Hereditäre Pankreatitis K86.1

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

This article in english

Synonym(e)

Chronische hereditäre Pankreatitis; HCP; Hereditäre Pankreatitis; OMIM: 167800

Definition

Die chronische hereditäre Pankreatitis wird definiert als:

seltene, autosomal-dominant vererbte, gastroenterologische Erkrankung, mit Beginn meist im frühen Kindesalter, die durch rezidivierende akute Pankreatitis und/oder chronische Pankreatitis bei mindestens 2 Verwandten ersten Grades oder 3 oder mehr Verwandten zweiten Grades in 2 oder mehr Generationen gekennzeichnet ist, und für die keine weiteren prädisponierenden Faktoren identifiziert wurden.

Vorkommen/Epidemiologie

Die geschätzte Prävalenz der hereditären chronischen Pankreatitis liegt bei 1-9 / 1.000. 000 (etwa 1/800.000 in Deutschland, etwa 1/330.000 in Frankreich etwa 1/175.000 in Dänemark).

Ätiopathogenese

Der genaue pathophysiologische Hintergrund, weshalb z.B. die beschriebenen Punktmutationen im kationischen Trypsinogen-Gen eine Pankreatitis zur Folge haben können, ist bis heute ungeklärt. Bereits Hans Chiari vermutete 1896 (Chiari H 1896) eine „Selbstverdauung“ des Pankreas als Ursache der Pankreatitis.

Die häufigsten Mutationen (im kationischen Trypsinogen-Gen ) führen zum Basenaustausch im Trypsinogen-Gen mit der Konsequenz einer veränderten Expression von Trypsinogen. Trypsin nimmt bei der Aktivierung der pankreatischen Verdauungsenzyme eine Schlüsselrolle ein und kann sowohl sich selbst als auch alle anderen proteolytischen Proenzyme des Pankreas aktivieren (Lerch MM et al.2000).

Mehrere Mechanismen schützen das Pankreas vor einer Aktivierung der pankreatischen Enzymkaskade und Selbstverdauung (Rinderknecht H  et al. 1968). Hierzu gehören die Synthese der Verdauungsenzyme als inaktive Proenzyme (Zymogene), die Lokalisierung des aktivierenden Enzyms Enteropeptidase außerhalb des Pankreas im Dünndarm und eine niedrige intrapankreatische Kalziumkonzentration. Auch im normalen Pankreasgewebe werden geringe Mengen an Trypsinogen durch Autolyse zu aktivem Trypsin umgewandelt. Diese Trypsinaktivität wird durch zwei Mechanismen antagonisiert. Zum einen wird Trypsin durch Bindung an den Serinprotease-Inhibitor Kazal-Typ 1 (SPINK1) inaktiviert. Zum anderen kann aktives Trypsin durch sich selbst und durch Mesotrypsin degradiert werden (Rinderknecht H  et al. 1986)

Der Serinprotease-Inhibitor Kazal-Typ 1, auch als pankreatischer sekretorischerTrypsin-Inhibitor (PSTI) bezeichnet, ist ein spezifischer intrapankreatischer TrypsinInhibitor, der allerdings das Phänomen der „temporären Inhibition“ zeigt, da er selbst als Substrat für Trypsin dient (19).

Im Jahr 2000 wurde die Mutation N34S im SPINK1-Gen auf Chromosom 5 bei Patienten identifiziert, bei denen Mutationen im PRSS1-Gen zuvor ausgeschlossen worden waren (Witt H et al.2000). Bei der N34S-Mutation handelt es sich um einen Basenaustausch von A nach G im Exon 3, der zu einem Aminosäuren-Austausch von Asparagin (N) nach Serin (S) an Position 34 führt. Die Nähe der Mutation zum reaktiven Zentrum im Molekül lässt an eine verminderte Inhibitorkapazität denken (Witt H et al.(2001). Die N34S-Mutation findet sich vornehmlich bei Patienten ohne Familienanamnese für eine Pankreatitis und ohne Risikofaktoren für eine chronische Pankreatitis (Witt H et al.2000). Zum jetzigen Zeitpunkt scheinen die SPINK-Mutationen im Spektrum der hereditären Pankreatitis eine untergeordnete Rolle zu spielen (Brockmann, A. 2007).

Bekannt sind versch. Mutationen die zur chronischen Pankreatitis disponieren. Hierzu gehören:

  • PRSS1: Mutationen im PRSS1 (7q34) Gen, das für kationisches Trypsinogen Typ 1 kodiert (75% der Fälle weisen diese Mutation auf)
  • PRSS2: Mutationen im PRSS2-Gen (7q34), das für kationisches Trypsinogen Typ 2 kodiert
  • SPINK1: Mutationen im Serinprotease-Inhibitor, Kazal Typ 1 -Gen (5q32)
  • Andere Gene sind in geringerer Häufigkeit mit einer chronischen  Pankreatitis (idiopathisch und erblich) assoziiert. Hierzu gehören:
  • CFTR: der zystische Fibrose-Transmembranleitfähigkeitsregulator (CFTR; 7q31.2)
  • CTRC: Chymotrypsinogen C (CTRC; 1p36.21) (Cohn JA et al. 1998; Sharer N et al.1998)

Weitere seltene Mutationen sind mit HCP und idiopathischer chronischer Pankreatitis mit frühem Beginn assoziiert. Dies betrifft die Gene:

  • CPA1: Carboxypeptidase A1 (CPA1; 7q32.2)
  • CEL: Carboxylesterlipase (CEL; 9q34.13) und
  • PNLIP: Pankreaslipase (PNLIP; 10q25.3)

Sonderfall: Komplexe multigenetische Pankreatitis: Bei dieser Form der hereditären Pankreatitis sind typischerweise nur wenige Familienmitglieder betroffen. Es liegt bei den betroffenen Patienten eine variable Anzahl von Keimbahnmutationen in Genen vor, die eine Rolle in der Trypsinregulation spielen. Neben heterozygoten Varianten in PRSS1, CFTR und SPINK1 spielen dabei Veränderungen in weiteren Genen, wie CASR, CTRC, CLDN2 und CPA1 eine Rolle.

