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CalciphylaxieM83.50
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Definition
Seltenes, schweres, nahezu ausschließlich bei niereninsuffizienten, dialysepflichtigen Patienten beobachtetes Krankheitsbild (pathognomisch ist der hiermit verknüpfte sekundäre Hyperparathyreoidismus), das durch eine kalzifizierende Dermatitis und Pannikulitis mit thrombotischen Verschlüssen und Wandverkalkungen kleiner und mittelgroßer Gefäße der Dermis sowie häufig nachfolgender Hautnekrose gekennzeichnet ist.
Charakteristisch ist die Trias der arteriolären Mediaverkalkung, thrombotisch kutaner Ischämie und plötzlich auftretenden (über Nacht) hochschmerzhaften, zackig begrenzten Nekrosen der Haut.
Vorkommen/Epidemiologie
Inzidenz (durchschnittliche Bevölkerung): 0,45/100.000 Einwohner/Jahr.
Dialysepatienten: Prävalenz 1-4% aller Dialysepatienten, v.a. bei Dialysedauer > 1 Jahr.
Als paraneoplastisches Syndrom bei Mammakarzinom. Vereinzelte Fallberichte sind auch über Auftreten bei Patienten mit chronischen Darmerkrankungen und primärem Hyperparathyreoidismus publiziert.
Ätiopathogenese
Letztlich sind die Ursachen nicht sicher geklärt. Diskutiert werden insbesondere Störungen im Kalzium-Phosphat-Stoffwechsel mit Imbalanz zwischen den Verkalkungsinhibitoren (Matrix-Gla-Protein, Fetuin A) und Verkalkungspromotoren (Osteopontin).
Bei chronischer terminaler Niereninsuffizienz kommt es zu einer verminderten Calcitriolsynthese und konsekutiv zur verminderten Kalziumresorption sowie zur verminderten Phosphatausscheidung der Niere. Hierdurch verursacht werden erhöhte Ausschüttung von Parathormon mit sekundärem Hyperparatheroidismus, vermehrte Freisetzung von Kalzium und Phosphat sowie Kalziumausfällungen durch Überschreitung der Löslichkeitsgrenze. Diese zeigen eine besondere Affinität für die elastischen Fasern der Gefäße. Offensichtlich sind dabei auch aktive Prozesse in der Zellwand (Differenzierung von glatten Muskelzellen in Osteoklasten) und die Hemmwirkung von Inhibitoren beteiligt. Es wurden jedoch auch Calciphylaxien bei normwertigem Calcium-Phosphat-Produkt beschrieben.
Risikofaktoren wie Dialyse (bei einer terminalen Niereninsuffizienz kommt es durch die begleitenden metabolischen Störungen insbes. die Hyperphosphatämie, Hyperkalziämie und Parathormon-Resistenz zur Kalzifizierungsneigung), Adipositas, systemische Glukokortikoidgabe, erhöhter Nachweis von Aluminium im Serum (> 25 ng/ml) und Lebererkrankungen werden diskutiert.
Manifestation
Frauen sind 3-4mal häufiger als Männer betroffen.
Lokalisation
- Typ I: proximale Lokalisation mit Befall von Stamm, Gesäß, Hüfte, prox. Oberschenkel
- Typ II betrifft v.a. die unteren Extremitäten.
- Typ III : Mischform
Klinisches Bild
Symmetrische, chronische, linear oder auch flächenhaft angeordnete, 2,0 bis 20 cm große, eminent schmerzhafte, harte, rote oder auch hautfarbene Plaques oder Knoten. Die Läsionen werden an der Hautoberfläche häufig durch eine Livedo angezeigt (Ursache: Verkalkungen des kutanen Gefäßplexus) und tendieren zur Ulzeration. Ausgeprochen schlechte Heilungstendenz. Klinisch können somit hoch schmerzhafte, schlecht heilende Ulzera, oder eine (exulzerierte) Livedo (racemosa) als dermatologischer Erstbefund auftreten. Neben den kutanen Läsionen finden sich schmerzhafte Myopathien (Gluteal- und Oberschenkelmuskulatur) und Rhabdomyolyse. Seltener sind Kalzifizierungen von Lunge oder Pankreas.
Labor
Histologie
Diagnose
Differentialdiagnose
- Vaskulitiden: Schmerzhafte, meist multiple spritzerartige Ulzera bei klinisch nachweisbarer Purpura. Histologie ist diagnostisch.
- Polyarteriitis nodosa, kutane: Initial zunächst derbe, häufig druckdolente, rötlich bis livide gefärbte Knoten. Sekundär Ulzeration, Ausbildung flacher, teilweise hyperpigmentierter Narben. Die Anamnese ist damit grundsätzlich unterschiedlich. Keine Niereninsuffizienz!
- AVK: Ruheschmerz, Besserung der Schmerzen bei Tieflagerung; distale Ulzera; Nachweis von Gefäßverschlüssen.
- Cholesterinembolie: In zuvor unveränderter Haut plötzlich auftretende, unterschiedlich große, bizarr konfigurierte, rot-livide Flecken (Bild der Livedo racemosa in etwa 35% der Fälle). Weiterhin akut auftretende, meist sehr schmerzhafte, bizarr begrenzte, häufig wenig belegte, flächige Ulzera. Keine Niereninsuffizienz! Meist deutliche Arteriosklerose. Zeichen der AVK!
- Ulcus cruris hypertonicum: S.u. Cholesterinembolie.
