Parvovirus B19-InfektionB08.3
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Cossart YE 1975
Erreger
Das humane Parvovirus B19 (Parvovirus von lat. parvum =klein; das Virus wurde 1975 bei einem asymptomatischen Blutspendern, durch die australische Virologin Yvonne Cossart entdeckt. Der Name B19 stammt von der Probe dieses Blutspenders, die mit dem Code „B19“ gekennzeichnet wurde) ist ein lineares, unbehülltes (wie alle Parvoviren) Einzelstrang-DNA-Virus, das zu der Gruppe der Parvoviridae gehört. Der Mensch ist das einzig bekannte Reservoir.
Neben den Parvoviren gehören zu dieser Gruppe die Densoviren und die Adeno-assoziierten Viren (AAV). Beim Menschen sind bisher Parvovirus B19 und das wahrscheinlich apathogene AAV nachgewiesen worden. Parvovirus B19 ist das kleinste bekannte humanpathogene DNA-Virus. Es besteht neben der linearen DNA (5 176 Nukleotide) aus 2 Strukturproteinen (VP1 und VP2), die das Capsidprotein bilden. Zusätzlich kodiert die Virus-DNA für zwei regulatorische Proteine, die bei der Virusreplikation wichtige Aufgaben erfüllen.
Parvovirus B19 besitzt einen ausgeprägten Tropismus für erythropoetische Vorläuferzellen wie "burst-forming-units" oder "colony-forming-units“ die es lytisch infiziert. Hierbei fungiert das Blutgruppen- P-Antigen als Rezeptor. Menschen, denen das P-Antigen fehlt (Phänotypen P1k und p), scheinen resistent gegen Parvovirus-Infektionen zu sein. Parvovirus B 19 befällt auch megakaryozytäre oder myeloische Zellen, wodurch Thrombozytopenie und/oder Neutropenie erklärlich werden.
Infektiosität besteht vor Ausbruch des Exanthems, jedoch nicht mehr im Exanthemstadium. Die Übertragung des Virus erfolgt ausschließlich von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion, aber auch transplazentar von der Mutter auf den Fötus.
Vorkommen/Epidemiologie
Häufigkeitsgipfel im Schulalter; jahreszeitlich im Frühjahr; gelegentlich treten Epidemien in Gemeinschaftseinrichtungen (z.B. Kindergärten) auf. Durchschnittlich weisen 40 bis 60% der Gesamtbevölkerung positive Immunglobulintiter auf, hingegen 80% der 50-jährigen.
Klinisches Bild
Nach der Infektion führen Parvoviren binnen einer Woche zu einer ausgeprägten Virämie mit sehr hoher Viruskonzentration. Die Viren sind außerdem im Speichel und im Urin vorhanden. Es kommt zur Infektion der erythropoetischen Vorläuferzellen. Diese werden praktisch gänzlich lysiert, so daß in der 2. Woche im peripheren Blut keine Retikulozyten mehr nachweisbar sind. Diese Retikulozytopenie führt meist etwa 10 Tage nach der Infektion zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Anämie (Young NS 2006).
Die verschiedenen klinischen Bilder der Erkrankung sind zum einen auf die Aplasie der Erythropoese und zum anderen auf den immunologischen Status des Patienten zurückzuführen.
Beim immunkompetenten Patienten bilden sich etwa 10 Tage nach Infektionsbeginn spezifische, neutralisierende, gegen VP1 und VP2 gerichtete IgM-Antikörper. Eine Woche später bilden sich IgG-Antikörper. Dadurch kann das Virus in aller Regel eliminiert werden, und 25 bis 30 Tage nach Virusinokulation erreichen die Hämoglobinspiegel wieder ihre Ausgangswerte. Bei gesunden Kindern/Erwachsenen verläuft die Parvovirus B-19-Infektion in 30% der Fälle völlig asymptomatisch. Durch Studien an IgM-positiven Schwangeren konnte gezeigt werden, daß ewa 50% der infizierten Frauen weder ein Erythem noch Arthralgien entwickelten. Auch die Infekt-assoziierte Anämie verläuft meist mild und häufig unbeachtet (Servey JT et al. 2007). Bei symptomatischen immunkompetenten Infizierten tritt etwa 2 Wochen nach Infektionsbeginn das typische Exanthem (Erythema infectiosum, auch Ringelröteln genannt) in Erscheinung, nicht selten begleitet von Arthralgien (Vafaie J et al. 2008).
