Paraneoplastische Syndrome der Niere

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Erstbeschreiber

Der Begriff »paraneoplastisch« wurde erstmals von Guichard und Vignon 1949 angewendet, um damit die multiplen Nervenausfälle bei einer Patientin mit einem Zervix-Karzinom in einen pathophysiologischen Zusammenhang mit ihrer malignen Erkrankung zu bringen.

 

Definition

Als Paraneoplastische Syndrome wird eine heterogene Gruppe unterschiedlicher Symptomenkomplexe bezeichnet, die nicht unmittelbar durch den Tumor selbst oder durch seine Metastasen verursacht werden, die aber kausal oder formalgenetisch an das Vorhandensein des Tumors gebunden sind.

Die Symptomenkomplexe werden einerseits durch eine parakrine Veränderung des umgebenden Mikromilieus des Tumors (durch parakrin sezernierte Mediatoren und Hormone) hervorgerufen, und andererseits durch humorale Tumorprodukte, die Einfluss auf andere Organe nehmen. Die klinisch-morphologisch erkennbaren paraneoplastischen Symptome sind nur in wenigen Fällen spezifisch und damit direkt erkennbar. Sie sind auch nicht an den Sitz des Tumors oder seiner Metastasen gebunden, korrelieren jedoch häufig in ihrer Ausprägungsstärke mit dem Verlauf der Tumorerkrankungen. Sie manifestieren sich vor oder während eines Tumorleidens, können jedoch auch diesem unter Umständen langzeitig vorausgehen. Somit ist ihnen auch eine wichtige Rolle als Indikatoren zur Früherkennung des malignen Grundleidens zugewiesen, insbesondere im Hinblick auf die möglicherweise noch kurative Behandlung eines Primarius. Paraneoplastische Symptome können sich auch nach der Entfernung des Primärtumors und seiner potenziellen Metastasen, oder nach erfolgreicher Chemo- und Radiotherapie wieder zurückbilden.

Einteilung

Die nephrogenen paraneoplastischen Syndrome können wie folgt unterteilt werden:

Glomeruläre Erkrankungen

Tubulointerstitielle Störungen

Mikrovaskuläre Erkrankungen

  • Thrombotische Mikroangiopathie

Störungen von Wasser- und Elektrolyt-Haushalt

  • Paraneoplastische Hyponatriämie

Ätiopathogenese

Die Pathogenese der paraneoplastischen Syndrome bleibt häufig unklar. Jedoch entstehen die Symptome wahrscheinlich sekundär aufgrund von Substanzen, die vom Tumor sezerniert werden, oder als Ergebnis einer Antikörperbildung gegen Tumorzellen, die mit anderem Gewebe kreuzreagieren. Die Symptome können in jedem Organsystem auftreten.

Klinisches Bild

Glomeruläre Erkrankungen: Diese manifestieren sich mit den typischen Zeichen einer Glomerulopathie mit meist schwerer Proteinurie (häufig als nephrotisches Syndrom mit einer Proteinausscheidung > 3,5 g pro Tag, Ödemen, Hypalbuminämie und Hyperlipidämie), Hämaturie mit nephritischem Sediment oder auch mit dem Neuauftreten einer Hypertonie bzw. einer Niereninsuffizienz. Tumorassoziierte Glomerulopathien treten vorwiegend nach dem 40. Lebensjahr auf und können einer erster Hinweis auf das Vorliegen einer Neoplasie sein. In dieser Altersgruppe findet sich bei Erstmanifestation eines nephrotischen Syndroms eine jährliche Malignominzidenz von 0,8 % (Brueggemeyer et al. 1987).

