Nicht-Zöliakie-Weizen-SensitivitätK90.0
Synonym(e)
Definition
Die Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NCWS/NCGS) ist eine klinische Entität, die bei nachweislichem Ausschluss von Zöliakie und einer Weizenallergie bei der reproduzierbar symptomatische Reaktionen auf den Verzehr weizenhaltiger Lebensmittel ausgelöst werden (Losurdo G et al. 2018). In den meisten Fällen handelt es sich um "vage" schwierig einzuordnende Symptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Gelenk- und Muskelschmerzen, Taubheitsgefühl in Beinen oder Armen, die beklagt werden.
Obwohl dieses Syndrom ursprünglich als "Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität" (NCGS) (Sapone A et al. 2012) definiert wurde, konnte die Rolle von Gluten nicht nachgewiesen werden, so dass diese Form der Sensitivität heute allgemein als "Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität" (NCWS) bezeichnet wird. Nach den Salerno-Kriterien (Catassi C et al. 2015) sollte die Diagnose einer NCWS eine klinische Reaktion auf eine glutenfreie Diät sowie eine Reaktion nach einer erneuten Gluten-Challenge umfassen.
Tatsächlich jedoch ist die Diagnose von NCWS in der Praxis schwierig, da die meisten Patienten eine Selbstdiagnose stellen. Daher schwanken selbst wissenschaftlich fundierte Schätzungen die Pävalenzen stark und reichen von weniger als 1 % bis zu etwa 10 % der Bevölkerung (Sapone A et al. 2012).
Vorkommen/Epidemiologie
w:m=5,4:1 (Volta U et al. 2014).
Vorkommen/Epidemiologie
Für die Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität werden aus Umfragestudien Prävalenzen von 0,49–14,9 % angegeben. Wegen fehlender epidemiologischer Daten, die teils fehlende Anerkennung als Krankheit und der Mangel an diagnostischen Biomarkern ist die Erkrankung in vielen Regionen der Welt noch unbekannt (Di Sabatino A et al. 2009).
Frauen sind häufiger als Männer betroffen.
Ätiopathogenese
Die Ätiopathogenese der NCWS-Symptomatik ist letztlich noch nicht vollständig geklärt. Wahrscheinlich jedoch sind sie komplexer Natur, einschließlich der Rolle der ATIs, die nachweislich Rezeptoren in der Zellmembran aktivieren und eine angeborene Immunreaktion auslösen (Schuppan D et al. 2019). Weiterhin gibt es überzeugende Hinweise dafür gibt, dass die für CD prädisponierenden Haplotypen HLA-DQ2 und/oder HLA-DQ8 keine Bedeutung für die Auslösung von NCWS ist. Es gibt auch Hinweise darauf, dass andere Weizenbestandteile als Gluten, wie z. B. die Amylase- Trypsin-Inhibitoren (ATIs), ebenfalls als Auslöser klinischer Manifestationen sein könnten, entweder intestinal oder extraintestinal oder beides (Junker Y et al. 2012). Angesichts der differenten Auswirkungen von ATIs auf die Lungenschleimhaut bei Bäckerasthma und auf die Haut bei Bäckereiekzemen sind jedoch In-vivo-Untersuchungen zur Klärung der Rolle von ATIs auf die Darmwand ("das Äußere im Inneren") gerechtfertigt.
Möglicherweise besitzen aber auch sogenannte FODMAPs eine wichtige ätiopathogenetische Bedeutung.
Manifestation
Das mittlere Ekrankungsalter liegt bei 36 Jahren (5 -69 Jahre) (Bonciolini V et al. 2015)
Klinisches Bild
Zöliakie ähnliche Klinik: Bei den Betroffenen kommt es oftmals Stunden oder Tage nach dem Verzehr von glutenhaltigen Nahrungsmitteln zu körperlichen, psychischen oder auch neurologischen Symptomen wie u.a. Verdauungsbeschwerden, Durchfall, aber auch Obstipation, Blähungen, Übelkeit, Knochen- und Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Migräne, Müdigkeit, Schwäche, Muskelschwäche, diverse Hauterscheinungen, depressive Verstimmungen sowie Stimmungsschwankungen, Anämien und Reizbarkeit vor. Die Symptome der Nicht-Zöliakie-Weizensensivität ähneln denjenigen, die nach dem Genuss von sogenannter FODMAPs (engl. Abkürzung für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole) als klassische Reizdarmsymptome auftreten.
Autoimmunerkrankungen sind in größeren Kollektiven bei 18% der Patienten assoziiert (Volta U et al. 2014).
Hautveränderungen werden als juckende, morphologisch wenig spezifische, psoriasiforme, papulo-vesikulöse, auch Dermatitis-herpetiformis-artige, häufig exkoriierte Läsionen beschrieben, die sich v.a. an den Streckseiten der Extremitäten manifestieren. Beschrieben wurden auch hyperkeratotische, schuppende Läsionen, die leichte erythematöse, oft auc h exkoriierte Plaques überlagerten, die der chronischen Psoriasis ähnelten (Bonciolini V et al. 2015) .
Bevorzugt betroffen sind die Streckseiten der oberen Extremitäten (Ellenbogen und Handrücken (94 % und 6 %), Streckseiten der unteren Extremiäten (Knie) (59 %), sowie Gesäß (29 %), Brust (18 %), Hals (18 %), Handflächen (6 %) und Gesicht (6 %) (Bonciolini V et al. 2015).
Allerdings finden sich in der einschlägigen Fachliteratur auch immer wieder der Hinweis auf eine assoziierte Dermatitis herpetiformis Duhring (?).
