Erstbeschreiber
Synonym(e)
Diabetesschock; Koma durch Unterzuckerung; Schock durch Unterzuckerung; Zuckerschock
Erstbeschreiber
Der Begriff „Koma“, im Griechischen „fester Schlaf, Schlafsucht“, wurde lange Zeit unterschiedlich definiert. Für die Medizin haben erstmals Frowein 1976 und Brihaye 1978 den Begriff definiert als einen Zustand, bei dem die geistige Wahrnehmung seiner selbst und seiner Umgebung nicht mehr möglich ist. Eine internationale Vereinheitlichung findet sich 1979 im „Glossary of Neurotraumatology“ von Anonymus (Moskopp 2015).
Kurz nach Beginn der Insulinbehandlung im Jahre 1922 wurde erstmals in Toronto über eine Hypoglykämie als Nebenwirkung der Insulintherapie berichtet (Plate 2008).
Die Todd- Lähmung wurde im Jahre 1849 vom irischen Arzt Robert Bentley Todd (1809 – 1860) erstmals beschrieben und bezog sich auf eine vorübergehende postiktale Lähmung. Mitunter findet sich auch die Bezeichnung „Bravais- Phänomen (nach dem gleichnamigen französischen Arzt benannt) für eine temporäre Parese (Krämer 2005).
Definition
Unter einem hypoglykämischen Koma versteht man einen durch absoluten oder relativen Insulinüberschuss ausgelösten Zustand der Bewusstlosigkeit, bei dem die geistige Wahrnehmungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Lediglich auf Schmerzreiz hin sind spontane Bewegungen möglich (Moskopp 2015).
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Einteilung
Die Einteilung eines Komas erfolgt i. d. R. durch die sog. Glasgow- Koma- Skala (GCS = Glasgow coma scale). Da bei dieser Skala jedoch die Zeichen einer Hirnstammfunktionsstörung nicht ausreichend berücksichtigt werden, wurde der Schweregrad des Komas anhand der (wichtigsten) Zeichen einer lebensbedrohlichen Einklemmung mit Hirnfunktionsstörungen vom Neurotraumatology Committee WFNS (World Federation of Neurosurgical Societies) wie folgt zugeordnet:
- Komagrad 1:
Dieser bezeichnet ein Koma ohne weitere Störungen.
- Komagrad II:
Hierbei finden sich neben dem Koma auch noch Seitenzeichen, eine Hemiparese und / oder ein einseitiger Verlust der Pupillenreaktion.
- Komagrad III:
Beim Komagrad III finden sich zusätzlich zum Koma auch noch Strecksynergismen.
- Komagrad IV:
Hier kommt es neben dem Koma zu einem beidseitigen Verlust der Pupillenfunktion.
(Moskopp 2015)
Vorkommen/Epidemiologie
Genaue Angaben zur Häufigkeit eines hypoglykämischen Schocks liegen mit nicht vor. Schwere Hypoglykämien treten am häufigsten im Zusammenhang mit einem Diabetes mellitus auf. Typ 1 Diabetiker erleiden durchschnittlich eine schwere Hypoglykämie pro Jahr (Kasper 2015).
Bei Typ 2 Diabetikern treten schwere Hypoglykämien bei ca. 0,7 – 12 pro 100 Personenjahre auf. Sie finden sich besonders häufig bei:
- älteren Patienten
- langer Diabetesdauer
- Patienten mit Hypoglykämien in der Vorgeschichte (Silbert 2018)
Ätiopathogenese
Die Ursache eines hypoglykämischen Komas ist immer ein absolut oder relativ erhöhter Insulinspiegel (Berlit 2005), der durch zahlreiche Auslöser bedingt sein kann:
- reaktiv
- exogen
- endogen
- hormonell
Näheres s. Hypoglykämie
Pathophysiologie
Man ging lange Zeit davon aus, dass den Neuronen im Gehirn durch eine Hypoglykämie Glukose entzogen wird und es dadurch zum Absterben der Neurone kommt. Inzwischen konnte man nachweisen, dass die Hypoglykämie Neurone aktiv abtötet. Im EEG ist dies durch eine Abflachung der Wellen nachweisbar (Auer 2004).
Wenn der Glukosespiegel für eine gewisse Zeit unter 18 mg / dl fällt, kommt es zu einem abrupten Energieversagen mit Freisetzung von Aspartat in den extrazellulären Raum des Gehirns. Dieses überflutet die erregenden Aminosäure- Rezeptoren an den neuronalen Dendriten. In den Zellen kommt es zu einem Kalziumeinstrom und zur Zerstörung der Membran, was letztlich zu einer neuronalen Nekrose führt.