Erythema infectiosum: Das Erythema infectiosum befällt typischerweise Kinder im Vorschulalter. Es gehört zu den 5(6) klassischen pädiatrischen Exanthemerkrankungen (s.unten). Das wenig juckende anuläre Exanthem, beinnt zunächst an den Wangen, spart die Nasen-Mund-Region aus (slapped cheek appearance - Katta R 2002). Vereinzelt können auch bevorzugt die Handinnenflächen und die Fußsohlen befallen sein (Handschuh-Socken-Syndrom). Das Exanthem blasst nach 1 Woche ab. Meist besteht keine generalisierte Lymphadenitis.
Allgemeinsymptome: Husten, Kopfweh, Fieber, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Diarrhö und Arthralgien können auftreten; sind dann aber nicht sehr ausgeprägt.
Rheumatoide Verlaufsform: Infizierte Kinder leiden in etwa 10% der Fälle unter Arthralgien bzw. arthritischen Beschwerden, infizierte Erwachsenen in bis zu 60 %. F:w=2:1. Die inflammatorische Arthropathie ist meist eine akute, symmetrische, periphere Polyarthritis und befällt folgene Gelenkgruppen: Metacarpophalangealgelenke (75 %), die proximalen Interphalangealgelenke (75 %), die Knie (65%), die Handgelenke (55%) und die Fußknöchel (40 %). Die Gelenksymptome klingen in der Regel nach wenigen Wochen ab. Selten ist eine jahrelange intermittierende Symptomatik.
Erkrankungen die mit einer Parvovirus B19-Infektion assoziiert sein können. Hierzu gehören:
- Polyarteriitis nodosa
- Purpura Schönlein-Henoch
- Juvenile Frühlingseruption
- Akute generalisierte exanthematische Pustulose (AGEP)
- Kawasaki-Syndrom
- Morbus Still
- Systemischer Lupus erythematodes
- Ulcerative colitis (UC) mit Pure Red Cell Aplasia (Isomoto H et al. (2003)
Seltene assoziierte Erkrankungen: Bei Kindern kann in seltenen Fällen von Non-B-, Non-C-Hepatitiden eine Assoziation mit mit Parvovirus B19 hergestellt werden. Bei Erwachsenen gibt es lediglich kasuistische Mitteilungen über Parvovirus B19-assoziierte hepatische Dysfunktionen. Weiterhin wurden vereinzelt über Fälle von Parvovirus B19-assoziierter Myokarditis und von idiopathischer thrombozytopenischer Purpura berichtet.
Diagnose
Der direkte Virusnachweis erfolgt mit der Polymerasekettenreaktion (PCR). B19-spezifische Antikörper werden durch ELISA- oder Immunoblot-Tests bestimmt. Die Virämie beginnt etwa 4-5 Tage nach Viruskontakt. 2-3 Tage später sind 1011 bis 1013 Viruspartikel/mL Blut vorhanden. IgM-Antikörper, überwiegend gegen die VP2-Kapsidproteine, treten durchschnittlich 10 Tage nach Viruskontakt, meist zeitgleich mit dem Exanthem auf. Zu diesem Zeitpunkt und an den Folgetagen enthalten Blut und Speichel 104 bis 108 Genomäquivalente Virus-DNA/mL. Häufig ist B19-spezifisches IgM bereits 3 Wochen nach Viruskontakt nicht mehr nachweisbar – zu dieser Zeit sind die Patienten aber noch virämisch. Ansteigende Mengen von IgG gegen die VP1- und VP2-Kapsidproteine sind 14 Tage nach Viruskontakt bestimmbar. Sie persistieren lebenslang (Modrow S et al. 2006). IgM und IgG wirken z.T. neutralisierend und bewirken eine Absenkung der Viruslast. Meist sind die Erreger 3-4 Wochen nach der Infektion völlig eliminiert und labortechnisch nicht mehr nachweisbar.
