Cystinose

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.08.2024

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Synonym(e)

Abderhalden- Kaufmann- Lignac- Syndrom; Cystindiathese; Cystinkrankheit; Cystinose; Cystin- Speicherkrankheit; erbliche Cystinkrankheit; Lignac- Fanconi- Syndrom

Erstbeschreiber

Der Schweizer Biochemiker Emil Abderhalden (1877 – 1950) beschrieb 1903 erstmals die von ihm benannte „familiäre Cystin- Akkumulationskrankheit“. Er bezog seine Erkenntnisse damals auf ein betroffenes Kind namens Eduard Kaufmann.

Eine ausführliche Beschreibung der Cystinose veröffentlichte im Jahre 1924 der niederländische Pathologe George Lignac (1891 – 1954). Er war es auch, der die wichtigsten klinischen Manifestationen wie z. B. Nierenerkrankungen, Rachitis und Wachstumsverzögerung mit der Erkrankung in Verbindung brachte. Die Erkrankung wurde deshalb zunächst als „Abderhalden- Kaufmann- Lignac- Syndrom“ bezeichnet.

Eine weitere Bezeichnung der Erkrankung, das sog. „Lignac- Fanconi- Syndrom“ wurde nach dem Schweizer Kinderarzt Guido Fanconi (1892 – 1979) benannt, der wesentlich zum Verständnis der Zystinose beitrug (Elmonem 2016).

Definition

Die Zystinose zählt zu den lysosomalen Transportdefekten (Hoffmann 2019). Es handelt sich dabei um eine hereditäre Erkrankung, bei der sich die Aminosäure Cystin in den Lysosomen fast aller Körperzellen ansammelt (Herold 2021).  

Einteilung

Man differenziert bei der Zystinose zwischen 3 verschiedenen klinischen Manifestationen:

  • 1. infantile Form (mit Nierenbeteiligung)
  • 2. intermediäre Form (late- onset)
  • 3. adulte Form (benigne Form)

(Risler 2008 / Scherberich 2003)

Vorkommen

Die Cystinose zählt zu den seltenen Erkrankungen, deren Häufigkeit je nach Population große Schwankungen aufweist. In Deutschland z. B. liegt die Inzidenz bei  1 : 179.000, in Dänemark bei 1 : 115.000 Lebendgeburten und in einer in Großbritannien lebenden pakistanischen Volksgruppe findet man mit 1 : 3.600 die weltweit höchste Inzidenz (Elmonem 2016).

Ätiologie

Die Cystinose ist eine autosomal rezessiv vererbbare Erkrankung. Die Schädigung findet sich auf Chromosoms 17, CTNS-Gen, welches 367 Aminosäuren kodiert. In der OMIM (Online Mendelian Inheritance in Man database) sind die infantile Form unter 219.800, die intermediäre unter 219.900 und die adulte unter 219.750 eingetragen (Kuhlmann 2015).

 

 

Pathophysiologie

In den Lysosomen der Zellen entsteht Zystin physiologischerweise beim Eiweißabbau. Dieses freie Zystin wird dann ins Zytosol der Zelle transportiert und dort zu Zystein umgebaut. Anschließend kann es erneut zur Proteinsynthese verwendet werden. 

Bei der Zystinose kommt es durch einen Transportdefekt zu einer Kumulierung in den Lysosomen. Da Zystin schlecht löslich ist, kristallisiert es und ruft dadurch Schädigungen in Organen wie z. B. den Tubuli der Niere hervor (Risler 2008).

Durch die Schädigung des proximalen Tubulus werden vermehrt ausgeschieden:

  • Wasser
  • Mineralien
  • Elektrolyte
  • Aminosäuren
  • Glukose
  • Bikarbonat (Hohenfellner 2019)

Klinisches Bild

Die klinischen Symptome der Erkrankung entstehen durch die Speicherung von Zystin in den Lysosomen (Kuhlmann 2015). 

Bei der Geburt erscheinen die Kinder zunächst unauffällig. Im Alter von 6 – 9 Monaten fällt meistens als erstes Symptom eine Wachstumshemmung auf (Hohenfellner 2019). 

