Kälteinduziertes autoinflammatorisches Syndrom 2, familiäres L50.2

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

Familiäres kälteinduziertes autoinflammatorisches Syndrom 2; FCAS2; NLRP12-associated systemic autoinflammatory disease; NLRP12-assoziierte systemische autoinflammatorische Erkrankung; OMIM: 609648; SAIDs

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Erstbeschreiber

Jeru I et al. (2008)

Definition

Das autosomal-dominant vererbte Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 2, familiäre Form (auch FCAS2 oder NLRP12-assoziierte systemische autoinflammatorische Erkrankung genannt), ist eine systemische, autoinflammatorische Erkrankung, die durch episodische und wiederkehrende Exantheme nach Kälteexposition auftritt.  

Einteilung

Das Krankheitbild FACS  wurde früher wie andere Entitäten dieser Familie unter dem Begriff "Kälteurtikaria" subsummiert. Inzwischen wurde diese Erkrankungsgruppe den systemischen hereditären periodischen Fiebersyndromen (SAIDs) zugeordnet. Alle diese Varianten sind durch kälteprovozierbare  juckende, brennende oder auch leicht schmerzende Exantheme (meist auf die Kontaktstelle begrenzt) gekennzeichnet, die von Fieberschüben und weiteren Zeichen der Inflammation begleitet werden können. Bisher wurden 4 Genotypen mit gering unterschiedlichem Phänotypus beschrieben, die jetzt unter der  Bezeichnung "Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrome, familiäre Form 1-4" geführt werden. Folgende genetisch definierte und differente Varianten gehören zu dieser Familie: 

  • Das „Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 1, familiäres " (FCAS21) ist ein hereditäres autoinflammatorisches Syndrom, das durch eine heterozygote Mutation im NLRP3-Gen (1q44) verursacht wird. FCAS1 ist klinisch durch wiederkehrende Schübe (bei wiederholter Exposition) urtikarieller Exantheme gekennzeichnet, die mit Arthralgien, Myalgien, Fieber und Schüttelfrost sowie Schwellungen der Extremitäten nach Kälteeinwirkung einhergehen. Nach jahrzehntelangem Verlauf können in seltenen Fällen Patienten auch eine spät auftretende Nierenamyloidose entwickeln
  • Das "Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 2, familiäres" (FCAS2; OMIM: 609648)/ heterozygote Mutationen im NLRP12-Gen). Mutationen in NLRP12 führen zu der "NLRP12-assoziierten systemischen autoinflammatorischen Erkrankung (NLRP12-AID), eine seltene autosomal-dominante autoinflammatorische Systemerkrankung (SAID), die meist im Kindesalter auftritt. Eine NLRP12-AID -Variante wird auch als Familiäres autoinflammatorisches Kältesyndrom 2 bezeichnet ( FCAS2). Weltweit liegen Daten von <100 Patienten vor (Wang HF 2022). Bei NLRP12-AID sind > 20 verschiedene Mutationstypen bekannt. Klinisch ist die Krankheit durch periodisches Fieber gekennzeichnet, das von entzündlichen Schäden im gesamten System begleitet wird. 
  • Das autosomal-dominant vererbte "Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 3, familiäres" (FCAS3), auch als PLCG2-assoziierter Antikörpermangel und Immundysregulation (PLAID) bezeichnet, wird durch heterozygote Deletionen im PLCG2-Gen auf Chromosom 16q23 verursacht.
  • Das „ Kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom 4, familiäres “ kurz FCAS4, ist mit einer heterozygoten Mutation im NLRC4-Gen (606831) auf Chromosom 2p22 assoziiert.

Ätiopathogenese

Das autosomal dominant vererbte Familäre Kälteinduzierte Autoinflammatorische Syndrom 2  wird durch hetrozygote Mutationen im NLRP12-Gen (609648) hervorgerufen. Bisher wurden 21 verschiedene Arten von NLRP12-Mutationen entdeckt, darunter 16 Missense-Mutationen (76 %), 2 Nonsense-Mutationen (10 %) und 3 Frameshift-Mutationen (14 %). Die meisten Mutationsstellen befinden sich in seinen funktionellen Domänen (Abb. 2), was die entzündungshemmende Funktion von NLRP12 beeinträchtigen und zu einem Entzündungsmuster führen kann (Wang HF 2022).

Bemerkenswerterweise wurden in vielen Fällen auch NLRP12-Mutationen bei Verwandten ersten Grades festgestellt, es wurden jedoch keine entsprechenden verdächtigen klinischen Symptome gemeldet, was darauf hindeutet, dass NLRP12-Mutationen in Kombination mit anderen genetischen und umweltbedingten Faktoren die Ursache dieser Krankheit sein könnten.

