Polyarteriitis nodosa systemischeM30.0

Autoren:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Alexandros Zarotis

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

cPAN; Klassische Panarteriitis nodosa; Klassische Panarteritis nodosa; Kussmaul-Maier-Syndrom; Kussmaul-Meier-Syndrom; Nekrotisierende Polyarteriitis; PAN; Panarteriitis nodosa; Panarteritis nodosa; Periarteriitis nodosa; Polyarteritis nodosa

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Erstbeschreiber

Rokitanski, 1852; Kussmaul u. Maier, 1866

Definition

Ältere Bezeichnung für die nicht granulomatöse mikroskopische Polyangiitis. Aus historischen Gründen ist die ältere Bezeichnung hier nochmals abgehandelt.

Definition: Seltene, potenziell lebensbedrohlich verlaufende, multiorganischen Systemerkrankung, mit nekrotisierender Vaskulitis mittelgroßer Gefäße (kein Befall kleiner Gefäße),  rheumatoiden Allgemeinsymptomen, Abdominalschmerzen, verschiedenen Hautsymptomen sowie Zeichen einer arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK).

Hinweis: Im Kindesalter ist die mikroskopische Polyangiitis nicht vom Kawasaki-Syndrom zu unterscheiden.

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz: Inzidenzen sind seit 20 Jahren abnehmend. In früheren Jahrzehnten lagen  nachweisliche Assoziationen (etwa 1/3 der Fälle) mit einer Hepatitis-B-Virusinfektion vor. Derartige Zusammenhänge werden in neueren Studienkollektiven nur noch bei etwa 5% der Patienten gefunden.

Die derzeitige Inzidenz liegt bei   0,1-1,0/100.000 Einwohner/Jahr.

Die Prävalenz liegt bei 0,2-3,0/100.000 Einwohnern. Sie ist deutlich größer bei HBsAg (Hepatitis B Surface Antigen) Positivität.

Ätiopathogenese

Idiopathisch (90%). In 5% der Fälle ist HbS-Antigen i.S. nachweisbar, teils auch in den betroffenen Gefäßabschnitten in Form von Immunkomplexen.

Die PAN als Folge einer Minozyklin-Einnahme ist eine sehr seltenes Ereignis. Diese Konstellation kann bei längerzeitiger Einnahme des Präparates eintreten.

Bemerkenswert ist das Auftreten einer PAN mit Epididymitis nach einer COVID-19 Vakzinierung (Ohkubo Y et al. 2023).

Es wird weiterhin angenommen dass bei einem kleineren Teil der Patienten ANCA eine induzierende Rolle bei der Auslöung der Erkrankung spielen. ANCA jedoch meist negativ.

Eine genetische Variante der systemischen Polyarteriitis nodosa wird durch eine autosomalrezessiv vererbte Mutation im CECR1-Gen hervorgerufen und geht mit einem Mangel an Adenosin-Deaminase 2(ADA2) einher. 

Manifestation

Meist im mittleren Lebensalter auftretend, die Mehrzahl der Patienten ist bei Beginn > 50 Jahre alt. Erkrankungsgipfel: 65.-74. LJ. Männer sind 3mal häufiger als Frauen betroffen (diese Zahlen beziehen sich auf eine kaukasische Bevölkerung; in anderen Ethnien z.B. Persien keine Geschlechtsbetonung).

Klinisches Bild

Systemische Manifestationen:

  • Schwere Störung des AZ mit Fieber, Gewichtsverlust und/oder Nachtschweiß. 
  • Nierenbeteiligung (70%): Z.T. glomeruläre Herdnephritis (Proteinurie), Gefahr der Urämie. Myalgien (50%), Arthralgien (50%).
  • Gastrointestinale Symptome (50%): Magendarmulzerationen mit Koliken (Befall der Mesenterialgefäße).
  • Neurologische Symptome (80%): Polyneuropathie, Krämpfe, Apoplex (jugendlicher Schlaganfall).
  • Kardiale Symptome (70%): Angina pectoris, Perikarditis, Myokardinfarkt. ZNS-Symptomatik (50%):
  • Opthalmologische Symptome: Fundus hypertonicus, Vaskulitis.
  • Orchitis mit Hodenschmerzen.
  • Bemerkung: Die PAN betrifft viszeral nur mittelgroße und kleine Arterien. Kapillaren, Arteriolen und Venolen werden nicht betroffen. Es kommt nicht zu Glomerulonephritiden noch zu einer Beteiligung der kleinen Lungengefäße.  

