Pneumokokken-PneumonieJ13
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Im späten 19. Jahrhundert wurden erstmals von Louis Pasteur (Paris) und Georg Sternberg (amerikanischer Armeearzt) Diplokokken im Blut von Kaninchen beschrieben. In den Jahren 1884-1886 gelang es dann mehreren Autoren unabhängig voneinander Diplokokkus pneumoniae nachzuweisen.
Definition
Unter einer Pneumokokken-Pneumonie verstehen wir eine akut verlaufende Entzündung der Lungen-Alveolen. Sie ist typischerweise auf einen Lungenlappen begrenzt, tritt aber zu ca. 30 % in mehr als einem Lungenlappen auf.
Erreger
Streptococcus pneumoniae: Es gibt über 40 Serotypen (durch eine Ziffer gekennzeichnet) mit über 90 verschiedenen Kapselpolysaccharid-Typen (durch eine Ziffer + Buchstaben gekennzeichnet). Diese Kapsel schützt die Pneumokokken vor Phagozytose durch die Alveolarmakrophagen. Innerhalb der einzelnen Serotypen besteht keine Kreuzimmunität. Die Übertragung erfolgt aerogen.
Vorkommen/Epidemiologie
Pneumokokken sind weltweit der häufigste Erreger einer ambulant erworbenen Pneumonie (CAP) und Pneumokokkenerkrankungen die am häufigsten zum Tode führende Infektionserkrankung in den Industrieländern.
Bei Kleinkindern finden sich in bis zu 60 % Pneumokokken in den Schleimhäuten des Nasopharynx; bei Erwachsenen sind diese nur noch bei ca. 10 % nachweisbar. Die Zahl steigt im Alter auf Grund des schwächeren Immunsystems allerdings wieder an. Bei Erwachsenen ohne Kleinkinderkontakt finden sich lediglich in 5 % Diplokokken im Nasenrachenraum.
Die Pneumokokken sind nicht obligat pathogen, da normalerweise ein intaktes Immunsystem die Erkrankung verhindert.
Eine Erkrankung wird allerdings i. d. R. nicht durch die im eigenen Nasopharynx vorkommenden Serotypen ausgelöst, sondern vielmehr durch Ansteckung mit fremden Serotypen per Tröpfcheninfektion.
Ätiopathogenese
Risikofaktoren für eine Pneumokokken-Pneumonie sind:
- Lebensalter (Kinder und alte Menschen haben eine deutlich höhere Inzidenz)
- angeborene und erworbene Immundefekte
- chronische Erkrankungen (wie z.B. Alkoholiker, chronische Herz- oder Lungenerkrankungen, Z.n. Splenektomie)
Die Pneumokokken gelangen durch Inhalation (Tröpfcheninfektion) in den tieferen Respirationstrakt. Durch die äußere Polysaccharidkapsel können die Kokken nicht – wie sonst üblich bei tiefem Eindringen von Erregern - von den Alveolarmakrophagen phagozytiert werden.
Klinisches Bild
- plötzlicher Beginn aus Wohlbefinden heraus mit hohem Fieber und Schüttelfrost
- Husten, Nasenflügelatmung, bei Involvierung der Pleura atemabhängige Schmerzen im Brustkorb
- unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Myalgien, Arthralgien
- bei ca. 20 % auch gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoen
- rotbraunes Sputum ab dem 2. Tag (enthält reichlich Granulozyten)
- bei älteren Patienten kann sich die Erkrankung oftmals ausschließlich durch Verwirrtheit und Malaise äußern; Fieber, Schüttelfrost und Husten fehlen gänzlich
Die Lobärpneumonie verläuft in 4 Stadien:
1. Stadium: (ca. 24 h lang) sog. Anschoppung; die Alveolen füllen sich mit Exsudat; auskultatorisch besteht eine Crepitatio indux (durch fehlende Konsolidierung des Infiltrates)
2. Stadium: (2.-3. Tag) sog. rote Hepatisation; Fibrinfäden und Erythrozyten färben die Lunge dunkelrot und geben ihr eine leberartige Konsistenz (Hepatisation)
3. Stadium: (4.-6./8. Tag) sog. graugelbe Hepatisation durch Leukozyteninfiltration; Höhepunkt der Erkrankung
4. Stadium:(nach dem 8. Tag) sog. Lysis; Auflösung des Exsudates durch Granulozytenzerfall; Abhusten eitrigen Auswurfes; auskultatorisch Crepitatio redux (Alveolen sind wieder lufthaltig)
Die beschriebenen Stadien sind heute nur noch selten zu beobachten, da i.d.R.eine frühzeitige Antibiose erfolgt.
