Synonym(e)
Definition
Unter einer supraventrikulären Extrasystole (SVES) versteht man eine Extrasystole, die ihren Ursprung oberhalb des His- Bündels hat (Nikolaus 2011) und vom atrialen Myokard ausgelöst wird (Heaton 2022).
Einteilung
Extrasystolen (ES) zählen zu den den heterotopen Reizbildungsstörungen (Herold 2022).
Man differenziert – je nach Ursprung der Erregung – zwischen:
- ventrikulären ES
- supraventrikulären ES (Herold 2022)
SVES zählen zu den normofrequenten Herzrhythmusstörungen (Block 2006), fallen verfrüht in den eigentlichen Grundrhythmus ein und stören diesen (Block 2006). Sie entstehen immer oberhalb des His- Bündels (van Aken 2007) und können vom Sinusknoten, Vorhof oder AV- Knoten ausgehen (Striebel 2015).
Man teilt SVES nach ihrem Ursprung ein in:
- Sinus- ES: Hierbei kommt die Erregung direkt aus dem Sinusknoten. Im EKG erkennbar an der vorzeitig einfallenden P- Welle. Der Sinusschlag nach der SVES erfolgt im selben Abstand, den auch 2 Sinusschläge hintereinander hätten (Haas 2011).
- Vorhof- ES: Die Erregung stammt aus dem Vorhof. Es kommt hierbei zu einer vorzeitig einfallenden P- Welle, die häufig deformiert oder biphasisch ist. Je nachdem, wo genau das Reizbildungszentrum liegt, kommt zu einem veränderten P- Vektor. Die PQ- Zeit kann unterschiedlich lang sein, je nach Abstand zum AV- Knoten. Die SVES hat gehäuft ihren Ursprung in den unteren Abschnitten des Vorhofes und ist im EKG erkennbar an einem negativen P in II, III, aVF (Haas 2011).
- Knoten- ES (Block 2006): Sie werden auch als AV- Knoten- ES oder junktionale ES bezeichnet und können mit oder ohne verzögerte retrograde Vorhoferregung auftreten. Die Erregung stammt – wie der Name sagt – aus dem AV- Knoten. Die frühere Einteilung in oberen, mittleren und unteren AV- Knoten wird heutzutage kaum noch verwendet (Herold 2022). Der Vorhof wird hierbei retrograd erregt, im EKG erkennbar an negativen P- Wellen in II, III, aVF. Die P- Welle selbst kann vor, im oder nach dem QRS- Komplex erscheinen (Haas 2011).
Weitere Einteilung der SVES:
- Aberrant übergeleitete SVES (Haas 2011): Bei aberrant übergeleiteten SVES tritt eine verbreiterte QRS- Morphologie auf. Die SVES läuft hierbei über den AV- Knoten und trifft auf einen noch refraktären Tawara- Schenkel. Durch diese Blockierung findet eine abnorme Ausbreitung der Erregung in die Ventrikel statt, die zur einer Verbreiterung der QRS- Morphologie führt (Kalkreuth 2013).
- Blockierte SVES: Bei einer sehr frühzeitig eintretenden SVES, bei der das Leitungssystem noch refraktär ist, fehlt bei antegrader Leitungsstörung der QRS- Komplex, bei retrograder die P- Welle (Herold 2022).
- Nicht- kompensierte Pause: Eine SVES depolarisiert die Sinuserregung mit Versetzung des eigentlichen Grundrhythmus. Dadurch verkleinert sich der Abstand zwischen prä- und postextrasystolischer Herzaktion. Dies wird als nicht- kompensierte Pause bezeichnet (Herold 2022).
- Pfropfungswelle: Zu einer Pfropfungswelle kann es kommen, wenn eine Knoten- ES gleichzeitig Vorhof- und Kammerkontraktion gegen die noch geschlossene Mitral- und Trikuspidalklappe bewirken. Der Patient empfindet das als unangenehmen Paukenschlag (Greten 2010).
Auch interessant
Vorkommen/Epidemiologie
SVES treten sehr häufig auf, vorzugsweise bei Herzgesunden (Haas 2011). Im Alter steigt die Prävalenz (Greten 2010).
Ätiopathogenese
Auslöser für SVES können sein:
- Idiopathisch:
Bei ansonsten Gesunden können Auslöser für eine SVES sein: Übermüdung, emotionale Erregung, Genuss von Kaffee, Nikotin, Alkohol (Herold 2022), Kokain (Haas 2011).
