Definition
Bei der Endokarditis handelt es sich um eine schwere lebensbedrohliche Erkrankung, deren Entstehung sich durch eine medikamentöse Prophylaxe minimieren lässt (Pinger 2019).
Vorkommen/Epidemiologie
Die Bakteriämiefrequenz ist abhängig von der Art des Eingriffes und damit starken Schwankungen unterworfen. Insgesamt handelt es sich jedoch bei der Endokarditis um eine seltene Erkrankung (Pinger 2019).
Die einzelne postprozedurale Bakteriämiefrequenz liegt:
- nach Zahnextraktionen bei Gingivitis bei bis zu 90 %.
- in der urologischen Chirurgie bei bis zu 86 %
- septischer Abort, Interruptio bis 85 %
- ERCP bei Gallengangsobstruktion bis 50 %
- Varizensklerosierung bzw. Varizeninjektion zwischen 30 % bis 50 %
- Prostataresektion zwischen 10 % bis 50 %
- Kürettage des Uterus zwischen 10 % bis 50 %
- bei Tonsillektomie bei ca. 35 %
- Schrittmacherrevision bei 20 %
- Intubation zwischen 0 bis 16 %
- nasotracheales Absaugen zwischen 15 % bis 20 %
- starre Bronchoskopie bei ca. 15 %
- Hämodialyse bei 8 %
- flexible Bronchoskopie zwischen 0 bis 6 %
- Gastroskopie unter 5 %
- Koloskopie unter 5 %
- ERCP unter 5 %
- normale Geburt zwischen 1 % bis 5 %
- Herzkatheter bei 1 %
Bei den o. g. Zahlen gilt es zu beachten, dass nach dem Zähneputzen eine Bakteriämie mit Endokarditis- relevanten Erregern in 23 % nachweisbar ist. Somit ist das Risiko einer iatrogenen Endokarditis im Vergleich zum täglichen Risiko im Alltag als sehr gering einzustufen.
(Pinger 2019)
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Ätiopathogenese
Voraussetzung für das Entstehen einer Endokarditis ist eine Bakteriämie (Pinger 2019).
Therapie
Im Jahre 2007 kam es durch die AHA (American Heart Association) zu einem Paradigmenwechsel in der bis dahin üblichen Praxis der Endokarditisprophylaxe, da es inzwischen fraglich war, in wie weit die Prophylaxe mit Antibiotika die Dauer, Intensität und Häufigkeit einer Bakteriämie durch z. B. einen zahnärztlichen Eingriff (dieser hat die höchste Bakteriämiefrequenz) überhaupt beeinflussen kann. Bei Patienten, die eine medikamentöse Prophylaxe erhalten hatten, kam es trotzdem zu einer Endokarditis. Zusätzlich zeigte sich, dass sich die Reduktion der Bakteriämie nach einer Zahnextraktion von 60 % ohne Prophylaxe auf lediglich 33 % unter einer Prophylaxe mit Amoxicillin senken ließ (Pinger 2019).
Da keine prospektiven, randomisierten und placebokontrollierten Studien zum Nutzen einer Prophylaxe mit Antibiotika vorliegen, hat man sich letztlich darauf geeinigt, ausschließlich bei Patienten mit dem höchsten Endokarditisrisiko und ausschließlich bei Eingriffen mit dem höchsten Risiko, eine Endokarditis zu entwickeln, eine medikamentöse Prophylaxe durchzuführen (Pinger 2019).
Die Änderungen der Leitlinie stießen aber sowohl national als auch international nicht auf eine allgemeine Zustimmung. Es liegt deshalb letztlich in der Verantwortung des behandelnden Arztes, nach Abwägung der Vor- und Nachteile und in Absprache mit dem Patienten, über eine etwaige Endokarditisprophylaxe zu entscheiden (Herold 2018).
Die von der ESC (European Society of Cardiology) erstellten Guidelines wurden im Jahre 2015 weitestgehend denen der AHA- Guidelines angeglichen (Herold 2018).
