Nierenfunktionsszintigrafie

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.08.2024

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Definition

Die Nierenfunktionsszintigraphie stellt eine Methode zur seitengetrennten Darstellung der Nierenfunktion dar (Risler 2008).

Sie zählt auch heutzutage noch zu den häufigsten nuklearmedizinischen Funktionsuntersuchungen (Hoffmann 2002), da sie einerseits nur eine geringe Strahlenbelastung hat, auf der anderen Seite aber eine hohe klinische Aussagekraft hinsichtlich der Nierenfunktion (Radtke 2018).

Einteilung

Synonyme

Radioisotopennephrographie; Isotopennephrographie;

 

 

Einteilung

Bei der Nierenfunktionsszintigraphie differenziert man zwischen zwei Hauptformen:

  • statischer
  • dynamischer (Hegele 2015)

Eine zusätzliche Bedeutung hat die Captopril- Nierenszintigraphie (Risler 2008).

Allgemeine Information

Die Nierenfunktionsszintigraphie zählt zu den nuklearmedizinischen Untersuchungen. Sie stellt eine nicht- invasive Methode dar, mit der sich funktionale Veränderungen im Nierengewebe nachweisen lassen (Kasper 2015).

Die Strahlenbelastung ist gering. Bei Kindern zählt die Nierenfunktionsszintigraphie zu den am häufigsten angewendeten nuklearmedizinischen Untersuchungen (Keller 2010).

 

 

  • Indikationen:
    • Identifikation ektopischen Nierengewebes
    • Vorliegen einer Röntgenkontrastmittelallergie
    • Notwendigkeit einer seitengetrennten Funktionsdiagnostik
    • Abflussstörung bei Ren mobilis, auch als Nephroptose bezeichnet (die Untersuchung kann sowohl im Liegen als auch im Sitzen erfolgen)
    • V. a. eine Durchblutungsstörung bei anurischer transplantierter Niere
    • Nachweis einer behandlungsbedürftigen Nierenarterienstenose unter gleichzeitiger Gabe eines ACE- Hemmers (die Sensitivität liegt zwischen 85 % - 90 %; zum Vergleich: Die Sensitivität eines Spiral- CTs liegt bei 98 % und die Spezifität bei 94 %; ab einem Kreatinin von 1,7 mg / dl sinken Letztere allerdings [Keller 2010])
    • Refluxdiagnostik der in der Harnblase gesammelten Aktivität

(Herold 2021)

  • als Szintigraphie mit 99 m Tc- DMSA: 
    • Diagnostik eines vesikoureteralen Refluxes 
    • Nachweis renaler Narben nach Infektion (Kuhlmann 2015)
    • Beurteilung der Ausscheidungsfunktion der einzelnen Niere und auch deren Segmente (Tanagho 1992)
    • Beurteilung obstruktiver von nicht obstruktiven Dilatationen (Tanagho 1992)
    • Beurteilung zur Gewebefunktion der einzelnen Niere
    • Differenzierung zwischen funktioneller bzw. obstruktiver Abflussstörung und Beurteilung der urodynamischen Relevanz nach vorheriger Gabe eines Schleifendiuretikums (Keller 2010)
    • Hinweise auf eine Teilfunktion bei Doppelnieren 
    • Untersuchung zur Vorbereitung einer Nieren- Lebendspende 
    • zur Beurteilung von Transplantatnieren
    • Ausschluss bzw. Nachweis einer Urin- Leckage 
    • Verlaufskontrolle bei operativ versorgter Obstruktion
    • Bestimmung der Gesamt- Clearance

(Eckardt 2009)

 

 

  • Kontraindikation:
    • Schwangerschaft
    • Stillzeit (Keller 2010)
    • Serumkreatinin > 3 mg / dl
  • strenge Indikationsstellung:
    • bei Kindern (Risler 2008)
    • Wiederholungsuntersuchung in einem Zeitraum von ≤ 3 Monaten (Eckardt 2009)

Vor Gabe eines Diuretikums sollte eine Nephrolithiasis ausgeschlossen werden (Eckardt 2009).

 

 

Näheres zu den verschiedenen Arten der Nierenszintigraphie:

1. Statische Nierenszintigraphie

Die statische Nierenszintigraphie zeigt eine Momentaufnahme des funktionstüchtigen Nierenparenchyms. Es ermöglicht außerdem Aussagen zu Nierengröße, Form und Lage (Staubach 2013).

Die Untersuchung wird insbesondere zur Darstellung von Nierenparenchymschäden genutzt (Oberbeck 2021). In der Pädiatrie wird die statische Szintigraphie mitunter zur Evaluierung von Narbengewebe bei Z. n. Pyelonephritis angewandt(Porn 2003).

Die Untersuchung wird i. d. R. mit dem Radiopharmazeutikum Dimercaptobernsteinsäure (DMSA) durchgeführt, welchesvom Epithel der proximalen Tubuli aufgenommen und gespeichert wird. DMSA wird durch Chelatbildung mit demTracer Technetium- 99 m markierbar. Das Nuklid Technetium- 99 m wird lange gespeichert, da die Ausscheidung nursehr gering ist (Hegele 2015).

