Eingefäßerkrankung I25.11

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Erstbeschreiber

Synonyme

Koronare Eingefäßerkrankung; koronare Herzkrankheit; KHK; stenosierende Koronarsklerose; ischämische Herzerkrankung; degenerative Herzerkrankung; koronare Herzerkrankung; degenerative Herzkrankheit; ischämische Herzkrankheit (IHK); ischemic heart disease (IHD); coronary artery disease (CAD); coronary heart disease (CHD); 

 

 

Erstbeschreiber

Die Auswirkungen einer koronaren Herzerkrankung in Form eines Angina- pectoris- Anfalles (AP- Anfall) hat bereits vor etwa 2000 Jahren Seneca wie folgt beschrieben: „Brevis autem valde et procellae similis est impetus, intra horam fere desinit“ („Kurz aber heftig und einem Sturme gleich ist der Anfall. Fast immer ist er innerhalb einer Stunde beendet“). 

(Wagner 1985)

Im Jahre 1768 beschrieben zwei Autoren, Rougnon und Heberden, unabhängig voneinander die Symptome eines Angina- pectoris- Anfalles. Bis heute gibt es bezüglich des Erstbeschreibers einen Prioritätenstreit (Wagner 1985).

Die ersten chirurgisch- therapeutischen Maßnahmen in Form einer Revaskularisierung durch eine Ballondilatation wurden vom deutschen Kardiologen Andreas Gruntzig entwickelt und 1977 ebd. erstmals ausgeführt (Lapp 2014).

Die erste erfolgreiche Bypass- Operation erfolgte 1964 von DeBakey und Denis Garrett in Houston. Sie wurde allerdings erst 1973 veröffentlicht (Mueller 2001). Von daher wird in manchen Schriften Rene Favaloro genannt, der die erste Bypass- OP 1967 in Cleveland durchführte (Gerabeb 2007). 

Im Jahre 1974 fand in Zürich die erste Ballondilatation - zunächst als PTCA bezeichnet, später als PCI - durch Andreas Grüntzig statt (Aumiller 2018).

 

 

Definition

Unter einer Eingefäßerkrankung versteht man eine wenigstens 50 % ige Stenosierung eines einzelnen der drei Gefäßsysteme: R. interventricularis anterior, R. circumflexus und A. coronaria dextra. Ab einer Stenosierung von mindestens 90 % kommt es zur Ausbildung von Kollateralen (Roskamm 2013).

Vorkommen/Epidemiologie

Eine Eingefäßerkrankung findet man bei 

  •  < 50 Jährigen zu 8%
  • 50 – 60 Jährigen zu 51 %
  • > 60 Jährigen zu 41 % (Sieberer 2021)

 

Es besteht hinsichtlich der koronaren Herzkrankheit ein Geschlechterunterschied zugunsten der Frauen. Bezüglich einer Eingefäßerkrankung liegen keine gesonderten Angaben vor.

Der Geschlechterunterschied gleicht sich aber im Laufe des Lebens an (Stierle 2017), da die atherogenen Risikofaktoren bei Frauen nach Eintritt der Menopause an Bedeutung gewinnen (Kasper 2015):

  • Männer 45 – 54 Jahre: 2 % - 5 %
  • Frauen 45 – 54 Jahre : 0,1 % - 1,0 %

 

  • Männer 65 – 74 Jahre: 10 % - 20 %
  • Frauen 65 – 74 Jahre: 10 % - 15 % (Pinger 2019)

 

Näheres s. Koronare Herzkrankheit 

 

 

Ätiopathogenese

Verursacht wird die Eingefäßerkrankung durch eine Arteriosklerose. Die Ursachen für das Auftreten der Arteriosklerose sind sehr unterschiedlich. Als Hauptfaktoren wären zu nennen:

- LDL- Cholesterin- Erhöhung > 160 mg/dl

- HDL- Cholesterin- Erniedrigung < 40 mg/dl:

         - für Männer ≤ 40 mmol / l

         - für Frauen ≤ 50 mmol / l 

arterielle Hypertonie mit Werten > 140 / 90 mmHg

Diabetes mellitus mit HbA1c Werten > 7 %

- Konsum von Tabak

- familiäre Disposition (bei erstgradigen Familienangehörigen kommt es zum Auftreten eines Infarktes vor dem 55. Lebensjahr bei Männern bzw. vor dem 65. Lebensjahr bei Frauen)

