Acute Respiratory Distress SyndromeJ80.09

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

Adult respiratory distress syndrome; Akutes Atemnotsyndrom; Akutes Lungenversagen; Akutes progressives Lungenversagen; ARDS; Atemnotsyndrom des Erwachsenen; Schocklunge

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Erstbeschreiber

Ashbaugh et al.

Definition

Als Akutes Lungenversagen (Rö.Thorax oder CT Thorax: Nachweis bilateraler diffuser Infiltrate, basal verstärkt) wird bei zuvor lungengesunden Patienten, die akute respiratorische Insuffizienz (akuter Beginn innerhalb einer Woche) bedingt durch verschiedene, schädigende Faktoren bezeichnet, unabhängig davon, ob die daraus resultierenden pulmonalen Entzündungsmechanismen primär pulmonal oder systemisch ausgelöst werden. Dem akuten Lungenversagen muss eine identifizierbare, nichtkardiale Ursache (Ausschluss eines kardialen Lungenödems oder einer Überwässerung) zugrunde liegen.

AECC-Definition des ARDS (1994 Präzisierung der seit 1967 üblichen Definition):

  • Diffuse Lungeninfiltrate im Röntgenbild
  • akuter Beginn
  • beidseitige Infiltrate in posterior-anteriorer Röntgen-Thoraxaufnahme
  • Lungenkapillarverschlussdruck (PCWP, Wedge-Druck) < 18 mmHg oder fehlender klinischer Anhalt auf einen erhöhten Druck im linken Vorhof bzw. echokardiografischer Ausschluss eines Linksherzversagens
  • PaO2 (Sauerstoffpartialdruck im arteriellen Blut) / FiO2 (Sauerstoffanteil der Atemluft) ≤ 200 mmHg (Horovitz-Quotient)

Die aktuelle S3-Leitlinie  von 12/2017„Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ bezieht sich auf diese Definition und hat die Berliner Definition abgelöst (Nanchal RS et al. 2018):

  • Zeitschiene: Auftreten innerhalb von einer Woche,
  • Respiratorisches Versagen ist nicht erklärt durch Herzversagen oder Hypervolämie,
  • Einteilung; die neue Definition unterscheidet drei Schweregrade des ARDS abhängig von der Schwere der Hypoxämie:
    • mild: PaO2/FIO2 (Horovitz-Quotient)= 201-300 mmHg bei PEEP ≥5 cm H2O
    • moderat: PaO2/FIO2 (Horovitz-Quotient) = 101-200 mmHg bei PEEP ≥5 cm H2O und
    • schwer: PaO2/FIO2 (Horovitz-Quotient) ≤ 100 mmHg bei PEEP ≥5 cm H2O

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz nicht sicher geklärt; sie schwankt je nach Angabe zwischen (2-50/100.000/Jahr)

Ätiopathogenese

Die akute respiratorische Insuffizienz wird beim akuten Lungenversagen durch eine schwere diffuse Schädigung des Lungenparenchyms verursacht. Die Schädigungen des Lungenparenchyms können direkt oder indirekt erfolgen:

Direkte Schädigung des Lungenparenchyms:

  • Pneumonien (häufigste Ursache; Shah RD et al. 2017)
  • Inhalation toxischer Gase wie beispielsweise Rauchgas (Inhalationstrauma, toxisches Lungenödem), Aspiration von Mageninhalt
  • Lungentransplantation: Eine transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI) ist vom ARDS klinisch nicht zu unterscheiden, wird jedoch vom ARDS abgegrenzt, da die Prognose bei der TRALI deutlich besser ist.
  • Lungenkontusion
  • Aspiration von Salz- oder Süßwasser (Beinahe-Ertrinken)
  • Fettembolie
  • Fruchtwasserembolie
  • Inhalation von hyperbarem Sauerstoff.
  • Intoxikation durch Paraquat, Narkotika, Drogen

Indirekte Schädigung des Lungenparenchyms:

  • Sepsis
  • schweres Trauma (v.a. Polytrauma) mit Schock („Schocklunge“)
  • Fettembolie
  • Verbrennungen
  • Akute (nekrotisierende) Pankreatitis
  • schwerer Verlauf der Malaria tropica,
  • Medikamente und Immunsuppression (zum Beispiel nach Knochenmark - /Stammzelltransplantation).
  • Hypersensitivitätsreaktionen z.B. nach Biologika

Bemerkung: Weitere sekundäre Faktoren wie chronischer Alkoholmissbrauch, chronische Lungenkrankheiten und ein niedriger pH-Wert des Serums erhöhen die Gefahr einer ARDS-Entwicklung.

