und der generellen weiblichen Dominanz beim LS manifestieren.

Da nur ein Bruchteil der Fälle diagnostiziert wird,  kann die Epidemiologie des Lichen sclerosusder Vulva, lediglich mit Schätzzahlen belegt werden. Es wird angenommen, dass die durchschnittliche Prävalenz bei etwa 1% (!) liegt. Bei prä-pubertären Mädchen werden Prävalenzen von 0,1% angegeben, bei > 80-Jährigen von 3%. Vergleiche der Prävalenzen zwischen der deutschen und internationalen Skala, lassen vermuten, dass in Deutschland die Erkrankung aktuell deutlich zu selten diagnostiziert wird.

Es erweist sich als nützlich, eine Einteilung vorzunehmen und den prä-pubertären LS von dem post-pubertären oder adulten LS, der erwachsenen Frau, zu trennen.

Während sich beim prä-pubertären LS an den großen Labien initial wenig indurierte, randlich unscharf begrenzte, glänzend-weiße, nahezu spiegelnde, oberflächenglatte Plaques manifestieren, die zu 80% reversibel sind, verläuft der post-pubertäre LS deutlich anders.

Die Veränderungen beim prä-pubertären LS können auf das Perineum und weiterhin auf die anale Zone übergreifen. Aus dem kreisförmigen Befall von Vulva und Anus resultiert eine typische 8-er Formation. Diese Lichen sclerosus-Herde verursachen glücklicherweise meist keine Beschwerden. Gelegentlich wird leichter Juckreiz angegeben. Nicht selten resultiert die Diagnose LS aus einem Zufallsbefund oder der akkuraten mütterlichen Beobachtung. Bei Kindern mit analem Befall kann als weitere Folge (jedoch eher selten) eine Obstipation eintreten. Hierzu sollten die Mädchen befragt werden. 

Der Verlauf des post-pubertären LS ist erheblich heftiger, eminent chronisch, kann er über Jahre oder gar Jahrzehnte andauern, und führt häufig zu flächigen, Verwachsungen und beengenden, indurierten Vernarbungen, die unter Umständen sehr schmerzhaft sind. Ich unterscheide hier erfahrungsgemäß zwischen folgenden Stadien:

Grad 1: eine oder mehrere, kleinflächige (1-3 cm) umschriebene nicht-indurierte, weitgehend symptomlose weißliche Plaque. Keine wesentliche Atrophie des Oberflächenepithels, GV ohne Beschwerden möglich.

Grad 2: großflächige einer W- oder 8- Figur um Introitus vaginae und Anus folgende, scharf oder unscharf begrenzte, mäßig juckende (v.a. nach mechanischen Irritation), wenig indurierte, weißliche Plaques. Beginnende oder ausgeprägte, pergamentartige Atrophie der Haut (Verschwinden des Oberflächenreliefs) und der Vulvaschleimhaut (kleine Labien, Clitoris). GV leicht schmerzhaft möglich (Dyspareunie).

Grad 3: großflächige, juckende und auch leicht schmerzende, scharf oder unscharf begrenzte weißliche Plaques weißlich glänzenden Oberfläche; deutliche Schrumpfungstendenz der befallenen, Areale;  läsionale Ekchymosen unterschiedlichen Alters (hellrote-bis schwarze Färbungen), beginnende Verklebung/Fusion von kleinen und großen Labien, Dyspareunie.

Grad 4: Spätstadium des LS; Schrumpfungen der gesamten weiß-porzellanartigen, läsionalen Areale mit stumpfen leicht verletzbaren Oberflächen. Rote bis blau-schwarze Ekchymosen unterschiedlichen Alters, großflächige Fusion der großen mit den kleinen Labien. Die kleinen Labien verschwinden komplett und Synecchien drängen die Klitoris zurück. (buried clitoris).

Narbenverläufe in der Vulva können zu einer zirkulären Einengung des Introitus vaginae führen, die den Geschlechtsverkehr zunächst schmerzhaft behindern und schließlich unmöglich machen. Narbige Analstenosen sind eher selten, wogegen der Urinstrahl eher betroffen ist.

