Synonym(e)
Definition
Bei der Entzündungsanämie (ACD = anaemia of chronic disease) oder auch (AI = anemia of chronic inflammation) handelt es sich um eine Anämie mit erniedrigten Eisenspiegeln im Serum (< 60 µg / dl) ohne dass der Eisenspeicher erniedrigte Werte aufweist (Fränkel 2017).
Das Serumferritin ist NICHT erniedrigt (Nemeth 2014).
Einteilung
Die Entzündungsanämie zählt zu den hypoproliferativen Anämien zusammen mit der:
- Anämie bei Nierenerkrankungen
- endokrinen Anämie
- durch Ernährung bedingten Anämie
- durch Knochenmarkschäden bedingten Anämie (Kasper 2015).
Die ACD kann sowohl bei akuten und als auch bei chronischen Entzündungen auftreten (Fränkel 2017).
Normalerweise handelt es sich um eine normochrome normozytäre Anämie (Nemeth 2014), die aber im weiteren Verlauf mikrozytär werden kann (Cullis 2013). Lediglich bei 25 % findet sich eine leicht hypochrome ACD (Herold 2022).
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Vorkommen/Epidemiologie
Die ACD ist eine der am häufigsten vorkommenden Anämieformen (Kasper 2015).
Patienten mit chronischer Nierenerkrankung im Stadium I und II zeigen in < 10 % eine Entzündungsanämie (mit einem Hb < 12 g / dl bei Frauen und einem < 13 g / dl bei Männern), im Stadium III in 20 – 40 %, im Stadium IV zwischen 50 – 60 %, im Stadium V in > 70 % und im Stadium der Dialyse in bis zu 90 %. Die Prävalenz einer schweren Anämie mit einem Hb ≤ 10 g / dl ist allerdings viel seltener (Gluba- Brzozka 2020).
Fränkel (2017) beschreibt eine Studie hospitalisierter älterer Patienten, bei denen in 70 % eine entzündungsbedingte Anämie vorlag. Bei Patienten mit Karzinomen fand sich bei 63,4 % eine Anämie.
Patienten mit malignen Tumoren weisen eine Anämie mit Hb- Werten zwischen7 – 11 g / dl. Davon werden 18 – 34 % transfusionspflichtig (Link 2006).
Ätiopathogenese
- akute und chronische Infektionen
- fortgeschrittene maligne Erkrankung (Fränkel 2017)
- autoimmunologische Erkrankungen (Kaltwasser 2009)
Ungünstig wirken sich ein höheres Lebensalter und ein Nierenversagen aus (Fränkel 2017)
Pathophysiologie
Das in erster Linie in der Leber gebildete und über die Nieren ausgeschiedene (Nemeth 2014) Polypeptid Hepcidin hemmt die Fähigkeit des Darms zur Eisenaufnahme. Bei chronischen Entzündungen wird es durch entzündliche Toxine, insbesondere Interleukin vermehrt gebildet. Zusätzlich wird die Eisenaufnahme durch duodenale Enterozyten herunterreguliert. So entsteht ein Zustand des funktionellen Eisenmangels (Cullis 2013).
Das in der Niere gebildete Erythropoetin (EPO) fördert die Bildung von Erythrozyten. Bei einer Entzündungsanämie ist der normalerweise auf ein Absinken des Hb- Spiegels folgende Anstieg des EPO abgeschwächt (Cullis 2013).
Bei chronischen Entzündungen ist die körpereigene EPO- Produktion zu niedrig, da das Knochenmark nur unzureichend auf die Stimulation reagiert (Kasper 2015).
Fränkel (2017) weist auf jüngste Untersuchungen hin, die zeigen, dass eine ACD sowohl durch eine gestörte Erythropoese als auch durch die Eisensequestierung verursacht werden kann. Durch die Entzündung freigesetzte proinflammatorische Zytokine unterdrücken die Erythropoese und bewirken eine Eisensequestierung durch das Hormon Hepcidin. Zusätzlich verkürzen Veränderungen der Zellmembran das Überleben der Erythrozyten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der ACD folgende Faktoren eine Rolle spielen:
- 1. Leicht verkürztes Überleben der Erythrozyten durch Zerstörung der Zellwand.
- 2. Auftreten einer Hypoferrämie, da bei der Erythropoese durch die Zytokinstimulierung von Hepcidin nur eingeschränkt Eisen aufgenommen werden.
- 3. Unterdrückung der Erythropoese durch unmittelbare Wirkung von Zytokinen auf das Knochenmark
- 4. Die Auswirkungen der Entzündung auf die Erythropoetin- Produktion sind unterschiedlich (Nemeth 2014).
- Absinken des Hämoglobinwertes:
Durch Fieber und die während der Infektion freigesetzten Zytokine wird ein selektiver Druck auf die Erythrozytenmembran ausgeübt, so dass es zum Zerreißen der Membran kommt (Kasper 2015).