  • Membranöse Glomerulonephritis. Die häufigste paraneoplastisch auftretende glomeruläre Erkrankung ist die membranöse Glomerulonephritis. Sie tritt bei älteren Patienten in ca. 20% aller Fälle in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung auf [Zech et al. 1982]. Dabei überwiegen Tumore von Magen, Lunge und Colon, aber auch Mammakarzinom, M. Hodgkin, Melanom, Ösophaguskarzinom und andere sind beschrieben. Die ursächliche Bedeutung der Malignome für die Entwicklung der membranösen Glomerulonephritis ist nicht sicher bewiesen. Deutliche Hinweise auf eine ätiologische Bedeutung geben jedoch die fünffach erhöhte Malignominzidenz bei Patienten mit dieser Form der Glomerulonephritis [Brueggemeyer et al. 1987], der mehrfach beschriebene enge Zusammenhang zwischen Verlauf der Tumorerkrankung und der Entwicklung des nephrotischen Syndroms [Robinson et al. 1984 und andere] und auch der Nachweis von Tumorantigenen im Bereich der Glomeruli betroffener Patienten (s. Maesaka et al. 1997].
  • Minimal-change-Glomerulopathie: sie tritt als paraneoplastische Syndrom deutlich seltener auf. Assoziationen mit lymphoproliferativen Erkrankungen, insbesondere dem Morbus Hodgkin sind nachgewiesen (Weinstein et al. 1990).
  • IgA-Nephropathie: Beim Nierenzellkarzinom wird ein häufiges Vorkommen einer IgA-Nephropathie im Operationspräparat der befallenen Niere beschrieben (Magyarlaki et al. 1999).

Tubulointerstitielle Störungen:  Tubuläre Schädigungen treten im Zusammenhang mit einzelnen malignen Erkrankungen sehr häufig auf und werden durch unterschiedliche pathogenetische Mechanismen verursacht. Sie manifestieren sich meist durch zunehmende Niereninsuffizienz oder Störungen tubulärer Partialfunktionen.

  • Monoklonale Gammopathien und Niere: Von besonderer ätiologischer Bedeutung sind das Multiple Myelom und der Morbus Waldenström. Beide Erkrankungen gehen zu etwa 50% der Fälle mit einer Niereninsuffizienz einher(Clark et al. 1999). Beim Multiplen Myelom sind pathophysiologisch drei Mechanismen bedeutsam:
  • Die klinisch wichtigste Manifestation ist die klassische „Myelomniere“, eine primär tubulointerstitielle Störung, die durch toxische Wirkungen der in großen Mengen glomerulär filtrierten Leichtketten auf das Tubulusepithel und durch Obstruktion des Tubulusapparates durch Präzipitate aus Leichtketten und Tamm-Horsfall-Proteinen bedingt ist.
  • Dagegen stellt die AL-Amyloidose primär eine glomeruläre oder vaskuläre Ablagerung von Leichtkettenfragmenten dar und die Leichtkettennephropathie erscheint als noduläre Glomerulosklerose mit mesangialen Leichtkettenablagerungen, sowie Ablagerungen im Bereich glomerulärer und tubulärer Basalmembranen. Die Therapie des Multiplen Myeloms ist auch für die Prognose der Niereninsuffizienz von entscheidender Bedeutung. Eine Reversibilität der Nierenbeteiligung ist möglich, wenn bei Therapiebeginn keine ausgeprägten chronisch tubulointerstitiellen Veränderungen und keine Amyloidose vorliegen (Rota et al. 1987).
  • Hyperkalzämische Nephropathie: Tumorassoziierte Hyperkalzämien, bedingt durch ein Multiples Myelom bzw. solide Tumoren mit Skelettmetastasen oder durch endokrin aktive Tumore mit ektoper Produktion von Parathormon oder parathormonähnlichen Peptiden können eine hyperkalzämische Nephropathie verursachen. Morphologisch kommt es dabei zu einer Kalzifikation besonders im distalen Bereich des Nephrons und reaktiven entzündlichen Veränderungen im umgebenden Interstitium. Die Therapie beinhaltet die konsequente Behandlung der Hyperkalzämie mit forcierter Diurese, Kortikoiden, Bisphosphonaten, Calcitonin und bei akuter vitaler Gefährdung ggf. auch Hämodialyse.
  • Harnsäurenephropathie:  Eine akute Harnsäurenephropathie kann bei Neoplasien mit hohem Zellumsatz auftreten und ist pathogenetisch primär durch eine Ausfällung im Sammelrohrsystem bedingt. Die Prophylaxe erfolgt durch den Einsatz von Allopurinol, begleitende Flüssigkeitszufuhr und bei Bedarf durch eine Harnalkalisierung.

