Synonym(e)
Definition
Synthetisches Arzneimittel das seit mehr als 50 Jahren zu den gebräuchlichen opioiden Analgetika zählt. Fentanyl ist 100 Mal potenter als Morphin und wird vorrangig zur Therapie akuter und chronischer Schmerzen eingesetzt. Neben seiner schmerzlindernden Anwendung eignet es Fentanyl in höheren Dosen auch als Narkotikum (Stanley TH 2014). Fentanyl fällt unter das deutsche und das Schweizer Betäubungsmittelgesetz sowie unter das österreichische Suchtmittelgesetz.
Pharmakodynamik (Wirkung)
Opioide Analgetika wirken über sogenannte Opioid-Rezeptoren. Das lipophile Fentanyl bindet vor allem an den μ-Opioidrezeptor auf Zelloberflächen. Da sich dieser Rezeptortyp an vielen Stellen im Körper findet, weist Fentanyl sowohl einen zentralen als auch einen peripheren Effekt auf.
In der Peripherie verhindert es an sensorischen Nervenendigungen die Bildung oder Weiterleitung von Erregungen. Auf spinaler und supraspinaler Ebene greift es in die Schmerzbahnen ein und moduliert unter anderem das Schmerzempfinden. Über Opioidrezeptoren im Gehirn ist Fentanyl ebenfalls sedativ, in hohen Dosen komatös wirksam. Da Fentanyl die Blut-Hirn-Schranke leicht überwinden kann, wirkt es euphorisierend und hat ein hohes Suchtpotenzial. Aufgrund der weiten Verbreitung der μ-Opioidrezeptoren im Körper hat der Wirkstoff ein breites Spektrum an Nebenwirkungen.
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Pharmakokinetik
Fentanyl kann oral, sublingual, transdermal, als Nasenspray oder intravenös verabreicht werden. Die Wirkdauer ist abhängig von der Darreichungsform.
Intravenöse Anwendung: Bei intravenöser Gabe tritt bereits 5 Minuten nach Applikation eine zentrale Wirkung ein. Die Verteilungshalbwertszeit beträgt etwa 10 Minuten, die Halbwertszeit 3 bis 12 H.
Transdermale Anwendung: Hierbei steigt der Serumspiegel langsam an und erreicht nach 12 bis 24 Stunden ein ausreichendes Niveau. Dieses Niveau bleibt für ca. 72 Stunden relativ konstant. Die Halbwertszeit liegt bei 17 Stunden.
Ca. 80% des Wirkstoffs sind, unabhängig von der Darreichungsform, an Plasmaproteine gebunden. Fentanyl wird vorwiegend in der Leber über das Enzym CYP3A4 zu Norfentanyl metabolisiert. Norfentanyl hat keine Opioidwirkung. Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend renal und nur zu einem geringen Prozentsatz über den Stuhl. Ein Großteil des Wirkstoffes wird bei der ersten Passage in der Lunge gespeichert. In weiterer Folge steigt der Gehalt in weniger gut durchbluteten Geweben und reichert sich danach vor allem in Fett- und Muskelgewebe an.
Anwendungsgebiet/Verwendung
Gebräuchlich ist Fentanyl als Fentanyldihydrogencitrat. Vier Anwendungsformen sind gebräuchlich.
- intravenöse Verabreichung (etwa in der Anästhesie oder Notfallmedizin)
- transdermale Applikation (d. h. als auf die Haut geklebtes Membranpflaster, das dann den Wirkstoff (mit wahlweise 12,5/ 25/ 37,5/ 50/ 75 oder 100 Mikrogramm pro Stunde) kontrolliert zur Aufnahme über die Haut freisetzt
- oral-transmukosale Applikation: schnell freisetzende Formulierung (oral-transmukosale therapeutische System, wird bei Durchbruchschmerzen als 200 bis 1600 µg Wirkstoff enthaltende Lutschtablette mit integriertem Applikator an der Mundschleimhaut angewendet, oder als Buccaltablette mit 100 bis 800 µg Wirkstoff oder als Sublingualtablette mit 50 bis 800 µg Fentanyl.