Die Darstellung erfolgt durch eine Gamma- Kamera in 3D. 

Die Strahlenbelastung ist wegen der effektiven Halbwertszeit ist höher als bei der dynamischen Szintigraphie und liegt bei 380 µGy / Mbq (Benz- Bohm 2005).

 

2. Dynamische Nierenszintigraphie (auch als Nierenfunktionsszintigraphie bezeichnet [Oberbeck 2021])

Bei einer dynamischen Nierenszintigraphie werden – im Gegensatz zur statischen Szintigraphie – schnell ausscheidbare und überwiegend tubulär sezernierte Tracer eingesetzt wie z. B. MAG3 (Technetium markiertes Mercaptoacetyltriglycin), Tc- 99m- Ethylen- Dicystein oder das mit radioaktivem Jod- 123 markierte I-123- Hippuran.

Diese Tracer werden hauptsächlich tubulär sezerniert. 

Die Strahlenbelastung ist hierbei niedriger als bei der statischen Szintigraphie und liegt bei 17 µGy / Mbq (Benz- Bohm 2005).

 

3. Captopril- Szintigraphie

Die Captopril- Szintigraphie dient der Abklärung einer renovaskulären Hypertonie und damit einer hämodynamisch wirksamen Nierenarterienstenose .

Hierzu werden alle Diuretika und auch ACE- Hemmer 3 Tage vor Testbeginn und Kalziumantagonisten 1 Tag vor Testbeginn abgesetzt. Der Patient bleibt am Untersuchungstag ohne antihypertensive Medikation und nüchtern, lediglich Betarezeptorenblocker können eingenommen werden (Risler 2008).

 

 

  • Durchführung statische Nierenszintigraphie (1):

Bei der statischen Szintigraphie wird dem Patienten der Tracer DMSA i. v. injiziert. Die eigentlichen Aufnahmen erfolgen dann erst 3 – 6 h später (Manski 2019).

 

 

  • Durchführung dynamische Nierenszintigraphie (2):

Zunächst sind Körpergröße und Körpergewicht sowie die Nierenfunktionsparameter zu bestimmen. Anbringen von 2 venösen Verweilkanülen in beiden Armen (zur Blutabnahme und zur Bolus- Injektion). Eine Hydratisierung mit einer NaCl Lösung von 10 ml / kg KG wird 30 min vor der Untersuchung verabreicht. Direkt vor der Untersuchung Blasenentleerung (Risler 2008).

Der Patient so positioniert wurde, dass beide Nieren im Blickfeld liegen. Anschließend erfolgt eine Entnahme von 1 ml Leerblut (Risler 2008), danach die Injektion des Tracers und gleichzeitiger Beginn der Aufnahmesequenz von i. d. R. dorsal (Hegele 2015).

Nach jeweils 15, 20, 25 min und am Ende der Untersuchung erfolgen Blutabnahmen aus nicht gestauten Armen (Risler 2008).

Falls der Abfluss verzögert sein sollte, können zusätzliche Aufnahmen nach der Miktion und unter forcierter Diurese mit einem i. v. injizierten Diuretikum (z. B. Furosemid) erstellt werden (Hegele 2015).

 

 

  • Durchführung beim Captopril- Szintigramm (3):

Bei Patienten, die die Behandlung mit einem ACE- Hemmer unterbrochen haben, empfiehlt es sich, Blutdruck und Puls vor der ACE- Gabe und danach alle 10 – 15 min zu messen.

Ein venöser Zugang mit einer NaCl- Infusion sollte bei Hochrisikopatienten (wie z. B. anamnestisch Erkrankung der Karotiden, TIA, Apoplex, Angina pectoris, Myokardinfarkt) angelegt werden, ebenso bei Patienten, die im Verlauf der Untersuchung den ACE - Hemmer i. v. erhalten (Otto 1998). 

Als Radiopharmakon werden Tc- 99m- Mercapto- acethyltriglycerine (MAG3) oder Tc- 99m- Diethylen- triamin- pentaessigsäure (DTPA) verwendet.

(Otto 1998)

Der Patient erhält p. o. oder i. v. 25 mg Captopril, anschließende Hydratisierung und Blutdruckmessung. Voraussetzung für die Untersuchung sind systolische Werte > 140 mm Hg. 

Eine Minute vor der Gabe des Radionuklids erhält der Patient 10 mg Furosemid i. v., anschließend erfolgt die übliche Szintigraphie (Risler 2008).

Der Patient sollte so lange überwacht werden, bis keine Kollapsneigung mehr besteht und der Blutdruck im Stehen ≥ 70 % des Normwertes ausweist (Otto 1998).

 

 

  • Auswertung statische Nierenszintigraphie (1):

Funktionstüchtiges Nierengewebe wird sensitiv nachgewiesen (Manski 2019).

 

 

  • Auswertung dynamische Nierenszintigraphie (2):

Die Auswertung erfolgt – je nach Fragestellung - durch das Anfluten und Abklingen des Radionuklids (Risler 2008).