Mikrovaskuläre Erkrankungen:

  • Vaskulitiden: Selten werden auch mikrovaskuläre Veränderungen der Nieren im Rahmen von Tumorerkrankungen beobachtet. Eine renale Vaskulitis kann im Zusammenhang mit hepatozellulären Karzinomen bei Hepatitis C-Infektion mit Kryoglobulinämie, aber auch in Assoziationen mit Lungentumoren und Lymphomen vorkommen.
  • Eine thrombotische Mikroangiopathie als nephrogene Manifestation im Sinne eines Hämolytisch urämischen Syndroms tritt meist als Komplikation einer Chemotherapie z.B. mit Mitomycin oder Cisplatin auf, kann aber selten auch unabhängig von einer Therapie bei myeloproliferativen Erkrankungen, Prostata-, Magen- oder Pankreaskarzinom beobachtet werden (Maesaka et al. 1997).

Störungen von Wasser- und Elektrolyt-Haushalt:

Therapie

Therapeutisch steht bei allen tumorassoziierten Glomerulopathien die Behandlung der Grundkrankheiten im Vordergrund. Spezifische Therapiemaßnahmen wie eine Immunsuppression erfolgen ausschließlich im Rahmen einer gegebenenfalls erforderlichen Chemotherapie des Tumors. Begleitend kann eine Hypertonieeinstellung erforderlich werden. Der Einsatz von Nierenersatzverfahren bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz muß vor dem Hintergrund der individuellen Prognose diskutiert werden.

Myelomniere: Ein spezifischer Therapieansatz für die Behandlung der Myelomniere wird mit der Plasmapherese verfolgt. Beim Vorliegen einer sehr hohen Paraproteinämie soll damit die tubuläre Paraproteinlast reduziert und so die Progression der Niereninsuffizienz vermindert werden. Der Erfolg dieser Intervention ist jedoch noch nicht endgültig gesichert (Moist et al. 1999). Dagegen ist die Indikation zur Plasmapherese beim Vorliegen eines Hyperviskositätssyndroms unumstritten. Auch der Einsatz der Nierenersatztherapie ist bei gegebener, individueller Prognose etabliert, da das Gesamtüberleben der Patienten unabhängig vom Grad einer vorliegenden Niereninsuffizienz ist (Sharland et al. 1997).

Literatur

  1. Brueggemeyer CD et al. (1999) Membranous nephropathy: a concern for malignancy. Am J Kidney Dis 9:23-26
  2. Clark AD et al. (1999) Renal failure and multiple myeloma: pathogenesis and treatment of renal failure and management of underlying myeloma. Blood Rev 13:79-90
  3. Giannakos G et al. (2005) C. Stauffer's syndrome variant associated with renal cell carcinoma. Int J Urol 12:757-759.
  4. Maesaka JK et al. (1990) Hyponatremia and hypouricemia: differentiation from SIADH. Clin Nephrol 33:174-178
  5. Maesaka JK et al. (1997) Paraneoplastic syndromes of the kidney. Semin Oncol 24:373-381
  6. Magyarlaki T et al. (1999) Renal Cell Carcinoma and Paraneoplastic IgA Nephropathy. Nephron 82:127-130
  7. Moist L et al. (1999) Plasma exchange in rapidly progressive renal failure due to multiple myeloma. A retrospective case series. Am J Nephrol 19:45-50.
  8. Nasr SH et al. (2019) Paraneoplastic Cast Nephropathy Associated With Pancreatic Mixed Acinar-Neuroendocrine Carcinoma: A Case Report. Am J Kidney Dis 74:558-562. 
  9. Robinson WL et al. (1984): Remission and exacerbation of tumorrelated nephrotic syndrome with treatment of the neoplasm. Cancer 54:1082-1084
  10. Rota S et al. (1987) Multiple myeloma and severe renal failure: a clinicopathologic study of outcome and prognosis in 34 patients. Medicin 66:126-137
  11. Sharland A et al. (1997) Hemodialysis: an appropriate therapy in myeloma-induced renal failure. Am J Kidney Dis 30:786-792
  12. Weinstein T et al. (1990) Unusual case of crescentic glomerulonephritis associated with malignant lymphoma. A case report and review of the literature. Am J Nephrol 10:329-332

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