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PiebaldismusE70.35
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Definition
Angeborene, autosomal-dominant vererbte, umschriebene Weißfleckung der Haut, hervorgerufen durch (meist) komplettes Fehlen der Melanozyten in läsionaler Haut. Nachgewiesen sind Mutationen im KIT (s.u. Kit)- und SLUG (SNAI2 - Snail-Homolog-2-Transkriptionsfaktor)-Gen (Saleem MD et al. 2019).
Der "klassische" Piebaldismus ist eine reine Hautanomalie.
Eine Poliose als angeborene oder erworbene, herdförmige Weißverfärbung der Haare (weiße Haarlocke im Stirnbereich) kann als Teilsymptom verschiedener anderer Syndrome (s.u.) auftreten.
Vorkommen/Epidemiologie
Prävalenz: 3-5/100.000 Einwohner/Jahr.
Inzidenz < 1: 20.000 Personen (Agarwal S et al. 2012).
M:w=1:1; es gibt keine ethnischen Prädilektionen.
Ätiopathogenese
Piebaldismus entsteht durch Mutationen, die die Entwicklung und Migration der Melanoblasten von der Neuralleiste zur Haut betreffen. Beim Menschen entsteht Piebaldismus durch heterozygote „loss-of-function“-Mutationen des KIT-Gens, das auf Chromosom 4q12 kartiert wurde. Bis heute sind 90 unterschiedliche Mutationen bekannt. Der KIT-Rezeptor besteht aus einer extrazellulären Domäne mit 5 Immunglobulin-Wiederholungen, einer Transmembrandomäne und einer intrazellulären Tyrosinkinasedomäne. Die Mutationen von cKIT, die bei Piebaldimsus-Patienten identifiziert wurden, reichen von groben Deletionen bis zu Missense-Defekten und werden alle autosomal-dominant vererbt.
Es besteht eine Korrelation zwischen dem Genotyp und dem sich daraus ergebenden klinischen Phänotyp, abhängig von der Position der Mutation innerhalb des KIT-Gens.
- Mutationen (gleich welchen Typs), die sich in oder nahe der Transmembranregion befinden, sind mit einem mittelschweren Phänotyp verbunden.
- Frameshift-Mutationen in der aminoterminalen extrazellulären Ligandenbindungsdomäne führen zu einer milderen Form der Erkrankung.
- Punktfehlmutationen in der intrazellulären Tyrosinkinasedomäne mit dem schwersten Phänotyp assoziiert sind.
Auch SCF- und SNAI2 -Mutationen wurden bei menschlichem Piebaldismus identifiziert. Insbesondere wurde der Piebaldismus mit inaktivierenden Mutationen oder Deletionen im SANAI2 (SLUG)-Gen auf Chromosom 8q11 in Verbindung gebracht. Diese Mutationen führen zu einer verminderten Rezeptor-Tyrosinkinase-Signalisierung, einer gestörten Melanoblastenentwicklung und einem Rückgang der Melanogenese. Bei Menschen mit Piebaldismus, denen c-KIT-Mutationen fehlen, wurden heterozygote Deletionen in der SNAI2-Kodierungsregion gefunden. Eine SNAI2 (SLUG)-Mutation wurde auch beim Waardenburg-Syndrom Typ 2 festgestellt, und ein Mechanismus, der für diese Auswirkungen verantwortlich gemacht wird, beinhaltet die Bindung von MITF an den SLUG-Promotor.
Berichtet wurde über einige Patienten, bei denen ein sporadischer, nicht familiärer Piebaldismus, der mit dysmorphen Merkmalen und in der Regel geistiger Retardierung einhergeht, auf chromosomale Deletionen und andere Umlagerungen zurückzuführen ist, die das KIT-Gen betreffen.
Viele Patienten mit atypischen Erscheinungsformen des Piebaldismus weisen keine nachweisbaren Defekte von KIT oder SLUG auf, was darauf hindeutet, dass diese Patienten Mutationen in anderen Genen haben könnten, die noch nicht entschlüsselt sind.
Es gibt Berichte über einen KIT-Mutationsträger mit sensorineuraler Taubheit und ohne kutane Pigmentveränderungen, was auf ein mögliches Überlappungssyndrom zwischen Piebaldismus und Waardenburg-Syndrom hindeutet.