Zu den Hochrisikopatienten der Klasse II a Empfehlung gehören Patienten mit:
- Klappenrekonstruktion mit Implantation prothetischer Materialien innerhalb der ersten 6 Monate postoperativ
- Z. n. nach Implantation einer mechanischen und / oder biologischen Klappe bzw. TAVI (Transkatheter- Aortenklappen- Implantation) innerhalb der ersten 6 Monate postoperativ
- Z. n. stattgehabter Endokarditis
- bei angeborenen Herzfehlern gehören folgende Gruppen dazu :
- Patienten mit einem zyanotischen Herzfehler, welcher nicht operiert wurde bzw. palliativ mit einem systemisch- pulmonalen Shunt versorgt wurde
- Patienten mit operierten Herzfehlern, bei denen Conduits implantiert wurden mit oder ohne Klappe
- Patienten mit operierten Herzfehlern, bei denen ein residueller Shunt oder eine persistierende Klappeninsuffizienz bestehen
- Patienten mit Z. n. operativ oder interventionell behandeltem Vitium unter Verwendung von prothetischem Material, bei denen es zu einem residuellen Shunt oder einer persistierenden Klappeninsuffizienz kommt, sollten lebenslang eine Prophylaxe erhalten
(Herold 2018).
Zu den Eingriffen der Klasse II a Indikation zählen zahnärztliche Eingriffe mit:
- Manipulation der Gingiva
- Manipulationen der periapikalen Region
- Verletzungen der oralen Mukosa
(Pinger 2019).
Im Jahre 2014 empfahlen AHA / ACC (American Heart Association / American College of Cardiology) zusätzlich eine Endokarditisprophylaxe bei Patienten nach Herztransplantation mit Klappeninsuffizienz bei strukturell abnormer Klappe durchzuführen. Eine Empfehlung für Patienten mit Mitra- Clip, Anuloplastie- Ring oder Amplatzer- Devices wurde nicht gegeben, da die Datenlage hierfür nicht ausreichte (Pinger 2019).
Bei Patienten ohne momentane manifeste Infektionen wird eine Prophylaxe ausdrücklich NICHT empfohlen bei Eingriffen wie z. B. Koloskopie, Gastroskopie, TEE, Bronchoskopie, Sectio caesarea, vaginale Entbindung, Intubation eine Endokarditisprophylaxe durchzuführen (Pinger 2019). Bei dieser Patientengruppe sollten prophylaktische Hygienemaßnahmen durchgeführt werden (Herold 2018). Dazu zählen regelmäßige zahnärztliche Kontrollen 2 x jährlich und eine strikte Mund- und Hauthygiene. Für die Prävention sind diese bedeutsamer als eine Prophylaxe mit Antibiotika (Habib 2015).
Anders ist es bei dieser Patientengruppe, sobald manifeste Infekte bestehen. Dann empfiehlt sich eine Endokarditisprophylaxe bei den o. g. Eingriffen. Man sollte bei der Wahl des Antibiotikums darauf achten, dass mögliche Endokarditiserreger erfasst werden (Herold 2018).
Bei Eingriffen
- am Respirationstrakt:
Das Antibiotikum sollte gegen S. aureus und gegen Streptokokken wirksam sein; z. B. Aminopenicillin plus Betalaktamaseinhibitor, Cefazolin oder Clindamycin und bei MRSA Vancomycin
- am Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt:
Hierbei sollten Antibiotika mit Wirksamkeit gegen Enterokokken verabreicht werden wie z. B. Ampicillin, Piperacillin oder Vancomycin
- am muskuloskelettalen Gewebe, an der Haut und den Hautanhangsgebilden:
Hierbei sollte das Antibiotikum eine Wirksamkeit gegen Staphylokokken und beta- hämolysierende Streptokokken aufweisen; dazu zählen z. B. Penicillin oder Cephalosporin; bei bekannter Allergie empfiehlt sich die Gabe von Clindamycin und bei MRSA Vancomycin
(Herold 2018)
- bei herzchirurgischen Eingriffen:
Hierbei sollte die Prophylaxe unmittelbar vor der Operation erfolgen und nach spätestens 48 h beendet werden. Bei längerer OP- Dauer kann eine Wiederholung der Antibiotikagabe erforderlich werden Pinger 2019).