- Lebensalter ≥ 55 Jahre bei Männern bzw. ≥ 65 Jahre bei Frauen (Herold 2022)

- Adipositas mit einem Bauchumfang von > 94 (m) bzw. > 80 (w)

- atherogene Diät

- niedriger sozialer Status

- mangelnde körperliche Bewegung

- Lipid- Stoffwechselstörungen z. B. Hypertriglyzeridämie ≥ 150 mg/dl, Lp (A)- Erhöhung

- Störung der Glukosetoleranz mit Nüchtern- BZ- Werten ≥ 100 mg/dl

- Hyperfibrinogenämie ≥ 3,5 g/l

- Entzündungszustände bei KHK- Patienten

- früh einsetzende Menopause

- Hyperfibrinogenämie mit Werten > 3,5 g / l

- längerer Aufenthalt unter erhöhter Feinstaub- Belastung 

- genetische Veränderungen (Herold 2022)

 

Auch das Vorliegen bestimmter Erkrankungen spielt eine Rolle wie z. B.:

Lupus erythematodes

- rheumatoide Arthritis

- Antiphospholipidsyndrom (Pinger 2019)

 

 

Pathophysiologie

Die Koronarstenose entsteht initial durch eine Schädigung des Koronarendothels. 

Durch die Schädigung des Endothels wird die Oberfläche der Gefäßinnenwand unregelmäßig und es lagern sich fibromuskuläre Plaques ab, die zu einer Stenosierung der Koronarien führen (Greten 2010). Diese Stenosierung bewirktein Missverhältnis zwischen Sauerstoffbedarf und Sauerstoffangebot im Bereich des jeweiligen Myokards, welches vondem stenosierten Gefäß versorgt wird (Lapp 2014).

Zusätzlich bewirkt die Schädigung des Endothels eine Regulationsstörung der koronaren Vasodilatation bzw. Vasokonstriktion. Das Endothel ist dadurch nicht mehr in der Lage, auf körperliche Belastung mit einer Weitstellung der Koronarien zu reagieren. Es bewirkt vielmehr eine Konstriktion der Gefäße (Greten 2010).

Klinisches Bild

Die Erstmanifestation der koronaren Herzkrankheit äußerst sich:

  • bei 55 % als Angina pectoris
  • bei 25 % als akutes Koronarsyndrom mit seinen 3 Entitäten:
    • instabile Angina pectoris ohne Troponinanstieg
    • NSTEMI = non- ST- segment- elevation mit Troponinanstieg
    • STEMI = ST-  segment- elevation myocardial infarction mit Troponinanstieg und nach 20 min auftretender persistierender ST- Streckenhebung
  • bei 20 % als plötzlicher Herztod (Herold 2022)

 

Bei einer Eingefäßerkrankung kommt es in ca. 14,7 % der Fälle zu Angina pectoris Anfällen und bei Z. n.nichttransmuralem Myokardinfarkt in 46,7 % (Roskamm 2013).

Diese Anfälle können durch körperliche Belastungen (eher durch isometrische als durch dynamische [Stierle 2017]), psychische Belastungen, durch kalte Außentemperaturen und Nahrungsaufnahme (sog. postprandiale Angina pectoris) ausgelöst werden.

Sie sind vorwiegend retrosternal lokalisiert und können ausstrahlen in Hals, Unterkiefer, Zähne, Schulter, linken (und auch in rechten) Arm bis in die ulnaren Fingerspitzen (Herold 2020).

Die Patienten klagen über dumpfe, drückende Schmerzen mit thorakalem Engegefühl (Herzstechen spricht gegen Angina pectoris). Der Schmerz schwillt meistens an (Crescendo- Charakter) und ist niemals atem- oder bewegungsabhängig (Stierle 2017).

Die Anfälle klingen i. d. R. durch Ruhe nach ca. 5 – 15 Min. ab oder durch Gabe von Nitroglycerin nach 1 – 2 Min. (Herold 2022).