- nasale Applikation: Fentanyl-Nasenspray
Indikation
Behandlung starker bis sehr starker Schmerzen, wenn nicht-opioide Schmerzmittel oder schwach wirksame Opioide keine oder nur ungenügende Wirkung zeigen. Dies betrifft Tumorschmerzen oder traumatische Schmerzen nach Unfällen und Operationen. Nicht indiziert ist Fentanyl zur Dauerbehandlung chronischer Schmerzen.
Schwangerschaft/Stillzeit
Fentanyl darf nicht während der Schwangerschaft angewendet werden, da Fentanyl die Plazentaschranke passieren kann und tierexperimentelle Studien eine reproduktionstoxische Wirkung gezeigt haben.
Das potentielle Risiko für den Menschen ist nicht bekannt, es liegen keine ausreichenden Daten bei der Anwendung an Schwangeren vor. Bei längerfristiger Anwendung besteht das Risiko von Entzugserscheinungen beim Neugeborenen.
Die Anwendung während der Geburt (inklusive Kaiserschnitt) wird nicht empfohlen, weil Fentanyl eine Atemdepression des Föten/Neugeborenen verursachen kann.
Fentanyl geht in die Muttermilch über und kann so eine Sedierung und/oder Atemdepression beim gestillten Kind hervorrufen. Daher sollen Frauen bis mindestens 24 Stunden nach der letzten intravenösen Applikation, für mindestens 72 Stunden nach dem Entfernen eines Pflasters und für mindestens 5 Tage nach der letzten buccalen Applikation von Fentanyl nicht stillen. Eine Nutzen-Risiko-Analyse des Stillens nach Anwendung von Fentanyl sollte in Betracht gezogen werden.
Dosierung und Art der Anwendung
Die Dosierung von Fentanyl wird individuell an Alter, Gewicht, Allgemeinzustand, Begleiterkrankungen, Begleitmedikation und Indikationsstellung des Patienten angepasst.
Unerwünschte Wirkungen
Die Nebenwirkungen sind abhängig von der Applikationsform (z.B. transdermal oder intravenös). Genaue Details zur jeweiligen Darreichungsform können den Fachinformationen entnommen werden.
Sehr häufig: Somnolenz, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Schwitzen, Pruritus
Häufig: Xerostomie, Dyspepsie, Hautreaktionen an der Anwendungsstelle bei transdermaler Gabe
Sedierung, Nervosität, Appetitlosigkeit
Gelegentlich: Tachykardie, Bradykardie, Tremor, Parästhesie, Sprachstörungen, Dyspnoe, Hypoventilation, Diarrhö, Harnretention, Hypertonie/Hypotonie, Halluzinationen, Euphorie, Amnesie, Agitiertheit, Husten (Chen R et al. 2020; Ai Q et al. 2010)
Weiterhin: Exantheme, kontaktallergische Reaktionen auf Fentanyl-Pflaster (Rojas-Pérez-Ezquerra P et al. 2019)
Selten: Arrhythmie, Schluckauf, Vasodilatation, Ödeme, Kältegefühl, Amblyopie.
Sehr selten: Ataxie, Krampfanfälle (einschließlich klinischer und Grand mal-Anfälle), Atemdepression, Apnoe, schmerzhafte Flatulenz, Ileus, Zystalgie, Oligurie, Anaphylaxie (Dewachter Pet al. (2009), Wahnideen, Erregungszustände, Störung der Sexualfunktion.
Nebenwirkungen mit unbekannter Häufigkeit: Gewöhnung, physische und psychische Abhängigkeit, Entzugserscheinungen (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Angstzustände, Schüttelfrost).
Wechselwirkungen
Wechselwirkungen wie Atemdepressionen können mit folgenden Medikamenten oder Wirkstoffen erwartet werden: Barbiturate, Benzodiazepine, Opiate, Neuroleptika, halogenierte Inhalationsgase und Substanzen mit unspezifischer, zentral dämpfender Wirkung (z. B. Alkohol).