Während der kindliche LS eine gute Prognose aufweist und in etwa 80% der Fälle bis zur Pubertät ausheilt, bleibt der adulte LS meist chronisch aktiv und führt zur sklerotischen Atrophie der Vulva, die von manchen Gynäkologen heute immer noch als Kraurosis vulvae bezeichnet wird.

Koinzidente Erkrankungen dieses Formenkreises sind an weitere Autoimmunerkrankungen gekoppelt, wie die der Schilddrüse, des Darmes, der rheumatoiden Arthritis. Auch die Perniziöse Anämie, die Alopecia areata und Diabetes mellitus sollten an dieser Stelle genannt sein.  

Nach der Beschreibung der Stadien möchte ich meine Therapie erläutern

Beim kindlichen LS interveniere ich konservativ abwartend, die Eltern beruhigend. Ich rate zu konsequent pflegenden Maßnahmen mit fetten Salben auf Paraffinbasis. Cremes sollten, da sie meist brennen, absolut vermieden werden. Vom Radfahren und Reitsport rate ich ab. Bei Schwimmbadbesuchen (Chlorgehalt) ist eine vorherige Intimpflege mit fetten Paraffinsalben zu empfehlen.  

Die abwartende Therapie beim adulten LS ist nur dann sinnvoll, wenn bei Grad I des LS weder eine atrophisierende behindernde Sklerosierung vorliegt, noch eine deutliche Progredienz der Erkrankung zu beobachten ist. Diese „wait and see“ Therapie bedarf in jedem Fall einer akkuraten Genitaltoilette. Benutzen eines Bidets nach dem Toilettenbesuch, wie Abtupfen des Intimbereiches mit hochgereinigten Paraffinölen ist anzuraten, Hygienetücher sollten nur verwendet werden, wenn sie keinen Alkohol enthalten und die Vulva nicht durch Zusatzstoffe gereizt wird. Vor jeglichen Sportaktivitäten rate ich durchgängig zur Präventivpflege mit hydrophoben, nicht konservierten und emulgierten Salben, z.B. Vaselinum album oder zum Fertigpräparat Deumavan®-Salbe. Längere Fahrradtouren sind wie alle Druckbelastungen des Intimbereiches, wie durch enge Hosen oder Mieder zu vermeiden. Bei Geschlechtsverkehr sollten Sie die Patientin anleiten, dass beide Partner unbedingt reichlich Paraffin-haltige Gleitsalben benutzen. Die Ernsthaftigkeit dieser pflegenden und intensivierten Intimhygiene sollte sehr eindeutig beratend, ja fast apodiktisch vertreten werden.

Ich betone dies, weil dies bei meinen Patientinnen dazu geführt hat, diese Pflege sehr ernst zu betreiben und dadurch Linderung zu verspüren. 

Bei Beginn der aktiven, und für die Frau wahrnehmbaren Sklerosierung und Atrophie, spreche ich von Grad II und behandle leitliniengerecht mit einer konsequenten topischen Steroidstoßtherapie.

3-Monate lang ist täglich eine hochpotente Glukokortikoid Salbe (z.B. 0,05% Clobetasoldipropionat auf Vaselinum album Basis) konsequent aufzutragen! Die topische Steroidstoßtherapie ist als First-Line-Therapie anzusehen und steht im Konsens mit der Britischen Dermatologischen Gesellschaft. Über weitere 4 Wochen erfolgen die Applikationen dann 2 x wöchentlich. Ergänzende pflegende Lokalmaßnahmen (z.B. Deumavan-Salbe) sind sehr sinnvoll. Nach Beendigung des Therapiezyklus ist eine akkurate Intimhygiene und dauerhafte Pflege mit fetten Paraffinsalben zwingend notwendig. 

Die aktiven Nebenwirkungen von Lokalkortikoiden, -wie Atrophien- spreche ich der Vollständigkeit halber, hierbei immer an. Rezidive der Erkrankung sind mit dem o.g. Zyklus zu behandeln, dieser kann bis zu 4 Mal erfolgen.  