Infantile Form:

Im weiteren Verlauf kommt es bei der infantilen Form zu einem:

  • renalen Fanconi- Syndrom (entsteht durch die gestörte Funktion der Tubuli [Risler 2008]) mit
    • Polyurie zwischen 2 – 10 l / d
    • Polydipsie
    • Dehydratation
    • Hypokaliämie 
    • Hypophosphatämie (führt zu einer Osteomalazie [Kuhlmann 2015])
    • Hypochlorämie
    • metabolischer Azidose
  • Nierenversagen (häufig bereits vor dem 10. Lebensjahr [Kuhlmann 2015])
  • Rachitis
  • Hypotonie
  • Photophobie
  • Blindheit (durch Zystin- Ablagerungen in den Konjunktiven und der Hornhaut [Kuhlmann 2015])
  • Hypothyreose
  • Osteoporose
  • Kleinwuchs

(Kasper 2015 / Hohenfellner 2019)

  • depigmentierende Retinitis
  • Hepatosplenomegalie
  • Diabetes mellitus (durch eine endokrine Pankreasinsuffizienz [Risler 2008])
  • hypergonadotroper Hypogonadismus durch Speicherung von Zystin in den Testis (vom Dahl 2014)
  • zerebrale Symptome können ab dem 20. Lebensjahr auftreten wie z. B.:
    • Gangstörungen
    • Schluckstörungen
    • Sprachschwierigkeiten (Kuhlmann 2015)

Intermediäre Form: Hierbei treten die ersten der o. g. Symptome meistens nach dem 8. Lebensjahr auf. Zu einer terminalen Niereninsuffizienz kommt es i. d. R. erst nach dem 15. Lebensjahr (Kuhlmann 2015).

Adulte Form: Die Patienten vom adulten Typ sind überwiegend asymptomatisch. Lediglich bei ophthalmologischen Untersuchungen können korneale Zystinkristalle auffallen (Kuhlmann 2015).

Diagnostik

Da die Zystinose behandelbar ist, spielt die frühzeitige Erkennung der Erkrankung eine entscheidende Rolle.

Pränatal kann die Diagnose bereits im ersten Trimenon durch Bestimmung der Zystin- Inkorporation nach Chorionzottenbiopsie bzw. Amniozentese diagnostiziert werden (Risler 2008).

Bei einer positiven Familienanamnese zeigt sich zum Zeitpunkt der Geburt ein erhöhter Zystingehalt in kultivierten Haut- Fibroblasten und in der Plazenta.

Bei Säuglingen beruht die Diagnose in erster Linie auf dem Nachweis einer erhöhten Zystinkonzentration in den Granulozyten.

Bei älteren Kindern ab > 2 Jahren können durch die Spaltlampenuntersuchung Zystinkristalle in der Hornhaut nachgewiesen werden (Hohenfellner 2019)

Der heterozygote Trägertyp kann durch Messung des Zystin- bindenden Proteins in peripheren Leukozyten diagnostiziert werden (Kuhlmann 2015).

Typisch bei der Zystinose ist eine normale Konzentration von Zystin in Körperflüssigkeiten bei der Analytik der Aminosäuren (Hoffmann 2019)

Bildgebung

Sonographie

Im Ultraschall des Abdomens können u. a. nachweisbar sein:

  • Hepatomegalie
  • portale Hypertension
  • Splenomegalie (Risler 2008)

Differentialdiagnose

Andere Stoffwechselerkrankungen wie z. B.:

Therapie allgemein

Da sich das Zystin in fast allen Organen und Geweben ansammelt, sollte die Behandlung durch ein spezialisiertes, multidisziplinäres Team aus Kinderärzten, Endokrinologen, Augenärzten, Nephrologen, orthopädischen Chirurgen und Genetikern bestehen.