Der C(U)RB-65-Score dient der Quantifizierung des Schweregrades der Erkrankung:
- Confusion
- Urea > 7 mmol/l
- Respiratory rate > 30/min
- Blutdruck: systolisch < 90mmHg oder diastolisch <60mmHg
- Alter 65 Jahre oder älter
Ab 2 von maximal 4 (5) Punkten sollten Patienten in jeden Fall stationär behandelt werden.
- 0 Punkte: Letalität 1-2%
- 1-2 Punkte: Letalität 13 %
- 3-4 (5)Punkte: Letalität > 31 %
Cave: bei Multimorbiden nicht immer sicher verwendbar, da trotz niedrigem Score die Prognose oftmals ungünstig ist. Die Sterblichkeit der Patienten, die zunächst auf der Normalstation behandelt wurden und wegen einer Verschlechterung des Zustandes auf die Intensivstation verlegt wurden, liegt höher als die der Patienten, die sofort intensivmedizinisch behandelt wurden. Die deshalb erforderliche Evaluation sollte durch Erfassung der Minorkriterien des modifizierten ATS-Scores erfolgen. Modifizierter ATS-Score:
Major-Kriterien:
- Notwendigkeit der Intubation und maschinellen Beatmung
- Notwendigkeit der Gabe von Vasopressoren > 4 Stunden (septischer Schock)
Minor-Kriterien:
- schwere akute respiratorische Insuffizienz (paO2 / FiO2 <250)
- im Rö-Thorax multilobuläre Infiltrate
- systolischer Blutdruck < 90 mmHg
- Bewusstseinsstörung
- Atemfrequenz > 30/min
- akutes Nierenversagen
- Leukopenie
- Thrombozytopenie
- Hypothermie
Wenn mindestens 1 Major-Kriterium oder 2 Minor-Kriterien positiv sind, empfiehlt sich die sofortige intensivmedizinische Behandlung. Die Sensitivität liegt bei 69%, die Spezifität bei 97%, der prädiktive Wert bei 94%.
Bildgebung
Auf einen Lappen begrenzte scharfrandige Verschattung (in ca. 30 % sind mehr als 1 Lappen betroffen)
Labor
Leukozytose
CRP anfangs meistens normal, ebenso Procalcitonin
Linksverschiebung
Erregernachweis im Blut, Sputum und Bronchiallavage möglich. Die Keime lassen sich leicht kultivieren. In der Gramfärbung sind sie als positive Diplokokken zu erkennen. Die Sensitivität und die Spezifität sowohl der Gramfärbung als auch der Kultur unterliegen beim Sputum großen Schwankungen. Selbst bei einer nachgewiesenen bakteriämischen Pneumokokkeninfektion sind im Sputum höchstens bei 50 % Pneumokokken nachweisbar.
Pneumokokken-Antigen ist im Blut, Sputum, Urin nachweisbar. Für den raschen Nachweis von Pneumokokken steht ein Urintest z.B. Binaxnow Streptococcus pneumoniae zur Verfügung, bei dem bereits nach 15 Minuten das Ergebnis vorliegt. Die Sensitivität liegt zwischen 67-82%, die Spezifität bei etwa 97% .
Diagnose
Auskultation:
- fein- bis mittelblasige Rasselgeräusche
- Bronchialatmen
- positive Bronchophonie
- positiver Stimmfremitus
Diagnostisches Hauptkriterium:
- Neu aufgetretenes oder progredientes Infiltrat im Röntgenbild in 2 Ebenen
Diagnostische Nebenkriterien:
- Pneumonie typischer Auskultationsbefund, positive Bronchophonie/Stimmfremitus
- Fieber > 38,5°C (rektal gemessen) oder Hypothermie
- purulentes Sputum
- Leukozytose oder Leukopenie
- Erregernachweis (Sputum, Bronchialsekret, Pleurapunktat, Blutkultur)
Es müssen 1 Hauptkriterium plus 2 Nebenkriterien zutreffen, um die Diagnose einer Pneumonie zu stellen.