Die Folge der lokalen Lungenschädigung und die dadurch ausgelösten Inflammationsvorgänge ist eine Beeinträchtigung des Euler-Liljestrand-Reflexes. Dies führt zu einer fehlenden Vasokonstriktion in Lungenarealen mit einer verminderten alveolären Ventilation. Je nach Ausmaß entsteht ein relevantes Shuntvolumen, das mehr als 30 % des Herzzeitvolumens betragen kann. Die Aktivierung der intravasalen Gerinnungskaskade kann zu Mikrothrombosierungen der pulmonalen Kapillaren führen. Es entstehen ventilierte, aber nicht perfundierte Lungenareale. Diese führen zu einer Zunahme des Totraums. Durch das Permeabilitätsödem ist eine Zunahme des Lungengewichtes um das Dreifache des Normalgewichts möglich. Die Folge ist eine Abnahme der Lungencompliance. Eine Hypoxie-bedingte pulmonale Vasokonstriktion kann zu einem erhöhten pulmonalarteriellen Druck führen und eine Rechtsherzbelastung verursachen (Gefahr eines akuten Cor pulmonale). Letztlich führt ein ARDS zu einem unterschiedlich ausgeprägten inhomogenen Schädigungsmuster der Lunge. Neben belüfteten Parenchymarealen finden sich ödematöse, kollabierte und konsolidierte Lungenareale .

Klinisches Bild

Wenige Tage nach einem auslösenden schädigenden Ereignis treten Schädigungsereignis treten folgende klinische Symptome auf:

  • Tachypnoe
  • Dyspnoe
  • Zyanose
  • Unruhe
  • Verwirrtheit
  • Hypothermie) oder Hyperthermie

Das ARDS verläuft in drei Phasen:

  • Exsudative Phase (gesteigerte Kapillarpermeabilität und interstitielles Lungenödem); klinisch ist dieses Stadium durch Hypoxämie+Hyperventilation mit respiratorischer Alkalose gekennzeichnet.
  • Frühe proliferative Phase (Untergang von Pneumozyten vom Typ II; vermiderte Bildung des Surfactant Faktors (oberflächenaktiver Stoff), flüssigkeitsübertritt in die Alveolen, Bildung hyaliner Membranen, Ausbildung intrapulmonaler Shunts, Hypoxie); klinisch ist dieses Stadium durch zunehmende Atemnot, beginnende radiologische Veränderungen gekennzeichnet (diffuse Infiltrate, bes. der abhängigen Partien)  
  • Späte proliferative Phase (Ausbildung einer Lungenfibrose und Endothelproliferation der Alveolarkapillaren, Perfusions- und Diffusionsverschlechterung = irreversibles Stadium); klinisch ist diese Stadium durch eine respiratorische Globalinsuffizienz (Hypoxämie+Hyperkapnei), respiratorische Azidose, zunehmende radiologisch erfassbare beidsetige Verschattungen der Lunge.

Bildgebung

Rö/CT-Thorax: Verlaufskontrollen. Beidseitige diffuse Infiltrate, bes. der abhängigen Partien im Röntgenbild der Lunge oder in der Computertomographie ohne andere sinnvolle Erklärung.

 

Differentialdiagnose

Kardiales Lungenödem-echokardiographischer Ausschluß der Linksherzinsuffizienz

Interstitielle Pneumonie

Fluid lung (J81) bei Niereninsuffizienz  (erhöhte Nierenparameter)

Lungenembolie (Nachweis einer möglichen Phlebothrombose, Rechtsherzbelastung, Lungenperfusionszintigramm)

Diffuse alveoläre Hämorrhagiesyndrome (ausgelöst durch schwere diffuse Permeabilitätsstörung der pulmonalen Kapillaren, z.B. durch Vaskulitiden mit konsekutiver Extravasation von Blut in den Alveolarraum)

Hämatoonkologische Erkrankungen wie Lymphome, Leukämien oder solide Tumoren

Pulmonale Folgeschäden einer nicht protektiven invasiven Beatmung (Ventilator-induced lung injury)

Infektexazerbiertes Asthma bronchiale

Therapie

Intensivmedizinische Betreung: Lagerung mit erhöhtem Oberkörper (450) und lungenprotektive Beatmung. Da die maschinelle Beatmung selbst lungenschädigend wirkt (Barotrauma), sind folgende Kriterien zu beachten: kleine Atemzugvolumina, Vermeidung hoher Drücke (<30mbar), ausreichend hoher PEEP (= positiver Druck am Ende der Ausatmung, sog. endexspiratorischer Druck: 9-12mbar) und höhere Atemfrequenzen. Sobald der Patient spontan atmet, werden assistierte Spontanatmungsverfahren (wie z.B. BIPAP oder APRV) eingesetzt.

Der Patient muss enteral ernährt werden.

Begleitend: Low-dose-Heparinisierung wegen der erhöhten Thrombosegefahr bei Immobilisation

Ernährung enteral über Sonde, oder parenteral über einen zentralvenösen Katheter. Der parallele Einsatz beider Ernährungsformen kann notwendig sein.

