Definition
Synonyme
Chaotische atriale Tachykardie; CAT;
Definition
Unter einer fokalen atrialen Tachykardie (FAT) versteht man das Auftreten eines atrialen Rhythmus mit einer Frequenz von ≥ 100 Schlägen pro Minute, der seinen Ursprung in einem umschriebenen Bereich der Vorhöfe hat und sich von dort zentrifugal über beide Vorhöfe ausbreitet. Dabei variiert die Frequenz der Ventrikel in Abhängigkeit von der Überleitung im AV- Knoten (Brugada 2019).
Einteilung
Fokale atriale Tachykardien zählen zur Gruppe der atrialen Tachykardien (Brugada 2019).
Man differenziert bei der fokalen atrialen Tachykardie zwischen:
- Unifokaler FAT
- Multifokaler FAT (Herold 2022), auch als MAT bezeichnet (Kasper 2015).
- Atrialer Reentry- Tachykardie (Haverkamp 2003)
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Vorkommen/Epidemiologie
Über die Prävalenz der FAT liegen keine Angaben vor (Liwanag 2022). Haverkamp (2003) beschreibt die Inzidenz atrialer Tachykardien zwischen 5 – 10 %, die Geschlechterpräferenz sei in etwa ausgeglichen. Die FAT macht in etwa 10 % der Patienten mit paroxysmaler supraventrikulärer Tachykardien aus, die zur Katheterablation kommen (Kasper 2015).
Die multifokale atriale Tachykardie (MAT) kommt bei den atrialen Tachykardien verhältnismäßig selten vor. Sie tritt bevorzugt bei Neugeborenen auf (Haas 2011).
Die FAT kann grundsätzlich durch sämtlich Herzerkrankungen, die den Vorhof betreffen, verursacht werden (Kasper 2015).
- Unifokale FAT findet man bei:
- Gesunden
- bei Z. n. Herzoperationen (Herold 2022)
- Multifokale FAT können auftreten durch:
- kardiale Fehlbelastung z. B. bei angeborenen Herzfehlern, nach Herzoperationen etc.
- schwere Herzinsuffizienz
- Theophyllin- Intoxikation
- Cor pulmonale (Herold 2022)
- chronische Lungenerkrankungen
- akute Erkrankungen (Kasper 2015)
Ätiopathogenese
Bis zum Beweis des Gegenteils deutet eine Vorhoftachykardie mit AV- Block immer auf eine Digitalisintoxikation hin (Herold 2022).
FAT kann auftreten im Rahmen von:
- chronischen Lungenerkrankungen
- pulmonaler Hypertonie
- ischämischen Herzerkrankungen
- Hypoxie
- Stoffwechselstörungen
- Digitalisintoxikation (bei multifokalen FAT [Krehan 2017])
- erhöhtem sympathischen Tonus
- Einnahme von Stimulanzien wie z. B. Koffein, Kokain, Ephedrin, Schokolade
- Alkohol (Liwanag 2022)
- nach Ablation bei Vorhofflimmern (Müller- Edenborn 2021)
Pathophysiologie
Unifokale FAT:
Diese sind in den meisten Fällen zurückzuführen auf:
- abnorme Automatie: Zu dieser kommt es durch eine spontane Phase- 4- Depolarisation. Während der Phase- 4 ist die Herzmyozytenmembran polarisiert und hält den nach innen gerichteten Kaliumkanal im Gleichgewicht. Durch einen beschleunigten Phase- 4 Anstieg führt eine abnormale Automatik zur Depolarisation der Zellen (Liwanag 2022).
- getriggerte Automatie
- kleinen Reentry- Kreislauf (dieser beschränkt sich auf das Atrium oder einen Teil des atrialen Gewebes und erstreckt sich in den Koronarvenensinus, eine Lungenvene oder die V. cava)
(Kasper 2015)
- selten durch unbestimmten Mechanismus (Liwanag 2022)
Multifokale FAT:
- automatische Auslösung mehrerer atrialer Foci (Kasper 2015)
(Liwanag 2022)
Klinisches Bild
Eine FAT kann asymptomatisch verlaufen oder sich in erster Linie durch Beschwerden der zugrunde liegenden Erkrankung äußern. Es kann aber auch zu folgenden Symptomen kommen:
- Palpitationen
- Benommenheit
- Dyspnoe
- Schmerzen oder thorakalemDruck
- unregelmäßigem Herzschlag
- Empfindungen einer schnellen Herzfrequenz (Liwanag 2022)
Die Symptome können anhaltend oder intermittierend auftreten, durch Stress, Bewegung, Konsum koffeinhaltiger Produkte ausgelöst bzw. verschlimmert werden (Liwanag 2022).