Komplikation(en)
Bei Patienten mit hämolytischen Anämien, gleich welcher Genese, kann der der Befall der erythropoetischen Vorläuferzellen mit Parvovirus B19 und die damit verbundene Hemmung der Erythropoese zu einer lebensbedrohlichen aplastischen Krise führen. Bei diesen Krisen kommt es regelmäßig zu einem Abfall des Hbs; klinisch stehen die Symptome der Anämie im Vordergrund (pure red cells aplasia - Isomoto H et al. 2003; Crabol Y et al. 2013). Möglich ist die Entwicklung einer Thrombozytopenie und/oder Neutropenie. Diese aplastische Krisen enden (durch die Bildung von spezifischen Antikörpern) selbstlimitierend (sie sistieren nach 1-2Wochen). Bei Patienten mit hämolytischen Anämien wird die Inzidenz von Parvovirus-B19-assoziierten aplastischen Krisen auf 2-5 % pro Jahr geschätzt.
Hydrops fetalis: Parvovirusinfektionen können bei IgM-positiven, IgG-negativen Schwangeren transplazentar auf den Föten übergehen. 1 - 5% Frauen infizieren sich in der Schwangerschaft wobei bei einem ganz überwiegenden Anteil die Schwangerschaft komplikationlos verläuft (Ornoy Asher et al. 2017). Aufgrund der kurzen fetalen Erythrozytenüberlebenszeit während der ersten 20 Schwangerschaftswochen kann die Infektion zu einer schweren Anämie und Hypoxie des Föten enführen. Hierdurch kann es sekundär zu einer schweren Herzinsuffizienz mit Flüssigkeitsretention kommen. Das Vollbild eines Infekt-assoziierten Hydrops fetalis ist gekennzeichnet durch Aszites, Pleuraergüsse und Hydramnion. Häufig führt diese Symptomatik zu Spontanaborten. Weiterhin können zerebralen Anomalien und neurologischen Entwicklungsstörungen auftreten.
Abortgefahr: Erfolgt die Parvovirus B19-Infektion in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft, besteht eine erhöhte Abortgefahr (Ornoy Asher et al. 2017).
Immunsupprimierte Patienten: Bei immunsupprimierten Patienten kann Parvovirus B19 persistieren und zu einer chronischen Erkrankung (chronische Anämie) führen. Verläufe von bis zu 10 Jahren sind bekannt. Als prädisponierende Faktoren wurden folgende Erkrankungen und Therapiemaßnahmen beschrieben: Thymusaplasie (Nezelof-Syndrom), Immundefizienz, akute Leukämien, chronisch myeloische Leukämie, maligne Lymphome, myelodysplastisches Syndrom, systemischer Lupus erythematodes, Zytostatikatherapie, Organtransplantationen.
Wichtig: das typische Erythema infectiosum fehlt bei einem Teil der immunupprimierten Infizierten komplett. Spezifische IgM-Antikörper können u.U. nicht nachgewiesen werden. Diese Konstellation erklärt die Viruspersistenz. Die Diagnose muß sich in diesen Fällen auf den direkten Virusnachweis im Blut mittels PCR stützen. In Einzelfällen wurde auch bei Patienten ohne offensichtlichen Immundefekt eine chronische Parvovirus B19- assoziierte Anämie beobachtet. Die Therapie besteht in Bluttransfusionen und in der Verabreichung von Immunglobulinen.