Darüber hinaus wurden Mutationen in SNAI2-Gens innerhalb des Locus 8q11.21, einem Transkriptionsfaktor von KIT und E-Cadherin, der für die Aufrechterhaltung der Melanoblasten-Homöostase wichtig ist, nachgewiesen (Agarwal S et al. 2012).
Pathophysiologie
Der c-Kit-Rezeptor ist ein Protein der Tyrosinkinase-Familie von transmembranösen Rezeptoren. c-Kit wird u.a. auf der Oberfläche von Melanozyten exprimiert und wirkt als Rezeptor für Wachstumsfaktoren. Eine Verminderung oder gar das Ausbleiben der c-Kit-abhängigen Signaltransduktion führt zu einer reduzierten Proliferation und Migration von embryonalen Melanoblasten aus der Neuralleiste. Dies resultiert meist im gänzlichen Fehlen oder aber in einer deutlichen Reduktion der Melanozyten in den korrespondierenden Hautpartien.
Ein dem Piebaldismus des Menschen analoges Krankheitsbild wird bei Pferden (Schecken) und Kühen (schwarz-weiße Kühe) häufig beobachtet und als Leuzismus bezeichnet. Auch bei diesen Säugern läßt sich die oben beschriebene Genmutation nachweisen.
Manifestation
Weiße Stirnlocke -Poliose- (seltener an anderen Stellen des Kapillitiums; s. Abb.) bei Geburt, übrige Herde nach einigen Monaten.
Lokalisation
Depigmentierungen der Haut und Poliosis treten bei der Geburt in einem charakteristischen ventralen Mittellinienmuster auf. Der häufigste Befund ist eine weiße Stirnlocke in Dreiecksform, die in bis zu 90 % der Fälle (Poliosis circumscripta) auftritt (Thomas I et al. 2004). Auch die mittleren Augenbrauen und Wimpern können betroffen sein. Die klassische Verteilung der gut umschriebenen depigmentierten Flecken umfasst die zentrale Stirn, den vorderen Rumpf und den mittleren Teil der Extremitäten. Hyperpigmentierungen am Rande der depigmentierten Bereiche vorhanden sein. Im Zentrum der weißen Flecken können ebenfalls normal pigmentierte Areale vorhanden sein. Der Piebaldismus zeichnet sich durch das Fehlen von extrakutanen Manifestationen aus!
Klinisches Bild
Bereits bei Geburt bestehende, münzgroße bis handtellergroße, scharf begrenzte, depigmentierte, symmetrisch, aber auch völlig asymmetrisch, auch systematisiert auftretende Flecken, weiße Stirnlocke. Charakteristisch sind Hautinseln mit normaler Färbung. Seltener sind hyperpigmentierte Stellen am Rande der Weißfleckung nachweisbar.
Sechsfelderkomplex (six field complex): Poliosis circumscripta und Pigmentmangel an Kinn, Nacken, Rumpfmitte und distalen Extremitätenanteilen.
Piebaldsimus ist Teilsymptomatik folgender Syndrome:
- Klein-Waardenburg-Syndrom (Mutationen im PAX3-Gen/wichtiges Regulator-Gen für die Differenzierung der Neuralleistenzellen)
- Tietz-Syndrom (Tietz-Albinismus-Taubheitssyndrom/ Mutation im MITF-Gen das für den Transkriptionsfaktor MITF = Mikrophthalmie-assoziierter Transkriptionsfaktor kodiert. MIFT fungiert als Hauptregulator des Überlebens und der Differenzierung von Melanozyten sowie der Melanosomen-Biogenese.
- Chédiak-Higashi-Syndrom (Lysosomale Speicherkrankheit. Mutation im LYST-Gen das ein Protein kodidert, das den intrazellulären Proteinverkehr in Endosomen steuert und so an der Pigmentierung beteiligt ist). In zytotoxischen T-Zellen und natürlichen Killerzellen (NK) spielt es eine Rolle bei der Regulierung von Größe, Anzahl und Exozytose lytischer Granula.
- fakultativ beim Stargardt-Syndrom:
Histologie
In den läsionalen Arealen fehlen Melanin und Melanozyten sowohl am Oberflächen- wie auch am Follikelepithel komplett. Kein Zeichen der Inflammation in der Dermis (DD. Vitiligo).
Differentialdiagnose
Klinisch:
Vitiligo: Selten isolierter Herd. Nicht angeboren sondern erworben.