Supportive kinetische Therapiemaßnahmen (Rotorest-Therapie oder intermittierende Bauchlage des Patienten): Intermittierende Bauchlagerung zur Prophylaxe dorsaler Atelektasen: In schweren Fällen des ARDS wird die Behandlung mit kinetischer Therapie unterstützt (Rotorest-Therapie oder intermittierende Bauchlage des Patienten). Die Bauchlage ist bei schwerem ARDS Mittel der Wahl, und sollte früh durchgeführt werden, da sie die Überlebenschancen deutlich verbessert. Der Patient verbleibt 16 Stunden in Bauchlage, ehe er erneut auf den Rücken gedreht wird. Nur wenn die Bauchlage zum Beispiel wegen Instabilität der Wirbelsäule oder Verletzungen von Bauch oder Gehirn nicht gefahrlos möglich ist, kann als weniger wirksame Alternative die kontinuierliche laterale Rotationstherapie durchgeführt werden. Diese Lagerungstherapie sorgt dafür, dass das Atemgas sich unter einer protektiven, kontrollierten Beatmung in der Lunge homogen verteilt. Die Bauchlagerung kann in 135° und 180° Körperlage durchgeführt werden.

Ausschaltung der auslösenden Ursache (kausale Therapie, z. B. der Infektion).

Maschinelle Beatmung: Um zusätzliche Lungenschäden durch künstliche Beatmung zu verringern, werden schonende Beatmungsformen empfohlen: geringe Atemzugvolumina: So sollte das Beatmungsgerät auf ein Atemzugvolumen von maximal 6 ml/kg ideales Körpergewicht eingestellt werden. Durch diese geringen Atemzugvolumina werden das regelmäßige Überdehnen und das anschließende Zusammenfallen der Lungenbläschen verringert.

ECMO (Akronym für „Extrakorporale Membranoxygenierung“). Hierbei handelt es sich um ein intensivmedizinisches Verfahren bei der über einen extrakorperalen Kreislauf eine Oxygenierung des Blutes und eine CO2-Elemination mittels eines Membransystems erfolgt. Die ECMO wird als temporärer Lungenersatz (<4Wochen) eingesetzt. Ihr Nutzen ist durch wissenschaftliche Studien ausreichend belegt. Bemerkung: Wegen der Risiken des Verfahrens soll es nur bei schweren Verläufen eingesetzt werden, in denen trotz optimierter Beatmung und Lagerungsmaßnahmen keine ausreichende Sauerstoffsättigung im Blut erzielt werden kann (AWMF S3-Leitlinie 2017).

Medikamentöse Therapie: Es gibt keine fest etablierte medikamentöse Therapie für das akute Lungenversagen. In der Praxis werden oft Kortikosteroide eingesetzt, um die Gewebeschädigung durch entzündliche Prozesse zu verringern. Eine verlässliche Datenlage gibt es dazu jedoch nicht.

Beta-2-Sympathomimetika: ohne nachweislichen Erfolg bei dem ARDS

Surfactans: ohne nachweislichen Erfolg bei dem ARDS (Bosman KJ et al. 2010)

Verlauf/Prognose

Die Letalität ist zwar auf Grund von Fortschritten der unterstützenden Therapie in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken:

  • Mildes ARDS: Letalität 25%
  • Moderate ARDS: Letalität etwa 30%
  • Schwere ARDS: Letalität etwa 45 Prozent (Derwall M et al 2018).

Vorbestehende Erkrankungen und chronischer Alkoholkonsum verschlechtern die Prognose!

Literatur

  1. Ashbaugh D et al. (1967) Acute respiratory distress in adults. The Lancet 7511: 319–323.
  2. ARDS Definition Task Force et al. (2012) Acute respiratory distress syndrome: the Berlin Definition. JAMA 307:2526-33
  3. AWMF S3-Leitlinie Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz Stand/2017:11.
  4. AWMF S2e-Leitlinie: Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen, Stand 04/2015: 10–29.
  5. AWMF S3-Leitlinie Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz, Stand 12/ 2017: 163–165.
  6. Bosma KJ et al. (2010) Pharmacotherapy for prevention and treatment of acute respiratory distress syndrome: current and experimental approaches. Drugs. 70:1255-1282.
    Derwall M et al (2018) The acute respiratory distress syndrome: pathophysiology, current clinical practice, and emerging therapies. Expert Rev Respir Med 12:1021-1029.
  7. Nanchal RS et al. (2018) Recent advances in understanding and treating acute respiratory distress syndrome. F1000Res 20: F1000 Faculty Rev-1322.
  8. Needham DM et al. (2012) Lung protective mechanical ventilation and two year survival in patients with acute lung injury: prospective cohort study. BMJ 344: e2124–e2124
  9. Ranieri M et al. (2012) Acute Respiratory Distress Syndrome – The Berlin Definition. JAMA 307: 2526–2533Shah RD et al. (2017) Viral Pneumonia and Acute Respiratory Distress Syndrome. Clin Chest Med 38:113-125.
  10. Ware LB et al. (2000) The Acute Respiratory Distress Syndrome. NEJM 342: 1334–1349.
  11. Yadav H et al. (2017) Fifty Years of Research in ARDS. Is Acute Respiratory Distress Syndrome a Preventable Disease? Am J Respir Crit Care Med 195:725-736.

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