22.07.2019

Krankheitsbewältigung der progressiven systemischen Sklerodermie

Paul Klee gehört mit seiner bildenden Formenlehre und seinen umfangreichen und vielseitigen Kunstrichtungen zu den prägenden Künstlern des Bauhauses. Der gebürtige Schweizer Maler studierte in München, unterrichtete in den 1920er-Jahren bei Gropius in Weimar und teilte sich dort mit seinem Kollegen aus Schwabinger Zeiten, dem russischen Maler und...

Krankheitsbewältigung der progressiven systemischen Sklerodermie, oder:
Paul Klee und sein tapferer Kampf

Paul Klee gehört mit seiner bildenden Formenlehre und seinen umfangreichen und vielseitigen Kunstrichtungen zu den prägenden Künstlern des Bauhauses. Der gebürtige Schweizer Maler studierte in München, unterrichtete in den 1920er-Jahren bei Gropius in Weimar und teilte sich dort mit seinem Kollegen aus Schwabinger Zeiten, dem russischen Maler und Kunsttheoretiker Wassily Kandinsky, eine Doppelhaushälfte in der berühmten Meisterhaussiedlung in Dessau. Die Jahre des Zusammenlebens prägten beide Künstler und Freunde in ihrer Persönlichkeit und Formsprache. 1931 dann folgte Klee dem Ruf der Kunstakademie zu Düsseldorf und wurde dort als Professor tätig, bis er von den Nationalsozialisten seines Amtes enthoben und ins Exil gedrängt wurde.

Ende 1933 musste Klee Deutschland verlassen und war plötzlich mit einer regelrecht existenzbedrohenden Krise konfrontiert. Er litt, seelisch und körperlich. Der Professor für Bildende Kunst verabschiedete sich von seinen Düsseldorfer Studenten mit den Worten: 

„Meine Herren, in Europa riecht es nach Leichen.“ 

Anschließend zog er sich zurück in seine Schweizer Heimat, wo er begann, die Verbitterung über seine Verfemung künstlerisch aufzuarbeiten. Aus dem ihm zugefügten intellektuellen und menschlichem Leid entstanden unter anderem ironische Zeichnungen, die er publizierte, um gegen die nationalsozialistische Menschenjagd zu opponieren.

Seine Sorge und sein Entsetzen über die politischen Entwicklungen in Europa begleiteten ihn täglich. Es wurde vielfach spekuliert, ob beziehungsweise in welchem Maß die erlittene Ächtung für die Auslösung seiner schweren Autoimmunerkrankung verantwortlich waren.

Erste mögliche Indikatoren seiner Erkrankung machten sich bereits in dieser Lebenskrise bemerkbar und kulminierten dann im Sommer 1935 an seinem neuen Wohnort in Bern. Hier erkrankte Klee an einer schweren, fiebrigen Bronchopneumonie mit Begleitpleuritis, die ihn lange Zeit ans Bett fesselte. Aber dem war nicht genug: In dieser Krankheitsphase entwickelte sich komplikativ ein makulöses Exanthem, das von den behandelnden Ärzten wohl fälschlicherweise als Masern angesehen wurde, obwohl sich „keinerlei Ansteckungsherd eruieren ließ“. 

Hier nun begann das Mysterium der Krankheit Klees, welches von zahlreichen Autoren, nur lückenhaft belegt, untersucht und interpretiert wurde. Auch uns interessierten kürzlich die medizinischen Aspekte dieser Erkrankung, die der Schweizer Dermatologe und Kollege Hans Suter in akribischer Kleinarbeit zusammentrug und analysierte. Suters Recherchen sind verdienstvoll. In Ermangelung von Krankenakten befragte er zahlreiche Zeitzeugen, wertete vielfältige Dokumente aus und fügte somit ein Puzzle an Informationen und Symptomen zu einem plausiblen Ganzen zusammen, welches uns den sensiblen Paul Klee auch als Patienten näherbringt. 

Klees erster schwerer Krankheitsphase folgend traten später weitere Organerkrankungen hinzu, beispielsweise Schluckbeschwerden und Gelenkschmerzen. Im Jahr 1936 schließlich wurde bei zunehmender Dyspnoe eine Herzdilatation sowie eine Anämie festgestellt. 

Die Gesichtshaut zeigte eine auffällig maskenhafte Straffung, diese Verhärtung war auch an der Haut des Halses, nicht aber an den Fingern nachweisbar. Klee hatte Probleme, den Mund zu öffnen, sein Schluckprozess war erschwert, sein Monokel konnte er nicht mehr fest einklemmen. Diese Befunde führten zur Konsultation bei einem bekannten Spezialisten an der Berner Universitätshautklinik, Professor Oscar Nägeli.

Nägeli diagnostizierte, obwohl sich damals bereits eine „progressive systemische Sklerodermie“ abzeichnete, nicht diese Diagnose. Offensichtlich entschied er sich dafür, die Diagnose zum „Wohle von Klee und seiner Familie“ zurückzuhalten. Die behandelnden Ärzte, darunter auch ein Neurologe, sprachen von einer „vasomotorischen Neurose“ und vertraten diese Diagnose auch gegenüber Klees leidgeprüfter Ehefrau Lily, um sie durch die fatalen Konsequenzen der tatsächlich erhobenen Befunde nicht noch mehr zu deprimieren. Ein derartiges Verhalten wäre heute – auch zur Schonung von Patienten oder Angehörigen – undenkbar.

