Synonym(e)
Erstbeschreiber
Den Somogyi- Effekt beschrieb als Erster Michael Somogyi im Jahre 1959 (Somogyi 1959).
Schmidt et al. bezeichneten 1981 die passagere Insulinresistenz, die zu einer morgendlichen Hyperglykämie führt, als sog. Dawn- Phänomen. Campbell et al. wiesen 1985 nach, dass diese Form der Hyperglykämie auf eine nächtliche Sekretion an Wachstumshormonen zurückzuführen ist (Hürter 1997).
Definition
Unter einer Hyperglykämie morgens, nüchtern (definitionsgemäß ein Blutzucker von > 125 mg / dl [Herold 2020]) versteht man einen durch verschiedene Ursachen ausgelösten erhöhten Blutzuckerspiegel.
Auch interessant
Vorkommen
Das Dawn- Phänomen tritt besonders häufig beim Typ 1 DM (Herold 2020) und bei Kindern bzw. Jugendlichen mit ausgeprägter Tagesrhythmik auf (Hien 2007). Die Prävalenz wird für Typ 1 und Typ 2 DM auf > 50 % geschätzt (O’Neal 2021).
Den Somogyi- Effekt findet man nur sehr selten (Howorka1988). Betroffen sind überwiegend Kinder und Jugendliche mit einer ausgeprägten hormonellen Tagesrhythmik (Hien 2007).
Ätiologie
Die Ursachen einer morgendlichen Hyperglykämie können sein:
- 1. zu kurze Wirkungsdauer der einmaligen morgendlichen Gabe eines Verzögerungsinsulins:
Diese bewirkt nächtliche und besonders morgendliche Hyperglykämien (Herold 2020).
- 2. sog. Dawn- Phänomen:
Beim Dawn- Phänomen kommt es in der 2. Nachthälfte durch vermehrte Sekretion des Wachstumshormons GH (growth hormone) zu einem erhöhten Insulinbedarf (Herold 2020). Eine vorangehende Hypoglykämie findet sich hierbei nicht (Hien 2007). Näheres s. Dawn- Phänomen.
- 3. sog. Somogyi- Effekt:
Hierbei wird durch eine zu hohe abendliche Insulindosis eine nächtliche Hypoglykämie ausgelöst, die dann zu einer reaktiven morgendlichen Hyperglykämie führen kann (Herold 2020). Näheres s. Somogyi- Effekt.
Sowohl der Somogyi- Effekt als auch das Dawn- Phänomen können beim selben Patienten an unterschiedlichen Tagen auftreten (Kolossa 2014).
Pathophysiologie
Bei Patienten ohne Diabetes mellitus bleiben der Plasmainsulin- und der Blutzuckerspiegel über Nacht konstant. Lediglich kurz vor der Morgendämmerung kommt es zu einem geringen Anstieg der Insulinsekretion, der dazu dient, die hepatische Glukoseproduktion zu unterdrücken und eine Hyperglykämie zu verhindern (O’Neal 2021).
Beim Dawn- Phänomen wird durch die nächtliche Ausschüttung von Wachstumshormonen die Ausscheidung von Stickstoff vermindert und die Aufnahme von Aminosäuren in die Zelle gefördert. Wachstumshormone wirken – bezüglich des Aminosäurestoffwechsels - synergetisch zum Insulin und hemmen die Glukoseaufnahme in der Peripherie (Siegenthaler 2006).
Beim Somogyi- Effekt kommt es durch eine Hypoglykämie im Rahmen einer hormonellen Gegenreaktion zu einem Blutzuckeranstieg und damit außerdem zu einer Insulinresistenz (Mehnert 2003).
Klinisches Bild
Eine moderate Erhöhung der Blutglukose, wie sie sowohl beim Dawn- Phänomen als auch beim Somogyi- Effekt auftritt, verursacht i. d. R. keine Symptome.
Wenn neben der morgendlichen Hyperglykämie auch noch Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit (Reinhardt 2004) und nächtliches Schwitzen bestehen, kann man differentialdiagnostisch am ehesten einen Somogyi- Effekt vermuten (Wehling 2006).
Diagnostik
Die Diagnostik der morgendlichen Hyperglykämien besteht aus nächtlichen BZ- Kontrollen.
Falls der BZ sowohl nachts als auch morgens hoch ist, liegt am ehesten ein Dawn- Phänomen vor (Reinhardt 2004). Beim Dawn- Phänomen sollten deshalb BZ- Kontrollen um 22 / 2 / 4 Uhr erfolgen (Herold 2020). Näheres s. Dawn- Phänomen.
Bei morgendlichen Hyperglykämien, die durch den Somogyi- Effekt ausgelöst werden, empfehlen sich diese Kontrollen zwischen 3 – 4 h (Herold 2020), da zwischen 0.00 Uhr bis 3.00 Uhr die größte Insulinwirksamkeit vorliegt (Hien 2007).
Beim Somogyi- Effekt kann der BZ nachts niedrig und morgens erhöht sein (Reinhardt 2004), viel häufiger ist der BZ aber morgens niedrig oder normal. Näheres s. Somogyi- Effekt.