Die Hypoglykämie lässt sich von der Ischämie differenzieren durch die neuropathologische Verteilung: Die hypoglykämischen Schädigungen finden sich bevorzugt in dem im Hippocampus gelegenen Gyrus dentatus und den oberflächlichen Schichten des Kortex. Hirnstamm und Kleinhirn bleiben von hypoglykämischen Hirnschäden verschont (Auer 2004).
Klinisches Bild
Das hypoglykämische Koma tritt - im Gegensatz zum hyperglykämischen Koma– plötzlich, innerhalb von Minuten auf. Vor dem Bewusstseinsverlust können noch Zeichen einer Hypoglykämie vorhanden sein wie z. B. Zittern, Schwitzen, Unruhe, Heißhunger (Berlit 2005). Nähere Angaben s. Hypoglykämie.
Im Koma kann der Patient folgende Symptome aufweisen:
- tiefe Bewusstlosigkeit
- primitive Automatismen wie z. B.:
- Schmatzen
- Grimassieren
- Greifen
- zentrale Atem- und Kreislaufstörungen (Herold 2020)
- fokale Defizite in Form von vorübergehenden Paresen (sog. Todd- Parese [Amiel 2021])
- Krampfanfall (Kasper 2015)
- im Gegensatz zur Hyperglykämie finden sich eine:
- hypertone Muskulatur
- feuchte Haut
(Berlit 2005)
Diagnostik
Bei jeder unklaren Bewusstlosigkeit sollten immer primär die BZ- Werte überprüft werden, die i. d. R. bei einem hypoglykämischen Koma < 50 mg / dl liegen (Herold 2020).
Wichtig sind neben der Fremdanamnese, sofern diese erhoben werden kann, die Laborwerte (s. u.) und im weiteren Verlauf die diagnostische Abklärung der Ursache des hypoglykämischen Komas (s. u. "Labor").
Labor
- Blutglukose:
Vor einer Glukosegabe sollte – falls möglich – eine Blutabnahme zur Bestätigung der Diagnose erfolgen (Kasper 2015).
Zur Ursachenabklärung einer Hypoglykämie sollten bestimmt werden:
- HbA1c
- C- Peptid
- Plasmainsulin
- Proinsulin
- Beta Hydroxybutyrat- Spiegel
- Cortisol (Kasper 2015)
- ACTH (Bansal 2020)
- Wachstumshormone (Kasper 2015)
- Untersuchungen zur Ursachenfindung:
72 h- Hungerversuch:
Der Hungerversuch wird eingesetzt, um eine durch inadäquat hohe (Pro-) Insulinfreisetzung entstandene Hypoglykämie, wie sie z. B. beim endogenen Hyperinsulinismus oder beim Insulinom auftreten kann, nachzuweisen (Krebs 2018).
Hierbei werden Seruminsulin, Blutglukose, Insulin- / Glukose- Quotient und C- Peptid bestimmt.
Ergebnis:
- Insulin und C- Peptid zeigen einen parallelen Anstieg bei endogener Sekretion
- C- Peptid ist erniedrigt bei exogener Insulinzufuhr (Hypoglycaemia factitia)
- Insulin und C- Peptid sind erhöht bei Einnahme von Sulfonylharnstoffen (z. B. in suizidaler Absicht)
- Nachweis von Proinsulin i. S. oder Glibenclamid i. S. im Normbereich bei Einnahme von Sulfonylharnstoffen, erhöht bei Insulinom (Herold 2020)
Oraler Glukosetoleranz- Test (oGTT):
Dieser wird vor dem 72 h Hungerversuch durchgeführt. Hiermit lassen sich Späthypoglykämien, die über 5 Stunden nach der Nahrungsaufnahme auftreten, objektivieren (Herold 2020).
Glucagon- Stimulationstest (GST):
Der GST stellt eine ergänzende Untersuchung dar, die die Ätiologie der Hypoglykämie ermitteln kann. Der Test sollte unter stationären Bedingungen durchgeführt werden.
Nach nächtlichem Fasten erhält der Patient über 2 min lang eine i. v. Injektion von 1 mg Glukagon. Der Plasmaglukose- und Insulinspiegel werden zu Beginn und in genau definierten Zeitabständen gemessen.
Ergebnis:
- Normal:
Die maximale Insulinreaktion tritt rasch ein und übersteigt 100 uU / ml (4.033 ng / l) nicht. Die Serumglukose erreicht mit 140 + 24 mg / dl ihren Höhepunkt nach ca. 20 – 30 min.
- Insulinvermittelte Ursache :
Der Plasmaglucose- Spiegel steigt nach Glukagon auf Werte von > 25 mg / dl (1,4 mmol / l)
Ca. 15 – 30 min nach der Injektion steigen die Insulinwerte auf > 160 uU / ml (6.452,8 ng / l). Manche Patienten (in einer Studie waren es 8 %) mit Insulinom schütten jedoch kein Insulin aus.