Unglücklicherweise war das physische Fortschreiten der Krankheit trotz einiger hoffnungsvollen Phasen der Besserung nicht abzuwenden. 1937 erkrankte Klee dann auch noch an einem Ulcus ventriculi, das im darauffolgenden Jahr durch den Reflux zu noch gravierenderen Schluckbeschwerden führte. Es zwang den Patienten dazu, nur noch flüssige Nahrung aufnehmen. Diese Symptome gingen immer wieder mit Di­ar­rhö einher. 

Trotz verschlechtertem Allgemeinzustand setzte Klee sein künstlerisches Schaffen mit bewundernswerter Disziplin und voller Intensität fort. Wir kennen über 200 Zeichnungen, in denen er „die nationalsozialistische Revolution“ skizzierte, mit Titeln wie „Hiebe“ oder „Auch Er Diktator“. Nach Angaben seines Sohnes Felix war die manuelle Tätigkeit seines Vaters nicht beeinträchtigt, aber einige dieser Zeichnungen, die im Frühjahr 2003 in der Hamburger Klee-Ausstellung „Der Gegenpfeil“ ausgestellt wurden, wirken durchaus unbeholfen und reduziert. 

Wir können also retrospektiv nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob seine täglichen manuellen Abläufe tatsächlich uneingeschränkt waren. Das Kleesche Martyrium erinnert unwillkürlich an das von Michelangelo Buonarotti, der sich die Pinsel festband, um unter starken Schmerzen in Händen und Armen die Sixtinische Kapelle zu vollenden.

In den fünf Krankheitsjahren schuf Klee – allen physischen Widrigkeiten zum Trotz –  ein Viertel seines gesamten malerischen Lebenswerkes. Im Jahr 1940 verschlechterte sich sein Gesamtbefinden dann so rapide, dass er in die Clinica Sant´Agnese in Locarno eingeliefert werden musste, wo er vor allem, einer kardiologisch- intensiven Betreuung bedurfte. Erneut traten exanthematische Hautveränderungen auf, die im Rückblick wohl am ehesten als arzneimittel- oder lösungsmittelinduzierte Intoleranzreaktionen einzuordnen sind. Diese sind in der Geschichte der Malerei bei Künstlern nicht selten zu finden.

Seine zu Hause gebliebene Ehefrau begab sich dann, von tiefer innerer Sorge und Unruhe getrieben,  ebenfalls nach Locarno, wo sie ihrem Mann in seinen letzten Tagen zur Seite stand. Am 29. Juni 1940 verstarb Klee an Herzversagen. Als Todesursache wurde eine Myokarditis attestiert. Von Paul Klee bleiben seine Werke und Gedanken – und für Ärzte und Erkrankte die bewundernswerte Art und Weise, wie ein Mensch seine schwere Krankheit künstlerisch vielfältig bekämpft und verarbeitete. 

Für einen passionierten und talentierten Menschen oder Künstler formen Seele und Disziplin den Willen, selbst schweren Beschwerden zu trotzen und bis zum Ende weiter schöpferisch tätig zu sein. Es entsteht ein Weg zur Krankheitsbewältigung, die wir auch bei Georg Friedrich Händel vorfinden, der seinen „Messias“ unter stärksten Schmerzen selbst aus der warmen Badewanne heraus komponierte. 

Die behandelnden Ärzte umgingen es damals sehr bewusst, dem Patienten Klee die Schwere seiner Erkrankung zu offenbaren; wohl in der Hoffnung, diesem exzeptionellen Künstler dadurch maßgeblich sein kreatives Schaffen und seinen Lebensmut zu verlängern. Die progressive Verlaufsform der systemischen Sklerodermie zum damaligen Zeitpunkt ein ohnehin nicht zu beherrschendes Leiden. 

Für unsere Patienten wünschen wir uns, dass sie ihren individuellen „Gegenpfeil“ finden, so wie Klee ein bekanntes Bild benannte. Einen Gegenpfeil, um mit der eigenen Situation so umzugehen, dass das Leben stets seinen Sinn behält. Uns Ärzten wünsche ich das Geschick, mit unheilbaren oder chronisch Kranken im Rahmen unserer heutigen Konventionen und Therapiemöglichkeiten so sensibel zu verfahren, dass die Hoffnung niemandem, der weiter leben und schaffen möchte, genommen wird. Dem Patienten Paul Klee die Hilfe gewährt zu haben, die ihm die künstlerische Kreativität und damit seinen Lebens- und Schaffenswillen erhalten haben, darf seinen Schweizer Ärzten wohl als ein fachlich und menschlich kompetenter Verdienst zugeschrieben werden.

Es grüßen Sie Ihre
Joachim Barth und Peter Altmeyer

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