Albinismus: Kongenitale Störung der Melaninsynthese bei normaler intraepidermaler Melanozytenzahl (!). Nie lokalisierte sondern generalisierte Hypomelanose von Haut, Haaren und Augen (okulokutaner Albinismus) oder nur der Augen (okulärer Albinismus)
Naevus depigmentosus. Bisher nicht geklärt ist ein tatsächlich existierender Unterschied beider Anomalien. Für beide Krankheitsbilder sind "systematisierte" (kutane Mosaike) Depigmentierungen beschrieben worden.
Beim Naevus depigmentosus sind typischerweise Melanozyten in der Epidermis nachweisbar. Es liegt eine Störung des Melanosomentransfers vor.
Naevus anaemicus: Beweisend ist der Reibetest, der beim Naevus anaemicus negativ ausfällt.
Therapie
Obwohl Piebaldismus gutartig und auf die Haut beschränkt ist, kann er für die Betroffenen eine soziale Beeinträchtigung darstellen. Die Behandlung zielt darauf ab, das Erscheinungsbild zu verbessern.
Dazu gehören Hauttransplantationen, Zelltransplantationen, Camouflage-Techniken und die Verwendung von Haarfärbemitteln bei Poliosis.
Weiterhin ist konsequenter textiler und physikalisch/chemischer Lichtschutz empfehlenswert.
Hinweis(e)
Bei Verdacht auf Piebaldismus sollte eine sorgfältige Untersuchung erfolgen, um überlappende Syndrome mit extrakutanen Manifestationen, wie das Waardenburg-Syndrom, auszuschließen (Saleem MD 2019).
Die phänotypischen Befunde des Piebaldismus werden bei der Geburt sichtbar. Aufgrund der unvollständigen Penetranz und der variablen Ausprägung ist eine detaillierte Familienanamnese nützlich, um eine vererbte genetische Ursache festzustellen. In der postnatalen Periode kann eine sorgfältige körperliche Untersuchung, einschließlich einer augenärztlichen und neurologischen Untersuchung, dazu beitragen, den Piebaldismus von syndromalen Ursachen der Pigmentstörung, wie:
- dem Waardenburg-Syndrom
- der peripheren demyelinisierenden Neuropathie
- der zentralen dysmyelinisierenden Leukodystrophie
- dem Morbus Hirschsprung (PCWH)
zu unterscheiden.
Auch wenn das Waardenburg-Syndrom ein ähnliches phänotypisches Erscheinungsbild wie Piebaldismus aufweist, gibt es auch extrakutane Merkmale wie angeborene Taubheit und Heterochromie. Eine begleitende Hirschsprung-Krankheit ist für PCWH von Bedeutung.
Fallbericht(e)
3 Jahre alter Junge, der seit Geburt einen streifenartigen weißen Fleck aufwies und später in diesem Areal eine weiße Locke (Poliose) entwickelte. Seit der frühen Säuglingszeit beobachtete die Mutter weitere weißliche Flecken am Bauch sowie später am linken Arm und am rechten Knie. In den letzten Wochen kam es nach mehrfacher Sonnenbestrahlung zum Auftreten von einzelnen pigmentierten Flecken innerhalb des depigmentierten Areals am Bauch. Der Junge war geistig vollstädnig normal entwickelt und zeigte auch anonsten keine körperlichen Retardierungen. Eine mittlere Sonnenexposition führt in den läsionalen Arealen einer vorzeitigen Dermatitis solaris.
Literatur
- Agarwal S et al. (2012) Piebaldism: A brief report and review of the literature. Indian Dermatol Online J 3:144-147.
- Böhm M (2015) Differenzialdiagnostik der Hypomelanosen. Hautarzt 66: 945-958
- Fistarol SK et al. (2010) Pigmentstörungen. JDDG 8:187-203
- Garg T et al. (2003) Autologous punch grafting for repigmentation in piebaldism. J Dermatol 30: 849-7850
- Grob A et al. (2016) Piebaldism in children. Cutis 97:90-92.
- Olsson MJ et al. (2002) Long-term follow-up of leucoderma patients treated with transplants of autologous cultured melanocytes, ultrathin epidermal sheets and basal cell layer suspension. Br J Dermatol 147: 893-904
- Saleem MD et al. (2019) Biology of human melanocyte development, Piebaldism, and Waardenburg syndrome. Pediatr Dermatol 36:72-84.
- Sleiman R et al. (2013) Poliosis circumscripta: overview and underlying causes. J Am Acad Dermatol 69:625-633
- Thomas I et al. (2004) Piebaldism: an update. Int J Dermatol 43:716-719.