Diagnostik

Zunächst sollten die typischen Symptome einer Angina pectoris anamnestisch erfasst werden. Diese machen die Diagnose zwar wahrscheinlich, ein Fehlen der Symptomatik schließt eine Eingefäßerkrankung jedoch nicht aus, da z. B. bei Diabetikern > 50 % der ischämischen Attacken indolent verlaufen und bei Frauen oftmals atypische Beschwerden bestehen (Herold 2022).

Von daher empfiehlt sich eine „Vortestwahrscheinlichkeit“ hinsichtlich einer stenosierenden KHK, die unter www.escardio.org zur Verfügung steht (Herold 2022).

 

 

Inspektion und Palpation

- Levine- Zeichen: Patient ballt bei Beschreibung der Schmerzen die Faust vor der Brust (Stierle 2017)

 

 

Ruhe- EKG

Das Ruhe- EKG zeigt - selbst bei schwerer KHK – in bis zu 50 % der Fälle keinerlei Veränderungen. Veärnderungentreten in diesen Fällen erst bei bzw. nach einem Infarkt auf (Herold 2020).

Patienten mit einer koronarangiographisch nachgewiesenen Eingefäßerkrankung zeigten bei einem NSTEMI nur in 53 % eindeutig ischämische Zeichen im EKG (Sanaani 2017).

 

 

Langzeit- EKG

Laut ESC 2013 besteht die Indikation für ein Langzeit- EKG ausschließlich bei dem V. a. eine Prinzmetal- Angina (Pinger 2019).

 

 

Belastungs- EKG

Die Sensitivität liegt bei einer Eingefäßerkrankung – im Gegensatz zur Mehrgefäßerkrankung - lediglich bei 36 – 50 % (Schunkert 2013)

 

 

Stress- Echokardiographie 

Bei dieser Untersuchung liegt die Sensitivität einer Eingefäßerkrankung mit 75 – 80 % deutlich höher (Schunkert 2013).

Bildgebung

Nuklearmedizinische Diagnostik

Zur nuklearmedizinischen Diagnostik in Kombination mit Belastungstests zählen die:

- Myokardperfusionsszintigraphie (MPS)

- Single- Photonen- Emissionscomputertomographie (SPECT)

- Positronen- Emissionstomographie (PET)

(Herold 2020) Näheres s. Koronare Herzkrankheit.

 

 

Koronarangiographie

Indikationen für die Koronarangiographie nach ESC 2013 sind:

 

- Empfehlungsgrad / Evidenzgrad I / C:

Dieser Empfehlungsgrad umfasst 

- Patienten mit Angina pectoris CCS III bzw. bei wahrscheinlich hohem Ereignisrisiko, besonders bei nicht ausreichendem Ansprechen auf eine medikamentöse Behandlung

- Patienten, die ein hohes Risiko laut der nicht- invasiven Risikoevaluation haben, sofern eine Revaskularisierung eine Prognoseverbesserung wahrscheinlich macht. Bei dieser Patientengruppe ist die Koronarangiographie auch dann angezeigt, wenn nur eine geringe oder keine Beschwerdesymptomatik besteht.

 

- Empfehlungsgrad / Evidenzgrad IIa / C:

Zu dieser Gruppe zählen Patienten mit inkongruenten oder widersprüchlichen Befunden, bei denen eine Risikoevaluation erfolgen soll. (Stieles 2019)

Näheres s. Koronarangiographie

 

 

Differentialdiagnose

Die Differentialdiagnose einer Eingefäßerkrankung ist sehr umfangreich und entspricht der einer KHK (s. d.).

Eine Eingefäßerkrankung liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit NICHT vor, wenn eine der folgenden Fragen mit Ja beantwortet wird:

- Veränderung der Schmerzen beim tiefen Ein- bzw. Ausatmen?

- Veränderung der Schmerzen bei Thoraxbeugung bzw. - wendung?

- Nimmt der Schmerz zu, wenn man auf bestimmte Stellen des Thorax und / oder des Abdomens drückt?

- Besteht der Schmerz schon seit Tagen oder Wochen und bleibt dieser bei den üblichen Tätigkeiten im Alltag unverändert?