Komplikation(en)
- Lungenabszess
- Pleuritis
- Pleuraerguss
- Pleuraempyem (Drainage)
- Sepsis
- Schock
- Multiorganversagen
- Akutes aggressives Lungenversagen (ARDS)
Therapie
Allgemeinmaßnahmen:
- körperliche Schonung (ggf. Heparinisierung und / oder Antithrombosestrümpfe)
- ausreichende Flüssigkeitszufuhr (wichtig bei Fieber und für die Sekretolyse)
- NaCl-Inhalationen
- bei Hypoxie Sauerstoff per Nasensonde
Pneumokokken reagieren sensibel auf Penicillin. Es treten aber immer häufiger Resistenzen auf, die regional sehr unterschiedlich sind. Die USA hat mit > 50 % die höchste Resistenzrate, in Spanien, Ungarn und Frankreich beträgt sie bis 50 % und in Deutschland < 10 % und ist somit vernachlässigbar.
Das Mittel der Wahl ist
- Amoxicillin (3x1 g/d p.o.)
Bei bekannter Penicillinallergie sollte
- Fluorchinolon (Moxifloxacin 1x400 mg/d oder Levofloxacin 1x500–750 mg/d) gegeben werden, wobei die Wirksamkeit von Moxifloxacin höher ist.
- Clindamycin 600-1200 mg/d p.o. in Einzeldosen alle 6 Stunden (zu 90 % effektiv) oder Azithromycin 1x500 mg/d p.o., danach 250-500 mg/d p.o.) und Clarithromycin 1x500-750 mg/d p.o. (beide zu 80 % effektiv) sind untergeordnete Alternativen.
Bei Patienten mit Vorerkrankungen der Lunge (schwere COPD, Bronchiektasen etc.), empfiehlt sich Betalaktam als Mittel der Wahl z.B.
- Amoxicillin/Clavulansäure 2x2g/d p.o.
- alternativ Fluorchinolon z.B. Levofloxacin 1x750 mg/d p.o..
Therapie bei stationären Patienten
- Patienten sollten Amoxicillin /Clavulansäure 3-4x2,2 g/d plus Makrolid z.B. Azithromycin 1x500 mg/d erhalten.
- Patienten mit dem Risiko einer zusätzlichen Pseudomonas aeruginosa Infektion sollten ein pseudomonaswirksames Penicillin plus Betalaktamasehemmer Piperacillin/Tazobactam 3-4x4,5g plus Fluorchinolon z.B. Levofloxacin 1-2x500mg/d erhalten.
Therapie bei stationären Patienten auf der Intensivstation
- Betalaktam z.B Cefotaxim 1-2 g i.v. alle 8 h, Ceftriaxon 1x2 g/d i.v. oder Ampicillin/Sulbactam 2g i.v. alle 8 h
+
- Makrolid-Antibiotikum z. B. Azithromycin (1x1 g i.v., dann 1x500 mg/d) oder Fluorchinolon wie z.B. Moxifloxacin 1x400 mg/d i.v.
Bei stationären Patienten wird die Antibiose i.d.R. intravenös gegeben, Ausnahme: Fluorchinolone.
Dauer der Therapie: Hierzu finden sich unterschiedliche Angaben, da die optimale Behandlungsdauer nicht bekannt ist. Die meisten Empfehlungen sprechen von einer nach der Entfieberung noch mindestens 3-5 tägigen Fortsetzung der Antibiose.
Prophylaxe
Prophylaxe/Prävention: Die wichtigste Maßnahme zur Prävention stellt die Impfung gegen Pneumokokken dar. Die Schutzwirkung liegt der aktiven Immunisierung bei etwa 70 %. Die Impfung kann sowohl s.c. als auch i.m.verabreicht werden.
Ein Impfstoff gegen Pneumokokken wurde erstmals 1945 mit vier Kapselantigenen entwickelt. In den 70er Jahren kam dann ein Impfstoff mit 14 Antigenen hinzu. Die heutige Variante mit 23 Impfstämmen (23-valenter Polysaccharid-Impfstoff PPSV23) wurde 1983 entwickelt. Dieser enthält Antigene von 23 verschiedenen Pneumokokkentypen, die wiederum für 90 Prozent der Pneumokokken-Erkrankungen im Erwachsenenalter verantwortlich sind.
Im Jahre 2001 erschien dann der Konjugat-Impfstoff PCV13 auf dem Markt.
