Der Name "Gangliosid" wurde von dem deutschen Biochemiker Klenk (1896-1971) geprägt und einer Gruppe von sauren GSLs zugeordnet, die er aus Ganglienzellen (Klenk E (1942) und aus dem Gehirn von Patienten isolierte, die an der so genannten amaurotischen Idiopathie litten. Sialinsäure wurde erstmals 1936 aus submaxillärem Mucin isoliert. Ihre Struktur wurde in den fünfziger Jahren von verschiedenen Gruppen aufgeklärt, und es wurde festgestellt, dass sie mit der von Klenk und Faillard isolierten N-Acetylneuraminsäure identisch ist. Die erste Struktur eines Gangliosids wurde 1963 von Kuhn und Wiegandt aufgeklärt. Die heute noch gültige Nomenklatur der Hirnganglioside geht auf Svennerholm zurück (Svennerholm L 1963).
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Ganglioside
Erstbeschreiber
Definition
Ganglioside sind eine Gruppe verwandter saurer Glycosphingolipide, die eine Ceramidkette enthalten, die in die Lipiddoppelschicht der Plasmamembran eingebaut ist. Die Kohlenhydratbestandteile befinden sich auf der Zelloberfläche und sind für die Erkennung durch Antikörper verfügbar. Ganglioside sind auch auf neoplastischen Zellen und auf einigen nicht-neoplastischen Zellen (insbesondere im Nervengewebe) vorhanden. Die verschiedenen Ganglioside unterscheiden sich in ihrer Expression auf Tumorzellen und normalem Gewebe sowie in ihrer intrinsischen Immunogenität.
Allgemeine Information
Ganglioside sind sialinsäurehaltige Glykosphingolipide (GLS) und machen einen großen Teil der Zelloberflächenglykane auf neuronalen Zellen aus. Glykosphingolipide sind Lipide, die eine Sphingoid-Basis und einen oder mehrere Zuckerreste enthalten. Zusammen mit Glykoproteinen und Glykosaminoglykanen tragen Glykosphingolipide (GSL) zur Glykokalyx bei, die eukaryotische Zelloberflächen bedeckt. Sialinsäuren sind Neun-Kohlenstoff-Zucker, die biosynthetisch aus N-Acetylmannosamin und Phosphoenolpyruvat gebildet werden. Mit einem mittleren pK A-Wert von etwa 2,6 sind sie saurer als die meisten Carbonsäuren und bei den meisten physiologischen pH-Werten negativ geladen. Unter den Sialinsäuren ist die N-Acetylneuraminsäure die am häufigsten vorkommende Sialinsäure beim Menschen, aber auch die N-Glycolylneuraminsäure ist in vielen anderen Spezies reichlich vorhanden. Insgesamt sind > 50 verschiedene Sialinsäuren beschrieben worden. Sie können in den Positionen 4, 7 oder 9 O-acetyliert sein, aber auch N-deacetyliert, O-methyliert, sulfatiert oder durch Lactonisierung modifiziert (Kohla G et al. (2005) sein.
Vorkommen
Ganglioside sind im Gehirn besonders reichlich vorhanden, wo ihr Vorkommen in der grauen Substanz etwa fünfmal höher ist als in der weißen Substanz. In erwachsenen menschlichen Gehirnregionen liegen die Werte zwischen 2 und 14 μg lipidgebundener Sialinsäure/mg Protein (Kracun I et al. (1984). Im Gehirn korreliert die Expression von Gangliosiden mit Neurogenese, Synaptogenese, synaptischer Übertragung und Zellproliferation (Wang B 2009). In kultivierten Hippocampus-Neuronen der Maus geht die Axonogenese, nicht aber die Dendritogenese, mit einer Zunahme der Bildung komplexer Ganglioside einher (Hirschberg K et al. 1996). In extraneuralen Geweben ist der Gangliosidgehalt um ein bis zwei Größenordnungen niedriger als im Gehirn; relativ hohe Konzentrationen von Gangliosiden der Ganglienserie finden sich im Knochenmark, in Erythrozyten, im Darm, in der Leber, in der Milz und in den Hoden, GM4 in der Niere und SSEA-4 in embryonalen Stammzellen.