CGM
Das Dawn- Phänomen kann durch einen Somogyi- Effekt maskiert werden. Zur näheren Differenzierung sollte hierbei die kontinuierliche Gewebezuckermessung (CGM) eingesetzt werden (Kolossa 2014).
Labor
Beim Dawn- Phänomen finden sich im Morgenurin typischerweise keine Ketonkörper (Furger 2003). Diese sind aberbeim Somogyi- Effekt im (glukosefreien) Morgenurin zu finden (Hien 2007).
Komplikation(en)
In epidemiologischen Analysen ergab sich für den Anstieg des HbA1c- Wertes um 1 % ein 15 % - 20 % höheres Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen.
In einer Studie von schwedischen Forschern zeigte sich die Verringerung der kardiovaskulären Mortalität um bis zu 45 % bei einer Senkung des HbA1c- Wertes um 0,8 % (O’Neal 2021).
Therapie
- zu 1. morgendliche Einzeldosis Insulin:
Hier sollte zusätzlich zur morgendlichen Insulingabe eine weitere abendliche Gabe Insulin erfolgen in der Relation morgens / abends: 2 – 3 zu 1 (Herold 2020).
- zu 2. zu Dawn- Phänomen:
Die abendliche Insulindosis mit Intermediär- oder Langzeitinsulin ist anzupassen.
Alternativ kann auch eine Insulinpumpe eingesetzt werden, die dann auf eine erhöhte Basalrate Insulin in den frühen Morgenstunden eingestellt werden sollte (Herold 2020).
Näheres s. Dawn- Phänomen.
- zu 3. Somogyi- Effekt: Der Patient sollte vor dem Schlafengehen keinen BZ < 120 mg / dl haben. Falls das doch der Fall ist, empfiehlt es sich, 2 – 3 BE zu sich zu nehmen. Zur Vermeidung weiterer Vorkommnisse in dieser Art, ist die abendliche Dosis Insulin zu verringern (Herold 2020). Näheres s. Somogyi- Effekt.
Prognose
Es ist für die weitere Prognose des Diabetikers hinsichtlich der Langzeitfolgen wichtig,
bereits in der frühen Phase der Erkrankung eine optimale BZ- Einstellung zu erreichen. Wenn orale Antidiabetika nicht ausreichen, um ein Dawn- Phänomen zu verhindern, sollte frühzeitig auf Insulin umgestellt werden. Außerdem ist die Erkennung eines Dawn- Phänomens wichtig, um eine zunehmende Insulinresistenz zu verhindern (O’Neal 2021).
Die Implantation einer Insulinpumpe im Kindes- und Jugendalter erfolgt in bis zu 48,8 % zur Vermeidung des Dawn- Phänomens (Kapellen 2006).
Hinweis(e)
Neueste Studien, die an der Washington University School of Medicine durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass Diabetiker mit nächtlichen Hypoglykämien morgens eine Hypo- und nicht eine Hyperglykämie aufweisen. Nächtliche Hypoglykämien führten in dieser Studie auch nicht zu einer Hyperglykämie am Folgetag.
Es wurde keine Korrelation zwischen erhöhten Glukosespiegeln und gegenregulierenden Hormonen wie z. B. Adrenalin, Cortisol, Glukagon und Wachstumshormonen gefunden.
Damit wäre der Somogyi- Effekt widerlegt (Reyhanoglu 2021).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 738
- Hien et al. (2007) Diabetes- Handbuch: Eine Anleitung für Praxis und Klinik. Springer Verlag Heidelberg 167 - 168
- Howorka K (1988) Funktionelle, nahe- normoglykämische Insulinsubstitution. Springer Verlag Heidelberg 105 - 106
- Hürter P et al. (1997) Diabetes bei Kindern und Jugendlichen: Klinik – Therapie – Rehabilitation. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York 260 - 262
- Kapellen T et al. (2006) Die Insulinpumpe im Kindes- und Jugendalter: Unterschiede in den einzelnen Altersgruppen hinsichtlich der Therapieziele und deren Verwirklichung. Diabetologie und Stoffwechsel 1 – A 75 DOI: 10.1055/s-2006-943800
- Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 2412
- Kolossa R (2014) Insulinpumpentherapie. Diabetologe (10) 472 – 476
- Mehnert H et al. (2003) Diabetologie in Klinik und Praxis. Georg Thieme Verlag Stuttgart 327
- O’Neal T B et al. (2021) Dawn- Phenomenon. StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing;Bookshelf ID: NBK430893. PMID: 28613643
- Reinhardt D (2004) Therapie der Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 153
- Reyhanoglu G et al. (2021) Somogyi Phenomenon. StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing. PMID: 31855369, Bookshelf ID: NBK551525
- Siegenthaler W et al. (2006) Klinische Pathophysiologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 1173
- Somogyi M (1959) Exacerbation of diabetes by excess insulin action. The American Journal of Medicine 26 (2) 169 - 191