Diagnostik
EKG und Bestimmung des Glykosidspiegels, sofern der Patient digitalisiert ist (Herold 2022). Bei V. a. intermittierende FAT sollte ein Langzeit- EKG durchgeführt werden (Kasper 2015).
Bildgebung
EKG:
Im EKG können auftreten:
- regelmäßige Tachykardie auf Vorhofebene
- Frequenz zwischen 100 – 250 BPM (Liwanag 2022)
- veränderte monomorphe P- Wellen- Konfiguration (Herold 2022).
- ventrikuläre Überleitung kann variabel sein:
- unregelmäßiger oder regelmäßiger AV- Block mit
- stabiler 1 : 1 Überleitung oder
- stabiler 1 : 2 (Mobitz- Typ) oder
- wechselnder 1: 2 (Wenckebach- Typ)
- i. d. R. schmale QRS- Komplexe, bei kardialer Fehlbelastung oder hoher Frequenz können diese auch schenkelblockartig deformiert sein
- oftmals schleichender Beginn bzw. Ende der FAT, sog. warming- up / cooling- down (Herold 2022)
Linkes Atrium:
Bei einer Tachykardie aus dem linken Atrium tritt i. d. R. eine monophasische positive P- Welle in der Ableitung V 1 auf (Kasper 2015).
Vorhofseptum:
Kommt die Tachykardie aus dem Vorhofseptum, so findet sich häufig eine kürzere Dauer der P- Wellen als beim Sinusrhythmus (Kasper 2015).
Rechtes Atrium:
Eine Tachykardie aus dem rechten Atrium zeigt eine positive P- Wellen- Morphologie in Ableitung I (Kasper 2015) und eine biphasische P- Wellen- Morphologie in Ableitung V 1 mit einer Sensitivität von 93 % und einer Spezifität von 88 % und in der Ableitung aVL mit einer Sensitivität von 88 % und einer Spezifität von 79 % (Traykov 2015).
Superiore Bezirke des Atrium:
Hierbei handelt es sich um Bezirke wie z. B. Vena cava superior oder die superiore Pulmonalvene. Die P- Welle ist hierbei in den inferioren Ableitungen II, III und aVF positiv (Kasper 2015).
Inferiore Bezirke des Atriums:
Diese betreffen z. B. das Ostium des Koronarvenensinus. Es finden sich in den inferioren Ableitungen II, III und aVF negative P- Wellen (Kasper 2015).
Crista terminalis:
Hierbei ähnelt die P- Welle einer Sinustachykardie (Kasper 2015).
Unifokale FAT:
Der Kammerkomplex ist schmal (sog. Schmalkomplextachykardie) bei einer QRS- Dauer ≤ 120 ms (Brugada 2019). Die Frequenz liegt zwischen 100 – 250 Schlägen / min. Es sind vor dem QRS- Komplex typische monomorphe P- Wellen erkennbar, die sich von den P- Wellen des Sinusrhythmus unterscheiden (Krehan 2017).
Multifokale FAT:
Im EKG finden sich im Minimum 3 unterschiedliche P- Konfigurationen mit wechselnden PP- und PQ- Intervallen (Herold 2022), am besten in ll, lll und V1 erkennbar. Die AV- Überleitung kann frequenzabhängig aberrierend sein, was zu schenkelblockartig deformierten Kammerkomplexen führt (Haas 2011) mit einer QRS- Dauer von ≥ 120 ms (Kasper 2015). Die Frequenz liegt zwischen 100 – 160 Schlägen / min. (Krehan 2017). Man findet aber, im Gegensatz zum Vorhofflimmern klare isoelektrische Intervalle zwischen den P- Wellen (Kasper 2015).
Es handelt sich hierbei um eine sog. unregelmäßige Breitkomplextachykardie (Brugada 2019).
Labor
- Elektrolyte (insbesondere Kalium und Calcium s.a. Therapie)
- Glykosid- Spiegel bei digitalisierten Patienten (Herold 2022)
Differentialdiagnose
Bei Auftreten einer schmalen, komplexen, regelmäßigen Tachykardie sollten differentialdiagnostisch abgegrenzt werden:
- Sinustachykardie (P- Welle mit superiorer Achse)
- Vorhofflattern (biphasische sägezahnartige F- Welle)
- AV- Knoten- Reentry- Tachykardie (AVNRT): invertierte P- Welle vor dem QRS- Komplex oder fehlende P- Welle bzw. P- Welle verschwindet innerhalb der S- Welle.
