Erstbeschreiber
Synonyme
Koma durch Milchsäure- Azidose; Koma durch Laktazidose;
Erstbeschreiber
Im Jahre 1780 gelang es dem schwedischen Chemiker Scheele, Laktat aus saurer Milch zu isolieren.(Glowatzki 2015).
Die Laktatazidose wurde erstmals von Clausen 1925 beschrieben (Romy 2012). Aber erst 1961 durch Publikationen von Huckabee fand die Laktatazidose klinisch zunehmende Beachtung (Oberdisse 1977).
Daughaday et al. beschrieben 1962 eine nicht- ketotische Azidose bei Diabetikern.
Adolf Kußmaul (1822-1902) hat 1874 als Erster die besondere Atmung beim Coma diabeticum beschrieben, die dann später nach ihm benannt wurde und als Kußmaul- Atmung bekannt ist (Kluge 2003).
Definition
Unter einer Laktatazidose versteht man definitionsgemäß die Anreicherung von Laktat im Serum > 5 mmol / l, welche zu einer dekompensierten, schweren metabolischen Azidose mit einem pH < 7,25 führt (Rau 2011).
Von einem laktatazidotischen Koma spricht man, wenn zu den o. g. Befunden auch noch ein systolischer Blutdruck < 90 mmHg hinzukommt (Schoenenberger 2008).
Der Normwert für Laktat im Blut liegt zwischen 0,5 – 1,8 mmol / l. Bei Werten zwischen 2,5 – 5 mmol / l spricht man von einer Hyperlaktatämie (Rau 2011).
Auch interessant
Einteilung
Das diabetische Koma wird unterteilt in:
- diabetische Ketoazidose (DKA)
- hyperosmolares nicht- ketoazidotisches Koma (HHS)
- Laktatazidose (Berndt 2015)
Die Laktatazidose unterteilt man in:
- Typ A – Laktatazidose:
Hierbei handelt es sich um eine sog. erworbene, anaerob verlaufende Form (Renz 2009). Es kommt infolge einer schweren Hypoxie mit gestörter Gewebeperfusion zu einer Minderversorgung des Gewebes mit Sauerstoff (Hien 2007) und dadurch bedingt zu einer vermehrten Produktion von Laktat (Renz 2009).
- Typ B – Laktatazidose:
Beim Typ B, der aeroben Form, finden sich metabolische Ursachen (Renz 2009). Es liegen sowohl eine vermehrte Produktion von Laktat als auch eine gestörte Verwertung des Laktats vor (Hien 2007).
Vorkommen/Epidemiologie
Unter den metabolischen Azidosen ist die Laktatazidose die am häufigsten vorkommende Form (Renz 2009).
In Deutschland traten bei Diabetikern in den Jahren 1990 – 2002 laut Aufsichtsbehörde 51 Fälle einer Laktatazidose auf.Das laktatazidotische Koma ist bei Diabetikern, die mit Metformin behandelt werden, insgesamt sehr selten und kann durch eine sorgfältige Patientenauswahl mit Beachtung der Kontraindikationen i. d. R. verhindert werden (Kasper 2015). Die Inzidenz liegt hierbei bei ca. 1 – 5 Fälle pro 100.000 Patientenjahre (Hien 2007).
In ca. 15 % tritt die Laktatazidose im Zusammenhang mit einer ketoazidotischen Entgleisung auf (Hien 2007).
Ätiopathogenese
Eine Laktatazidose Typ A kann ausgelöst werden durch:
- schwere Hypoxie wie z. B. bei:
- septischem, kardiogenen oder hypovolämischen Schock (Hien 2007)
- Asthma bronchiale
- schwerer Anämie
- regionalen Perfusionsstörungen (z. B. Mesenterialischämie, Kompartmentsyndrom etc.)
- CO- Vergiftung (Berndt 2015)
Typ B wird durch metabolische Veränderungen ausgelöst z. B. bei:
- Hyperthyreose
- Leberinsuffizienz (Scheurlen 2013)
- Kontrastmittelgabe (z. B. Pyelographie [Herold 2020])
- Intoxikationen mit Ethanol oder Methanol
- schweren Gewebsnekrosen (Johnsen 2011)
- schweren Infektionen wie Cholera oder Malaria
- Neoplasien
- Niereninsuffizienz
- Sepsis
- Vit. B1- Mangel
- Epilepsie
- Medikamenten wie z. B.