Zusätzliche dämpfende Wirkungen, Hypoventilation, Hypotonie und erhebliche Sedierung oder Koma können in Kombination mit folgenden Substanzen oder Substanzklassen auftreten: Anxiolytika und Tranquilizer, Hypnotika, Allgemeinanästhetika, Phenothiazine, Muskelrelaxanzien, sedierende Antihistaminika, Alkohol.
Auswirkungen auf die Wirkdauer sind aufgrund gleicher Abbauenzyme oder Enzymhemmung möglich bei: Erythromycin, Itraconazol, Ketoconazol, Diltiazem, Cimetidin, Ritonavir, einige Makrolidantibiotika.
Weitere Substanzen, die Wechselwirkungen zeigen: Lachgas oder bereits kleine Dosen von Diazepam: Beeinträchtigung der Herz-Kreislauf-Funktion
Midazolam :Blutdruckabfall
Neuroleptika : Blutdruckabfall, Blutdruckanstieg, verminderter Pulmonalarteriendruck, Zittern, Ruhelosigkeit, postoperative Episoden mit Halluzinationen
MAO-Hemmer innerhalb der letzten 14 Tage: lebensbedrohliche Wechselwirkungen auf Zentralnervensystem, Atmungs- und Kreislauffunktionen
Cimetidin: erhöhte Fentanylplasmaspiegel
Buprenorphin, Nalbuphin und Pentazocin: Antagonisierung des analgetischen Effekts und Risiko von Entzugssymptomen
Arzneimittel, die die serotonergen Neurotransmittersysteme beeinflussen: Risiko eines Serotonin-Syndroms.
Kontraindikation
Überempfindlichkeit gegen Fentanyl oder andere Opioide sowie sonstige Bestandteile der Darreichungsform aber auch hydriertes Kolophonium, Soja und Erdnuss
schwere Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems
Präparate
Abstral®; Allomedic Sublingualtabletten®; Durogesic SMAT®, Actiq®, Effentora®, PecFent®, Instanyl®
Hinweis(e)
Fentanyl gehört zu den Betäubungsmitteln und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Bei der Verschreibung und Anwendung des Wirkstoffes sind nach Angaben der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft strengste Kriterien anzulegen, da immer wieder über schwere Nebenwirkungen und Todesfälle in Zusammenhang mit der nicht fachgerechten Gabe von Fentanyl berichtet wird. In den letzten Jahren sind Fentanylderivate verstärkt auf dem Drogenmarkt aufgetaucht. Auch die Anzahl Abhängiger dieser Substanzen ist weltweit gestiegen.
Auswirkung auf die Verkehrstüchtigkeit und das Bedienen von Maschinen: Patienten mit intravenöser Fentanylbehandlung dürfen nicht am Straßenverkehr teilnehmen, eine Maschine führen oder ohne sicheren Halt arbeiten. Weitere Informationen können Sie der jeweiligen Fachinformation entnehmen.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Ai Q et al. (2010) Pentazocine pretreatment suppresses fentanyl-induced cough. Pharmacol Rep 62: 747–750.
- Chen R et al. (2020) Mechanism and Management of Fentanyl-Induced Cough. Front Pharmacol11:584177.
- Dewachter Pet al. (2009) An anaphylactic reaction to transdermal delivered fentanyl. Acta Anaesthesiol Scand 53:1092-1093.
- Pergolizzi J et al. (2008) Opioids and the management of chronic severe pain in the elderly: consensus statement of an International Expert Panel with focus on the six clinically most often used World Health Organization Step III opioids (buprenorphine, fentanyl, hydromorphone, methadone, morphine, oxycodone). Pain Pract 8:287-313.
- Rojas-Pérez-Ezquerra Pet al. (2019) Allergic Contact Dermatitis to Fentanyl TTS with Good Tolerance to Systemic Fentanyl. Recent Pat Inflamm Allergy Drug Discov 13:66-68.
- Stanley TH (2014) The fentanyl story. J Pain 15:1215-1226.