- atriale Tachykardie (fokal)
- junktionale Tachykardie (P- Welle fehlt oder ist invertiert)
(Liwanag 2022)
Bei Auftreten einer komplexen, unregelmäßigen Tachykardie sollten differentialdiagnostisch abgegrenzt werden vom:
- Vorhofflimmern (Liwanag 2022)
- AV- Knoten abhängiger supraventrikulärer Tachykardie
Hierbei besteht durch die Abhängigkeit vom AV- Knoten meistens ein AV- Block (Kasper 2015).
Komplikation(en)
- Tachykardie- induzierte Kardiomyopathie
Diese kann sich selbst bei jüngeren und asymptomatischen Patienten durch eine häufig auftretende FAT – unabhängig von der Frequenz – entwickeln (Herold 2022).
- Auslösen eines AV- Blocks (Liwanag 2022)
Therapie allgemein
- Kausale Therapie:
Behandlung des Grundleidens.
Ist die kausale Ursache eine Digitalisintoxikation, (häufigste Ursache der multifokalen atrialen Tachykardie) sollte diese wie folgt therapiert werden (Herold 2022):
- sofortiges Beenden der Digitaliszufuhr
- Förderung der Elimination von Digitalis durch:
- Antidotbehandlung mit Fab- Antikörperfragmenten wie z. B. DigiFab (Böhm 2000). Dosierung:
- bei bekannter Menge an Digitalis: 80 mg Antidigoxin- Fab binden 1 mg Digoxin, so dass der Digoxin- Spiegel um 1ng / ml sinkt und bei Digitoxin um 10 ng / ml (Flake 2021)
- bei unbekannter Menge an Digitalis: Bolus von 160 mg als Kurzinfusion in 5 %iger Glukose über 20 Min., danach 20 mg / h über 12 h (Flake 2021)
- Symptomatische Therapie der Digitalisintoxikation in Form von:
- temporärem Schrittmacher
- Atropin bei Bradykardie (Herold 2022) Dosierung: 1mg Atropin i. v. (Böhm 2000)
- bei ventrikulären Extrasystolen, Tachykardien und Kammerflattern Einsatz von:
- Magnesium 20 mval i. v. (2 mval = 1 mmol / l (Hartig 2004)
- Phenytoin 100 mg i. v.
- Lidocain 100 mg i. v.
- Defibrillation
- Kardioversion (Böhm 2000)
- Kalium:
Eine Hyperkalämie erhöht die Gefahr eines AV- Blocks (Lemmer 2007). Deshalb sollte im Falle einer Hyperkaliämie umgehend eine Antidotbehandlung mit Fab- Antikörperfragmenten (s. o.) erfolgen (Mori 2012). Falls kein Antidot zur Verfügung steht, kann die Verschiebung des Kaliums in den Intrazellularraum mit Glukose, Insulin und Bikarbonat behandelt werden (Gertsch 2007).
Bei bereits bestehenden Überleitungsstörungen ist Kalium jedoch immer kontraindiziert (Lemmer 2007). Im Falle einer Hypokaliämie sollte Kalium, außer bei bereits bestehenden Überleitungsstörungen, substituiert werden (Mori 2012).
- Calcium:
Ca2+ verstärkt die Wirkung von Digitalis und fördert somit die Toxizität. Von daher sind Calciumpräparate bei einer Digitalisintoxikation kontraindiziert. Eine bestehende Hypercalcämie sollte umgehend korrigiert werden (Karow 2021).
- Symptomatische Therapie der FAT:
- Medikamentöse Therapie mit z. B.
- Betablockern (Herold 2022)
- Kalziumkanalblockern
- Adenosin (Kasper 2015)
- Antiarrhythmika
- Ivabradin (Brugada 2019)
Betablocker und Antiarrhythmika
Betablocker wie z. B. Metoprolol oder Esmolol und Kalziumkanalblocker wie z. B. Verapamil oder Diltiazem (IIa C [Brugada 2019]) können durch Verstärkung des AV- Blocks zu einer Verlangsamung der ventrikulären Frequenz führen, was wiederum die Toleranz gegenüber Arrhythmien verbessern kann (Kasper 2015).
