Enterales EiweißverlustsyndromK90.4
Synonym(e)
Definition
Erworbener oder angeborener pathologisch erhöhter Eiweissverlust durch Übertreten von Plasmaproteinen in das Darmlumen. Infolge der Hypoproteinämie kommt es zur Ödembildung.
Ätiopathogenese
Bei dem enteralen Eiweißverlustsyndrom ist das Gleichgewicht zwischen passivem Übertritt von Proteinen in das Darmlumen und der notwendigen Rückresorption gestört. Der Proteinverlust (physiologisch 1–4 g/Tag) kann dann durch Synthesesteigerung nicht mehr kompensiert werden. Die Folge ist eine Hypoproteinämie mit der meist klinisch erkennbaren Ödemneigung. Die Labordiagnose Proteinmangel ist ein Leitsymptom der exsudativen Enteropathie, sofern Nierenkrankheiten mit Proteinurie, ein hepatischer Synthesemangel und eine Malnutrition ausgeschlossen werden können.
Ursächlich sind:
- Enterale Lymphstauung: z.B. durch Abflusshindernisse der Lymphbahnen in der Darmwand mit konsekutiver Drucksteigerung in den Lymphbahnen und gesteigerter Eiweißabgabe in den Darm. Typisches Beispiel hierfür sind intestinale Lymphangiektasien (primär als angeborene Störung oder sekundär als Folge von obturierenden Prozessen im Lymphsystem (Tumor, Entzündung, Strahlen).
- Mechanische Obstruktion der Lymphgefäße.
- Erhöhter Druck in den Lymphgefäßen: Im Zusammenhang mit angeborenen Herz- und Gefäßfehlern kann ein enteraler Eiweißverlust als Komplikation z.B. nach einer Mustard Operation zur hämodynamischen Korrektur einer Transposition der großen Gefäße auftreten. Weiterhin als Komplikation einer Fontan Operation (Johnson JN et al. 2012). V.a. im diastolischen Druckanstieg im rechten Vorhof wird die Ursache für PLE vermutet, da er den venösen Rückfluss zum rechten Herzen reduziert. Dies führt zu einem Rückstau von Blut in beide Hohlvenen.
- Schleimhauterkrankungen mit konsekutiver Eiweißexsudation:
- Eosinophile Gastroenteritis (Talley NJ et al. 2001): hierbei bedingt die Freisetzung von Mediatoren aus eosinophilen Granulozyten eine vermehrte Durchlässigkeit der Darmwand. Die eosinophile Gastroenteritis kann mit einer typischen Nahrungsmittelallergie verbunden sein.
- Morbus Ménétrier (Hypertrophie der Magenschleimhaut mit Hyperplasie des Oberflächenepithels „Riesenfaltenmagen“): Der Proteinverlust über die Magenschleimhaut führt bei 60–70% der Erkrankten zur Hypalbuminurie und bei 30% zu Ödemen.
- Hypersekretorische Gastropathien mit Schleimhauthypertrophien: z.B. bei Polyposis coli oder bei Cronkhite-Canada-Syndrom (D12.6) einer generalisierten gastrointestinalen Polypose, die zu Diarrhöen und teilweise bedrohlicher Malnutrition führen kann. Charakteristisch sind innerhalb kurzer Zeit auftretende ektodermale Veränderungen mit Alopezie und Verlust der Nägel an Fingern du Zehen (Dageförde J 2006).
- Morbus Whipple: eine durch das Bakterium Tropheryma whippelii verursachte langsam fortschreitende Multisystemerkrankung mit Lymphangiektasien der Darmwand und einer ausgedehnten exsudativen Enteropathie .
Klinisches Bild
Diarrhö/Steatorrhö, Gewichtsverlust, Malabsorptionssyndrom
Hypoproteinämische Ödeme (dies treten bei einem Serumalbumin < 2,5g/dl ein)
Zusätzliche Symptome bei primärer intestinaler Lymphangiektasie (M.Wladmann = angebornene Fehlbildung der Lymphgefäße) mit Pleurergüssen, Aszites, Lymphozytopenie.