Hauterscheinungen (50% der Fälle):

  • im Rahmen der (primär) systemischen PAN auftretende Hautmanifestation mit subkutanen Papeln oder Knoten, die entlang des Arterienverlaufs tastbar sind.
  • Livedo racemosa (Leitsymptom!)
  • Atrophie blanche
  • Purpura (flächenhaft oder petechial: keine leukozytoklastische Vaskulitis!)
  • Ischämische Fingerkuppennekrosen durch Digitalarterienverschlüsse. 
  • therapieresistente Ulzera

Labor

Erhöhung der Entzündungsparameter mit hoher BSG und erhöhtem CRP, Leukozytose (Neutrophilie); evtl Thrombozytose;

zu suchen ist nach Hepatitis-B-Oberflächenantigenen, Komplementverbrauch (Komplement erniedrigt) sowie nach antineutrophilen Antikörpern (pANCA).

Merke! pANCA sind nur bei einem kleineren Teil der Patienten positiv.

Somit ist die Immunpathogenese der PAN heterogen.

Histologie

Degeneratives Stadium: Fibrinoide Nekrose aller Wandschichten der befallenen mittleren Arterie.

Entzündliches Stadium: Infiltration mit Neutrophilen, Eosinophilen, Rundzellen, evtl. Thrombosierung.

Granulomatöses Stadium: Granulationsgewebe.

Fibrotisches Stadium: Vernarbung.

Histopathologischer Algorithmus der (systemischen) Polyarteriitis nodosa (kleinste gemeinsame Nenner:kursiv, Leitsymptome:fett) variiert n. Ratzinger et al. 2105
Akzentuiert um postkapilläre Venolen und größere Gefäße in Haut und Subkutis
Betrifft Arteriolen und Arterien in der Subkutis oder an der Grenze zwischen Kutis und Subkutis.
perivaskuläre, intramurale und intraluminale Leukozytoklasie
Schädigung von Endothelzellen
Fibrin in/im Bereich von Gefäßwänden
Perivaskuläre Extravasation von Erythrozyten
Kein Ödem in der papillären Dermis
Patholog. Veränderungen beschränkt auf Gefäßposition, keine extravaskulären, interstitiellen oder Weichgewebe-Granulome 
Variable (eher geringe) Eosinophilie
Plasmazellen oder Fibrosklerose in geringerem Ausmaß

Reorganisation durch lymphoyztärer Vaskulitis

Diagnose

Kriterien des American College of Rheumatology (ARA) zur Diagnostik der PAN.

Die Diagnose PAN wird gestellt, wenn mindestens 3 der Kriterien zutreffen. Die Sensitivität der Methode beträgt ca. 82%, die Spezifität ca. 86%.

  1. Gewichtsverlust > 4 kg KG seit Krankheitsbeginn.
  2. Bild der Livedo "racemosa" an den Extremitäten oder am Stamm.
  3. Hodenschmerz, der nicht auf Infektionen, Traumen oder andere fassbare Ursachen zurückgeht.
  4. Diffuse Myalgien oder Muskelschwäche außerhalb von Schulter- oder Becken oder Atrophie der Beinmuskulatur.
  5. Hypertonie mit Diastole > 90 mm Hg.
  6. Mononeuropathie, multiple Mononeuropathien oder Polyneuropathie.
  7. Anstieg des Blutharnstoffs > 40 mg/dl oder des Kreatinins > 1.5 mg/dl.
  8. Nachweisbarkeit von HBsAg- oder Antikörpern.
  9. Aneurysmen oder Verschlüsse von Baucharterien, die nicht auf Arteriosklerose, fibromuskuläre Dysplasie oder nichtentzündliche Ursachen zurückzuführen sind.
  10. Biopsie: granulozytäres- oder mononukleäres Infiltrat in den Arterienwänden kleiner oder mittlerer Arterien.

Therapie

Allgemein gültige Therapieschemata können bei dieser (sicherlich sehr heterogenen) Erkrankung nicht gegeben werden. Die Therapie wird Organ- und Aktivitäts-adaptiert eingesetzt (s.a. Tab. 3).

Die kontinuierliche Glukokortikoid- (100-150 mg Prednison-Äquivalent) und Cyclophosphamid-Therapie (Endoxan) (Fauci-Schema) wird nur noch bei schwer verlaufenden systemischen Vaskulitiden so lange eingesetzt, bis eine stabile Teilremission eingetreten ist. Anschließend Cyclophosphamid-sparende Intervalltherapie. Alternativ: Niedrigdosistherapie mit 25-30 mg Methotrexat (MTX), 1mal/Woche i.v.

Cave! Die Cyclophosphamiddosis ist stets der Nierenfunktion anzupassen; Leukozyten: > 3000-3500/μl!

Liegt eine chronische Hepatitis B-Virusinfektion vor (HBsAd pos., HBeAg pos., HBV neg., PCR pos.), kann auch mit Interferon alfa und/oder Lamivudin behandelt werden.

Verlauf/Prognose

Schubweise intermittierender Verlauf. Fulminanter Verlauf mit Exitus letalis innerhalb von 1-2 Jahren in 20-30% der Fälle möglich. Mögliche Abheilung unter Glukokortikoidtherapie. 5-Jahres-Überlebenszeit ohne Therapie ca. 10-15%, mit Therapie 80%.