Sie sollten außerdem Anwendung finden, wenn die Gabe von Adenosin fehlschlägt (IIa B [Brugada 2019]).
Nukleosid
Das Nukleosid Adenosin kann bei einer regelmäßigen Schmalkomplextachykardie i. v. als Bolus von 6 – 18 mg verwendet werden (I B) und bei bei multifokaler atrialer Tachykardie (IIa C [Brugada 2019]).
Durch Gabe von Adenosin klingen manche Formen der FAT ab, es kann aber auch (bei z. B. Reentry- Ursache) zu einer vorübergehenden Verstärkung des AV- Blocks kommen, ohne dass sie Tachykardie beendet wird (Kasper 2015).
Antiarrhythmika
Ibutilid i. v. (llb) oder Amiodaron / Flecainid / Propafenon (IIb C) können als Akuttherapie der FAT erwogen werden. Ibutilid ist allerdings nicht in Deutschland verfügbar (Brugada 2019).
Ivabradin
Ivabradin kann zusammen mit einem Betablocker (s. o.) als langfristige Therapie beim FAT erwogen werden (llb [Brugada 2019]).
- Kardioversion:
Bei hämodynamisch instabilen Patienten empfiehlt die Leitlinie (I B) als erste Therapiemaßnahme eine synchronisierte Gleichstrom- Kardioversion. Bei ausbleibendem Therapieerfolg sollten Antiarrhythmika wie z. B. Ibutilid, Amiodaron / Flecainid / Propafenon (ll b C) eingesetzt werden (Brugada 2019).
Bei hämodynamisch stabilen Patienten empfiehlt es sich, die synchronisierte Gleichstrom- Kardioversion erst nach Fehlschlagen der o. g. Medikamente einzusetzen (l B [Brugada 2019]).
- Ablation:
Diese sollte Anwendung finden bei Gefahr einer Tachykardie- induzierten Kardiomyopathie oder bei dauerhaft erforderlicher medikamentöser Therapie (Herold 2022), ebenso bei rezidivierender FAT (Brugada 2019).
Primär wird therapeutisch bei Patienten mit einer FAT Adenosin (IIa B) empfohlen. Falls diese Therapie nicht zum Erfolg führt, sollten Betablocker (lla C) oder Kalziumkanalblocker (lla C) eingesetzt werden. Falls auch das fehlschlägt, sind Antiarrhythmika wie z. B. Ibutilid, Flecainid oder Propafenon (llb C) einzusetzen. Bleibt der Therapieerfolg trotz der medikamentösen Maßnahmen aus, so wird eine synchronisierte Gleichstrom- Kardioversion (l B) empfohlen (Brugada 2019).
Langfristige Therapie
Als langfristige Therapie kommen in Frage:
- 1. Katheterablation (l B) sofern die FAT anhaltend ist oder bereits eine Kardiomyopathie verursacht hat (Brugada 2019)
- 2. Falls die Ablation vom Patienten nicht gewünscht wird, kann eine medikamentöse Therapie bei strukturell Herzgesunden eingesetzt werden in Form von:
- Betablockern (s.o.) oder
- Nicht- Dihydropyridin- Kalziumantagonisten wie z. B. Verapamil bzw. Diltiazem oder
- Flecainid oder Propafenon (lla C)
Bei Patienten ohne Nachweis einer Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFrEF) empfehlen sich Verapamil oder Diltiazem (Brudaga 2019).
- 3. Bei Fehlschlagen der o. g. Optionen sollte Ivabradin zusammen mit einem Betablocker oder bei Nichtansprechen Amiodaron (llb C) eingesetzt werden (Brugada 2019).
Verlauf/Prognose
Die Prognose der FAT ist letztlich abhängig von der auslösenden Erkrankung, gilt aber insgesamt als gutartige Tachykardie (Liwanag 2022).
- Ablation:
Die Ablation zeigt sich in über 80 % der Fälle erfolgreich (Herold 2022). Die Komplikationsrate liegt bei 1,4 %. Bei ca. 20 % kommt es danach jedoch zu einem Rezidiv (Brugada 2019).
- Tachykardie- induzierte Kardiomyopathie:
Diese ist i. d. R. nach erfolgreicher Therapie reversibel (Herold 2022).
Hinweis(e)
Patienten mit angeborenen Herzerkrankungen sollten bei Auftreten einer FAT antikoaguliert werden (l C [Brugada 2019]).
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