- starker Muskelarbeit (Hien 2007)
- angeborenen Stoffwechselstörungen wie z. B.:
- Fruktose- 1,6- Diphosphatase- Mangel
- Glucose- 6- Phosphatase- Mangel
- Pyruvat- Carboxylase- Mangel
- Pyruvat- Dehydrogenase- Mangel
(Berndt 2015)
Pathophysiologie
Laktat stellt das Endprodukt des anaeroben Glukosestoffwechsels dar, welches sauerstoffabhängig in den Citratzyklus eingeschleust werden kann und damit der Glukoneogenese zur Verfügung steht.
Die Bildung von Laktat kann in allen Geweben stattfinden, der Abbau lediglich in Leber, Niere und Gehirn (Renz 2009).
Kommt es zu einer Hypoxie der Gewebe, so produziert jedes Organ aus der Glykolyse Laktat und es kommt zu einer Laktatazidose. Diese wiederum reduziert die Kontraktilität der Gefäße und des Herzens und es entsteht ein Circulus vitiosus (Hien 2007).
Der Laktatabbau wird ab einem pH < 7,2 gehemmt. Ab einem pH < 7,0 produziert die Leber selbst Laktate.
Biguanide hemmen ebenfalls den Abbau von Laktat in Leber und Nieren. (Hien 2007)
Klinisches Bild
Die Symptome sind auf verschiedene Organe verteilt:
- respiratorisch:
- kompensatorische Hyperventilation (sog. Kussmaul- Atmung )
- gastrointestinal:
- Inappetenz
- Übelkeit
- Erbrechen
- akutes Abdomen
- zentralnervös: Ab einem Blutlaktatspiegel von > 5 mmol / l und einem pH < 7,25 kommt es zu veränderten Bewusstseinszuständen mit (Johnsen 2011)
- Verwirrtheit
- Müdigkeit
- Unruhe
- bis hin zum Koma (Hien 2007)
- Hirndrucksteigerung (Rau 2011)
- kardiovaskulär:
- arterielle Hypotonie
- Tachykardie
- Hyperkaliämie (entsteht durch die kompensatorische Kaliumverschiebung in den Extrazellularraum [Johnsen 2011])
- Herzrhythmusstörungen (Rau 2011)
- Hypothermie im Spätstadium (Berndt 2015)
Diagnostik
Die Diagnose eines laktatazidotischen Komas erfolgt anhand des klinischen Bildes, der (Fremd-) Anamnese und der Laborbefunde.
Labor
Bei einem laktatazidotischen Koma finden sich:
- Laktat im Serum > 5 mmol / l
- ausgeprägte Azidose mit einem pH < 7,25 (Rau 2011)
- kompensatorischer Abfall des pCO2
- erhöhte Anionenlücke
- Hyperkaliämie (kann durch die kompensatorische Kaliumverschiebung in den Extrazellularraum auftreten [Johnsen 2011])
- Anstieg des Serumchlorids (Berndt 2015)
- Blutzucker kann minimal erhöht sein
- typischerweise keine Ketonkörper (Scheurlen 2013)
Bei speziellen Fragestellungen, insbesondere bei hereditären Formen, kann die Bestimmung von Pyruvat bzw. das Laktat / Pyruvat - Verhältnis sinnvoll sein (Renz 2009).
Neben Bestimmungen des typisch internistischen Aufnahmelabors können erforderlich werden:
- Vit. B1 bei V. a. einen Mangel
- Schilddrüsenhormone
- Blutkulturen etc.
Differentialdiagnose
Bei einer plötzlichen Bewusstlosigkeit kommen differentialdiagnostisch in Frage:
- Kardiovaskulär z. B.:
- Schock
- Kollaps
- Adam- Stokes- Anfall
- Kreislaufstillstand
- Zerebrale Störungen z. B.:
- Subarachnoidalblutung
- subdurales / epidurales Hämatom
- hypertone Massenblutung
- Sinusthrombose
- Meningitis
- Enzephalitis
- Enzephalomalazie
- Schädel- Hirn- Trauma
- Epilepsie
- generalisierter Krampfanfall
- Endokrine Störungen z. B.:
- hypoglykämischer Schock s. hypoglykämisches Koma (hypertone Muskulatur, Haut feucht, Atmung normal etc.)
