Synonym(e)
Erstbeschreiber
Die Beschreibung einer familiären Häufung des diffusen hereditären Magenkarzinoms bei Maori- Familien findet sich erstmals beschrieben bei Jones et al. im Jahre 1964 (Treese 2021). Der Nachweis der zugrunde liegenden Mutation gelang als Erstem Guilford et al. im Jahre 1998.
Definition
Beim diffusen hereditären Magenkarzinom (HDGC) handelt es sich um ein selten auftretendes, autosomal dominant vererbbares Tumorsyndrom mit 70 – 80 %- iger Penetranz (Wolf 2010).
Auch interessant
Einteilung
Bislang sind 3 große hereditäre Syndrome des Magens beschrieben, die alle autosomal dominant vererbt werden:
- Hereditäres diffuses Magenkarzinom (HDGC)
- Magen- Adenokarzinom und proximale Polyposis des Magens (GAPPS)
- Familiäres intestinales Magenkarzinom (FIGC) (Gullo 2020)
In einer Expertenkonsensus- Konferenz im Jahre 2020 (International Gastric Linkage Consortium = IGCLC) wurden erstmals für das hereditäre diffuse Magenkarzinom klinische Gruppen definiert:
- Nachgewiesene Mutation im CDH1- Gen, klinisch aber lediglich auffällig mit einem lobulären Mammakarzinom (HLBC)
- Keine Mutation nachweisbar bei klinisch erfüllten familiären HDGC- Kriterien (HDGC- like). Diese Gruppe umfasst ca. 50 % (Treese 2021)
Allgemeine Information
Eine Keimbahnmutationsdiagnostik sollte auf jeden Fall angeboten werden, für den Fall dass:
1. Bei mindestens zwei Familienmitgliedern ersten oder zweiten Grades ist ein Magenkarzinom aufgetreten, wobei mindestens in einem Fall ein diffuses Magenkarzinom besteht.
2. Es gibt einen Erkrankten in der Familie mit diffusem Magenkarzinom vor dem 40. Lebensjahr.
3. In der Familie sind sowohl ein diffuses Magenkarzinom als auch ein lobuläres Mammakarzinom aufgetreten, mindestens ein Fall davon vor dem 50. Lebensjahr (Leitlinie 2019).
In folgenden Fällen kann eine Testung erwogen werden:
1. Auftreten eines bilateralen lobulären Mammakarzinoms vor dem 50. Lebensjahr oder bei Auftreten von mindestens zwei lobulären Mammakarzinomen in der Familie vor dem 50. Lebensjahr.
2. In der Eigen- oder Familienanamnese liegen eine Lippen- / Kiefergaumenspalte und ein diffuses Magenkarzinom vor.
3. Histologischer Nachweis eines in situ- Siegelringkarzinoms und / oder einer pagetoiden Ausbreitung von Siegelringzellen. Diese histopathologischen Befunde treten praktisch nie bei sporadischen Fällen auf (Leitlinie 2019).
Vorkommen
Von den Patienten, die an einem Magenkarzinom erkranken, liegt lediglich bei 1 – 3 % eine Keimbahnmutation vor (Leitlinie 2019).
Die Inzidenz des HDGC liegt bei 5 / 100.000 Lebendgeburten. Die Verteilung weltweit ist unterschiedlich, so sind z. B. Portugal und Italien Länder mit einer hohen Inzidenz, Länder mit niedriger Inzidenz sind z. B. Großbritannien und USA (Treese 2021).
Ätiologie
- Bei 25 – 50 % findet sich eine Mutation des E- Cadherin- Gens, die sog. CDH1- Mutation (Herold 2022)
- Nur selten besteht eine Mutation im CTNNA1- Gen (Treese 2021).
Träger des Gendefektes haben ein bis zu 80fach erhöhtes Risiko, an einem Magenkarzinom zu erkranken (Hüneburg 2014).
Es besteht ein autosomal dominanter Erbgang mit Penetranz für das Auftreten eines Magenkarzinoms bei Frauen in 56 % und bei Männern in 70 % (Treese 2021).
Pathophysiologie
Das diffuse Magenkarzinom wächst i. d. R. nicht in das Lumen, es infiltriert vielmehr frühzeitig die Magenwand. Man findet unterhalb des nichtneoplastischen Epithels einzelne, mitunter auch als Nester angeordnete Siegelringzellen. Diese entwickeln sich bevorzugt im Fundus und Korpus (Hollstein 2022).
Manifestation
Das Manifestationsalter eines HDGC ist variabel. Zwar sind Einzelfälle vor dem 18. Lebensjahr beschrieben worden, aber das Risiko gilt als äußerst gering (Leitlinien 2019).
Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei Mutationsträgern bei etwa 38 Jahren (Hollstein 2022).