Für Erwachsene werden 2 verschiedene Impfstoffe unterschieden:
- 23-valenter Polysaccharid-Impfstoff PPSV23 (Handelsname Pneumovax® 23)
- 13-valenter Konjugat-Impfstoff PCV13 (Handelsname Prevenar® 13).
Unterschiede zwischen den Impfstoffen: Zwar umfasst PPSV 23 mehr Serotypen als PCV13, aber bei PPSV 23 werden ausschließlich die B-Zellen und nicht die T-Zellen stimuliert. Infolgedessen kann auch kein immunologisches Gedächtnis aufgebaut werden. Das führt dann zur Depletion des B-Zell-Pools.
Vor allem bei älteren Menschen, aber auch bei Immunsupprimierten können sich spezifische neue naive B-Zellen nur sehr langsam bilden, was in mehreren Studien durch eine reduzierte Antikörperbildung nachgewiesen werden konnte. Man nennt diesen Effekt Hyporesponsiveness. Erst 10 Jahre nach der Erstimpfung ist dieses Phänomen nicht mehr nachweisbar.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt, alle Erwachsenen ab einem Alter von 60 Jahren generell zu impfen. Hierbei sollte der Impfstoff PPSV23 verwendet werden, da dieser gegen 23 von insgesamt mehr als 90 Serotypen schützt.
Eine generelle Auffrischung wird bei gesunden Personen nicht empfohlen und sollte im Einzelfall von der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt entschieden werden.
Bei den o.g. Personen mit erhöhtem Risiko für eine schwere Pneumokokkenerkrankung wird jedoch eine Auffrischung nach mindestens sechs Jahren empfohlen (STIKO mit Bezug auf die Fachinformation zu PPSV23). Bei einer Auffrischung vor Ablauf der 6-Jahres-Frist ist mit erheblichen Nebenwirkungen zu rechnen.
Für Immungeschwächte und für Patienten mit chronischen Erkrankungen wie z.B. Asthma, COPD, Lungenemphysem, Anfallsleiden, Zerebralparesen und Diabetes mellitus wird eine erste sequenzielle Impfung mit PCV13 empfohlen. Erst nach 6 bis 12 Monaten sollte dann die Impfung mit PPSV23 erfolgen.
Nachsorge
Bei ansonsten gesunden Patienten bilden sich Fieber und Leukozytose wenige Tage nach Beginn der Therapie zurück. Die körperlichen Befunde halten meistens länger an. Am längsten persistieren die radiologischen Veränderungen. Sie bilden sich erst nach ca. 4-12 Wochen zurück.
Bei den Patienten, die in der Klinik behandelt wurden oder Raucher sind, sollte unbedingt nach 4-6 Wochen eine radiologische Kontrollaufnahme erfolgen. Eine Röntgenkontrolle vor Ablauf von 28 Tagen hat sich in Studien als nutzlos erwiesen.
Falls sich bei der Kontrolle eine Zunahme des Infiltrates zeigt, muss ein Malignom ausgeschlossen werden.
Hinweis(e)
Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern nach dem Infektionsschutzgesetz
(IfSG) § 7:
Laut Infektionsschutzgesetz ist der Nachweis von Pneumokokken in Deutschland nicht meldepflichtig. Einige Bundesländer haben aber per Landesverordnung eine Meldepflicht eingeführt. Dazu zählen:
- Brandenburg
- Mecklenburg-Vorpommern
- Sachsen
- Sachsen-Anhalt
In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt besteht die Pflicht zur namentlichen Meldung nach § 7 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes bei direktem oder indirektem Nachweis von Streptococcus pneumoniae.
Literatur
- Ewig S et al. (2016) Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie und Prävention – Update 2016. AWMF Leitlinie
- Gerok et al.(2007) Die Innere Medizin – Referenzwerk für den Facharzt S 403-406
- Herold at al. (2018) Innere Medizin S 380-381
- Kasper DL et al. (2015) Harrison's Principles of Internal Medicine S 803- 809 und S 946-954
- Kasper DL (2015) Harrisons Innere Medizin S 977-986 und S 1158-1162
- Loscalzo J (2010) Harrisons Lungenheilkunde und intensivmedizinische Betreuung 113-125
- Voigt et al. (2006) Pneumokokken-Antigen-Test im Urin - diagnostische Bedeutung bei ambulant erworbener Pneumonie (CAP). Pneumologie 60: V107