Extrasystolen I49.4

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.08.2024

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Erstbeschreiber

Synonyme

Vorzeitiger Herzschlag; vorzeitige Systole; vorzeitige Kontraktionen; Herzstolpern; Zusammenziehen außerhalb des normalen Herzrhythmus; AV- Knoten- ES; junktionale ES; Sinus- ES; Vorhof- ES; aberrant übergeleitete SVES; vorzeitige Vorhofkontraktionen; PAC; vorzeitiger supraventrikulärer Schlag; vorzeitiger atrialer Schlag; vorzeitige supraventrikuläre Komplexe; atriale vorzeitige Komplexe; vorzeitige ventrikuläre Schläge; vorzeitige ventrikuläre Kontraktionen; premature ventricular contractions; PVC;

 

 

Erstbeschreiber

Dem Kardiologen Bernhard Lown, geb. 1921 gelang im Jahre 1963 die erste erfolgreiche Kardioversion bei Vorhofflimmern (Weber 2018).

Die Klassifikation der ventrikulären Extrasystolen wurde von Bernhard Lown 1971 entwickelt und nach ihm als „Lown- Klassifikation“ benannt (Weber 2018).

Definition

Scherf und Scott haben Extrasystolen 1953 definiert als „Kontraktion des gesamten Herzens oder eines Herzteiles, ausgehend von einem Impuls, der abnorm ist, entweder in seinem Ursprung (ektop) oder im Zeitpunkt des Auftretens (vorzeitig) oder in beidem. Die Extrasystole interferiert mit dem dominanten Rhythmus und hat bei wiederholtem Auftreten einen konstanten Folgeabstand zum vorhergehenden Schlag“ (Roskamm 2013).

Einteilung

Extrasystolen (ES) zählen zu den den heterotopen Reizbildungsstörungen (Herold 2022).

Man differenziert – je nach Ursprung der Erregung – zwischen:

 

- Supraventrikulären Extrasystolen (SVES)

SVES entstehen im Sinusknoten, Vorhof oder AV- Knoten (Striebel 2015).

 

- Ventrikulären Extrasystolen (VES)

VES entstehen unterhalb der Bifurkation des His- Bündels (Herold 2022), überwiegend im peripheren oder proximalen His- Purkinje- System (Wolff 2012).

 

ES können monomorph / polymorph sein. Hierbei handelt es sich um eine identische / unterschiedliche Konfiguration im EKG. Sie können außerdem monotop / polytop sein, wobei es sich um ein identisches / unterschiedliches Erregungszentrum handelt (Roskamm 2013).

 

Vorkommen/Epidemiologie

ES kommen sehr häufig vor, auch bei Gesunden (Herold 2022). Die häufigste Form einer Arrhythmie stellen ventrikuläre Extrasystolen dar (Gertsch 2008).

Bei Schwangeren treten gehäuft Extrasystolen auf, sowohl atriale als auch ventrikuläre (Rath 2005).

Ätiopathogenese

Die Ursachen für das Auftreten von Extrasystolen können sehr unterschiedlich sein:

- Idiopathisch (Ip 2017)

- Physiologische Gründe:

Diese finden sich auch bei Gesunden. Hierbei treten Extrasystolen durch erhöhten Sympathikotonus (Kasper 2015), emotionale Erregung, vegetative Labilität, Übermüdung, Einnahme von Genussmitteln wie z. B. Alkohol, Nikotin, Koffein, erhöhten Vagotonus etc. auf (Herold 2022).

- Organische Erkrankungen des Herzens:

Hierzu zählen z. B. Kardiomyopathien, Myokarditis, koronare Herzkrankheit (Herold 2022), Herztumoren, angeborene Herzfehler (Paul 2018).

- Extrakardiale Ursachen:

Zu den extrakardialen Ursachen zählen z. B. Hyperthyreose, Hypokaliämie, Einnahme bestimmter Medikamente wie z. B. Antiarrhythmika, Sympathomimetika, Digitalis, trizyklische Antidepressiva (Herold 2022), Katecholamine, Chinidin, Atropin, Antiarrhythmika (Wolff 2012), Fieber, Infektionen (van Aken 2007), Azidose, Hypoxie, Elektrolytstörungen, insbesondere Hypokaliämie, Hyperkalzämie, Hypomagnesiämie (Haas 2021).

Pathophysiologie

Durch einen Automatismus oder einen Reentry können Extrasystolen auftreten (Kasper 2015).