Pathophysiologie

Bei betroffenen Mitgliedern von zwei nicht verwandten Familien mit FCAS2 identifizierten Jeru et al. (2008) heterozygote Mutationen im NLRP12-Gen (R284X; 609648.0001 und eine Spleißstellenmutation 609648.0002). Beide Mutationen führen vermutlich zu einem Funktionsverlust des kodierten Proteins. Jeru et al. (2011) fanden eine heterozygote Missense-Mutation im NLRP12-Gen (R352C; 609648.0004). Shen et al. (2017) identifizierten eine heterozygote F402L-Mutation bei drei nicht verwandten Han-chinesischen Patienten mit FACS2 im Erwachsenenalter. Die Mutationen wurden durch Ganzgenomsequenzierung der Gene für periodisches Fieber gefunden und durch Sanger-Sequenzierung bestätigt.

Der molekulare Mechanismus beinhaltet letztlich eine übermäßige Freisetzung von entzündlichen Zytokinen wie Interleukin-1beta, die durch eine abgeschwächte Hemmung des Signalwegs des Kernfaktors Kappa B (NF-κB) aufgrund der verminderten funktionellen Aktivität von mutiertem NLRP12 verursacht wird. Aufgrund der genetischen Mutation treten die meisten Fälle bereits im frühen Kindesalter auf (Wang HF 2022). 

Offenbar verringert eine mutierte funktionelle Domäne in NLRP12 nicht nur die Hemmwirkung auf NF-kappa, sondern erhöht gleichzeitig auch die Caspase-1-Aktivität, was schließlich zu einer übermäßigen Produktion verschiedener entzündlicher Zytokine wie IL-1beta führt. IL-1beta, ein „Alarmzytokin“, hat eine starke proinflammatorische Wirkung auf die angeborene Immunität. Das Zytokin kann die die Produktion anderer entzündlicher Zytokine (wie IL-6 und TNF-alpha) stimulieren und auch selbst induzieren. Als starkes endogenes Pyrogen kann IL-1beta die Körpertemperatur erhöhen und mit anderen entzündlichen Zytokinen (wie TNF, induzierbare Stickoxidsynthase (iNOS), Cyclooxygenase (COX) 2 und Prostaglandin E2 (PGE2)) zusammenarbeiten. Jéru et al. wiesen nach, dass die intrazellulären IL-1beta- und IL-6-Spiegel bei Kindern mit NLRP12-AID 80–175-mal bzw. 43–110-mal höher waren als bei Kontrollkindern. Nach weiterer Stimulierung mononukleärer Zellen des peripheren Blutes (PBMCs) mit Lipopolysacchariden war der IL-1beta-Spiegel bei pädiatrischen NLRP12-AID-Patienten immer noch 5–10 Mal so hoch wie in der Kontrollgruppe, und ähnliche Ergebnisse wurden für Intereleukin-1Ra, Intereleukin-6, und TNFalpha.

Manifestation

Das Alter bei der Diagnose lag zwischen 2 Monaten und 17 Jahren. Von den Kindern, deren Geschlecht bekannt war, waren 11 (35%) männlich und 20 (65%) weiblich. Vier Patienten (22 %) hatten eine positive Familienanamnese und 10 Fälle (30 %) wurden eindeutig durch Kältestimulation induziert. Das häufigste klinische Symptom war periodisches Fieber unterschiedlicher Dauer (100 %) (Wang HF 2022).

Klinisches Bild

Dermatologisch imponieren juckende, Kälte-induzierte Urtikaria, die nach einer allgemeinen Abkühlung des Körpers, nicht jedoch bei lokalisiertem Kältekontakt ausklösbar ist), Arthralgien, Myalgien, kolikartige abdominelle Schmerzen, und Kopfschmerzen gekennzeichnet ist. Bei den meisten Patienten werden diese Episoden von Fieber und serologischen Nachweisen von Entzündungen begleitet. Die meisten, aber nicht alle Patienten geben Kälte als Auslöser für die Schübe an.

Weitere klinische Zeichen sind inflammatorische granulomatöse Plaques in Kälte-empfindlichen Hautarealen sowie Cutis-laxa-artigen Hautläsionen.

Weitere klinische Merkmale können Thoraxschmerzen und sensorineurale Taubheit sein (Shen et al. 2017).

Hinweis(e)

De novo-Mutationen wurden beschrieben. 

Fallbericht(e)

Jeru et al. (2008) berichteten über 2 nicht verwandte Familien aus Guadeloupe mit einem autosomal-dominant vererbtem periodischen Fiebersyndrom in einer Familie kombiniert mit Innenohrschwerhörigkeit. Bei den betroffenen 10-jährigen Zwillingen der einen Familie traten in den ersten Lebenstagen episodisches Fieber, Arthralgie und Myalgie auf. Die Episoden traten nach einer generalisierten Kälteexposition auf. Eine spontane Urtikaria wurde bei beiden Patienten mehrfach beobachtet. Kopfschmerzen und Arthralgien der unteren Gliedmaßen traten während und zwischen den Episoden auf. Das C-reaktive Protein (CRP; 123260) und IgD im Serum waren normal. Der betroffene Vater hatte in der Kindheit 2 bis 3 Tage dauernde Attacken und als Erwachsener Fieberschübe und Urtikaria, die durch leichte körperliche Aktivität ausgelöst wurden. Sein Audiogramm war normal.