Klinisches Bild
Die Symptome der Erkrankung sind lange Zeit unspezifisch. Erst in einem fortgeschrittenen Stadium treten spezifische Symptome auf wie z. B.:
- Abdominelle Schmerzen
- Schluckbeschwerden
- Appetitlosigkeit
- Übelkeit
- Erbrechen
- Postprandiales Völlegefühl
- Gewichtsverlust (Kaura 2018)
Diagnostik
Die Diagnostik eines HDGC umfasst endoskopische Sonographie, Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD), Biopsien, CT- Thorax und - Abdomen sowie den Nachweis der Genmutation (Hollstein 2022).
Histologie
Klassifiziert wird das HDGC nach Lauren:
- Intestinaler Typ: klar abgegrenzt
- Diffuser Typ: infiltratives Wachstum
- Mischtyp: das klinische Verhalten entspricht Karzinomen vom diffusen Typ (Berger 2023)
Histologisch findet man:
- Multifokales Wachstum
- Nachweis von Siegelringzellen (Treese 2021)
- Linitis plastica (typische Verdickung der Magenwand) (Kaura 2018)
Komplikation(en)
- Frühe Lymphknotenmetastasierung
- Bei Frauen besteht ein bis 60 %- iges Risiko, zusätzlich an einem lobulären Mammakarzinom zu erkranken (Hollstein 2022)
Prognose
Das Magenkarzinom bleibt weltweit weiterhin – trotz abnehmender Helicobacter- pylori- Infektionsraten – die vierthäufigste Todesursache bei Tumorerkrankungen (Treese 2021).
Die Prognose des HDGC ist – aufgrund der frühen Lymphknotenmetastasierung – eher ungünstig (Hollstein 2022). Die Diagnose kann meistens erst in einem fortgeschrittenen Stadium gestellt werden, da lange Zeit keine oder lediglich unspezifische Symptome bestehen. Die 5- Jahresüberlebensrate liegt in einem späten Stadium bei < 30 % (Kaura 2018).
Nachsorge
Bei kurativ behandelten HDGC- Patienten sollte in der Nachsorge zusätzlich 1 x / Jahr eine Mammakarzinom- Vorsorgeuntersuchung erfolgen. Alternativ kann ihnen auch eine beidseitige Mastektomie angeboten werden (Treese 2021).
Hinweis(e)
Es wird gesicherten Trägern einer CDH1- Mutation empfohlen, ab dem 20. Lebensjahr eine prophylaktische Gastrektomie durchführen zu lassen (Leitlinien 2019). Alternativ kann auch eine mindestens jährliche Gastroskopie in Expertenzentren erfolgen (Treese 2021).
Allen Risikopersonen sollte ab dem 18. Lebensjahr eine genetische Beratung empfohlen werden (Leitlinien 2019).
Wenn die pathogene Variante in der Familie bekannt ist, sind pränatale Tests auf Risikoschwangerschaften möglich (Kaura 2018).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Berger D P, Engelhartdt M, Duyster J (2023) Das Rote Buch: Hämatologie und Internistische Onkologie. Ecomed- Medizin E- Book 988
- Guilford P, Hopkins J, Harraway J, McLeod M, McLeod N, Harawira P, Taite H, Scoular R, Miller A, Reeve A E (1998) E-cadherin germline mutations in familial gastric cancer. Nature 392 (6674) 402 – 405
- Gullo I, Grillo F, Mastracci L, Vanoli A, Carneiro F, Saragoni L, Limarzi F, Ferro J, Parente P, Fassan M (2020) Precancerous lesions of the stomach, gastric cancer and hereditary gastric cancer syndromes. Pathologica 3 (3) DOI:10.32074/1591-951X-166
- Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag
- Hollstein G (2022) Hereditäres diffuses Magenkarzinom (HDGC). Psychrembel de Gruyter Verlag 451
- Hüneburg R, van Heteren P, Weismüller T, Nattermann J, Aretz S, Perez- Bouza A, Strassburg C P (2014) Ausgiebige endoskopische3 Diagnostik übersieht diffuse Magenkarzinome bei Anlageträgern für ein hereditäres diffuses Magenkarzinom. Z Gastroenterol. 52 – KG 002
- Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education
- Kaura P, Huntsman D G, Adam M P, Feldman J, Mirzaa G M, Pagon R A, Wallace S E, Bean L J H, Gripp K W, Amemiya A (2018) Hereditary Diffuse Gastric Cancer. PMID: 20301318, Bookshelf ID: NBK1139
- Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): (2019 )S3- Leitlinie Magenkarzinnom. AWMF- Registernummer 032 / 009OL (abgerufen am 02.03.2024)
- Langner C (2017) Hereditäres Magen- und Pankreaskarzinom. Die Pathologie. 3
- Treese C, Siegmund B, Daum S (2021) Hereditäres diffuses Magenkarzinom – Ein Update.
- Wolf E M, Geigl J B, Svrcek M, Vieth M, Langner C (2010) Hereditäres Magenkarzinom. Pathologe (31) 423 - 429