Symptomatische Therapie

  • Angemessene Flüssigkeitszufuhr: Die Kinder sollten jederzeit Zugang zu Wasser und die Möglichkeit zum Toilettengang haben. Vermieden werden sollte starke Sonneneinstrahlung und übermäßige Hitze (Hohenfellner 2019).
  • Substitution der fehlenden Elektrolyte / Säure- Basen- Gleichgewicht

- Phosphat: Anfangsdosis des elementaren Phosphats: 30 mg – 40 mg / kg KG / Tag, aufgeteilt auf 4 – 5 Dosen. Die Phosphatgabe kann zu einer Nephrokalzinose führen, die Dosis ist aber dennoch beizubehalten. Eine Reduktion ist erst bei Auftreten der chronischen Niereninsuffizienz erforderlich (Hohenfellner 2019).

- Bikarbonat: Es sollten 3 – 4 x täglich Bikarbonat oder Zitrat verabreicht werden, bis die Bikarbonatwerte im Idealfall zwischen 22 – 25 mmol / l liegen. Dieser Wert kann jedoch nicht bei allen Patienten erreicht werden.

- Calcium: Die Calciumzufuhr sollte mit nativem oder aktivem Vitamin D erfolgen. Die anfängliche Dosis liegt in Abhängigkeit der Größe des Patienten und dem Grad der Rachitis bei Calcitriol oder Alfacalcidol zwischen 0,1 µg – 0,75 µg (Hohenfellner 2019).

  • Hormonelle Substitution mit z. B. 

- Wachstumshormonen: Bei einer Größe < dem 3. Perzentil sollten Wachstumshormone gegeben werden. Nach einer Nierentransplantation wird die Behandlung normalerweise unterbrochen und ggf. nach 12 Monaten wieder weitergeführt (Hohenfellner 2019).

- Schilddrüsenhormonen: Die Höhe der Dosierung richtet sich nach dem Zielwert des altersentsprechenden freien T4 und TSH (Hohenfellner 2019).

- Testosteron: Eine Testosteron- Ersatztherapie ist bei mehrfach erniedrigten Testosteronspiegeln im Plasma angezeigt (Elmonem 2016).

  • Angemessene Ernährung sicherstellen: Hierzu ist in den meisten Fällen der frühzeitige Einsatz einer Magensonde erforderlich (Elmonem 2016).

Interne Therapie

Cysteamin: Durch Cysteamin lässt sich zum einen der Zystingehalt in den Lysosomen senken, zum anderen vermindert es das Auftreten extrarenaler Organschäden und es verzögert die Verschlechterung der Nierenfunktion (Levtchenko 2006).

Cysteamin sollte frühzeitig eingesetzt und lebenslang substituiert werden (Herold 2021).

Dosierungsempfehlung: Die tägliche Dosis von anfänglich 10 mg / kg KG p. o. wird langsam auf bis zu 50 mg / kg KG gesteigert (Kuhlmann 2015) und auf 5 Dosen pro Tag verteilt (Lentze 2007).

Für die Behandlung der Augen stehen 0,5 %ige Cysteamin- Augentropfen zur lokalen Behandlung zur Verfügung. Diese sollten 4 x / d verabreicht werden (Lentze 2007).

Bisweilen kommt es – insbesondere bei Jugendlichen - bei der Einnahme zu Compliance- Problemen, da Cysteamin einen unangenehmen Geruch und Geschmack hat und bisweilen Übelkeit oder andere Verdauungsbeschwerden auslöst (Hohenfellner 2019).

Indometacin: Indometacin wird gegen die Polydipsie und Polyurie eingesetzt. Dosierungsempfehlung: 2 mg – 3 mg / kg KG / d (Scherberich 2003). 

Operative Therapie

Sollte es zu einem Nierenversagen kommen, ist eine Nierenersatztherapie erforderlich (Näheres s. d.).

Die Nierentransplantation stellt eine weitere Möglichkeit der Behandlung eines Nierenversagens dar. In der transplantierten Niere tritt die Erkrankung nicht mehr auf, in allen anderen Organen besteht die Zystinose weiterhin (Elmonem 2016).

 

 

Prognose

Im frühen 20. Jahrhundert verstarben die Patienten mit Zystinose noch am Ende des 1. oder 2. Lebensjahrzehnts. Heutzutage erreichen die meisten Patienten das Erwachsenenalter (Elmonem 2016).

Die extrarenalen Komplikationen bestimmen inzwischen letztlich die Prognose (Herold 2021).