Tabellen

Therapieschema1

Klinik/Verlauf

Substanz

Dosierung

Induktion

Fauci-Schema

aktiv

CP

2 mg/kg KG/Tag p.o.

(NIH-Standard2 intensiviert3)

rapid-progressiv

CP

3-4 mg/kg KG/Tag p.o.

Intervalltherapie

Austin-Schema (Bolus-Verfahren4)

aktiv

CP

15-20 mg/kg KG i.v. über 21 Tage

Erhaltung

MTX-Bolus

T-Remission

MTX

30 mg/Woche i.v.

Azathioprin

T-Remission

Azathioprin

2-3 mg/kg KG/Tag p.o.

Ciclosporin A

T-Remission

CyA

3-4 mg/kg KG/Tag p.o.

1 immer in Kombination mit systemischer Glukokortikoidgabe;

2 Cyclophosphamiddosis wird bis 1 Jahr nach Erreichen der Remission beibehalten, dann in 6-8 wöchentlichen Abständen um 25 mg/Tag reduziert (= NIH-Protokoll);

3 Cyclophosphamiddosis orientiert sich am Gesamtleukozytenwert (meist nur wenige Tage!);

4 Cyclophosphamiddosis orientiert sich an der Leukozytenzahl (8.-12. Tag nach Bolus: > 3000/μl;

CP = Cyclophosphamid; MTX = Methotrexat; CyA = Ciclosporin A

Hinweis(e)

Es gibt derzeit keine gesicherten Belege dafür, dass sich eine kutane PAN  (kutane Polyarteriitis nodosa) in eine systemische PAN umwandelt. Die kutane Polyarteriitis nodosa wird somit als eigenständiges Krankheitsbild mit einer grundsätzlich besseren Prognose definiert.

Unlängst wurde eine Mutation im CECR1-Gen bei PAN beschrieben. Diese Mutation ist mit einer deutlich verringerten Aktivität der Adenosin-Desaminase 2 (ADA 2) verbunden und phänotypisch mit dem klinischen Bild der PAN. Pathogenetisch wird vermutet, dass die erhöhten Adenosin-Spiegel für die  Makrophagenaktivierung, die konsekutive Immundefizienz sowie die thrombotischen Verschlüssen mittelgroßer Gefäße verantwortlich ist (s.u. CECR1-Gen).  

Literatur

  1. Brody M et al. (1994) Erfolgreiche Behandlung einer Panarteriitis nodosa mit Methotrexat Low-dose-Therapie. Hautarzt 45: 476–479
  2. Crowson AN et al. (2003) Cutaneous vasculitis: a review. J Cutan Pathol 30: 161-173
  3. Gross WL (1995) Vaskulitiden. Neues zu Klassifikation, Pathogenese und Therapie. Dt Ärztebl 92: 1019–1026
  4. Gupta S et al. (2001) Lamivudine in the treatment of polyarteritis nodosa associated with acute hepatitis B. N Engl J Med 344: 1645-1646
  5. Heron E et al. (2003) Polyarteritis nodosa presenting as acute leg ischemia. J Rheumatol 30: 1344-1346
  6. Kart-Koseoglu H et al. (2003) Polyarteritis nodosa complicated by intrahepatic-perihepatic hemorrhage and acute appendicitis: successful treatment with cyclophosphamide and corticosteroids. Clin Rheumatol 22: 251-253
  7. Kratzsch J et al. (2015) Therapieresistente chronische Ulcera crurum. JDDG 13: 825-827
  8. Kussmaul A, Maier R (1866) Über eine bisher nicht beschriebene eigenthümliche Arterienerkrankung (Periarteritis nodosa), die mit Morbus Brightii und rapid fortschreitender, allgemeiner Muskellähmung einhergeht. Deutsches Archiv für klinische Medicin (Leipzig) 1: 484-518
  9. Magro CM et al. (2003) The spectrum of cutaneous lesions in rheumatoid arthritis: a clinical and pathological study of 43 patients. J Cutan Pathol 30: 1-10
  10. Navon Elkan P et al. (2014) Mutant adenosine deaminase 2 in a polyarteritis nodosa vasculopathy. N Engl J Med 370:921-931.
  11. Ohkubo Y et al. (2023) Possible case of polyarteritis nodosa with epididymitis following COVID-19 vaccination: A case report and review of the literature. Mod Rheumatol Case Rep 7:172-176.
  12. Pagnoux C et al. (2010) Clinical features and outcomes in 348 patients with polyarteritis nodosa: a systematic retrospective study of patients diagnosed between 1963 and 2005 and entered into the French Vasculitis Study Group Database. Arthritis Rheum 62:616-626.
  13. Ratzinger G et al. (2015) Das Vaskulitis-Rad-ein algorithmischer Ansatz für kutane Vaskulitiden. JDDG 1092-1118
  14. von Rokitansky K (1852) Ueber einige der wichtigsten Krankheiten der Arterien. Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien 4: 1-72

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