Diagnostik
Da es keine reproduzierbar gesicherten Biomarker für die NCGS-Diagnose gibt, müssen für die Diagnose placebokontrollierte Glutenproben durchgeführt werden. Die Glutenkontrollen können entweder doppelblind oder einfachblind durchgeführt werden.
Labor
Es besteht keine Korrelation zu HLA-DQ2/-DQ8.
Die Zöliakie-Serologie ist negativ ausgenommen Anti-Gliadin-Antikörper IgA und/oder IgG die bei 25% der Patienten auftreten können. Dünndarmbiopsien zeigten bei 69% der Patienten eine normale Mukosa. Bei 31% der Fälle konnte ein geringer Anstieg der intraepithelialen Lymphoyzten nachgewiesen werden (Volta U et al. 2014; s. auch unter Zöliakie).
Direkte Immunfluoreszenz
Immunhistologisch wurden in einem größeren Kollektiv bei 82% der Fälle granuläre C3-Ablagerungen an der dermato-epidermalen Junktion nachgewiesen, jedoch keine IgA-Ablagerungen (Bonciolini V et al. 2015).
Diagnose
Obwohl es bei den Symptomen große Überschneidungen gibt, werden diagnostische Marker, die bei einer Weizenallergie (erhöhte IgE-Spiegel) oder CD (endoskopische Befunde, Vorhandensein bestimmter genetischer Marker, Zöliakie-Antikörper) vorhanden sind, bei NCWS nicht nachgewiesen. Dies zeigt, einerseits, dass es sich um eine Ausschlußdiagnose handelt, andererseits dass es sich um eine eigenständige unerwünschte Reaktion handelt. Auch zwischen den Symptomen des NCWS und des Reizdarmsyndroms (IBS) bestehen gewisse Überschneidungen.
Therapie
Die Therapie erfolgt durch eine glutenfreie Ernährung. Wie lange eine solche befolgt werden muss, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht eindeutig geklärt; wahrscheinlich müssen die betroffenen Personen jedoch lebenslang eine Zöliakiediät einhalten.
Bei einem medizinisch unbegründeten Glutenverzicht überwiegen jedoch potenzielle Nachteile und Risiken!
FODMAPs: In einer Plazebo-kontrollierten Crossover-Belastungsstudie bei Personen, die auch Reizdarmkriterien erfüllten, konnte durch eine Glutenreduktion kein positiver klinischer Effekt nachgewiesen werden, jedoch stellte sich ein günstiger Effekt bei Reduktion der FODMAPs ein. Inwieweit es sich hierbei um ein mit der NCGS identes Krankheitsbild ist derzeit noch ungeklärt.
Verlauf/Prognose
Zum Zeitpunkt manifester kutaner Erscheinungen berichteten die meisten Patienten über gastrointestinale, Reizdarmsyndrom-ähnliche Symptome unterschiedlicher Intensität, wie z. B. Bauchschmerzen, Blähungen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung.
Die Bestanddauer der Hautmanifestationen betrug i.A. ein Jahr. Andere Patienten berichteten über eine wesentlich längere Krankheitsdauer mit einem chronisch-rezidivierenden Verlauf.
Die Hauterscheinungen, verbesserten sich im Allgemeinen mit der spontan angenommenen GFD.
Hinweis(e)
Der Begriff "glutenbedingte Störung" (GRD) bezieht sich auf ein Spektrum verschiedener klinischer Erscheinungsformen, die durch die Aufnahme von Gluten bei genetisch empfänglichen Personen ausgelöst werden. Zu diesem Formenkomplex gehören:
- Zöliakie (CD)
- Weizenallergie
- und die nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NCWS/Nonceliac Gluten Sensitivity).
Aufgrund häufiger Selbstdiagnosen, unklarer Prävalenz und unbestätigter Ätiologie der NCWS sind validierte Diagnosekriterien und/oder verlässliche Biomarker notwendig.
Literatur
- Bonciolini V et al. (2015) Cutaneous Manifestations of Non-Celiac Gluten Sensitivity: Clinical Histological and Immunopathological Features. Nutrients 7:7798-7805.
- Cárdenas-Torres FI et al. (2021) Non-Celiac Gluten Sensitivity: An Update. Medicina (Kaunas) 57:526
- Catassi C et al. (2015) Diagnosis of non-celiac gluten sensitivity (NCGS): The Salerno Experts' Criteria. Nutrients 7:4966–4977.
- Junker Y et al. (2012) Wheat amylase trypsin inhibitors drive intestinal inflammation via activation of toll-like receptor. The Journal of experimental medicine 209, 2395-2408.
- Kruis T et al. (2015) A case series in patients with enteropathy and granulomatous diseases. BMC Gastroenterol 15:62.
- Levy J et al. (2014) Celiac disease: an immune dysregulation syndrome. Curr Probl Pediatr Adolesc Health Care 44:324-327.
- Losurdo G et al. (2018) Extra-intestinal manifestations of non-celiac gluten sensitivity: An expanding paradigm. World J Gastroenterol 24:1521-1530.
- Roszkowska A et al. (2019) Non-Celiac Gluten Sensitivity: A Review. Medicina (Kaunas) 55:222.
- Sapone A et al. (2012) Spectrum of gluten-related disorders: consensus on new nomenclature and classification. BMC Med 10:13.
-
Schuppan D et al. (2019) Wheat Syndromes. Springer International Publishing, Basel. ISBN 3030190226
- Volta U et al. (2014) An Italian prospective multicenter survey on patients suspected of having non-celiac gluten sensitivity. BMC Med 12:85.