- Coma diabeticum
- Addison- Krise
- Diabetes insipidus
- hypophysäres Koma
- hyperkalzämische Krise
- thyreotoxische Krise
- myxödematöses Koma
- ketoazidotisches Koma (Ketone positiv)
- hyperosmolares Koma (Osmolarität > 320 mmol / l [Menche 2020])
- Toxisch z. B.:
- exogene Vergiftungen durch
- Alkohol
- Drogen, insbesondere Heroin
- Psychopharmaka
- Sedativa
- endogene Vergiftungen durch
- Coma hepaticum
- Urämie (Herold 2020)
- Anoxämisch z. B.:
- Hyperkapnie bei respiratorischer Globalinsuffizienz
- Erstickung (Herold 2020)
- Psychisch z. B.:
- Hysterie (Herold 2020)
Therapie
Nur durch die Beseitigung der Ursachen ist eine erfolgreiche Therapie des laktatazidotischen Komas möglich (Renz 2009).
Therapie allgemein
Die Behandlung ist abhängig sowohl von der Ursache als auch von dem Schweregrad des Laktatazidose (Berndt 2015).
- Vit. B1 – Mangel:
Zu diesem kommt es besonders häufig bei Alkoholikern und Mangelernährten. Sollte ein B1- Mangel nachwiesen sein, empfiehlt sich die langsame i. v. Gabe von Thiamin (Berndt 2015).
- Biguanid- verursachte Laktatazidose:
Hierbei sollte die Elimination der Substanz durch eine Dialyse erfolgen. Dem Körper wird dadurch nicht nur das Metformin entzogen, sondern gleichzeitig auch ohne Natrium- bzw. Volumenbelastung Bikarbonat zugeführt werden (Berndt 2015).
- Bikarbonatgabe:
Im laktatazidotischen Koma ist die Produktion von Laktat so ausgeprägt, dass die Azidose durch eine Alkalisubstitution nicht mehr ausgeglichen werden kann, da die Natriumbelastung dann zu hoch wäre.
Es sollte allerdings ein pH von wenigstens > 7,1 angestrebt werden. Die zunehmende Natriumkonzentration kann dannmit Diuretika angekurbelt werden (Hien 2007).
Ein weiteres Problem stellt das durch die Pufferung mit Bikarbonat entstehende CO2 dar, welches nur durch Steigerung der alveolären Ventilation eliminiert werden kann. Die Infusion sollte deshalb nur langsam erfolgen. Ansonsten ist die Elimination nicht gewährleistet und es kann im Blut zu einem Anstieg des CO2 Spiegels kommen, da die Diffusion von CO2 durch die Zellmembran zum einen die intrazelluläre Azidose verstärkt und zum anderen den zellulären Metabolismus beeinflusst.
Es wird deshalb über Puffersubstanzen diskutiert, die nicht zu einer vermehrten Bildung von CO2 führen wie z. B. Natriumkarbonat, Natriumhydrogencarbonat oder Tris (hydroxymethyl)- aminomethan (TRIS)
(Berndt 2015).
Die durch die Diurese und Azidose auftretenden massiven Verluste an Kalium müssen ebenfalls ausgeglichen werden. Das kann am besten durch eine Hämodialyse erfolgen. Diese sollte ab einem
pH < 7,0 und Laktatwerten > 90 mmol / l eingesetzt werden (Hien 2007).
- weitere Indikationen zur Hämodialyse sind:
- Biguanid- verursachte Laktatazidose (s. o.)
- Hypothermie
- Azotämie
(Berndt 2015)
Verlauf/Prognose
Kluge (2018) berichtet über eine Mortalität von 80 % bei Serum- Laktatwerten > 10 mmol / l und 100 % , sofern die Laktatazidose über 48 h persistiert.
Die Mortalität des durch eine Therapie mit Biguaniden ausgelösten laktatazidotischen Komas ist ebenfalls hoch und liegt bei bis zu 50 % (Reitgruber 2021).
Hinweis(e)
Prophylaxe
Um ein laktatazidotisches Koma unter einer Behandlung mit Metformin so niedrig wie möglich zu halten, sind unbedingt die Kontraindikationen zu beachten.
Diese sind:
- schwere Niereninsuffizienz mit andauernder eGFR < 30 ml / min
- Zustände, die für eine Gewebshypoxie prädisponiert sind wie z. B. respiratorische Insuffizienz, Kreislaufschock, schwere Herzinsuffizienz (Mehnert 2003)
- dekompensierte Herzinsuffizienz
- schwere Leberfunktionsstörungen
- Fasten
- Reduktionskost
- Alkoholismus
- konsumierende Erkrankungen
- akute und schwere Erkrankungen
- gastrointestinale Infekte
- Gravidität
- 48 h vor und nach einer Pyelographie mit Kontrastmitteln, da ansonsten die Gefahr einer Laktatazidose besteht
- vor und nach Operationen (s. a. Diabetes und operative Eingriffe)
(Herold 2020)
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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