NET des Duodenums und proximalen JejunumsD44.9
Synonym(e)
Definition
Die neuroendokrinen Tumoren des Duodenums und proximalen Ileums (Akronym „NET des Dodenums und proximalen Jejunums“) sind auch unter verschiedenen Begriffen wie Karzinoid, Inselzelltumor oder Gastrinom u.a. bekannt. Mit diesen Bezeichnungen wird auf die jeweiligen bevorzugten Lokalisationen (Inselzelltumor) bzw. auf das Sekretionsmuster (Gastrinom mit der Hypersekretion von Gastrin) hingewiesen.
Einteilung
Bei den gutartigen Neuroendokrinen Tumoren des Duodenums und proximalen Jejunums werden 5 Typen unterschieden:
Gastrin-positiver Tumor (proximales Duodenum)
- Funktionell aktiver Gastrin-positiver Tumor (Gastrinom) des proximalen Duodenums, sporadisch oder MEN-1assoziiert (D44.8) – etwa 65% der duodenalen NETs (Zollinger-Ellison-Syndrom)
- Funktionell inaktiver Serotonin-positiver Tumor
- Funktionell aktiver Serotonin-positiver Tumor
- Funktionell inaktiver Somatostatin-positiver Tumor (Ampulla Vateri) mit oder ohne Neurofibromatose Typ 1 (NF1 – Q85.1)
- Weiterhin das:
- Gangliozytisches Paragangliom (periampullär)
Hoch differenziertes neuroendokrines Karzinom (NEK):
- Funktionell aktives Gastrin-positives Karzinom (Gastrinom), sporadisch oder MEN-1assoziiert
- Funktionell inaktives Somatostatin-positives Karzinom (Ampulla Vateri) mit oder ohne Neurofibromatose Typ 1 (NF1)
- Funktionell inaktives oder aktives (mit Karzinoidsyndrom) Karzinom
- Malignes gangliozytisches Paragangliom
Vorkommen/Epidemiologie
Etwa 30% der Dünndarmtumore sind NETs, die vorzugsweise im distalen Dünndarm vorkommen. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung kann in 29% ein lokalbeschränkt wachsender Tumor, in 41% regionäre Lymphknotenmetastasen und in 30% Fernmetastasen erwartet werden (Modlin IM et al. 2007).
Ätiopathogenese
Grundsätzlich gehen alle GEP-NETs von den neuroendokrinen Zellen des gastroenteropankreatischen (GEP)-Systems aus. Dieses endokrine Zellsystem und seine Tumore sind durch die Expression zelltypspezifischer Peptidhormone (z.B. Gastrin) und versch. Neurotransmitter wie Synaptophysin und Chromogranin-A charakterisiert. Die vermehrte Sekretion dieser Hormone führt zu diagnostisch wegweisenden Hypersekretionssyndromen (z.B. zu Flush-Symptome) mit entsprechender klinischer Symptomatik. Die duodenalen NETs bestehen zu etwa 65% der Fälle aus Gastrinomen und zu etwa 15% der Fälle aus Somatostatinomen.
Klinisches Bild
Die funktionell aktiven duodenalen Gastrinome kommen entweder sporadisch oder assoziiert mit einer MEN-1 vor. Die MEN-1-assoziierten Gastrinome treten meist multipel auf und sind meist nicht größer als 1,0 cm. Sie befinden sich überwiegend im proximalen Duodenum. Trotz ihrer geringen Größe und ihrer auf die duodenale Mukosa und Submukosa beschränkten Ausdehnung findet man bei den duodenalen Gastrinomen zum Zeitpunkt der Diagnose oft bereits nodale Metastasen. Lebermetastasen treten relativ spät auf.
Die nichtfunktionellen duodenalen NETs (selten) umfasst prognostisch günstige und ungünstige Tumoren. Sie sind hochdifferenziert und verhalten sich benigne, wenn sie nicht die Submukosa überschreiten. Sind sie niedrig differenziert (NEKs), finden sich zum Zeitpunkt der Diagnose häufig bereits eine fortgeschrittene Metastasierung.
Die duodenalen Somatostatinome (etwa 15% aller duodenalen NETs) liegen bevorzugt im Bereich der Papilla Vateri oder periampullär. Sie entwickeln kein Somatostatinomsyndrom (Diabetes, Cholelithiasis und Diarrhö). Duodenale Somatostatinome sind häufig mit einer Neurofibromatose Typ I assoziiert. Nicht selten kann gleichzeitig ein doppelseitiges Phäochromozytom auftreten. Wenn sie die Muscularis propria infiltrieren, sind sie potenziell maligne. Feingeweblich sind sie durch glanduläre Muster mit Psammom-Körpern charakterisiert.
Die schlecht differenzierten (G3) neuroendokrinen Karzinome des Duodenums (NEKs) finden sich meist periampullär oder direkt im Bereich der Papilla Vateri. Ihre Proliferationsrate liegt in der Regel weit über 20% (G3).