Diagnostik

Die Diagnose der HCP basiert auf den klinischen Merkmalen zusammen mit der Familienanamnese der chronischen Pankreatitis, dem Fehlen von auslösenden Faktoren und dem Ausschluss bekannter Ursachen der chronischen Pankreatitis sowie auf bildgebenden Verfahren. Sie ist zu unterstützen durch den Nachweis von Mutationen der genannten Gene.

Bildgebung

Die Bildgebung (abdominaler Ultraschall, endoskopischer Ultraschall, außergewöhnliche endoskopische retrograde Cholangiopankreatographie (ERCP), Magnetresonanz-Cholangiopankreatographie (MRCP)) zeigt morphologische Veränderungen wie Pankreasverkalkungen, Pankreasgangveränderungen, Pseudozysten und Gallengangs- und Duodenalobstruktion (Zeichen der chronischen Pankreatitis).

Differentialdiagnose

Zu den Differentialdiagnosen gehören andere Formen der chronischen Pankreatitis, vor allem alkoholische chronische Pankreatitis, idiopathische chronische Pankreatitis und Autoimmunpankreatitis.

Therapie allgemein

Die Hauptpfeiler der medizinischen Behandlung sind Schmerzkontrolle, Ernährungsunterstützung, Behandlung von Diabetes mellitus und Pankreasenzym-Supplementierung bei exokriner Insuffizienz. Chirurgie kann zur Behandlung akuter und chronischer Komplikationen der HCP indiziert sein und umfasst Debridement, Drainage, Dekompression und nur sehr selten Pankreatektomie. Zusätzliche Risikofaktoren für eine chronische Pankreatitis (Rauchen, Alkohol) sollten vermieden werden.

Verlauf/Prognose

Die Prognose von Patienten mit HCP ist unvorhersehbar; sie ist verschlechtert durch ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Pankreaskarzinoms.

Hinweis(e)

Die „Syndrom-gebundene Pankreatitis „ tritt assoziiert bei folgenden klinischen Syndromen auf:

  • Pearson marrow pancreas syndrome
  • CEL Maturity-Onset Diabetes of the Young (CEL-MODY)
  • Johanson-Blizzard-Syndrom
  • Zystische Fibrose (CF)
  • Shwachmann-Diamond-Syndrom
  • Morbus Wilson
  • Familiäre Adenomatöse Polyposis.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Brockmann, A. (2007) Klinische Charakterisierung und Evaluation endoskopischer Diagnostik und Therapie bei Patienten mit hereditärer Pankreatitis. Inauguraldissertation aus der Medizinischen Klinik A des Universitätsklinikums der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.
  2. Chiari H (1896): Über Selbstverdauung des menschlichen Pankreas. Zeitschrift für Heilkunde 17: 69 – 96
  3. Cohn JA et al. (1998) Relation between mutations of the cystic fibrosis gene and idiopathic pancreatitis. New England Journal of Medicine 339: 653 – 658
  4. Lerch MM, Gorelick FS: Early Trypsinogen activation in acute pancreatitis. Gastroenterology Clinical North America 84: 549-563
  5. McGaughran JM et al.(2004) Hereditary pancreatitis in a family of Aboriginal descent Journal Pediatric Child Health  40: 487–489
  6. Raphael KL et al. (2016) Hereditary pancreatitis: current perspectives. Clin Exp Gastroenterol 9:197-207.
  7. Rinderknecht H (1986). Activation of pancreatic zymogens. Normal activation, premature intrapancreatic activation, protective mechanisms against inappropriate activation. Digestive Disease Science  31: 314-321.
  8. Sharer N et al.(1998) Mutations of the cystic fibrosis gene in patients with chronic pancreatitis. New England Journal of Medicine 339:645-52.
  9. Witt H et al.(2000) Mutations in the gene encoding the serine protease inhibitor, Kazal type 1 are associated with chronic pancreatitis. Nature genetics 25: 213–216.
  10. Witt H et al.(2001) Genetische Aspekte der chronischen Pankreatitis. Deutsche Medizinische Wochenschrift 126: 988–993)

Verweisende Artikel (1)

Pankreatitis akute;

Weiterführende Artikel (6)

CFTR-Gen; CTRC-Gen; Morbus Wilson ; PRSS1; SPINK11-Gen; SPINK1-Gen;

Disclaimer

Bitte fragen Sie Ihren betreuenden Arzt, um eine endgültige und belastbare Diagnose zu erhalten. Diese Webseite kann Ihnen nur einen Anhaltspunkt liefern.

Abschnitt hinzufügen

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024