Die elektrophysiologischen Eigenschaften wie z. B. das Aktionspotential, die Verteilung der Ca2+- und Na+ - Kanäle verändern sich entlang des His- Bündels stark. Von daher kann die elektrophysiologische Grenze zwischen VES und SVES nicht exakt gezogen werden.

Vom klinischen Standpunkt her wird das His- Bündel als supraventrikulär bezeichnet, da zusätzliche Erregungen aus diesem Gebiet zu normalen QRS- Komplexen führen (Roskamm 2013).

 

- SVES:

Hierbei erfasst die vorzeitige Kontraktion das gesamte Herz und zeigt im EKG i. d. R. Vorhof- und Kammerkomplexe in gegenseitiger Relation und normalen Kammerkomplexen, da der Extrareiz oberhalb des His- Bündels entsteht und sich von daher auf normalen Leitungsbahnen in die Kammern des Myokards ausbreiten kann (Roskamm 2013).

 

- VES:

Bei den VES hingegen kommt es zu einer vorzeitigen Kontraktion der Kammern allein. Die Depolarisation erfolgt zuerst in der Kammer, in welcher die VES entsteht und danach erst in der anderen Kammer. Im EKG zeigt sich ein dissoziierter und deformierter Kammerkomplex (Roskamm 2013), da die Erregungsausbreitung vom ventrikulären Fokus weg durch das ventrikuläre Myokard langsamer ist als eine Aktivierung der Ventrikel durch das Purkinje- System. Dies führt zu einem QRS- Komplex, der typischerweise auf > 0,12 s verbreitert ist (Kasper 2015).

 

Manifestation

Extrasystolen können in jedem Lebensalter auftreten, selbst bei Kindern (Paul 2018).

Lokalisation

Der Ursprungsort der ES können sein:

- kranial des His- Bündels

- im His- Bündel

- distal des His- Bündels (Roskamm 2013)

 

SVES können ausgehen vom:

- Sinusknoten

- Vorhof

- AV- Knoten (Striebel 2015)

Sie entstehen immer oberhalb des His- Bündels (van Aken 2007)

 

VES können ausgehen:

- vom Herd der Myokard- oder Purkinje-Zellen, die zur Automatie fähig sind

- von einer getriggerten Automatik

- von einem Wiedereintritt durch Bereiche mit Narben

- durch ein erkranktes Purkinje- System (Kasper 2015)

VES entstehen immer distal des His- Bündels (van Aken 2007).

Klinisches Bild

Von ca. 30 % der Betroffenen werden Extrasystolen als Palpitation bemerkt. Diese geben Herzstolpern oder Aussetzer als Symptome an. Nur ein Teil davon fühlt sich durch die Extrasystolen krank (Herold 2022).

An Symptomen können auftreten:

- Schwächegefühl

- Schwindel (Braun 2022)

- Kardiale Synkope / Präsynkope (Kasper 2015)

- Palpitationen (Herold 2022)

- Dyspnoe (Meismann 2021)

Da Extrasystolen eine unbewusste Reaktion des autonomen Nervensystems verursachen, können Palpitationen eine Angstreaktion bis hin zur Panikattacke bei Betroffenen auslösen. Diese Patienten klagen u. U. über Dyspnoe, Enge in der Brust etc. (Meismann 2021).

Diagnostik

Das Vorkommen von ES wird i. d. R. zunächst im Ruhe- EKG festgestellt. Es empfiehlt sich daraufhin die Aufzeichnung mit einem 12- Kanal- EKG (Kasper 2015).

In der Familienanamnese sollten insbesondere eventuell vorliegende Kardiomyopathien oder plötzliche Todesfälle erfragt werden (Kasper 2015).

Anschließend sollte ein Langzeit- EKG zur weiteren Quantifizierung erfolgen. Die zusätzliche Diagnostik besteht aus Ergometrie, Echokardiographie (Herold 2022) und ggf. einer Kardio- MRT (Braun 2019).

Bildgebung

- 12- Kanal- EKG

SVES sind im EKG gekennzeichnet durch:

- Veränderung der PQ- Zeit (Herold 2022)

- vorzeitigen Einfall der P- Welle

- leichte Deformierung der P- Welle

- die auf die ES folgende Herzaktion zeigt keine kompensatorische Pause (Block 2006).

