Hyperthyreose bei SchilddrüsenautonomieE05.2; E05.1; E05.0
Synonym(e)
Definition
Schilddrüsenautonomie wird als ungesteuerte (autonome) Produktion von Schilddrüsenhormonen – in unabhängig vom thyreotropen Regelkreis (Hypothalamus - Hypophyse - Schilddrüse) wachsenden und endokrin aktiven Parenchymbezirken der Schilddrüse definiert (Wieler H et al. 1992). Eine Schilddrüsenautonomie wird nach dem szintigraphischem Bild unterteilt in:
- Unifokale Schilddrüsenautonomie (autonomes Adenom, toxisches autonomes Adenom)
- Multifokale Schilddrüsenautonomie (multinoduläre, häufig euthyreote Knotenstruma, mit mehreren autonomen Bezirken)
- Disseminierte (diffuse) Schilddrüsenautonomie: erhöhtes Uptake des gesamten Organs
Vorkommen/Epidemiologie
Neben der immunogenen Hyperthyreose (Morbus Basedow) ist die funktionelle Schilddrüsenautonomie die häufigste Ursache einer Hyperthyreose.
Ätiopathogenese
Häufigste Ursache für die Schilddrüsenautonomie ist eine Jodmangelstruma. Die Jodmangelstruma zeigt mit zunehmender Bestanddauer der Struma, sowie in Abhängigkeit von Strumagröße und knotiger Umwandlung des Organs eine zunehmende Tendenz zur Entwicklung von TSH-unabhängigen (autonomen), funktionellen Parenchymbezirken (heiße Knoten). Hierbei führt der Jodmangel über die Aktivierung von Wachstumsfaktoren (EGF, IGF-1) zu einer fokalen Hypertrophie von Thyreozyten die aufgrund einer somatischen Punktmutation im Gen des TSH-Rezeptors (80%) oder (seltener) in der alpha-Untereinheit des G-Proteins des TSH-Rezeptorgens aktiviert sind. Diese somatischen heterozygoten Mutationen führen jeweils zu einer konstitutiven Aktivierung der cAMP-Kaskade in der mutierten Schilddrüsenzelle. Die vermehrte cAMP-Produktion verursacht wiederum eine Stimulation von Wachstum und Hormonproduktion der Schilddrüsenepithelzellen (Paschke R et al 2000).
Bei der toxischen Knotenstruma handelt es sich um eine multinoduläre Struma mit mehreren autonomen Bezirken (multifokale Autonomie) die zu einer Hyperthyreose führen.
In dieser autonomen Funktionalität mit der Entkopplung vom Regelkreis führt beispielsweise eine zufällige exogene Jodzufuhr (z.B. Gabe jodhaltiger Kontrastmittel und Medikamente wie z.B. Amiodaron) zu einer akut einsetzenden Hyperthyreose.
Manifestation
Patienten meist >40 Jahre.
Klinisches Bild
Eine Schilddrüsenautonomie entwickelt sich langsam über mehrere Jahre und wird aufgrund der initial euthyreoten Stoffwechsellage meist erst in höherem Lebensalter symptomatisch. Ältere Patienten mit großer Knotenstruma zeigen allerdings in >50% der Fälle eine funktionelle Autonomie. Die oligosymptomatischen Adenome können als Zufallsbefund bei Abklärung von Herzrythmusstörungen manifest werden.
Klinisch wird meist ein tastbarer, oder sonographisch nachweisbarer Schilddrüsenknoten gefunden. Die Hyperthyreose bei Autonomie kann durch exogene Jodzufuhr z.B. durch Röntgenkontrastmittel oder durch Amiodaron ausgelöst werden (klinische Zeichen: Tachykardie, Gewichtsverlust, Wärmeintoleranz, psychomotorische Unruhe, feinschlägiger Tremor, Diarrhoe, bei Frauen Zyklusstörungen)
Bildgebung
Sonographie: Nachweis von Adenomknoten im Schilddrüsenparenchym. Bestimmung der Strumagrade nach WHO-Einteilung (Grad 1- Grad 3).
Szintigraphie: Die Schilddrüsenszintigraphie ermöglicht die Lokalisation des autonomen Gewebes. Als Tracer werden dabei Tc99m-Pertechnetat oder Jod-131 verwendet, welche sich unter TSH-Suppression nur in autonomen Gebieten (bei vollständiger Suppression des übrigen Schilddrüsengewebes) anreichern (Darstellung als "Heißer jodavider Knoten" im Szintigramm).
Labor
Bestimmung von TSH basal, fT3 und fT4 zur Beurteilung der Schilddrüsenfunktion (euthyreot, latent hyperthyreot, manifest hyperthyreot). Schilddrüsenautoantikörper (TSH-Rezeptor-Autoantikörper, Thyreoperoxidase-Antikörper) sind meist negativ.
Therapie
Zur Therapie der uni- und multifokalen Schilddrüsenautonomie stehen 4 Optionen zur Verfügung: Schilddrüsenresektion, Radiojodtherapie (Meller J, et al. 2002), Sklerotherapie durch Alkoholinjektion, medikamentöse Therapie (Thyreostatika). Da die Langzeitbehandlung mit Thyreostatika die Ursache der Erkrankung nicht beseitigt, ist sie nur zur Therapie der akuten Schilddrüsenüberfunktion und der Vorbereitung auf kurative Verfahren indiziert (Paschke R et al 2000). Bei der chirurgischen Therapie wird eine funktions- und morphologieadaptierte und in Zweifelsfällen eher großzügige Resektionsstrategie angestrebt.
Die Radiojodtherapie, ist eine gut etabliert nebenwirkungsarme Alternative zu chirurgischen Verfahren. Die ablative Methode der Sklerotherapie ist insbesondere bei Autonomievolumina <30 ml sowie bei Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko oder Dialysepatienten eine mögliche Alternative zur OP und zur Radiojodtherapie.
Hinweis(e)
Die Kombination von Immunhyperthyreose vom Typ des Morbus Basedow und Schilddrüsenautonomie wird als Marine-Lenhart-Syndrom bezeichnet. Dies Konstellation tritt bei etwa 10% der Basedow-Fälle auf.
Literatur
- Gotthardt M et al. (2006) Decrease of (99m)Tc-uptake in autonomous thyroid tissue in Germany since the 1970s. Clinical implications for radioiodine therapy. Nuklearmedizin 45:122-125
- Meller J, et al. (2002) Radioiodine-treatment (RIT) of thyroidal functional autonomy. Nucl Med Rev Cent East Eur 5:1-10.
- Paschke R et al (2000) Therapie der uni- oder multifokalen Schilddrüsenautonomie. Dtsch Arztebl 97: A-1463 / B-1245 / C-1168
- Wieler H et al.(1992) Diagnosis of functional thyroid autonomy. Wien Med Wochenschr 142:213-216.