- Paroxysmales Vorhofflimmern:
Hierbei findet sich vermehrt eine gesteigerte ektope atriale Aktivität überwiegend aus dem Bereich der Pulmonalvenen
- Fieber
- Infektionen (van Aken 2007)
- Azidose
- Hypoxie
- Im Rahmen von Herzerkrankungen wie z. B. Myokarditis, KHK (Haas 2011), hypertrophe Kardiomyopathie, Herzklappenerkrankungen, Septumdefekte etc. (Heaton 2022)
- Kongenitale Herzfehler, die zu einer Belastung des Vorhofes führen
- Bei Z. n. Vorhof- Operationen
- Medikamentös bedingt durch z. B. Digitalis, Antiarrhythmika, Sympathomimetika
- Elektrolytstörungen, insbesondere Hypokaliämie, Hyperkalzämie, Hypomagnesiämie (Haas 2011)
- Biochemisch durch Fehlbildungen der Natriumkanäle, bei BMP2- Mutationen:
Letztere kann Ursache für eine pulmonale Hypertonie sein (Heaton 2022).
Pathophysiologie
Bei SVES handelt es sich um ein oberhalb des His- Bündel gelegenes Automatiezentrum (Haas 2011).
Hierbei erfasst die vorzeitige Kontraktion das gesamte Herz und zeigt im EKG i. d. R. Vorhof- und Kammerkomplexe in gegenseitiger Relation. Die Kammerkomplexe sind normal, da der Extrareiz oberhalb des His- Bündels entsteht und sich von daher auf normalen Leitungsbahnen in die Kammern des Myokards ausbreiten kann (Roskamm 2013).
Lokalisation
Inzwischen sind die häufigsten Prädilektionsstellen der SVES bekannt:
- Crista terminalis
- Mündungsbereich obere und untere Hohlvene
- Ostium des Koronarvenensinus
- Mündungsstellen der Pulmonalvenen (Herold 2022)
Klinisches Bild
Meistens verspürt der Patient SVES nicht. Mitunter klagt er aber auch über Palpitationen (Haas 2011). Das Auftreten einer Pfropfungswelle (s. Einteilung) bemerkt der Patient als einen unangenehmen Paukenschlag (Greten 2010).
Diagnostik
Die Diagnostik besteht i. d. Regel aus einem Ruhe- EKG, Langzeit- EKG, Belastungs- EKG und einer Echokardiographie (Herold 2022).
Bildgebung
- 12- Kanal- EKG
SVES sind im EKG gekennzeichnet durch:
- Veränderung der PQ- Zeit (Herold 2022)
- Vorzeitigen Einfall der P- Welle
- Leichte Deformierung der P- Welle
- Die auf die ES folgende Herzaktion zeigt keine kompensatorische Pause (Block 2006).
- Negatives P in II, III, aVF:
Entsteht durch SVES, die aus den unteren Abschnitt des Vorhofes stammen und zu einer kaudo- kranialen Erregung des Vorhofs führen. Findet sich bei Vorhof- ES und Knoten- ES (Haas 2011)
- Negatives P in I und aVL:
Tritt bei einer Knoten- ES auf (Haas 2011)
Hierbei handelt es sich um eine SVES mit linksatrialem Ursprung (Schuster 2005).
- Negative P- Wellen vor, im oder nach dem QRS- Komplex:
Diese können bei einer Knoten- SVES auftreten (Haas 2011).
- QRS- Komplex der SVES ist in Form und Breite in den meisten Fällen normal (Block 2006), die QRS- Dauer liegt bei < 120 ms (Kasper 2015).
Eine Ausnahme bilden lediglich frühzeitig einsetzende SVES – auch als aberrante SVES bezeichnet (Herold 2022). Hierbei läuft die Erregung über den AV- Knoten und trifft auf einen noch refraktären Tawara- Schenkel. Durch diese Blockierung findet eine abnorme Ausbreitung der Erregung in die Ventrikel statt, was zu einer verbreiterten QRS- Morphologie führt (Kalkreuth 2013).
- PR- Intervall: Dieses kann verkürzt, normal oder verlängert sein (Heaton 2022).
- Langzeit EKG: Im Langzeit- EKG sollte der Fokus besonders auf das Auftreten paroxysmaler supraventrikulärer Tachykardien bzw. intermittierendes Vorhofflimmern gelegt werden (Herold 2022). Häufig treten SVES bei Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern durch die gesteigerte atriale Aktivität aus dem Bereich der Pulmonalvenen salvenartig auf (Greten 2010).