- negatives P in II, III, aVF:

Entsteht durch SVES, die aus den unteren Abschnitt des Vorhofes stammen und zu einer kaudo- kranialen Erregung des Vorhofs führen. Tritt auf bei Vorhof- ES und Knoten- ES (Haas 2011)

- negatives P in I und aVL:

Kann bei einer Knoten- ES auftreten (Haas 2011). Hierbei handelt es sich um eines SVES mit linksatrialem Ursprung (Schuster 2005).

- P- Welle vor, im oder nach dem QRS- Komplex:

Diese Veränderungen entstehen durch die retrograde Erregung der Vorhöfe. Sie können auftreten bei einer Knoten- ES (Haas 2011).

- QRS- Komplex:

Der QRS- Komplex einer SVES ist in Form und Breite in den meisten Fällen normal (Block 2006), die QRS- Dauer liegt bei < 120 ms (Kasper 2015). Eine Ausnahme bilden lediglich frühzeitig einsetzende SVES – auch als aberrante SVES bezeichnet (Herold 2022). Hierbei läuft die Erregung über den AV- Knoten und trifft auf einen noch refraktären Tawara- Schenkel. Durch diese Blockierung findet eine abnorme Ausbreitung der Erregung in die Ventrikel statt, was zu einer verbreiterten QRS- Morphologie führt (Kalkreuth 2013).

- PR- Intervall:

Dieses kann verkürzt, normal oder verlängert sein (Heaton 2022).

 

Bei VES können im EKG typischerweise auftreten:

- fehlende P- Welle (in den überwiegenden Fällen)

- Verbreiterung der schenkelblockartig deformierten (Haas 2011) QRS- Komplexe

- vorzeitig einfallende QRS- Komplexe (Braun 2022)

- diskordante T- Welle

- nach einer VES folgt eine kompensatorische Pause (Braun 2022)

- Fusionsschlag (Haas 2011):

Hierbei führt die gleichzeitige Erregung der Ventrikel durch ein supraventrikuläres und ein ventrikuläres Zentrum zum Auftreten eines Fusionsschlages. Im EKG erkennbar an gleichzeitigen SVES- und VES- Veränderungen (Gertsch 2008).

 

- Langzeit- EKG

Hierbei kann die Häufigkeit der ES geklärt werden, ebenso etwaiges Auftreten von Salven, Tachykardien, intermittierendem Vorhofflimmern bzw. Vorhofflattern (Haas 2011 / Greten 2010).

Näheres s. VES und SVES

 

- Ergometrie

Bei V. a. anstrengungsbedingte ES bzw. eine koronare Herzkrankheit sollte eine Ergometrie durchgeführt werden (Kasper 2015). Näheres s. a. VES und SVES

 

- Echokardiographie

Diese sollte zum Ausschluss struktureller Herzerkrankungen erfolgen (Heaton 2022).

Näheres s. VES und SVES

 

- Kardiale Magnetresonanztomographie

Eine kardiale MRT ist nur in bestimmten Fällen erforderlich. Sie dient der Beurteilung von Herzstruktur, Herzfunktion und der Charakterisierung des Myokardgewebes (Muser 2021).

Näheres s. VES

Labor

- Überprüfung der Elektrolyte (Heaton 2022) insbesondere K, Mg, Ca

- CK / CK- MB

- Troponin I

- TSH

- Überprüfung bestimmter Medikamentenspiegel wie z. B. Digitalis

- Drogenscreening (Haas 2011)

Differentialdiagnose

s. VES und SVES

Komplikation(en)

- (Reversible) Kardiomyopathie

- Abnahme der Ventrikelfunktion

- Kammerdilatation (Latchamsetty 2019)

- Herzinsuffizienz (Marcus 2020)

- Tachykardien (Haas 2011)

- Ischämischer Apoplex (Heaton 2022)

- Plötzlicher Herztod (Marcus 2020)

Näheres s. VES und SVES

 

Therapie allgemein

Eine Therapie ist nicht bei allen Formen von ES erforderlich.

 

Je nach Art der ES kann die symptomatische Therapie bestehen aus:

- Überprüfung des Kalium- und Magnesiumhaushaltes mit etwaiger Substitution bis auf hochnormale Serumwerte (Herold 2022).

- Meiden bestimmter Auslöser wie z. B. Alkohol, Nikotin, Kaffee, Übermüdung, emotionale Erregung, Kokain (Herold 2022 / Haas 2011)

- falls erforderlich, Korrektur des Medikamentenspiegels (insbesondere bei Digitalis [Wolff 2012])

 

Medikamentös kommen bei bestimmten Voraussetzungen Antiarrhythmika in Frage.