Das 9-jährige Mädchen der 2. Familie litt seit seinem ersten Lebensjahr an Fieberschüben. Die Fieberschübe wurden durch Kälteeinwirkung ausgelöst und waren mit Bauchschmerzen, Erbrechen, Arthralgie, aphthösen Geschwüren im Mundbereich und Lymphadenopathie verbunden. Es wurde festgestellt, dass das CRP im Serum während der Anfälle erhöht war. Ein analoges war bei ihrem Vater im Alter von 5 bis 12 Jahren nachweisbar.

Borghini et al. (2011) berichteten über eine italienische Familie, in der 4 Personen variable Manifestationen von FCAS2 aufwiesen. Bei der Probandin handelte es sich um eine 32-jährige Frau, die seit ihrem 20. Lebensjahr immer wiederkehrende Schübe von urtikariellem Hautausschlag im Gesicht, an den Armen und am Rumpf in Verbindung mit Fieber, Arthralgien, Myalgien und Kopfschmerzen erlitt. Die klinischen Manifestationen traten ausschließlich im Winter auf; in der warmen Jahreszeit fühlte sie sich völlig wohl. Die Fieberschübe waren mit erhöhten Werten der Akutphase-Proteinen verbunden. Sie sprach gut auf die Gabe von Steroiden und Antihistaminika an. Ihr Vater und ihre Tante väterlicherseits hatten einen ähnlichen Phänotyp mit Beginn der Symptome in der Kindheit oder im Säuglingsalter. Sowohl der Vater als auch die Tante wurden mit NSAIDs und gelegentlich mit Steroiden behandelt.

Jeru et al. (2011) berichteten über zwei nicht verwandte Patienten aus Armenien bzw. Italien mit FCAS2. Bei beiden Patienten traten in den ersten Lebensjahren wiederkehrende und episodische kältebedingte Myalgien, Bauchschmerzen und Fieber auf und eine bukkale Aphthose auf. Lab.: erhöhte CRP-Wert während der Episoden. Keine Urtikaria.

Vitale et al. (2013) berichteten über 6 nicht verwandte italienische Probanden mit FCAS2. Das Alter beim Auftreten der Symptome reichte von 2 bis 36 Jahren, und zu den Merkmalen gehörten wiederkehrende Fieberepisoden und kältebedingte Symptome. Die Symptome waren unterschiedlich, umfassten jedoch Hautausschlag, Urtikaria, Lymphadenopathie, Kopfschmerzen, Arthralgie, Arthritis, Myalgie und Müdigkeit. Ein Patient hatte einen sensorineuralen Hörverlust, und mehrere zeigten erhöhte Akutphase-Proteine.

Xia et al. (2016) berichteten über eine chinesische Familie der vierten Generation, in der fünf Personen unter FCAS2 litten. Die Patienten entwickelten im ersten Lebensjahr kälteassoziierte urtikarielle Exantheme an den Gliedmaßen und am Rumpf. Die Exanthemphasen dauerten bei diesen Patienten 12 bis 24 Stunden und traten nach einer Latenz von mehreren Stunden nach der Kälteexposition auf. Die Episoden wurden von Fieber und häufig von Gelenkschmerzen begleitet. Schwerhörigkeit, geistige Retardierung und Nierenfunktionsstörungen wurden bei keinem der Betroffenen beobachtet. Laboruntersuchungen zeigten bei allen 4 lebenden Patienten erhöhte Erythrozytensedimentationsraten und CRP-Werte.

Literatur

  1. Borghini S et al. Clinical presentation and pathogenesis of cold-induced autoinflammatory disease in a family with recurrence of an NLRP12 mutation. Arthritis Rheum. 63: 830-839.
  2. Jeru I et al. (2008) Mutations in NALP12 cause hereditary periodic fever syndromes. Proc. Nat Acad Sci 105: 1614-1619.
  3. Jeru I et al. (2011) Identification and functional consequences of a recurrent NLRP12 missense mutation in periodic fever syndromes. Arthritis Rheum 63: 1459-1464.
  4. Shen M et al. (2017) NLRP12 autoinflammatory disease: a Chinese case series and literature review. Clin Rheum 36: 1661-1667.
  5. Vitale A et al. (2013) Rare NLRP12 variants associated with the NLRP12-autoinflammatory disorder phenotype: an Italian case series. Clin Exp Rheum 31: 155-156.
  6. Wang HF (2022) NLRP12-associated systemic autoinflammatory diseases in children. Pediatric Rheumatology 20: 9 https://doi.org/10.1186/s12969-022-00669-8

  7. Xia  X et al. (2016) Identification of a novel NLRP12 nonsense mutation (Trp408X) in the extremely rare disease FCAS by exome sequencing. PLoS One 11: e0156981

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024