- Chronische Niereninsuffizienz:
Die bei einer chronischen Niereninsuffizienz auftretende Anämie stellt einen multifaktoriellen Prozess dar:
- mangelnde Produktion von Erythropoetin in den peritubulären Zellen der Nieren
- dadurch bedingte fehlerhafte Erythropoese
- Beeinträchtigung der Eisenverwertung
- Stimulierung der Hepcidinproduktion
- Verlust von Eisen durch Hämodialyse (durchschnittlich 1 – 3 g / Jahr)
- Auftreten eines Hyperparathyreoidismus
- Mangel an essentiellen Nährstoffen wie z. B. Folsäure, Eisen, Vit. B
- urämische Toxine
- Medikamente wie z. B. ACE- Hemmer
- V. a. eine periphere Resistenz gegen EPO (Gluba- Brzozka 2020)
- Positive Effekte der Anämie:
Durch das vermindert zur Verfügung stehende Eisen wird das Wachstum der eingedrungenen Pathogenen blockiert. Zusätzlich führt der Entzug von Eisen zu einer Stärkung der Immunabwehrmechanismen der Makrophagen (Weiss 2009).
Diagnostik
Die Diagnose wird anhand laborchemischer Veränderungen gestellt: Hypoferrämie, niedrige (bis normale [Endres 2022]) Transferrinsättigung, Vorhandensein von preußischblau angefärbtem Eisen in Knochenmarkmakrophagen (Nemeth 2014).
Labor
- leichte bis mittelschwere Anämie (Hb nur selten < 8 g / dl (Nemeth 2014)
- Absinken des Hämoglobinwertes
Dieser kann durch die Hämolyse der Erythrozyten bei einer akuten Infektion innerhalb von 1 – 2 Tagen um 2 – 3 g / dl sinken (Kasper 2015).
- Serumeisen erniedrigt (< 50 µg / dl [Kasper 2015])
- Transferrin erhöht
- fehlendes Speichereisen im Knochenmark (Herold 2022)
- sTfR normal (Cullis 2013) oder erniedrigt (Endres 2022)
- Serumferritin normal [Nemeth 2014] (30 – 200 µg / dl) (Kasper 2015) bis erhöht (Endres 2022)
- MCV normal bis erniedrigt
- MCH normal (Cullis 2013)
- totale Eisenbindungskapazität < 300 µg / dl
- Ferritin im Serum um bis um das 3-fache erhöht
- im peripheren Blutausstrich finden sich gelegentlich polychromatophile Retikulozyten
- Erythrozyten Protoporphyrin- Konzentration > 1,2 µM
- Transferrinsättigung > 15 %
- extrem niedrige Erythropoetinspiegel
- erhöhte Entzündungsmarker durch die Grunderkrankung (Fränkel 2017)
- Retikulozyten normal (Endres 2022)
Differentialdiagnose
Es lässt sich bei einer Eisenmangelanämie kein preußischblau angefärbtes Eisen in den Knochenmarksmakrophagen nachweisen. Inzwischen wurde dieser Test aber durch eine Ferritinbestimmung im Serum ersetzt, da ein erniedrigter Serum- Ferritinwert hochspezifisch für Eisenmangelanämie ist (Nemeth 2014).
Eine weitere Differenzierung ist durch die Bestimmung des Serum- Transferrin- Rezeptors (sTfR) möglich, der bei einer Eisenmangelanämie ansteigt, bei einer ACD leicht erniedrigt oder unverändert bleibt (Cullis 2013).
Komplikation(en)
Nicht selten gehen chronische Entzündungen mit einem chronischen Blutverlust einher. In diesem Fall kommt es zusätzlich zur ACD auch noch zu einer Eisenmangelanämie. Differenzialdiagnostisch kann dies u. a. durch ein auf Eisen gefärbtes Knochenmarkaspirat diagnostiziert werden (Kasper 2015).
S. a. „Differentialdiagnosen“.
Therapie allgemein
Die beste Behandlungsmöglichkeit besteht in einer Therapie des Grundleidens, da es dadurch meistens auch zu einer Verbesserung der Anämie kommt (Cullis 2013). Hilfreich sind außerdem Bluttransfusionen, Mittel zur Stimulierung der Erythropoese wie z. B. Epoetin [Cullis 2013]), eine intravenöse Eisentherapie (Fränkel 2017) und eine Vitamin D- Behandlung (Icardi 2013).
Bluttransfusionen: Bei lebensbedrohlichen Graden einer Anämie mit einem Hb< 6,5 g / dl und ebenso vor operativen Eingriffen bei Patienten mit ACD sind Bluttransfusionen angezeigt (Kaltwasser 2009).