Indikationen können sein:

- erhöhtes Risiko eines plötzlichen Herztodes durch z. B. Kammerflimmern

- komplexe ES bei Patienten mit Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion bzw. schweren myokardialen Grunderkrankungen (Herold 2022)

- symptomatische (idiopathische) ES (Muser 2021 / Heaton 2022)

- häufig auftretende ES

- echokardiographischer Nachweis einer linksventrikulären Funktionsstörung

- Auftreten von Warn- Arrhythmien, d. h.:

- Auftreten salvenartiger VES mit Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit

- Auftreten von Synkopen (Braun 2022)

Näheres s. VES und SVES

 

Dosierung und Auswahl des Antiarrhythmikums:

- Betablocker

Antiarrhythmika der 1. Wahl sind Betablocker ohne intrinsische sympathomimetische Aktivität für Patienten mit eingeschränkter Pumpleistung und Z. n. Myokardinfarkt (Herold 2022).

- Calciumkanalblocker

Sollten Betablocker nicht den gewünschten Erfolg erbringen, ist eine Therapie mit nicht- Dihydropyridin- Calziumkanalblockern angezeigt. Die Dosierung sollte in der niedrigsten wirksamen Dosis angewendet werden, außer bei Patienten mit Z. n. Myokardinfarkt bzw. bestehender Herzinsuffizienz. Hier sollte die maximal tolerierte Dosis titriert werden (Muser 2021).

- Natriumkanalblocker

Falls sowohl mit Betablockern als auch mit Calciumkanalblockern kein therapeutischer Erfolg erzielt werden kann, empfiehlt sich die Therapie mit Natriumkanalblockern wie z. B. Flecainid bzw. Propafenon. Bei bestehender koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz oder schwerer linksventrikulärer Hypertrophie sind Natriumkanalblocker allerdings kontraindiziert (Muser 2021).

- Amiodaron

Bei Patienten mit VES- induzierter Kardiomyopathie hat sich Amiodaron als sinnvoll erwiesen, da diese die Symptome und die linksventrikuläre Funktion verbessern (Muser 2021)

 

Bei Patienten mit strukturellen Herzerkrankungen wie z. B. Herzinsuffizienz, KHK sind Klasse I Antiarrhythmika kontraindiziert, da diese bei ihnen zu einer Verschlechterung der Prognose führen können. Ebenso zeigen Amiodaron und Sotalol keinen prognostischen Vorteil, sie führen sogar bei Patienten mit NYHA III zu einer Verschlechterung der Prognose. In all diesen Fällen ist ein implantierbarer Kardioverter- Defibrillator (ICD) zu empfehlen (Herold 2022).

 

Bei Patienten mit Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern etc. im Zusammenhang mit ES ist eine weiterführende interventionelle Therapie indiziert. Dazu zählen z. B. atriale Stimulation, Katheterablation (Heaton 2022), Radiofrequenz- Katheterablation (Muser 2021), thorakoskopische Ablation (Heaton 2022), Implantation eines Defibrillators (Braun 2022).

Näheres s. VES und SVES

Verlauf/Prognose

Die Prognose ist abhängig von der Art der ES.

SVES:

In früheren Jahren hielt man supraventrikuläre Extrasystolen – sofern keine strukturelle Herzerkrankung vorlag – für harmlos, sie bedurften keinerlei Therapie (Rath 2005). Inzwischen implizieren immer mehr Beweise die Rolle der symptomatischen (gehäuften) SVES mit Vorhofflimmern und Apoplex. Hier sind aber weitere Forschungen erforderlich (Marcus 2015).

Ein gehäuftes Auftreten von SVES kann mit der Entwicklung von Vorhofflimmern bzw. Vorhofflattern verbunden sein und somit mit einem erhöhten Risiko für kardiale Mortalität bzw. Anstieg der Gesamtmortalität (Heaton 2022). Näheres s. SVES

 

VES:

Idiopathische VES können – entgegen früherer Annahmen – eine (reversible) Kardiomyopathie induzieren, ebenso bei anfälligen Patienten über polymorphe ventrikuläre Tachykardien Kammerflimmern auslösen und somit einen plötzlichen Herztod bewirken (Ip 2017).

Die Langzeitprognose idiopathischer VES ohne strukturelle Herzerkrankung ist gut (Muser 2021). Patienten mit einer bereits bestehenden Herzinsuffizienz zeigen bei Auftreten von VES eine erhöhte Mortalität (Kasper 2015). Näheres s. VES

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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