- Ulcus cruris venosum: Chronisches, nie akut auftretendes, meist rotes, großflächiges, wenig schmerzhaftes Ulkus in dermatosklerotischer Haut. Dopplersonographisch Nachweis der venösen Insuffizienz. CVI-typische Lokalisation des Ulkus (mediale oder laterale Knöchelkulisse).
- Pyoderma gangraenosum: Die Anamese ist deutlich different: Keine Niereninsuffizienz, keine AVK; innerhalb weniger Tage Ausbildung flächenhafter, zunächst flacher, im Laufe weniger Wochen tiefreichender, das Hautorgan überschreitender (Subkutis, evtl. Muskulatur und Sehnenlager betreffend) Ulzerationen. Charakteristisch und damit von diagnostischer Bedeutung ist eine äußerst schmerzhafte Randzone mit wallartigem, düsterrotem oder auch grauem, unterminiertem Saum.
- Pannikulitis: Subkutane Knoten, selten ulzeriert; meist symmetrisch, bevorzugt an den Oberschenkeln. Kein Livedomuster, keine zackigen Ulzera.
- Calcinosis cutis: Einzelne oder multiple, weißgelblich harte, manchmal schmerzhafte Platten oder Knoten der Haut mit Tendenz zur Ulzeration; aber auch subkutan gelegen oder in der Muskulatur (Reiterknochen).
Komplikation(en)
Therapie
Die Therapie ist rein supportiv.
Am wichtigsten ist die Senkung des Calciumphosphatproduktes: Intensiviertes und modifiziertes Dialyseregime, vorübergehende Gabe aluminiumhaltiger PO4-Binder statt Kalziumsalzen zur Senkung des erhöhten CaPO4-Produktes.
Cinacalcet, ein allosterischer Modulator des calciumsensitiven Rezeptors ist zur Prophylaxe der Calciphylaxie publiziert. Es führt zu einer Konformationsänderung des Rezeptors. Dies bewirkt eine Erhöhung der Empfindlichkeit des Rezeptors für Calcium und zu einer verminderten Freisetzung des Knochenstoffwechselhormons Parathormon.
Parathyreoidektomie erscheint nur sinnvoll bei erhöhtem Phosphatspiegel.
Experimentell: In einer kleinen klinischen Studie wurde bei dieser Patientengruppe der Einsatz von NOACs (Neue Orale Antikoagulanzien/Faktor Xa-Hemmer) als positiv bewertet.
Therapie allgemein
Externe Therapie
Cave! Verzögerte Wundheilung und Neigung zu Ulzerationen auch bei kleinen Wunden (Aufklärung des Patienten)! Wichtig: Neben konservativem Wundmanagement ist auch die chirurgische Wundversorgung mit konsequentem Débridement von Bedeutung.
Verlauf/Prognose
Schlechte Prognose durch eine Mitbeteiligung innerer Organe, insbes. Lunge (Verkalkung der Pleura), Gefäßverkalkung und Verkalkung von Herzklappen. Bei den Gefäßverkalkungen lassen sich zwei Typen unterscheiden:
- Verkalkung der Media der Gefäßwand vom Mönckeberg-Typ
- Verkalkung atherosklerotischer Intimaplaques.
Die 1-Jahres-Überlebensrate beträgt 46%. Für die hohe Todesrate sind kardiovaskuläre und septische Komplikationen der in den meisten Fällen dialysepflichtigen Pat. verantwortlich.
Hinweis(e)
Kaliphylaxie ist ein von Hans Seleye geprägtes Kunstwort aus "Kalizium" und "Anaphylaxie".
Alle Calciphylaxiefälle können in ein von der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie unter : www. calciphylaxie.de eingegeben werden.
Einige Autoren ordnen das Ulcus cruris hypertonicum Matorell als ein distales Befallsmuster der Calciphylaxie ohne Niereininsuffizienz zu.
Fallbericht(e)
Die 58-jährige, fettleibige Hausfrau leidet seit 18 Jahren an einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz aufgrund einer diabetischen Glomerulonephritis. Vor 4 Jahren sekundärer Hyperparathyreoidismus mit konsekutiver Resektion der Nebenschilddrüsen. Aorten- und Mitralklappenersatz vor 3 Jahren mit Marcumar-Therapie. Schwere periphere arterielle Verschlusskrankheit vom Oberschenkeltyp (Fontaine Stadium III).
Befund: Jetzt, an beiden Unterschenkeln, akut auftretende, multiple, bis 3,0 x 5,0 cm große, bizarr konfigurierte, äußerst schmerzhafte, bläulich-livide Plaques und flächige, krustig-schmierig belegte Ulzerationen. In der umgebenden intakten Haut deutliches Livedo-Muster.
Labor: Erhöhte Laborparameter: Kreatinin, Harnstoff, Phosphat, Parathormon. ANCA normwertig. Vit.-D3 war erniedrigt. Calcium normwertig.
Histologie (Areal mit Livedo-Zeichnung): Thrombosierte dermale und subkutane Gefäße mit ausgeprägten basophilen Kalkablagerungen im Lumen und den Wänden.
Therapie: Chirurgisches Débridement sowie Wundgrundkonditionierung mit niederfrequentem Leistungsultraschall und Hydrokolloidverbänden. Intravenös Prostaglandin E1 40 µg/Tag. Antihyperphosphatämisch mit Sevelamer (Renagel) 3mal/Tag 1600 mg p.o.
Literatur
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