Sofern die Erkrankung bereits im 1. Lebensjahr diagnostiziert und konsequent therapiert wird, kann i. d. R. die glomeruläre Funktion bis mindestens ins 2. Lebensjahrzehnt erhalten bleiben (Lentze 2007).

Das Langzeitergebnis einer Nierentransplantation nach 5 Jahren liegt bei Patienten mit Zystinose bei 92,9 % und ist damit deutlich besser als der Durchschnittswert von 73,4 % in Deutschland (Assmann 2014).

 

Männliche Patienten sind – trotz hormoneller Behandlung – infertil. Bei Frauen sind komplikationslose Schwangerschaften gesunder Kinder beschrieben (vom Dahl 2014).

 

 

Hinweis(e)

  • Kontrolluntersuchungen

Bei Kindern mit Zystinose sollten u. a. regelmäßig kontrolliert werden:

  • Natrium 
  • Phosphat
  • Chlor
  • Kalium
  • Vitamin D
  • BGA / Bicarbonat
  • Nieren- Funktionsparameter
  • Pankreas- Funktionsparameter
  • Schilddrüsenwerte
  • Hormone der Nebenschilddrüse
  • Geschlechtshormone
  • HbA1c- Spiegel ((Hohenfellner 2019)
  • Kontrolle eventuell substituierter Hormone etc. (Elmonem 2016)
  • der neuro- muskuläre Status sollte nach dem 10. Lebensjahr alle 6 – 12 Monate kontrolliert werden (vom Dahl 2014)

 

Im Erwachsenenalter werden folgende Untersuchungen empfohlen:

  • klinische Untersuchung alle 3 – 6 Monate (insbesondere mit Blick auf Ernährungszustand, Sehvermögen, Muskelkraft, psychosoziale Probleme)
  • Kontrolle des Leukozyten- Zystins alle 3 – 6 Monate 
  • Laborparameter des Knochenstoffwechsels alle 6 Monate
  • augenärztliche Untersuchung mit Spaltlampe alle 6 Monate
  • Schilddrüsenfunktion alle 12 Monate
  • Nierenfunktion, etwaige Transplantatfunktion und Immunsuppression in regelmäßigen Abständen kontrollieren
  • regelmäßige orthopädische Vorstellung bei Achsenfehlstellung und ggf. zur operativen Korrektur
  • bei Auftreten neurologischer bzw. psychiatrischer Symptome oder bei rezidivierenden Kopfschmerzen ist eine Schädel- MRT indiziert (vom Dahl 2014)

 

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Assmann A (2014) Prognose von Patienten mit Alport-Syndrom unter Berücksichtigung einer medikamentösen Intervention und verschiedener Nierenersatzverfahren. Inaugural- Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen 
  2. vom Dahl S et al. (2014) Angeborene Stoffwechselerkrankungen bei Erwachsenen. Springer Medizin Verlag 168 - 175
  3. Elmonem M A et al. (2016) Cystinosis: a review. Orphanet J Rare Dis (11) 47
  4. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 174 
  5. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 632
  6. Hoffmann (2019) Metabolische Erkrankungen in „Pädiatrie“ von C P Speer Springer Verlag 41 - 73
  7. Hohenfellner K et al. (2019) Management of bone disease in cystinosis: Statement from an international conference. JInherit Metab Dis. (42) 1019– 1029
  8. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 434e 4-5, 435e 1-2 
  9. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 434e 4-5, 435e 1-2
  10. Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 145, 174
  11. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 673 – 675
  12. Lentze M J et al. (2007) Pädiatrie: Grundlagen und Praxis. Springer Medizin Verlag 369 - 372
  13. Levtchenko E N et al. (2006) Strict cysteamine dose regimen is required to prevent nocturnal cystine accumulation in cystinosis. Pediatr Nephrol. 21 (1) 110 - 113
  14. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 752 - 754
  15. Scherberich J E (2003) Hereditäre Nierenerkrankungen. In: Paumgartner G et al "Therapie innerer Krankheiten." Springer Verlag. 533 – 547 

Verweisende Artikel (2)

Autophagie-Gene; CTNS-Gen;

Weiterführende Artikel (1)

CTNS-Gen;
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