- Anorexie / Lebererkrankungen:
Hierbei ist durch die erschöpften hepatischen Glykogenspeicher keine hyperglykämische Reaktion auf Glukagon möglich. Die Insulinreaktion kann leicht erhöht sein, aber nicht in dem Ausmaß wie bei Patienten mit Insulinom.
- Medikamente:
Medikamente wie z. B. Diazoxid, Diphenylhydantoin und Hydrochlorothiazid können zu falschen Ergebnissen beim GST führen.
- Nicht- Inselzelltumoren:
Patienten mit Nicht- Inselzelltumoren wie z. B. Hämangioperizytom oder Meningealsarkom zeigen bisweilen ähnliche Reaktionen wie Patienten mit Insulinom.
- Hinweise:
Patienten mit Leberzirrhose und portokavaler Anastomose können Spitzeninsulinwerte aufweisen und deshalb nicht von Patienten mit Insulinom unterschieden werden.
Auch bei Übergewichtigen, Patienten mit Akromegalie oder mit Aminophyllin bzw. mit Sulfonylharnstoffen Behandelten können Spitzenwerte für Insulin auftreten.
- Unerwünschte Wirkungen:
Durch den Test kann nach 90 – 180 min und nach Erbrechen eine (schwere) Hypoglykämie auftreten. Aus diesem Grund sollte während des gesamten Tests ein Arzt anwesend sein.
(Bansal 2020)
Differentialdiagnose
- Koma anderer Genese wie z. B:
- Epilepsie
- Apoplex (Herold 2020)
Komplikation(en)
Tritt gehäuft bei älteren Patienten > 70 Jahre in den ersten 10 Tagen nach dem hypoglykämischen Koma auf (Cruz 2020).
- Apoplex:
Das Apoplex- Risiko erhöht sich durch Hypoglykämien (Cruz 2020).
Therapie
Zunächst sollte zeitnah eine symptomatische Therapie der Hypoglykämie erfolgen mit z. B.:
- 40 – 100 ml 40 % Glukose i. v.
- Wiederholung nach 20 min
- anschließend eine 5 % ige Glukoselösung per infusionem bis zu einem BZ von 200 mg / dl (Berlit 2005)
Falls eine i. v. Gabe nicht möglich sein sollte, weil z. B. der Patient durch einen Laien erstversorgt wird oder durch die Unterzuckerung aggressiv reagiert, kann 1 mg Glukagon i. m. oder s. c. injiziert werden (Herold 2020).
Cave: Bei Patienten mit Glykogenmangel, wie es z. B. bei der alkoholinduzierten Hypoglykämie der Fall ist, wirktGlukagon nicht, da hierbei eine Erschöpfung der Glykogenreserven vorliegt und Glukagon durch Stimulierung der Glykogenolyse wirkt (Herold 2020 / Kasper 2015).
Glukagon stimuliert u. a. die Insulinsekretion und sollte deshalb bei Typ 2 DM nicht eingesetzt werden. Falls es sich um eine Sulfonylharnstoff- induzierter Hypoglykämie handelt, kann Glukagon zusammen mit dem Somatostatin-Analogon Octreotid, welches eine Unterdrückung der Insulinsekretion bewirkt, gegeben werden (Kasper 2015).
Anschließend sollte eine Ursachenabklärung mit entsprechender kausaler Therapie erfolgen (Berlit 2005).
Verlauf/Prognose
Beim hypoglykämischen Koma handelt es sich um einen Zustand, der unbehandelt immer zum Tode führt.
Eine schwere Hypoglykämie geht bidirektional mit dem Risiko der Verdopplung für nachfolgende kardiovaskuläre Ereignisse, einschließlich des Todes einher (Amiel 2021).
Man schätzt, dass ca. 6 – 10 % der Typ 1 Diabetiker an den Folgen einer Hypoglykämie versterben (Kasper 2015). Von den mit Insulin behandelten Diabetikern Typ 1 und 2 versterben ca. 2 – 4 % an einer Hypoglykämie (Balletshofer 2009).
Bei Patienten mit Z. n. hypoglykämischem Koma zeigen sich bei einer erneuten Hypoglykämie signifikante EEG- Veränderungen (Maran 2017).
Prophylaxe
Der Diabetes- Patient ist ausführlich über Symptome einer Hypoglykämie und dessen Verhinderung in Schulungsgruppen aufzuklären (Kasper 2015).
Typ 1 Diabetiker sollten stets ein Notfallset mit Glukagon bei sich führen. Angehörige bzw. Betreuungspersonen sollten in Schulungsgruppen sowohl über die Symptome einer Hypoglykämie als auch über die Handhabung der Glukagonspritze unterrichtet werden (Haak 2018).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
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- Berlit P (2005) Therapielexikon Neurologie. Springer Verlag Heidelberg / Berlin 660
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- Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 746, 748 - 750
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