Grad III und Grad IV der Erkrankung. Die Patientinnen leiden in diesem Stadium unter ausgeprägten klinischen Symptomen, wie exzessivem Juckreiz oder Schmerz; eine progressive, u.U. massive sklerosierende, vulväre Atrophie ist zu beobachten. Hier behandele ich zusätzlich zu der beschriebenen Steroidstoßtherapie konsequent mit lokalen Glukokortikoidinjektionen, welche ich fächerförmig und intraläsional ansetze. Eine vorbereitende Lokalbehandlung mit einer Lidocain- bzw. Prilocain-haltigen Creme, z.B. Emla®-Creme ist für die Patientin deutlich erleichternd. Ergänzend über einen Zeitraum von 6-12 Monaten, rate ich zu einer Systemtherapie mit Methotrexat (15mg Methotrexat/Woche s.c.), sowie natürlich zu 4-wöchigen Laborkontrollen.

Die Ergebnisse waren sehr erfreulich, und brachten den Patientinnen eine gewünschte Beschwerdefreiheit. Diese dfferenzierten Therapieregime habe ich bei vielen Patientinnen über einen mehrjährigen Zeitraum mit Erfolg durchgeführt. Auch habe ich beobachtet, dass, obwohl die Erkrankung erwartungsgemäß nicht gänzlich ausheilte, zumindest die Aktivität des LS durch meine Therapie bei den Graden III-IV der Erkrankung in seiner Gesamtheit drastisch gemindert wurde, und dies von den Patientinnen als sehr wohltuend und zufriedenstellend angenommen wurde.

Alternativ bleiben die Therapien der 2. Wahl

A- Beim ausgedehnten postpubertären oder adulten LS können ergänzend operative Maßnahmen wie Kryochirurgie (das flächige Vereisen der läsionalen Bezirke), oder die ablative Laserchirurgie sinnvoll sein. Operative Methoden sollten auf mein Anraten hin, stationär und in spezialisierten Zentren erfolgen. Die Studienlage hierzu ist nur mäßig aussagekräftig.

B- Auch Calcineurininhibitoren können in den Stadien I-II klinische Ergebnisse mit deutlicher Besserung aufweisen und eine positive subjektive Symptomatik mit längerzeitigen Remissionen wurde auch mit Tacrolimus (0,1% Protopic®-Salbe) oder Pimecrolimus (Elidel® Creme 1%) erzielt.
In Erwägung zu ziehen ist hier ebenfalls eine alternierende lokale Therapie mit Glukokortikoiden, auch wenn Langzeiterfahrungen derzeit noch ausstehen.

C- Hormone können in frühen Stadien, insbesondere bei jüngeren Frauen anschlagen. Hier wäre ein Therapieversuch mit Östrogen- u. Progesteron-haltigen Präparaten (z.B. 1% Progesteron-Salbe, Linoladiol N® Creme, Cordes Estriol Creme®) über mehrere Wochen zu versuchen, da es hier gute Erfolgsberichte gibt. Die Ergebnisse bedürfen jedoch immer einer vergleichenden Bestätigung.

Achtung: Hochprozentige Testosteron-Salben sind bei Frauen wegen der Gefahr der Virilisierung nicht mehr zu vertreten. Aufgrund der Resorption bei Mädchen ist diese Therapie absolut kontraindiziert!

Ich hoffe Ihnen mit dieser Zusammenfassung, in einem nicht ganz einfachen therapeutischen Bereich, einige wertvolle Anleitungen aus meiner Praxiserfahrung gegeben zu haben und würde mich über Ihre Rückmeldungen freuen. Aber denken sie bitte daran: Greifen Sie rechtzeitig und entschlossen zu den geeigneten Therapiemaßnahmen! Und vor allem vermitteln Sie Zuversicht. Wir sind bei aller ärztlichen Kompetenz auch der Berater unserer Patienten und sollten daher Hoffnung vermitteln, denn auch diese hat heilende Wirkung. Dies hilft beiden Seiten auf einem langen Therapie-Weg auf dem Sie Ihre ärztliche und fürsorgliche Kompetenz beweisen werden. Und ein Letztes: vergessen Sie nicht, dass der LS im fortgeschrittenen Stadium als Präkanzerose anzusehen ist (etwa 3,5% der Patientinnen sind durch eine Karzinomentwicklung betroffen).

 

Herzliche Grüße

Ihr Peter Altmeyer und Team

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