Therapie
Eine spezifische antivirale Therapie existiert nicht.
Die Infektion kann symptomatisch mit NSAR behandelt werden (Paracetamol, Ibuprofen). Lokal symptomatische Therapie (z.B.Lotio alba).
Arthralgien klingen (insb. Finger-, Hand-, Knie- und Sprunggelenke) in der Regel nach 3–4 Wochen ab; selten persistierende Arthritis. Die Therapie erfolgt mit NSAR
Bei aplastischer Krise Blutkomponenten-Substitution und Gabe von 7S-Immunglobulinen (auch bei Patienten nach Organ- oder KM-Transplantation)
Bei pränataler Infektion mit Gefahr eines Hydrops fetalis: intrauterine Austauschtransfusion.
Prophylaxe
Ein Impfstoff gegen Parvovirus-B19 existiert nicht. Personen mit Immundefizienz, chronischer Anämie sowie Schwangere von sind von erkrankten Patienten fernzuhalten!
Hinweis(e)
Ringelröteln (Fifth disese) gehört zu den 5(6) klassischen pädiatrischen Exanthemerkrankungen:
- Masern ("First disease")
- Scharlach ("Second disease")
- Röteln ("Third disease")
- Staphylokokken-Scharlach ("Fourth disease")
- Dreitagefieber ("Sixth disease")
Meldepflicht: Gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht keine bundesweite Meldepflicht für Parvovirus B19-Infektionen. Es gibt jedoch eine amtliche Meldepflicht in Sachsen: Namentliche Arztmeldepflicht bei Verdachts-, Krankheits- oder Todesfällen.
Literatur
- Cossart YE et al. (1975) Parvovirus-like particles in human sera. Lancet 1: 72-73.
- Crabol Y et al. (2013) Groupe d'experts de l'Assistance Publique-Hôpitaux de Paris. Intravenous immunoglobulin therapy for pure red cell aplasia related to human parvovirus b19 infection: a retrospective study of 10 patients and review of the literature. Clin Infect Dis 56:968-977.
- Isomoto H et al. (2003) Pure red cell aplasia associated with parvovirus B19 infection in a patient with ulcerative colitis. Dig Dis Sci 48:2104–2107.
- Katta R (2002) Parvovirus B19: a review. Dermatol Clin 20:333–342.
- Markenson GR et al. (1998) Parvovirus B19 infections in pregnancy. Semin Perinatol 22:309-317.
- Means RT Jr (2016) Pure red cell aplasia. Blood 128:2504-2509.
- Mende M et al. (2018) Parvovirus B19 Infection. N Engl J Med 379:2361.Ornoy A et al. (2017)
- Modrow S et al. (2006) Parvovirus-B19-Infektion in der Schwangerschaft. Dtsch Arztebl 103: A-2869 / B-2496 / C-2401
- Ofuji S et al. (2007) Acute generalized exanthematous pustulosis associated with a human parvovirus B19 infection. J Dermatol 34:121-123.
- Ornoy Asher et al. (2017) Parvovirus B19 Infection During Pregnancy and Risks to the Fetus. Birth Defects Res 109: 311-323
- Schleuning M et al. (1996) Parvovirus-B19-Infektionen Sind es nur harmlose Ringelröteln? Dtsch Arztebl 93: A-2781 / B-2362
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Schnitzler P et al.(2019) Zytomegalievirus (CMV). In: Hof H, Schlüter D, Dörries R, Hrsg. Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie. 7., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2019.
- Servey JT et al. (2007) Clinical presentations of parvovirus B19 infection. Am Fam Physician 75:373–376.
- Vafaie J et al. (2004) Parvovirus B19 infections. Int J Dermatol 43:747-749.
- Young NS (2006) Hematologic manifestations and diagnosis of parvovirus B19 infections. Clin Adv Hematol Oncol 4: 908–910.