Eine Besonderheit stellen die duodenalen gangliozytischen Paragangliome dar, die in Nachbarschaft der Papilla Vateri auftreten und sich trotz einer Größe > 2 cm und einer Infiltration der Muscularis propria generell benigne verhalten.
Operative Therapie
Gut differenzierte, nicht-funktionelle NETs des Duodenums, die auf die Mukosa/Submukosa beschränkt sind, einen Durchmesser bis zu 1cm besitzen, eine niedrige proliferative Aktivität (Ki-67<2%, G1) zeigen und nicht angioinvasiv wachsen, können als NET ohne Risikofaktoren bezeichnet werden. Sie können endoskopisch reseziert werden.
Duodenale NETs mit Angioinvasion oder einer Proliferationsrate >2% oder Infiltration der tiefen Submukosa oder einer Größe von >2cm werden primär operiert.
Duodenale Gastrinome (jeglicher Größe, schlecht-differenzierte (G3) neuroendokrine Karzinome) sowie sporadische, oftmals periampullär gelegenen Somatostatin-produzierenden Duodenum-NETs von >1–2cm werden primär operiert.
Die gangliozytischen Paragangliome des Duodenums können bis zu einer Größe von 3,0 cm erfolgreich endoskopisch entfernt (Park SJ et al. 2014) werden.
Der Operationszeitpunkt und das Operationsausmaß sollte entsprechend der Patientencharakteristika (Alter, Komorbidität usw.) und den Präferenzen der Patienten festgelegt werden.
Nicht-funktionelle MEN1-pNEN ≤1cm sollen in der Regel nicht reseziert werden.
Nicht-funktionelle MEN1-pNEN > 2cm, bei denen in der Bildgebung der Verdacht auf eine Lymphknotenmetastasierung besteht (diffuse Fernmetastasierung sollte ausgeschlossen sein) ohne signifikante Komorbidität sollen in der Regel reseziert werden.
MEN1-NF-pNEN zwischen 1 und 2cm: Operation als auch eine engmaschige Überwachung möglich.
Prophylaxe
Abhängig von initialem Tumorstadium, Rate der befallenen Lymphknoten, Grading, Primärtumorlokalisation, Lymph- und Blutgefäßinvasion besteht ein unterschiedlich hohes, jedoch relevantes Rezidivrisiko. Dabei können späte Rezidive, vereinzelt nach mehr als 10 Jahren nach der Resektion auftreten. Die meisten Rezidive treten als Fernmetastasierung. Aussagekräftige prospektive randomisierte Studien, die eine adjuvante Behandlung mit einer Nachsorgestrategie vergleichen, sind nicht verfügbar, d.h. ein möglicher Benefit einer adjuvanten Therapie gegenüber der Nachsorge und Therapieeinleitung bei Rezidivnachweis ist nicht belegt (AWMF-Leitlinie).
Hinweis(e)
Neuroendokrine Tumoren des Duodenums werden heute 5bis 10-fach häufiger festgestellt als noch vor 35 Jahren. Sie werden heute oftmals „en passant“ im Rahmen einer Ösophagogastroduodenoskopie diagnostiziert.
Literatur
- AWMF S2k-Leitlinie Neuroendokrine Tumore (2018)0. Z Gastroenterol 56: 583–681
- Bloomston M et al. (2007) Hepatic artery chemoembolization in 122 patients with metastatic carcinoid tumor: lessons learned. J Gastrointest Surg 11: 264–271
- de Baere T et al. (2015) GEP-NET Supdate: Interventional radiology: role in the treatment of liver metastases from GEP-NETs. Eur J Endocrinol 172: R151–R166
- Del Prete M et al. (2014) Hepatic arterial embolization in patients with neuroendocrine tumors. J Exp Clin Cancer Res 33: 43
- Eick J et al. (2016) Rectal neuroendocrine tumors: endoscopic therapy. Chirurg 87: 288–291
- Groeschl RT et al. (2014) Microwave ablation for hepatic malignancies: a multiinstitutional analysis. Ann Surg 259: 1195–1200
- Kaltsas G et al. (2017) ENETS Consensus Guidelines for the Standards of Care in Neuroendocrine Tumors: Pre- and Perioperative Therapy in Patients with Neuroendocrine Tumors. Neuroendocrinology 105: 245– 254
- Modlin IM et al. (2007) A three-decade analysis of 3,911 small intestinal neuroendocrine tumors: the rapid pace of no progress. Am J Gastroenterol 102: 1464–1473
- Pavlidis N et al. (2012) Cancer of unknown primary site. Lancet 379: 1428–1435
- Park SJ et al. (2014) Endoscopic resection as a possible radical treatment for duodenal gangliocytic paraganglioma: a report of four cases. Korean J Gastroenterol 63: 114–119
- Perren A et al. (2010): Klassifikation und Pathologie gastroenteropankreatischer neuroendokriner Tumoren. Viszeralmed 26: 234-240