Mit Hilfe eines Isotopennephrogramms (Darstellung einer Zeit- Aktivitätskurve) können weitere Rückschlüsse gezogen werden. Dieses setzt sich aus 3 Funktionsphasen zusammen:

  • Perfusion (hierbei zeigt sich ein rascher Anstieg der Aktivität, dieser korreliert mit der Perfusion der Nieren [Manski 2019])
  • Sekretion (sie bildet den Höhepunkt der Aktivität und wird nach ca. 2 – 5 min erreicht [Manski 2019])
  • Exkretion (hierbei kommt es zu einem allmählichen Abfall der Aktivität, dessen Halbwertszeit i. d. R. unter 10 min liegt [Manski 2019])

Dadurch sind Rückschlüsse auf verschiedene Pathologien möglich:

 

  • Verminderung der Perfusion

Die Anflutung des Tracers ist in der 1. Phase im Seitenvergleich oder verglichen mit dem Auftreten des Tracers in die Aorta verzögert. Dadurch erhält man Hinweise auf eine Durchblutungsminderung (Hegele 2015).

 

  • Berechnung der Seitenanteiligkeit

Diese wird durch den Vergleich der Nephrogramme berechnet. Dazu wird in der Parenchymphase die Fläche zwischen den Nephrogrammen und der Ganzkörperkurve bestimmt und anschließend das Seitenverhältnis errechnet (Hegele 2015).

 

  • Behinderung des Harnabflusses

Die Abflussbehinderung zeigt sich in der Ausscheidungsphase in einem verminderten Abfall der Nephrogramme. Sollte die Abflussbehinderung nur mäßig sein, bildet die Kurve eine Plateau, ansonsten steigt die Aktivität kontinuierlich an.

Normalerweise sind die Ureteren in den Aufnahmen bei Erwachsenen nicht abgrenzbar. Falls diese zwischen Niere und Blase erkennbar sein sollten, deutet das auf eine Stenose im Bereich der Uretermündung oder einen ausgeprägten Reflux aus der Harnblase hin.

Bei einer Stenose im Nierenbeckenabgang liegt die Tracer- Ansammlung im Nierenbecken. Die Ureteren sind in diesem Fall nicht abgrenzbar.

(Hegele 2015)

 

 

  • Auswertung des Captopril- Szintigramms (3):

Kurvenmaxima mit einer zeitlichen Differenz von > 2 min und / oder erniedrigte oder abgeflachte Maxima von mindestens 5 % gelten als pathologisch. Allerdings ergeben sich durch bilaterale symmetrische Veränderungen mitunter falsch positive Befunde (Risler 2008).

 

 

  • Potentielle Fehlerquellen bei der Nierenszintigraphie:
    • bei beidseitigen gravierenden Schäden können die Werte im Normbereich liegen, da die seitengetrennte Funktion der Niere zwischen 45 % – 55 % liegtS
    • subjektive Beurteilung des Abflusses bei einzelnen Untersuchern 
    • falsche Lagerung
    • Bewegungen des Patienten
    • unzureichende Hydrierung des Patienten etc.

(Overbeck 2021)

 

 

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Benz – Bohm G (2005) Kinderradiologie. Thieme Verlag 234 - 235
  2. Eckardt J et al. (2009) Empfehlungen zur Qualitätskontrolle in der Nuklearmedizin Klinik und Messtechnik. Schattauer Verlag 159 - 162
  3. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 70 - 75
  4. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 605
  5. Hoffmann H et al. (2002) Original- Prüfungsfragen mit Kommentar GK2. Radiologie Thieme Verlag 
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 140
  7. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 270
  8. Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 32, 397
  9. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 542
  10. Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag 122 - 123
  11. Oberbeck M S (2021) Die klinische Wertigkeit der 99mTc-MAG3- Nierenszintigraphie vor Peptid-Rezeptor-Radionuklid- Therapie (PRRT) zur Prädiktion von therapieinduziertem Nierenfunktionsverlust. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der gesamten Humanmedizin bzw. Zahnmedizin, Humanbiologie oder Naturwissenschaften, Medizinwissenschaften dem Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg 
  12. Otto H J et al. (1998) Leitlinie für die Diagnostik einer renovaskulären Hypertonie in Anlehnung an Taylor AT Jr., et al. Procedure Guideline for Diagnosis of Renovascular Hypertension. J Nucl Med 1998; 39: 1297- 1302.
  13. Porn U et al. (2003) Nuklearmedizinische Nierendiagnostik in der Pädiatrie. Der Nuklearmediziner (26) 208 – 217
  14. Radtke H et al. (2018) Warum braucht die Nephrologie heute noch die Nierenszintigraphie? Der Nephrologe (13) 244 - 250
  15. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 131 – 134
  16. Staubach K H et al. (2013) Kurzlehrbuch Viererverband kleine operative Fächer: Urologie, Augenheilkunde, HNO, Orthopädie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 18
  17. Tanagho E A et al. (1992) Smith Urologie. Springer Verlag 666, 669, 675
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