Gestationsthrombozytopenie
Synonym(e)
Definition
Unter einer Gestationsthrombozytopenie (GT) versteht man eine erstmals während der Schwangerschaft auftretende Thrombozytenzahl von < 150.000 / µl, die auf keine andere Erkrankung zurückzuführen ist (Cines 2017).
Vorkommen
Die Gestationsthrombozytopenie tritt bei ca. 8 % aller Schwangeren auf (Herold 2022). Sie stellt mit 75 % aller Fälle die häufigste Ursache einer in der Schwangerschaft auftretenden Thrombozytopenie dar (Cines 2017).
Ätiologie
Die Ursachen einer während der Schwangerschaft auftretenden Thrombozytopenie können benigne sein, wie es z. B. bei der durch einen erhöhten Thrombozytenumsatz oder eine Hämodilution induzierten Gestationsthrombozytopenie der Fall (Herold 2022), aber auch Anzeichen einer lebensbedrohlichen Erkrankung sein (Pishko 2022).
Eine GT tritt bevorzugt bei einer Mehrlingsschwangerschaft auf (Stepan 2022).
Pathophysiologie
Die genaue Pathophysiologie einer GT ist bislang nicht bekannt. Während einer Schwangerschaft kommt es ab dem 1. Trimenon zu einer physiologischen Erniedrigung der Thrombozytenzahl, die zum Zeitpunkt der Entbindung am niedrigsten ist. Diese ist zurückzuführen auf eine Hämodilution als Folge des erhöhten Plasmavolumens und auf eine Sequestrierung der Thrombozyten in der Milz (Pishko 2022).
Klamroth (2010) vermutet als Ursache der GT am ehesten immunologische Prozesse im Sinne einer transienten Immunthrombozytopenie.
Manifestation
1. Trimenon:
Im 1. Trimenon tritt eine GT nur sehr selten auf. Die Thrombozytenzahl liegt meistens bei < 150.000 / µl. Häufigste Ursache der Thrombozytopenie in diesem Zeitraum ist die idiopathische Thrombozytopenie (ITP) (Pishko 2022).
2. Trimenon:
Ab dem 2. Trimenon besteht bei der GT ein progredienter Abfall der Thrombozyten (Stepan 2022). Bei Thrombozytenzahlen ≥ 100.000 / µl wird diese an 1. Stelle durch eine GT verursacht und am zweithäufigsten durch eine ITP. Bei Thrombozytenzahlen < 100.000 / µl in diesem Zeitraum findet sich als häufigste Ursache eine ITP, am zweithäufigsten eine Präeklampsie (Pishko 2022).
3. Trimenon:
Im 3. Trimenon findet sich bei einer Thrombozytopenie von ≥ 80.000 / µl als Ursache an 1. Stelle eine GT und an 2. Stelle eine Präeklampsie.
Liegt die Thrombozytenzahl < 80.000 / µl rückt als Ursache die Präeklampsie an die erste Stelle und die ITP an die 2. Stelle (Pishko 2022).
Klinisches Bild
Die Erkrankung verläuft asymptomatisch (Herold 2022). Es besteht – trotz der Thrombozytopenie – kein erhöhtes Blutungsrisiko für Mutter und Kind (Stepan 2022).
Diagnostik
Es existiert derzeit keinerlei Test zur Sicherung der Diagnose einer GT (Kranke 2018).
Diagnostisch abgeklärt werden sollte eine in der Schwangerschaft auftretende Thrombozytopenie, wenn diese:
- bereits früher einmal aufgetreten ist
- bei Thrombozytenzahlen < 80.000 / µl
- Blutungsneigung in der Eigen- oder Familienanamnese unabhängig von der Thrombozytenzahl und dem Gestationsalter
- sich im 1. oder 2. Trimenon manifestiert (Bergmann 2015)
Die Diagnose einer GT ist stets eine Ausschlussdiagnose und wird durch klinische Kriterien gestellt:
- milde Thrombozytopenie
- in 90 % mit Werten von ≥ 100.000 / µl
- bevorzugt im letzten Trimenon auftretend
- ohne vermehrte Blutungsneigung (Sucker 2017)
Labor
Die Thrombozytenzahl ist erniedrigt, bleibt aber i. d. R. > 100.000 / µl (Herold 2022). Lediglich bei ca. 1 % der Schwangern liegt unter der Geburt die Zahl der Thrombozyten bei < 100.000 / µl und bei 0,1 % bei < 80.000 / µl (Pishko 2022).
Es sollte stets ein peripherer Blutausstrich auf eine etwaige Pseudothrombozytopenie oder auf etwaige morphologische Anomalien hin untersucht werden. Zusätzlich sollten Leber- und Nierenfunktion bestimmt werden (Pishko 2022).
Differentialdiagnose
- thrombotische thrombozytopenische Purpura (TTP)
- disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)
- Präeklampsie (Kasper 2015)
- komplement- vermittelte thrombotische Mikroangiopathie
- thrombotische Mikroangiopathie (TMA)
- erbliche Thrombozytopenie (Pishko 2022)
Um differentialdiagnostische Erkrankungen auszuschließen, spielen insbesondere der Schweregrad der Thrombozytopenie und das Trimester des Beginns eine große Rolle (Pishko 2022).
Therapie allgemein
Eine Therapie ist bei der GT nicht erforderlich, da die Thrombozytopenie selbstlimitiert ist und spätestens ca. 2 Monate post partum wieder verschwindet (Herold 2022).
Bei schweren Verlaufsformen wurden in Studien Kortikosteroide bzw. Immunglobuline verabreicht. Dadurch ließ sich jedoch keine Verbesserung der Thrombozytenzahl erreichen (Stepan 2022).
Prognose
Bei der Entbindung besteht kein erhöhtes Blutungsrisiko. Bis zu einem Thrombozytenwert von 50.000 / µl ist jede Form der Entbindung möglich. Beim Neugeborenen von Müttern mit GT wurde bislang keine Thrombozytopenie beobachtet (Klamroth 2010).
Hinweis(e)
Postpartal empfehlen sich bei der Mutter regelmäßige Kontrollen der Thrombozytenzahl, um eine persistierende Thrombozytopenie frühzeitig zu erkennen (Stepan 2022).
Literatur
- Bergmann F, Rath W (2015) Differentialdiagnose der Thrombozytopenie in der Schwangerschaft: Eine interdisziplinäre Herausforderung. Dtsch Arztebl Int 112: 795 – 802
- Cines D B, Levine L D (2017) Thrombocytopenia in pregnancy. Blood. 130 (21) 2271 – 2277 doi: 10.1182/blood-2017-05-781971.
- Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 147
- Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 49
- Kranke P (2018) Die geburtshilfliche Anästhesie. Springer Verlag Berlin 225
- Pishko A M, Marshall A L (2022) Thrombocytopenia in pregnancy. Hematology Am Soc Hematol Educ Program. (1) 303 – 311
- Stepan H, Verlohren S (2022) Präeklampsie: Diagnostik und klinisches Management. Walter de Gruyter Verlag Berlin / Boston Kapitel 10. 2. 2
- Sucker C, Ackermann S (2017) Klinische Hämmostaseologie in der Gynäkologie und Geburtshilfe. de Gruyter Verlag Berlin Kapitel 3. 1. 2