Labor
Albumin↓↓, Immunglobuline↓, Alpha1-Antitrypsin im Stuhl ↑,
Bestimmung der alpha1-Antitrypsin-Clearance über einen Zeitraum von 3 Tagen: Bemerkung: α1-Antitrypsin ist ein Proteaseinhibitor, der analog zum Albumin in den Darm ausgeschieden wird. α1-Antitrypsin ist aufgrund seiner antiproteolytischen Eigenschaft weitgehend geschützt vor bakterieller Zersetzung.
Die α1-Antitrypsin-Clearance weist gegenüber der einfachen α1-Antitrypsin-Bestimmung im Stuhl keine wesentlichen Vorteile auf, die den erhöhten technischen Aufwand (mehrtägige Stuhlsammelperiode, parallele Bestimmung der α1-AntitrypsinSerumkonzentration) rechtfertigen würde.
Diagnose
Anamnese, Klinik, α1-Antitrypsin-Bestimmung im Stuhl (Dinari G et al. 1984)
Bildgebende Verfahren (Röntgen, CT)
Endoskopisch-bioptische Verfahren mit histologischer Untersuchung der Schleimhaut
Differentialdiagnose
Hypoproteinämische Ödeme renaler oder hepatischer Genese
Therapie
Behandlung der Grundkrankheit.
Ernährungstherapie mit dem Ziel, wieder eine ausgeglichene Proteinbilanz zu erreichen, bzw. den eingetretenen Proteinverlust auszugleichen (Kasper H 2004). Primäre Maßnahme ist die Erhöhung der Proteinzufuhr durch eine eiweißreiche Kost (1,2-2,0 g Protein/kgKG/Tag). Diese sollte gleichzeitig fettarm sein, um durch eine Senkung des Lymphdrucks den Austritt von Lymphe und dadurch den Proteinverlust zu reduzieren. Austausch der langkettigen durch mittelkettige Triglyceride (MCT-Produkte, z.B. Ceres®Margarine).
Bemerkung: MCT-Fette werden vollständig über die Pfortader abtransportiert. Sie haben somit keinen Einfluss auf den Lymphdruck. Bei langfristigem Einsatz von MCT-Fetten ist in jedem Fall auf die ausreichende Versorgung mit essentiellen Fettsäuren zu achten. Dies kann durch die zusätzliche Gabe eines linolsäurereichen Fettes erfolgen. Gfls. ist auch eine medikamentöse Supplementierung der fettlöslichen Vitamine (A, D, E, K) notwendig.
Weiterhin: Einschränkung der Natriumzufuhr: diese wirkt der häufig bestehenden Ödembildung entgegen.
Literatur
- Allenspach K et al. (2017) Hypovitaminosis D is associated with negative outcome in dogs with protein losing enteropathy: a retrospective study of 43 cases. BMC Vet Res 13:96.
- Becker K et al. (2001) Eiweißverlustsyndrome des Gastrointestinaltraktes. Dtsch Med Wochenschr 126: 1210– 1214
- Dageförde J (2006) Das CronkhiteCanada-Syndrom. Med Welt 57: 284–287
- Dinari G et al. (1984) Random fecal a1-antitrypsin excretion in children with intestinal disorders. Am J Dis Child 138: 971–973
- Johnson JN et al. (2012) Protein-losing enteropathy and the Fontan operation. Nutr Clin Pract 27:375-384.
- Furfaro F et al. (2015) Protein-losing enteropathy in inflammatory bowel diseases. Minerva Gastroenterol Dietol 61:261-265.
- Herbay A von (2001) Morbus Whipple. Pathologe 22: 82–88
- Kasper H (2004) Ernährungsmedizin und Diätetik. 10. Aufl., Urban und Fischer, München, S. 561
- Moran A et al. (1995) Laboratory markers of colonoscopic activity in ulcerative colitis and Crohn’s colitis. Scand J Gastroenterol 30: 356–360
- Talley NJ et al. (2001) Eosinophilic Gastroenteritis: a clinicopathological study of the disease of the mucosa, musclelayer and subserosal tissues. Gut 31: 54–58