- Nimmt der Schmerz bei körperlichen Aktivitäten ab? (Stierle 2017)

 

 

Therapie allgemein

Bei einer Eingefäßerkrankung finden sich unterschiedliche Therapieansätze. Die Behandlung bzw. das Fortschreiten der Stenose kann erfolgen durch:

1. Ausschaltung der Risikofaktoren wie z. B. Hypercholesterinämie, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Nikotinabusus, fehlende körperliche Aktivität, Übergewicht (Pinger 2019)

2. konservative Therapie (s. u.)

3. operative Therapie (s. u.)

Bei der operativen Therapie erfolgt eine Revaskularisierung aus symptomatischen Gründen, im Gegensatz zur Mehrgefäßerkrankung, bei der die Revaskularisierung aus prognostischen Gründen angezeigt ist (Siegenthaler 2005). 

Ausführliche Angaben s. Koronare Herzkrankheit

 

 

Interne Therapie

Bei der medikamentösen Behandlung versucht man, durch Medikamente 

  • den myokardialen Sauerstoffbedarf zu senken indem man Einfluss nimmt auf:
    • Senkung der Kontraktilität, Herzfrequenz und Nachlast 
  • die myokardiale Sauerstoffversorgung zu verbessern durch
    • Senkung des Gefäßtonus in den Koronarien 
    • Verlängerung der Diastolendauer (Frequenzsenkung)
    • Senkung des linksventrikulären enddiastolischen Druckes (Vorlast)
  • das Risiko eines thrombotischen Koronarverschlusses zu senken
  • das LDL- Cholesterin zu senken

(Renz- Polster 2008)

 

Folgende Medikamente werden dazu eingesetzt:

1. Betablocker 

2. Calcium- Kanal- Blocker (Calciumantagonisten)

3. ACE- Hemmer

4. Thrombozytenaggregationshemmer

5. Cholesterinsynthesehemmer (Statine)

6. Nitrate (Herold 2022)

Ausführliche Angaben zur medikamentösen Behandlung, einschließlich Dosierungsempfehlung s. Koronare Herzkrankheit.

Operative Therapie

Bei einer koronaren Eingefäßerkrankung hat sich die minimal- invasive – chirurgische Technik (MIC) in einer Studie vonGulielmos et al. aus dem Jahre 2000 als gleichwertig gegenüber invasiveren chirurgischen Techniken wie z. B. die mediane Sternotomie erwiesen.

Kasper (2017) empfiehlt bei einer symptomatischen Eingefäßerkrankung mit normaler linksventrikulärer Funktion eine perkutane Koronarintervention (PCI, früher auch als „PTCA“ = „perkutane transluminale coronare Angioplastie“ bezeichnet).

Eingeschränkt geeignet sind je nach Morphologie Ostiumstenosen von RIVA und RCX, Verschlüsse bzw. schlecht erreichbare Stenosen, Bifurkationsstenosen (Bonzel 2009).

Ausführliche Informationen zur PCI s. „Koronare Herzkrankheit“.

 

Der verbleibende Stenosegrad liegt nach einer PCI < 50 %, die unmittelbare Erfolgsquote bei 95 %. Komplikationen in Form eines MACCE (major adverse cardiatic and cerebrovascular events [Ziemer 2010]) wie z. B. Myokardinfarkt, Insult, Tod treten bei stabiler Angina pectoris in < 0,5 % auf und bei instabiler Angina pectoris in 1 % (Herold 2022).

 

 

 

Verlauf/Prognose

Die Prognose einer Eingefäßerkrankung ist i. d. R. nicht ungünstig. Eine Ausnahme bildet lediglich die proximale RIVA- Stenose wegen der strategisch hohen Bedeutung (Eichstädt 2013).

Die Komplikationsraten bei einer PTCA liegen < 1 % und die Erfolgsraten > 90 % (Eichstädt 2013).

Nach einer PTCA bestehen nach 10 Jahren Beobachtungszeit bei 79 % der Patienten keinerlei kardiale Beschwerden mehr (Dörfler 2015).

Ohne Revaskularisierung liegt die jährliche Letalitätsrate bei einer Eingefäßerkrankung bei 3 % - 4 % (Herold 2022).

 

 

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024