Zelluläre Ganglioside bilden zum Teil komplexe, zelltyp- und gewebespezifische Glykanmuster aus. Diese sind nicht zeitlich stabil, sondern verändern sich mit physiologischen und pathophysiologischen Prozessen wie Zellwachstum, Differenzierung, virale Transformation, Ontogenese, Onkogenese, Embryogenese (Kwak DH et al. 2011), Laktation oder Tumorprogression (Hakomori SI 1996). Ganglioside der Ganglienserie sind vor allem im Nervensystem zu finden, wo sie 10-12 % des Lipidgehalts ausmachen. Während der Entwicklung des Gehirns ändert sich das Gangliosidmuster von der Prävalenz der einfachen Ganglioside GM3 und GD3 zu komplexeren Gangliosidmolekülen (z.B. GD1a und GT1b). Der Gangliosidgehalt und die Zusammensetzung des Gehirns ändern sich auch während des Alterns: So sank die Menge der lipidgebundenen Sialinsäure von 1070 μg/g Nassgewicht bei einem 25-jährigen gesunden Probanden auf 380 μg/g Nassgewicht bei einem 85-jährigen Individuum. Trotzdem nehmen die Konzentrationen von GQ1b, GT1b und GD1b mit dem Alter zu Lasten von GM1 und GD1a zu (Senn H J et al. 1989). Veränderungen in der Gangliosidzusammensetzung mit dem Alter treten auch in der Leber auf. Es gibt nur Hinweise auf die funktionellen Folgen solcher Veränderungen (Ando S 2012).
Ganglioside finden sich auch im Serum. Dort sind vor allem GM3, GD3, GD1a, GM2, GT1b, Sialylneolactotetraosylceramid, GD1b und GQ1b vorhanden, die zu etwa 98 % von Serumlipoproteinen transportiert werden, vor allem von LDL (66 %), gefolgt von HDL (25 %) und VLDL (7 %) (Senn H J et al. 1989).
Abbau von Gangliosiden: Der konstitutive Abbau von Gangliosiden findet in Endosomen und Lysosomen statt. Darüber hinaus kann auch die Plasmamembran-assoziierte Sialidase Neu3, Ganglioside abbauen und wird z.B. auf Melanomzellen hoch exprimiert (Miyata M et al. 2011). Auch die Kernhülle enthält Sialidasen, wobei sich Neu3 in der inneren und Neu1 in der äußeren Kernmembran befindet. Der lysosomale Gangliosidabbau findet nach der Endozytose von Teilen der Plasmamembran an intraendosomalen und intralysosomalen Membranen und damit verbundenen Lipidaggregaten statt. Dies erfordert das Vorhandensein geeigneter Glykosidasen, eines geeigneten pH-Wertes, in manchen Fällen auch von Lipid-Transferproteinen, und einer geeigneten Zusammensetzung der gangliosidhaltigen Membranen.
Klinisches Bild
Erbkrankheiten: Die biochemischen Defekte, die den Krankheiten:
- GM1-Gangliosidose
- Tay-Sachs-Krankheit
- Sandhoff-Krankheit
zugrunde liegen, wurden bereits in den 1960er Jahren von Sandhoff und anderen entdeckt.
Erworbene neurologische Erkrankungen: Neben diesen Erbkrankheiten kann der Gangliosidspiegel auch bei mehreren erworbenen Krankheiten verändert sein. So spielen Ganglioside beispielsweise eine Rolle bei neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Chorea Huntington (Yanagisawa K (2011).
Tumorerkrankungen: Auch bei malignen Tumorerkrankungen kann die Expression von Gangliosiden in Tumorzellen verändert sein, was sich auf die Signalübertragung und die Wechselwirkungen zwischen Tumor und Wirt auswirkt. GM3, GD2, GD3, GM2 und FucosylGM1 gelten als tumorassoziierte Antigene (Heimburg-Molinaro J et al. 2011) und sind Ziele für eine onkogene Immuntherapie.