Erythropoetin: Hier stehen Medikamente wie z. B. Darbepoetin, Epoetin alpha und Epoetin beta zur Verfügung. Bei diesen Medikamenten kommt es zu einem 100 % therapeutischen Erfolg, sofern bei einem funktionellen Eisenmangel (erkennbar an einem ausreichenden Speichereisen in Kombination mit der Zunahme hypochromer Erythrozyten im peripheren Blut) gleichzeitig Eisen substituiert wird (Kaltwasser 2009).
Dosierungsempfehlungen:
- Epoetin Alpha: 150 IE / kg KG s. c. 3 x wöchentlich. Falls damit ein Therapieerfolg nicht erreicht werden kann (Anstieg des Hb- Wertes nach 4 Wochen um ≥ 1 G / dl [Demetri 2001]), sollte die Dosis auf 300 IE / kg KG s. c. 3x wöchentlich erhöht werden. Wenn der Patient auch auf die Verdopplung der Dosis nicht anspricht, ist die Therapie zu beenden (Demetri 2001).
- Epoetin Beta: 450 IE / kg KG s. c. alle 7 Tage
- Darbepoetin: 2,25 µg / kg KG s. c. alle 7 Tage (Manski 2020)
Eisensubstitution: Eine Eisensubstitution sollte bei ACD- Patienten mit komplett entleerten Eisenspeichern erfolgen (Kaltwasser 2009).
Außerdem kann eine Eisentherapie notwendig werden, wenn im Verlauf einer Behandlung mit Erythropoetin ein funktioneller Eisenmangel auftreten sollte. Dieser ist in diesem Zusammenhang erkennbar an einem ausreichenden Speichereisen in Kombination mit der Zunahme hypochromer Erythrozyten im peripheren Blut.
Die Therapie sollte parenteral erfolgen, da diese hinsichtlich der Effektivität einer oralen Gabe überlegen ist (Kaltwasser 2009).
Vitamin D: Die Verabreichung von nativem oder analogem Vitamin D führte in Studien von Icardi (2013) bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz zu einer Verbesserung der Anämie und zu einer Verringerung des Bedarfs an Erythropoese- stimulierenden Wirkstoffen.
Verlauf/Prognose
Laut CRIT- Studie von Cooper aus dem Jahr 2012 ist eine schwere Anämie (Hb < 9 g / dl) im Rahmen einer Entzündung ein Prädiktor für eine erhöhte Mortalität (Cooper 2012).
Bei Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung sind Morbidität und Mortalität bei einer ACD generell erhöht (Gluba- Brzozka 2020).
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Bob A, Bob K et al. (2001) Duale Reihe Innere Medizin. Georg Thieme Verlag Stuttgart 1347
- Cooper H A, Rad S V, Greenberg M D, Rumsey M P, McKenzie M, Alcorn K W, Panza J A (2012) Conservative versus liberal red cell transfusion in acute myocardial infarction (the CRIT Randomized Pilot Study). Bin J Cardiol. 108 (8) 1108 – 1111
- Cullis J (2013) Anaemia of chronic disease. Clin Med (Lond.) 193 – 196
- Demetri G D (2001) Anaemia and its functional consequences in cancer patients: current challenges in management and prospects for improving therapy. Br J Cancer. 84 (1) 31 – 37
- Endres (2022) Fracharztprüfung Innere Medizin in Fällen, Fragen, Antworten. Elsevier Urban und Fischer Verlag 248
- Fränkel P G (2017) Anemia of Inflammation: A Review. Med Clinic North Am. 101 (2) 285 – 296
- Gluba- Brzozka A, Franczyk B, Olszewski R, Rysz J (2020) The Influence of Inflammation on Anemia in CKD Patients. Int. J. Mol. Sci. 21 (3) 725
- Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 37
- Icardi A, Paoletti E, De Nicola L, Mazzaferro S, Russo R, Cozzolino M (2013) Renal anaemia and EPO hyporesponsiveness associated with vitamin D deficiency: the potential role of inflammation. Nephrol Dial Transplnat 28 (7) 1672 - 1679
- Kaltwasser J P (2009) Therapie der chronischen Entzündungsanämie: Eisen, Bluttransfusion oder Erythropoetin? Aktuelle Rheumatologie 34 (2) 109 - 115
- Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 629 – 630
- Link H, Bokemeyer C, Feyer P (2006) Supportivtherapie bei malignen Erkrankungen: Prävention und Behandlung von Erkrankungssymptomen und therapiebedingten Nebenwirkungen. Deutscher Ärzteverlag 147
- Manski D (2020) Das Urologielehrbuch. de Dirk Manski Verlag 202
- Nemeth E, Ganz T (2014) Anemia of Inflammation. Hematol Oncol Clin North Am. 28 (4) 671 - 681
- Weiss G (2009) Chronische Entzündungsanämie – Epiphänomen oder Adaptionsmechanismus der Entzündung? Aktuelle Rheumatologie 32 (2) 93 - 96
- Nemeth E, Ganz T (2014) Anemia of Inflammation. Hematol Oncol Clin North Am. 28 (4) 671 – 681
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