Therapieempfehlung:
Bei den o. g. Hochrisikopatienten der Klasse II a Empfehlung besteht bei zahnärztlichen Eingriffen der Klasse II a die Indikation:
- eine Antibiotikaprophylaxe 30 – 60 min vor dem Eingriff als Einzeldosis zu verabreichen;
- sofern eine orale Gabe möglich ist, können Amoxicillin oder Ampicillin 2 g p. o. verabreicht werden
- falls eine orale Gabe nicht möglich ist, empfiehlt sich Ampicillin oder Cefalexin 2 g i.v.
- bei Ampicillin- oder Penicillinallergie sollte oral Clindamycin 600 mg gegeben werden
- bei notwendiger i.v. - Gabe Clindamycin 600 mg i.v.
(Herold 2018)
Es ist zu beachten, dass Cephalosporine aufgrund der Kreuzallergie nicht bei Patienten eingesetzt werden dürfen, die nach Ampicillin oder Penicillin mit Anaphylaxie, Angioödem oder Urtikaria reagiert haben (Herold 2018).
Verlauf/Prognose
Eine in den Niederlanden erstellte Studie aus dem Jahre 2017 ging der Frage nach, ob sich durch den Paradigmenwechsel in der Endokarditisprophylaxe die Zahl der an Endokarditis Erkrankten verändert habe. Es wurden im Zeitraum von 2005- 2011 insgesamt 5.213 Patienten mit Endokarditis aus drei Kliniken untersucht. Dabei zeigte sich eine deutliche Zunahme der Myokarditisfälle. Im Jahre 2005 waren 30,2 neu aufgetretene Fällen pro 1 Mio. zu verzeichnen. Und im Jahr 2011 kam es zu 62,9 Erkrankungsfällen pro 1 Mio. (van den Brink 2017).
Die Mortalitätsrate der Erkrankten betrug 36,1 %. Dabei zeigte sich, dass Frauen (49,3 % vs. 28,2 %) und Patienten mit Klappenimplantation (66,2 % vs. 37 %) häufiger betroffen waren (van den Brink 2017).
Die Autoren weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass ihnen keine Daten zur Verordnung von Antibiotika zur Endokarditisprophylaxe vorlagen und die Ergebnisse keine Kausalität beweisen können.
Somit bleibt es nur festzuhalten, dass zur Klärung der Notwendigkeit eine Antibiotikaprophylaxe Fallkontrollstudien bzw. randomisierte Studien erforderlich sind. So lange diese nicht vorliegen, bleibt eine gewisse Unsicherheit bestehen (van den Brink 2017).
Hinweis(e)
Nachtrag:
Knebel (2019) berichtet, dass die antibiotische Endokarditisprophylaxe bei medizinischen Eingriffen inzwischen restriktiv gehandhabt wird. Erworbene Klappenvitien werden inzwischen nicht mehr als Indikation gesehen.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio
- Habib G et al. (2015) ESC Pocket- Guidelines: Infektiöse Endokarditis. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) und European Society of Cardiology (ESC)Börm Bruckmeier Verlag GmbH 6- 9
- Herold G et al. (2018) Innere Medizin. Herold Verlag 159- 161
-
Knebel F, Frumkin D, Flachskampf F A (2019) Infektiöse Endokarditis. Krankenhaushygiene up2date 14 (4) 411 - 425
- Pinger S (2019) Repetitorium Kardiologie: Für Klinik, Praxis, Facharztprüfung. Deutscher Ärzteverlag. 374- 378
- van den Brink F S et al. (2017) Increased incidence of infective endocarditis after the 2009 European Society of Cardiology guideline update: a nationwide study in the Netherlands. PubMed. U.S. National Library of Medicine NLM. (2) 141- 147
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