Gangliosid-Antikörper: Verschiedene Neuropathien, darunter Varianten des Guillain-Barré- und das Miller-Fisher-Syndrom, werden durch Serumantikörper gegen Ganglioside verursacht (Uncini A 2012). Sie werden auch bei Diabetischer Neuropathie, Amyotrophe Lateralsklerose, SLE angetroffen. Beim Diabetes mellitus können sie hinweise auf eine Autoimmunimsulinitis geben.
Therapieansätze: Ganglioside können sowohl für die passive als auch für die aktive Immuntherapie eingesetzt werden, obwohl ihre Verwendung als Ziele für die passive Immuntherapie keine konsistenten Reaktionen im Labor oder in der Klinik gezeigt hat. In der Vergangenheit wurden Ganglioside, die aus Rinderhirn isoliert wurden, untersucht und auch bei menschlichen Patienten zur Verbesserung der Nervenreparatur und zur Behandlung von Schlaganfällen eingesetzt. Auch die direkte Anwendung von Gangliosid GM1 im Gehirn von Patienten mit Alzheimer-Krankheit wurde untersucht. Als indirekte Funktionen sind die Hemmung der Gangliosid-Biosynthese zur Behandlung der Insulinresistenz anzusehen.
Da es sich bei Gangliosiden nicht um Proteine handelt, die im Zusammenhang mit MHC abgebaut und exprimiert werden, sondern vielmehr um Zelloberflächenmoleküle, sollte eine aktive spezifische Immuntherapie eine humorale Reaktion hervorrufen. Der am besten untersuchte Gangliosid-Impfstoff ist der GM2-Impfstoff bei Melanomen. Das Gangliosid GM2 wird in einem großen Prozentsatz der Melanomzellen exprimiert, während es in normalem Gewebe nur selten zu finden ist. Etwa 5 % der Melanompatienten haben natürlich vorkommende Anti-GM2-Antikörper.
Literatur
- Ando S (2012) Neuronal dysfunction with aging and its amelioration. Proceedings of the Japan Academy B 88:266–282.
- Hakomori SI (1996) Tumor malignancy defined by aberrant glycosylation and sphingo(glyco)lipid metabolism. Cancer Research 56:5309–5318.
- Hirschberg K et al. (1996) Ganglioside synthesis during the development of neuronal polarity: major changes occur during axonogenesis and axon elongation, but not during dendrite growth or synaptogenesis. The Journal of Biological Chemistry 271:14876–14882
- Heimburg-Molinaro J et al. (2011) Cancer vaccines and carbohydrate epitopes. Vaccine 29:8802–8826.
- Klenk E (1942) Über die Ganglioside, eine neue Gruppe von zuckerhaltigen Gehirnlipoiden. Hoppe-Seyler's Zeitschrift für Physiologische Chemie 273:76–86.
- Kohla G et al. (2005) Sialic acids in gangliosides: origin and function. Neuroglycobiology Oxford University Press
- Kracun I et al. (1984) Topographical atlas of the gangliosides of the adult human brain. Journal of Neurochemistry. 43:979–989.
- Kwak DH et al. (2011) Roles of gangliosides in mouse embryogenesis and embryonic stem cell differentiation. Experimental and Molecular Medicine 43:379–388.
- Miyata M et al. (2011) Membrane sialidase NEU3 is highly expressed in human melanoma cells promoting cell growth with minimal changes in the composition of gangliosides. Cancer Science 102:2139–2149.
- Senn H J et al. (1989) Ganglioside in normal human serum. Concentration, pattern and transport by lipoproteins. European Journal of Biochemistry 181:657–662.
- Svennerholm L (1963) Chromatographic separation of human brain gangliosides. Journal of Neurochemistry. 10:613–623.
- Uncini A (2012) A common mechanism and a new categorization for anti-ganglioside antibody-mediated neuropathies. Experimental Neurology 235:513–516.
- Yanagisawa K (2011) Pathological significance of ganglioside clusters in Alzheimer's disease. Journal of Neurochemistry 116:806–812.
- Wang B (2009) Sialic acid is an essential nutrient for brain development and cognition. Annual Review of Nutrition 29:177–222.