- Belastungs- EKG: Dient der Beurteilung belastungsabhängiger Symptome (Kasper 2015).
- Echokardiographie: Bei Patienten mit gehäuften SVES sollte zum Ausschluss struktureller Herzerkrankungen hinsichtlich der Therapienotwendigkeit und der prognostischen Bedeutung immer eine Echokardiographie erfolgen (Heaton 2022).
Labor
- Überprüfung der Elektrolyte (Heaton 2022) insbesondere K, Mg, Ca
- CK / CK- MB
- TSH
- Medikamentenspiegel
- Drogenscreening (Haas 2011)
Differentialdiagnose
Arrhythmische Ätiologien wie z. B.:
- VES
Hierbei findet sich - wie bei den aberranten SVES - eine Verbreiterung des QRS- Komplexes. Die SVES ist aber anhand der vorausgehenden P- Welle erkennbar (Herold 2022).
- Junktionskontraktionen
- schmale oder breite komplexe Tachykardien (Heaton 2022)
Nicht- arrhythmische Ätiologien wie z. B.:
- Erkrankungen der Herzklappen (insbesondere der Mitralklappenprolaps)
- Komplikationen nach Schrittmacher- Implantation (Heaton 2022)
Nicht- kardiale Ursachen:
- Panikattacken
- Nebenwirkungen verordneter Medikamente
- Konsum (illegaler) Drogen
- Lungenembolie
- Anämie (Heaton 2022)
Komplikation(en)
Bei konsistenten SVES können Zeichen einer Herzinsuffizienz auftreten (Heaton 2022).
- Supraventrikuläre Tachykardien:
Bei einer entsprechenden Disposition wie z. B. duale AV- Knoten- Physiologie oder akzessorischen Leitungsbahnen können SVES supraventrikuläre Tachykardien auslösen (Haas 2011).
- Ischämischer Apoplex (Heaton 2022)
- Plötzlicher Herztod:
Ein plötzlicher Herztod kann ausschließlich und nur in seltenen Fällen bei Patienten mit einer schweren Herzerkrankung wie z. B. einer hypertrophen Kardiomyopathie oder einem Wolff- Parkinson- White- Syndrom auftreten (Kasper 2015).
Therapie allgemein
Gesunde Patienten bedürfen bei Auftreten von SVES keinerlei Therapie. Lediglich das Auftreten paroxysmaler supraventrikulärer Tachykardien oder intermittierendes Vorhofflimmern sollte therapiert werden (Herold 2022), da es sich gezeigt hat, dass Patienten, die durch die atriale Ektopie unter Symptomen leiden, eher ein subklinisches Vorhofflimmern entwickeln, welches in der Folge zu einem Apoplex führen kann (Larsen 2015).
Sollte eine Herzerkrankung vorliegen, so ist diese entsprechend zu therapieren (Herold 2022).
Gesunden Patienten sollte man klarmachen, dass SVES durch Meiden bestimmter Auslöser wie z. B. Alkohol, Nikotin, Kaffee, Übermüdung, emotionale Erregung vermieden werden können. Falls die Beschwerden und die SVES jedoch weiterhin bestehen, empfiehlt Heaton (2022) eine pharmakologische Behandlung mit Betablockern in niedriger Dosierung.
Bei Patienten mit Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern im Zusammenhang mit SVES ist eine weiterführende interventionelle Therapie indiziert. Dazu zählen z. B. atriale Stimulation, Katheterablation, thorakoskopische Ablation (Heaton 2022).
Verlauf/Prognose
In früheren Jahren hielt man supraventrikuläre Extrasystolen – sofern keine strukturelle Herzerkrankung vorlag – für harmlos, sie bedurften keinerlei Therapie (Rath 2005). Inzwischen implizieren immer mehr Beweise die Rolle der symptomatischen (gehäuften) SVES mit Vorhofflimmern und Apoplex. Hier sind aber weitere Forschungen erforderlich (Marcus 2015).
Bei Patienten mit zugrunde liegenden Erkrankungen hingegen kann das Auftreten von SVES eine frühe Mortalität ankündigen (Heaton 2022).
Außerdem ist das gehäufte Auftreten von SVES mit der Entwicklung von Vorhofflimmern bzw. Vorhofflattern und einem erhöhten Risiko für kardiale – bzw. Gesamtmortalität verbunden (Heaton 2022). Eckart (2021) weist darauf hin, dass insbesondere SVES aus dem linken Vorhof eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Vorhofflimmern und Vorhofflattern spielen.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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